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Laufberichte

Zwischen Himmel und Meer

05.01.19
Autor: Joe Kelbel

Über die Flughäfen von Treviso, Venedig, Lubiana und Triest erreicht man den Austragungsort Sistiana. Somit ist klar, der corsa della Bora findet nicht in der Südsee statt. Es werden Shuttleservices von den vier Flughäfen angeboten und sogar von Ulm und München. Startnummern werden im Bus ausgeteilt. Für alle anderen ist die Startnummernausgabe in Sistiana, 20 Kilometer nördlich von Triest. Am Freitag fragte mich jemand, wo denn Triest sei. Ich: „Da wo der schiefe Turm ist!“ – Er: „Ich dachte der sei in Genua.“

Den Samstag verbringe ich mit erfolglosen Angelversuchen nicht in Genua, sondern an der östlichen Adriaküste, unterhalb der Duino Klippen und sinniere über meinem morgigen 57 Kilometer-Trail mit 2600 Höhenmetern nach. Eigentlich wollte ich mal wieder einen 100 Meiler laufen, bei der angepriesenen Verpflegung wohl eine einfache Sache trotz 6700 Höhenmetern. Für ganz Verrückte gibt es noch den Ipertrail über 167 Kilometer ohne Markierungen und Verpflegung. Aber nur Michael Heinle nimmt es mit dieser Distanz auf, und vertritt Deutschland auf der Wahnsinnsstrecke. Knapp 100 Deutsche sind auf den 57 Kilometern gemeldet.

 

 

 

Sonntag, Renntag

 

Um 6:20 Uhr fährt der Shuttlebus vom Bahnhof Sistiana Visogliano nach Pesek, direkt an der Grenze zu Slowenien. Italiener nennen unseren Startort Pesek di Grozzana. Der kleine Ort Pesek (450 m.ü.M)  ist der höchste Punkt dieses Trails, er wird hauptsächlich von Slowenen bewohnt, gehört aber seit genau 100 Jahren zu Italien, zur Provinz Friaul-Julisch Venetien, einem schmalen Küstenstreifen an der östlichen Adriaküste. Die umliegenden Berge schützen uns am Start noch vor der Bora, dem kalten Fallwind. Daher der Name des Trails: „La corsa della bora“. Das „S1“ vor der Trailbezeichnung bedeutet sentiero uno, also Pfad Nummer Eins und ist der Firmenname des Veranstalters, der noch einige andre Trails im Angebot hat.

Das Restaurant am Startplatz macht das Geschäft des Jahres.  Wir sind froh ein warmes Plätzchen gefunden zu haben, es ist minus 3 Grad kalt draußen. Helfer kontrollieren stichprobenhaft die Pflichtausrüstung. Die Geltütchen und Plastikflaschen müssen vor Start mit der Startnummer versehen werden, damit Umweltverschmutzer nicht anonym bleiben.

Start 7:30 Uhr. Alle Distanzen sind ausgebucht. Zeitlimit 12 Stunden, ich werde also sicher finishen. Denke ich mir wenigstens. Man kann zwei dropbags abgeben, einen für Kilometer 30 und einen für das Ziel in Sistiana. Die Kapelle spielt noch, da setzt sich die Menge in Bewegung. Über 400 Läufer quetschen sich einen schmalen, sehr steinigen Weg hinunter. Nach 10 Metern bricht eine Läuferin schreiend zusammen. Ich versuche sie hochzuheben, doch ihr Fuß steht merkwürdig ab und sie schreit herzzerreißend. Nach 50 Metern knickt Dippi, der letztes Jahr dritter geworden ist, schreiend um. Er wird sich noch bis Kilometer 34 schleppen und dann aussteigen. Ich bin ganz vorsichtig, bei den vielen Läufern und Steinen sieht man nicht wohin man tritt. Nach 500 Metern kann ich auf einer ehemaligen Bahnlinie Gas geben.

