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Laufberichte

Hand in Hand ins Ziel

03.10.07

Heute hat’s mich in die nordwestliche Ecke Thüringens verschlagen, genauer gesagt nach Mühlhausen. Dort findet seit 2004 eine einmalige Laufveranstaltung am Tag der Deutschen Einheit statt. Dieses Erlebnis hat mir Klaus Duwe so richtig mit Herzensblut vorgeschlagen. Ich habe den Start nicht bereut.

 

Guido Kunze, Initiator, Erfinder und Organisator begann von drei Jahren mit der Ausrichtung dieser Veranstaltung. Der Guido war schon immer dem Sport verbunden, vom Fußball über den militärischen Mehrkampf bis hin zum Fallschirmspringen. Im Judo und Ju.Jitsu hat er gar den schwarzen Gürtel, also sollte man sich nicht mit ihm anlegen. Zum Laufen und zum Marathon ist er erst 1998 gekommen, da musste es gleich der Rennsteig sein. Und zwei Jahre später folgte der erste Ultra in Frankreich. Für die Zukunft hat er auch schon Pläne: Von der Durchquerung Australiens bis hin zum Lauf auf den Kilimandscharo, mir wird da schon vom Nachdenken schwindelig. Beruflich hat er ein Sportgeschäft namens „Zwei G“ (das zweite steht wohl für Gaby, so heißt seine Lebensgefährtin). Und in seiner Freizeit arbeitet er für den Reha-Sportverein Mühlhausen.

 

Ich reise nach Mühlhausen am Vortag zum Feiertag an. Eine Besprechung in der Arbeit bringt mir 1,5 Stunden Verspätung mit der Abfahrt ein. Wenig Verkehr lässt mich gut auf der Autobahn 9 vorankommen. Lediglich im Bereich vor dem Autobahnkreuz Hermsdorf, wo die Autostrada noch auf die Vollendung des Verkehrsprojektes 12 wartet, geht es aufgrund der engen zwei Fahrstreifen langsamer zu. Und dann muss ich noch ein Stück auf der Autobahn 4 bis zur Anschlussstelle Gotha fahren. Im Bereich von Jena fällt mir auch die lange Baustelle auf, die nicht nur schlecht gesichert ist, auch fehlende Markierungen und nicht funktionierende Reflektoren machen das Fahren schwierig. Wer will denn hier mit seinem Auto an der Leitplanke entlangschrammen? Wahrscheinlich keiner. Ja, und von Gotha sind es noch gut 40 Kilometer auf einer Bundesstraße nach Mühlhausen. Für die Nudelparty bin ich leider zu spät.

 

Am nächsten Morgen bin ich zeitig am Startplatz des Stadions an der Aue. Es ist schon reger Betrieb. Ich hole mir die Startunterlagen. Was kann man hier alles machen? Vom Laufen über 51, 27,5 und 12 Kilometer bis hin zum Wandern über diese Strecken ist alles möglich. Interessierte Radfahrer dürfen sich ebenfalls über die 51 Kilometer austoben. Ein Stabhochsprungwettbewerb ist auch möglich.

 

Für das Startgeld erhalten wir Medaillen und Urkunden (schönes Motiv, gleich zum Mitnehmen). Für die Schnellen und Altersklassensieger gibt es Sachpreise. In der Startertüte findet sich neben wenig Werbung ein paar Goodies wie Shampoo, Getränkepulver, Körperlotion und ein Guatl (bayr. für Bonbon).

 

Im Zelt riecht es noch ein wenig nach Restalkohol, wohl das Überbleibsel von der gestrigen Einheitsparty. Mir wär jetzt ein Kaffee recht, aber die Theke ist verwaist. Dann mach ich mich für das Rennen zurecht, in gut 30 Minuten geht es los. Im Freien ist es unheimlich feucht, Nebel mit rund 100 Meter Sicht. Tag will es auch nicht recht werden, sogar die Straßenlampen brennen noch. Dafür ist es mit 12 Grad außerordentlich warm für die Jahreszeit.

 

Kurz vor acht Uhr höre ich eine Lautsprecherdurchsage, ich suche und finde dann die Radfahrer, die jetzt für ihr Rennen eingewiesen werden. Ich glaube, der Landrat Harald Zenker ist es, der entlässt die Biker dann auf ihren Weg.

 

Dann versammeln sich die Läufer. Ein Fernsehteam vom MDR interviewt einen Läufer mit schwarz-rot-goldener Kopfbedeckung. Wir werden nochmals auf unseren langen Kanten eingeschworen: „Geht es langsam an, es ist ein weiter Weg. Und passt auf, denn die Wege sind teilweise aufgeweicht.“ Kein Wunder, hier hat es in den letzten Tagen unheimlich viel geregnet.