 

 

Nach zwei Kilometern warnen uns drei Schilder, dass die Grenze nach Slowenien kommt. Über uns der Stranskoberg (391 m), ein deutscher Name, der vergessen ist. Hier wird jetzt italienisch, slowenisch, kroatisch und  furlanisch bzw. friaulisch gesprochen. Friaulisch wird von Italienern, Slowenen und Deutschstämmigen gesprochen und ist Amtssprache. Schöne Wiese runter zu einem winzigen Bach, der von Seilen und vielen Sanitätern abgesichert ist. Kein Problem, aber letztes Jahr sind wohl einige auf den nassen Kalksteinen böse ausgerutscht. Dicht gedrängt dackeln wir den gegenüberliegenden Steilhang hinauf. Oben angekommen bin ich total fertig. Der herrliche Blick auf die schneebedeckten Julischen Alpen, die nun in der Morgensonne glühen, baut mich auf. Bis zum slowenischen Dorf Beka kann man gut laufen. Hier ist ein Tisch mit Wasser aufgebaut. Die meisten Häuser sind verfallen, Autos gibt es nicht, nur das von der Organisation.

Sehr schön, die trockene Bora-Hochebene im Sonnenschein. Die Karsthöhlen Jurjeva, Maletova und Koroska liegen neben der Wegstrecke. Dann die offene, 200 Meter tiefe Höhle Sveta. Sie ist offen, weil dort unten eine Kirche ist. Einst lebte hier der Heilige Socerb, auf lateinisch Servulus, der kleine Sklave, der von den Römern ermordet wurde.

Nun folgt der Aufstieg zum Grad Socerb, einer Burg aus dem 14. Jahrhundert, die das kleine Dorf auf einem steilen Felsen überragt. Nach dem zweiten Weltkrieg gehörte das Dorf zum Freistaat Triest, der zunächst von den USA, Großbritannien und Jugoslawien verwaltet wurde, bis er 1947 als selbständiger Kleinstaat anerkannt wurde. 1954 kam Grad Socerb zu Jugoslawien. Lange  vorher hielt die Burg den einfallenden Türken stand. Erstaunlicher, erster Blick auf den Golf von Triest und den Golf des slowenischen Koper. Nur 40 Küstenkilometer besitzt Slowenien, sämtliche Industrie ist dort angesiedelt. Unzählige Ölspeicher verschandeln den Ausblick, der Hafen sieht wirr aus. Gerne möchte ich noch die Höhlen unterhalb des Burgfelsen erkunden, doch ein wahnwitziger Weg für Montainbiker lässt uns nun rasend von Hang zu Hang in der Halfpipe eines alten Hohlweges pendeln.

 

 

Als ich mich freudig mal wieder hochgependelt habe, kommen mir zwei Läuferinnen entgegen, sie trauen sich nicht hinab und wollen sich lieber von Baum zu Baum hinunter hangeln. Technisch ist der Part schwierig und ein Traum für jeden Trailläufer. Ich bin begeistert. Wir sind wieder in Italien.

Die erste Verpflegungsstation ist erreicht. Ich erkenne zwar die Köstlichkeiten, schütte mir aber zu viel Cola rein. Das Gedränge passt mir nicht, die Brille beschlägt, ich will weiter.

Nun geht es steil hinauf um den oberen, den südlichen Schluchtrand der Rosandra zu erreichen. Die Rosandra wird als Fluss bezeichnet, weil es sonst keine oberirdischen Fließgewässer gibt. Rechter Hand sind stollenartige Eingänge zu Höhlen, links die im Sonnenlicht glitzernde Adria. Oft bleiben wir stehen, um die Aussicht als Ausrede für eine Verschnaufpause zu nutzen. Wir, das sind 2500 Läufer, die auf den unterschiedlichen Strecken unterwegs sind. Bald schon werde ich einige 100-Meiler überholen, die gestern gestartet sind. Über riesige Geröllhalden, die man eher in den Dolomiten vermuten würde,  geht es, gut gesichert von Posten der Bergwacht, hinab ins Tal der Rosandra.