 

Dann ist es nicht 08/15, sondern fünf nach acht, und ohne Pistolenschuss, nur mit dem Wort „Start“ lässt man uns davoneilen. Es geht aber ohne Hektik zu. Jeder weiß wohl, worauf er sich eingelassen hat.

 

Ein kleines, aber feines Feld von etwa 70 Ausdauerfreaks macht sich auf die Reise. Am Ausgang der Sportanlage (222 Meter über Normalnull) biegen wir in die Schwanenteichallee ein. Nach rund 500 Meter sehen wir links den Schwanenteich. Im Dunst kann ich sogar viele Enten und Schwäne erkennen. Es geht immer geradeaus weiter durch den Park. Angebrachte rot-weiße Markierungsbänder weisen uns den Weg. Die Strecke wird leicht steigend.

 

Wir verlassen Mühlhausen. Der Ort ist Kreisstadt im Unstrut-Hainich-Kreis (Autokennzeichen UH) und mit gut 35000 Einwohnern Mittelzentrum. Westlich der Stadt liegt der Hainich, das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet in Deutschland. Bekannt ist Mühlhausen für seine Kirmes, welche 1877 zum ersten Mal stattfand. Die Geschichte Mühlhausens geht sehr weit zurück. Bereits 967 wurde „mulinhuson“ urkundlich erwähnt. Kaiser Friedrich I Barbarossa ließ die Neustadt um die Marienkirche erbauen. Im 13. Jahrhundert wurde Mühlhausen Freie Reichstadt und war auch im Bund der Hanse. Im Bauernkrieg wurde Thomas Müntzer vor den Toren der Stadt hingerichtet. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war Johann Sebastian Bach Organist an der Hauptkirche St. Blasius.

 

Eine Besonderheit ist der Freundschaftsvertrag mit der hessischen Stadt Eschwege, gerade einmal rund 30 Autominuten entfernt. Nach dem Mauerfall, aber noch vor der Wiedervereinigung Deutschlands, war man eine der allerersten Städte, die einen solchen Vertrag mit kulturellem, wirtschaftlichen und traditionellen Zielen geschlossen hat. So, na hamma wieder was Neues glernt.

 

Es geht in den Mühlhauser Stadtwald. Kilometerschild fünf kommt. Kurz danach finden wir die erste Verpflegungsstelle mit Wasser, Tee, Iso, Riegeln, Bananen und Äpfel. Später wird noch schwarze Brause gereicht. Bis hier haben wir bereits 130 Höhenmeter erklommen, da es sehr gleichmäßig war, habe ich das fast nicht bemerkt. Wir laufen auf einem befestigten Waldweg, linkerhand sind wegen einer Telegrafenleitung die Bäume niedrig gehalten. Der Nebel drückt herunter. Mitunter sinkt die Sicht auf 50 Meter. Im hohen Wald auf der rechten Seite bleibt der Nebel am Laub hängen. Es rauscht wie bei einem Dauerregen. Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit, wie in einer Waschkuchl, haut’s mir den Schweiss aus jeder Pore naus.

 

Etwa bei Kilometer neun steht ein Sani und weist uns nach links. Aha, hier ist die Abzweigung, jetzt geht der Rundkurs an. Auf 468 Meter über Normalnull (NN) sind wir angelangt, das sind bereits fast 250 Höhenmeter. Ja, die Gesamtstrecke soll rund 900 Höhenmeter haben, kein Zuckerschlecken für Läufer, die keine Berge mögen. Ich habe das Gefühl, dass hier nur Sportler angetreten sind, die wissen, was sie erwarten wird. Nächste Verpflegung, ich greife mir ein Stück Banane und einen Becher Cola.

 

Es geht jetzt durch das Oberdorlaer Holz, sehr viel Laub liegt schon am Bogen. Es geht wieder bergab. Mitunter muss ich auf Schlammlöcher aufpassen. Aber irgendwann tappe ich doch voll hinein, dann hat mich die Wurschtigkeit der Langstreckler wieder. Ein Ausweichen kommt nicht mehr in Frage. Eine Wegekreuzung. Geradeaus liegt ein Markierungsband halbscharig vor mir. Geht’s geradeaus oder nach rechts? Ich überlege. Radfahrerschleifspuren führen gerade weiter. Ist das richtig? Ich laufe gerade, da kommen mir zwei entgegen. „Da kommt kein Band mehr,“ vernehme ich. Also an besagter Stelle links. Das ist dann richtig, denn nach kurzem Stück kommt wieder ein Markierungsband. Da hab ich ein paar Meter Umweg gespart.