In diesem Tal verlief die Grenze zwischen Triest und dem venezianischen Gebieten von Istrien (Muggesaner). Wegen der zahllosen Auseinandersetzungen der zwei Staaten stellte sich Triest 1382 unter den Schutz der Habsburger, wo es bis 1918 blieb. Der nördliche Teil des Tales wurde Jugoslawien zugeschlagen. Jetzt heißt die ehemalige Grenze Freundschaftsweg. Die römische Wasserleitung, die Wasser nach Triest transportierte, ist auf der rechten Flussseite noch auf 14 Kilometern erhalten. Zeugnis eines grundliegenden Problems dieser Gegend: Der Wassermangel. Sämtliches Oberflächenwasser versickert, weil es mit seinem niedrigen ph-Wert das Kalksteingebirge durchlöchert und dann unterirdisch abfließt. Die Rosandra fließt 15 Kilometer oberirdisch.

Wir sind auf dem Mussolatiweg = Friaulisch= Weg der Eselskarawanen. Weiter geht es an der Rosandra entlang flussaufwärts, auf Felsentürmen des Monte San Michele und dem Monte Carso erkennt man die 3000 Jahre alten Festungen aus der Eisenzeit. Auf dem Boden unter Goldfolie liegt ein Läufer, der nicht glücklich aussieht, obwohl er von fünf hübschen Spaziergängerinnen betreut wird. In wenigen Minuten sind die Jungs von der Bergwacht bei ihm. Die Rosandra fällt nun mit einem filigranen Wasserfall von oben herab, wunderschön.

Nach 18 Kilometern ist der steile Monte Corsa umrundet, wir laufen wieder hinein nach Slowenien. Nicht dass jemand denkt, wir wären auf Spazierwegen unterwegs.  90 %  sind Singletrails. Unterhalb der Sella della Bora, dem Borajoch fällt der Borawind durch einen Felstrichter nach unten und sollte uns eigentlich voll erwischen, so die Vorhersage der Organisation. Aber es bleibt ruhig. Ich sehe Ruinen  alter Mühlen. Auf der anderen Seite ist die Trasse der einstigen Schmalspurbahn, die wir bei Kilometer zwei genossen haben. Der Boden der lichten Wälder auf slowenischem Gebiet ist übersät mit Kleidungsstücken. Man fleddert hier Klamotten aus der Altkleidersammlung. Wegen der klobrigen Schuhe müssten das Lieferungen aus der Türkei sein. Unser einziger Türke auf diesem Trail ist der bekannte Devrim.

Wir sind bei Kilometer 21, als wir nach einem steilen Anstieg die winzigen, ehemaligen Grenzhäuschen passieren und wieder italienisches Gebiet erreichen, wo uns ein großes Schild ein leckeres Lunch verspricht. Die heißen Würstchen sehen gut aus. Mache 15 Minuten Pause fülle ich Cola in meine Plastikflasche und mache mich vom Acker, um mich den nördlichen Rand der Rosandraschlucht hinauf zu quälen. Von hier oben herrliche Sicht auf die Bucht von Borgo San Sergio. Steinkreise kennzeichnen ehemalige Geschützstände. Wir sind nun auf dem CAI 1 Pfad, einen Trail der in grauer Vorzeit von Fischhändlern angelegt wurde. Ihm folgen wir nun parallel zur Küste nach Norden, immer mit Blick auf die Adria.  

 

 

Links ist der 400 Meter tiefe Abhang und rechts sind 20, 30 Karsthöhlen und Karsttrichter, die nicht abgesichert sind. Ich habe dazu einen Kriegsbericht von einem k.u.k.-Offizier aus dem Jahr 1918 gefunden, der grausamer nicht sein kann und ich deshalb nicht wiedergeben möchte. Heute besuchen Touristen die Höhlen mit Tropfsteinen, prähistorischen Funden und jetzt klaren Unterwasserflüssen. Nach dem Monte Stena kommen wir nach San Lorenzo (318 m). Hier leben 18 Einwohner. Von der Vendetta (Aussichtpunkt) di San Lorenzo habe ich jetzt einen herrlichen Blick zurück auf den grausamen Sattel der Bora, den ich vorhin überwunden habe. Unter mir die Kirche Santa Maria in Siari und dem Cippo Comici, dem steilen Felsen mit der lustigen Steinsäule. Noch sind wir etwa zehn Kilometer entfernt von der Küste, doch wir kommen ihr immer näher. Unser Fischerpfad führt hoch über den Küstendörfern durch grünes Gelände. Unterhalb der Gebirgskante, über die wir laufen, blicken wir auf die gewaltigen Steinbrüche von Scoria und San Giuseppe.

Die Grotta Sopra Longera hat theoretisch einen direkten, großen Ausgang in die Adria. Doch die  aktuelle Beschreibung dieses Loches lässt mich erschaudern: Der „Abgrund der Toten“ ist mit Kriegsschrott und Abfall versperrt. 200 Ausgänge hat die Höhle. Mir graust es und doch würde ich gerne wissen, welche Geheimnisse dort unten liegen. Im Abschnitt Abyss Silvanus Zulla liegen Roller Kadaver, die überlassen wir mal den Forschern nach uns. Als „Roller Kadaver“ bezeichnet man das gesammelte biologische Material von Jahrtausenden, welches der Regen hier herunter gespült hat.

An der Küste ist nun das Schloss Duino sichtbar, wo ich gestern Angelversuche unternommen habe. Dort wohnte der verunsicherte Dichter Rainer Maria Rilke bei seiner Gönnerin Marie von Thurn und Taxis und fand bei ihr Entspannung. An Entspannung ist jetzt nicht zu denken, der Trail ist gespickt mit Geröllhalden, die an das Hochgebirge erinnern. Felsige, steile Untergründe, Erde, karstiger Kies,  geologische Einzigartigkeit. Nicht vorhersehbares, schwieriges Gelände bremst meinen Lauf. Die Hoka-Pantoffeln leiden sichtlich.

Gedankenverloren setze ich meine Reise fort.  Ich habe Hüfte und Schienbein und brauche jetzt den Rat  eines Experten. Keiner da, also beginne ich mit Selbstgesprächen. Jetzt geht es darum, meinen dropbag  zu erreichen, der sollte bei Kilometer 30 sein.  Doch immer wieder geht es hinauf auf das Kliff und wieder hinunter.  Habe ich die Verpflegungsstelle verpasst? Ich habe nur 0,5 Liter Cola dabei.  Ich bin ein wenig nervös aber glücklich darüber, die Strinlampe nicht ins dropbag gelegt zu haben. Bin halt Profi!

Zwei 100Meiler sind am Ende ihrer Kräfte, ein Pärchen ersucht auf Italienisch Rat von mir, doch meine Fremdsprachenkenntnisse aus der Pizzeria um die Ecke helfen hier nicht weiter. Er läuft die 57, sie muss ihn am Start der 21er abgepasst haben. Mir ist klar, dass die beiden nicht in der Ergebnisliste erscheinen werden.

Wir folgen einer Römerstraße und endlich, bei Kilometer 34 liegt mein dropbag. Meine Startnummer wird eingescannt. Ich will zur Verpflegung in das Militärzelt, doch eine Ärztin sagt: „Scusi, una Donna da drin“ – Ach so, das ist das Sanitätszelt, na das brauche ich ja nicht!  Devrim ruft um die Ecke, ich solle zu ihm kommen.  Tatsächlich, im Winterzelt einer Kneipe gibt es Schinken vom Knochen, kleingeschnitten in saftiger Schüssel. Muss man ja nur wissen. In der Kneipe wird Hochzeit gefeiert. Ich drängele mich durch, brauche was anderes als Cola.  Ich ziehe trockene Klamotten an, obwohl ich immer noch denke, dass ich noch bei Tageslicht im Ziel ankomme. Schinkenbrot auf die Hand, dropbag mit den nassen Klamotten auf den Haufen werfen.  Kaum 30 Minuten sind vergangen, da bin ich wieder völlig fit auf der Strecke. Ich kann schneller wechseln als jeder Triathlet.