 

Wir verlassen den Wald (Kilometer 13) und kommen dann an den Ortsrand von Heyerode (Kilometer 15), wo ich ein Marterl fotografiere. Hinter mir sehe ich drei, vier Marathonis und Marathonias. Die haben Spaß mit den seltenen Zuschauern, die hier stehen. Eine bequeme Asphaltstraße bringt uns nach Diedorf. Die ersten, oder besser gesagt, die letzten Walker werden jetzt überholt. Der Verpflegungsposten 3 (369 Meter über NN) wartet.

 

Es folgt ein arger Anstieg auf den Dörnberg. Je höher wir kommen, desto dichter wird wieder der Nebel, mitunter kaum 50 Meter Sicht. Es geht mal links, dann wieder rechts, die angebrachten Markierungen lassen jetzt kein Verlaufen zu. Die nächste Tankstelle liegt auf 437 Meter Seehöhe.

 

Kilometer 20. Nach einem mehr oder weniger tiefen Grasweg durch Wiesen und Felder steigt die Strecke abermals an. Der Torsten Hirschberger vom 100 Marathon Club begleitet mich mittlerweile. Wir kommen ins Reden und machen Späße mit den Kühen („Muh“). Das Kamerateam wartet wieder. Der Torsten wird übermütig und fängt zu Jodeln an. Das hört sich aber komisch an.

 

Bei der Adolfsburg, nunmehr ein schmaler, mitunter steiniger Weg (Kilometer 26), sehen wir den Ort Treffurt weit unten im Werratal liegen. Torsten springt mir davon, als ich wegen meiner Fotografiererei wieder stehen bleibe. Der Himmel wird etwas heller, vielleicht reißt es auf. Treffurt (6000 Einwohner) hat eine historischen Altstadt mit vielen restaurierten Fachwerkhäusern. Das gilt besonders für das Rathaus aus der Zeit der Renaissance.

 

Es geht dann steil bergab, wir verlieren gut 150 Höhenmeter. Ich muss langsam machen, der Boden ist teilweise tief und rutschig. Von hinten kommen zwei Damen und zwei Hasen, denen ich gerne den Weg freimache. Bei der folgenden Trinkstelle (213 Meter über NN) kann ich wieder auf diese auflaufen.

 

Wir gelangen nun an den früheren „Eisernen Vorhang“. Es folgt ein arger Anstieg auf etwa zwei Kilometer Länge, ich schätze teilweise gut 15 Prozent Steigung. Es wird ruhig im Feld, alles schnauft und bläst. Ich gehe nach vorne, ein Bergläufer wie ich kann leicht mal für seinen Job einen Zwischensprint einlegen. Ich bleibe stehen und banne die Verfolger zweimal auf den Chip. Anfangs lachen diese noch, später höre ich nur Stöhnen. Dann sind wir bei den Mainzer Köpfen (430 Meter über NN) angelangt. Kurz zuvor, die Gegend ist hier äußerst unübersichtlich, ist eine sogenannte Agentenschleuse zu sehen, wo der Osten seine Spione auf den Westen losgelassen hat.

 

Am Ende der Steigung kann ich wieder das Tempo moderat erhöhen. Der Bernd Reif schließt sich mir an. Unser Weg geht nun ziemlich eben auf dem früheren Todesstreifen dahin. Betonplatte nach Betonplatte wird belaufen. Wir müssen uns aber ein wenig konzentrieren, da diese an den Enden Löcher aufweisen. Für das Vertreten sind diese breit genug. Ich sehe einen Wachtturm. Kurze Pause für die Beine. Es wird fotografiert.

 

Noch 20 Kilometer besagt ein Schild, dann haben wir ja bereits 31 Kilometer hinter uns gebracht. Ja, wir sind immer noch auf dem Grünen Band unterwegs. Dieser Begriff wird vielen sicher nichts sagen. Grünes Band wird nach der Wende ein Naturschutzprojekt genannt, welches das Gebiet entlang der früheren Grenze als Rückzugsgebiet für bedrohte Tierarten entwickelt. 

 

Die Politik spielt auch hier eine Rolle, denn das Gelände gehört dem Bund. Die Länder, Thüringen voran und nach einigen Verhandlungen auch Sachsen, wollen das Projekt nachhaltig unterstützen. Aber da wir wissen, wie es um die Bundesfinanzen steht, ist ein endgültiger Ausgang noch nicht sicher.