Am Campingplatz, der auf einem natürlichen Plateau oberhalb von Triest zu finden ist, sieht man mehrere Bunker, die 1943 angelegt wurden. Hier kämpften Deutsche, Italiener, der jugoslawische Widerstand, Amerikaner und Briten. Hinter den Ruinen des Hotels Obelisco ist ein Soldatenfriedhof.

Kurz kommen wir nach Opicina (keltisch= Felsen). Hier sind die 21 Kilometerläufer gestartet. Auf der Mitte der Straße sind die Schienen der Bahnverbindung Wien-Triest von 1857, sie werden nun von der Lokalbahn genutzt, mit der die Halbmarathonläufer hergekommen sind. Der riesige Obelisk wurde zu Ehren des Besuchs von Kaiser Franz von Österreich 1830 errichtet. Obwohl er direkt neben den Stufen unseres Trails steht, sieht ihn Gerald nicht.

Unübersehbar jedoch ist der Steinbruch Faccantoni, in dem ab 1907 die Steine für den Hafen von Triest gebrochen wurden. Unter uns liegt nun der Hafen, der wesentlich besser aussieht, als der von Koper.

Wir kommen zur Sella die banne und laufen auf der Strada del Latte, der Milchstraße. Einst trugen die Frauen die Michkannen, bis zu 30 Kilogramm schwer, auf ihren Köpfen diesen Weg von der Hochebene hinunter zum Markt.  Der monumentale Betonbau der Wallfahrtskirche von Monte Grisa wird sichtbar. Sie wurde 1959 zum Dank an die ausgebliebene Zerstörung Triests gebaut. Wir sind kurz vor Kilometer 40 und befinden uns immer noch auf einer Höhe von 400 Metern.

Jetzt passieren wir das Dörfchen Prosecco. Was hat dieses Karstdorf mit dem Schaumwein zu tun, den man aus der Gegend von Treviso kennt? Nun, im 19. Jahrhundert fiel die Rebsorte Glera, die in Treviso angebaut wurde, der Reblaus zum Opfer.  Nur hier in Prosecco überlebte diese Rebe zwischen den alten Steinmauern. Um 1912 wurde die Rebsorte wieder nach Treviso  auf die andere Adriaseite gebracht und fortan Prosecco genannt. Seit 20 Jahren wird in Prosecco wieder Prosecco angebaut aber unter dem Namen White Brut vermarktet.  Beim VP Kilometer 41 frage ich nicht nach Prosecco, der VP-Boss kommt mit einer Dose, die ich mir mit der Slowenin teile, mit der ich mich seit einiger Zeit duelliere. Sie spricht ab jetzt Deutsch und nennt mich Paparazzi Tedesco.

 

 

Weiter geht meine Reise durch schmale Gassen, hinter deren hohen Mauern die kostbaren Reben für den White Brut angebaut werden. Tunnel aus altem Mauerwerk, mit Efeu überwuchert, öffnen den Blick auf die strahlende Abendsonne, die über der Adria schwebt und mich zur Eile treibt. Ich überhole die 100Meilen-Besenläufer, sie nennen sich apripista, Planiermaschinen. Die scopa, die Besen für den 57 Trail sind weit hinter mir. Die apripista freuen sich über meinen Rucksack vom Erwin Rommel Trail, den seien sie auch gelaufen. Wir werden uns eine Zeitlang duellieren. Immer wieder nennen sie mich „Erwin, Deutschland“. Wenn es wieder mal steil nach oben geht, dann stehen unten Sanitäter. Das ist gut, denn ich kann kaum atmen in meinem extra warmen Unterhemd. Der Borawind ist brutal kalt.

Wir sind jetzt auf der Strada Vicentina, im Volksmund Napolioniker genannt. Doch mit Napoleon hat die Straße wenig zu tun.  Sie wurde schon im Mittelalter angelegt, ist jetzt nur noch ein Trail. Einst waren hier dichte Eichenwälder. Oft wurde der Weg von Ingenieuren restauriert, einer hatte einen Namen, der wie Napoleon klang. Der Panoramaweg ist vom kalten Bora geschützt und genial der Sonne ausgesetzt. In der Abenddämmerung haben wir einen wunderbaren Blick auf das erleuchtete Schloss Miramare, das unter uns, auf einer Felsenklippe in der Bucht von Grignano liegt. Das Schloss wurde  von Erzherzog Ferdinand Maximilian erbaut. Dieser Erzherzog wurde 1864 Kaiser von Mexiko.

Auch wenn die Sonne schon hinter dem Horizont der Adria abgetaucht ist, so leuchtet ihre Farbe in den Farben von Marathon4you.de noch lange durch die Pinien. Ich überhole die Besenläufer für die 21km-Fraktion. Oberhalb von Aurisina blicken wir wieder auf ein Schloss, das auf einer Felsklippe in der Adria steht.  Es ist Schloss Duino, das dem Prinzen von Thurn und Taxis gehört. Der Hochadel von Thurn und Taxis begann seinen Aufstieg mit Kurierdiensten für die Republik Venedig.

Bei Kilometer 47 kommen wir wieder an einen wichtigen VP, hier soll es nämlich gezapftes Bier geben.  Aber auf meine Frage: „ macchina della birra?“ gibt es die Antwort: „finito!“ Ich mache mir jetzt trotzig ein dick belegtes Lachsbrötchen und trinke eine brodo, eine Brühe. Der Lachs ist schön luftig und fettig, ich ziehe die Stirnlampe tiefer.

Jetzt erst verlassen wir die Klippenhöhe von 400 Metern und begeben uns die scharfkantigen Klippen hinab. An die Seile geklammert, formieren sich die üblichen Verdächtigen. Gemeinsam mit den Helfern, die starke Lampen haben, leuchten wir den Abhang aus. Unten ist viel Blaulicht zu sehen, dort queren wir gut gesichert die Straße, die Triest mit Venedig verbindet. Wer hier nach 19:30 (offizieller Zielschluss) ankommt, der muss auf der Straße zurück nach Sistiana, und das sind viele. Die Straße ist von Geländern eingefasst, da geht es unter Anleitung der Helfer hinüber, festhalten und die Mauer runterspringen. An Seilen hangeln wir uns die Klippen hinunter, Meeresrauschen wird hörbar. Selbst auf Meeresniveau steht die Bergwacht für uns bereit und leuchtet den scharfkantigen Abhang aus. Ein Lagerfeuer, ich tanze drum rum, um mich aufzuwärmen.

In der Ausschreibung heißt es: „Die letzten Kilometer werden auf einem Kieselstrand gelaufen und verlangen große Körper- und Konzentrationskraft“ jetzt verstehe ich warum!  Glücklicherweise entpuppen sich die meisten Flecken auf den Steinen als Wegmarkierungen.  Aber das angeschwemmte Treibholz ist auch noch ein Hindernis. Dann laufen wir nach Portopiccolo hinein, wo oben an der Klippe die Pizzeria klebt, in der ich übernachten werde.

Wir haben nur noch weniger als zwei Kilometer zu laufen, müssen aber zunächst den 500 Meter langen Sentiero delle Trincee, den Trail der Gräben nehmen. Diese Gräben stammen nicht von heute. Mir gelingt es relativ gut durch die ehemaligen Schützengräben zu laufen und erreiche unter Polizeischutz die Straße, die hinauf nach Sistiana führt. 50,60 Treppenstufen hinauf, unter der Autobahn durch, dann links um das hell erleuchtete Zielstadion. Scheiße muss rechts rum, oh wie blöd!

Dann höre ich den Stadionsprecher. Der ist so klasse, wie der italienische Fischverkäufer in Frankfurt an der Konstabler Wache! Ob Fische oder Läufer, alle stinken und werden trotzdem lautstark angepriesen! Mir laufen die Tränen, weil die kalte Bora meine Augen reizt.

Der Corsa della Bora steht ab sofort ganz klar auf meiner Hitliste an erster Stelle. Mehr möchte ich nicht sagen. 

 

Informationen: La Corsa della Bora
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