 

Wir verlassen das Grüne Band, es geht nach Katharinenberg (408 Meter), noch 15 Kilometer. „Vorwärts“, sagt ein Zuschauer. Hört sich für mich als Bayer etwas merkwürdig an. In Diedorf wartet wieder eine Verpflegungsstelle (314 Meter). „Habt’s a Bier, fahr a Halbe her!“ Damit ernte ich wieder Gelächter und lockere so die Stimmung auf. Dafür wartet am Ortsende wieder eine gemeine Steigung hoch zum Bettelkopf. Ich muss mich mühen, dass ich bei Bernd den Anschluss halten kann. Mir scheint, eine Krise tut sich auf.

 

Der Mühlhauser Stadtwald kommt wieder näher (465 Meter) und schwupps, schon tauchen wir wieder hinein. Auf dem befestigten Weg lässt es sich gut laufen, nur die letzte Steigung auf 472 Meter Seehöhe wartet noch. Ein paar Zuschauer muntern uns auf. Noch zehn Kilometer.

 

Bernd sagt, dass er erst dieses Jahr mit dem Marathonlaufen begonnen hat. Und seine Premiere hat er am Rennsteig gefeiert. Heute ist sein zweiter „Langer“ und den nimmt er zum Saisonausklang in lockerer Verfassung mit. Es staunt, als ich ihm mein Programm vorstelle: Pro Jahr zwei schnelle Marathons und die fünfzehn weiteren Marathons eigentlich immer gemütlich. „Wollen wir gemeinsam ins Ziel einlaufen?“ fragt er vorsichtig an. „Nur wenn Du mir nicht davonläufst!“ entgegne ich.

 

Dann steht wieder der Sani, der uns heute früh nach links eingewiesen hat. So, der Rückweg ist jetzt bekannt. Bei Kilometer 42 wird zum zweiten Mal die Zeit genommen. Es geht fast ausschließlich abwärts. Im Stadtwald kommen uns die 12 km-Läufer entgegen. Immer wieder werden wir von den „Sprintern“ angesprochen. Ich fühle mich wieder besser.

 

Wir verlassen den Stadtwald, es geht in die Parkanlagen. Wir fliegen richtig dem Ziel entgegen und können noch einen Konkurrenten schnupfen. An einer Stelle laufen wir dann in eine Sackgasse, doch nach einem Schlenkerer durch die Grünanlage sind wir wieder auf dem richtigen Weg. Am Schwanenteich sind zahlreiche Spaziergänger unterwegs.

 

Kurz vor dem Ziel wartet die Familie von Bernd und jubelt. Die zwei Töchter werden abgeklatscht. Und dann nach einer Rechts-/Linkskombination laufen wir Hand in Hand ins Ziel. 4.32.18 Stunden weist für uns der Zielzettel aus. Gesamtplatz zwölf und dreizehn. Der Bernd kommt mit seiner Zeit sogar noch auf Klassenplatz zwei.

 

Der Guido Kunze kommt auf mich zu und freut sich. Ich sage: „Ja, das hast Du mit Deiner Gaby und Deinen Freunden gut hingekriegt.“ Bei uns in Bayern würde man sagen: „Du bist a Hund.“ Wobei das kein Schimpfwort ist, sondern eine Anerkennung für eine gute Leistung.


Teilnehmer:
435 Sportler, Teilnehmerrekord.

 

Streckenbeschreibung:
Rundkurs, sehr abwechslungsreich, mit 900 Höhenmeter nichts für Warmduscher.

 

Zeitnahme:
Leihchip, zwei Kontrollen unterwegs.

 

Auszeichnung:
Urkunde sofort zum Mitnehmen. Sachpreise für die Gesamtsieger und Klassensieger. Auszeichnung aus Metall für alle.

 

Drumherum:
Duschen im Stadion. Parkmöglichkeiten in der Nähe genügend vorhanden. Massagemöglichkeit.

 

Verpflegung:
Getränkestellen alle fünf bis sechs Kilometer mit Wasser, Iso, Tee, Cola, Bananen, Äpfel und Riegel. Am Ziel zusätzlich Trockenobst.

 

Zuschauer:
Wenig Zuschauer.

 

Gewinner Männer:
1. Andreas Gloger (VfL 28 Ellrich) 3.59.13
2. Patrick Ratzka (SV Turbine Hohenwarte) 4.04.03,
3. Heinz Schneider (LTV Obereichsfeld) 4.05.53.

 

Frauen:
1. Katharina Baudich (LTV Obereichsfeld) und Cornelia Heinze (Schenefeld) beide 4.42.29,
3. Andrea Fiehring (SV Steinbach) 4.52.52.

 

Fazit:
Wer in der Natur abschalten und einen schönen Wettkampf auf abwechslungsreichen Pfaden und Wegen machen will, der muss am 03.10.2008 nach Mühlhausen.

 

Informationen: Lauf der Deutschen Einheit
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