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Laufberichte

Mini-Marathon mit 42,195 Kilometern

 

“Karntn's lei ans, a Landle lei a klans, issa schens, issa feins, oba's Landle is meins“.

Dieses viel gesungene bekannte Volkslied mit traurig-melancholischem Unterton hat der über die Grenzen   Kärntens bekannte, vor einigen Jahren bei einem Autounfall verstorbene Landeshauptmann Jörg Haider, passionierter Marathonläufer und vielseitiger Sportler, neu arrangieren lassen und auf CD herausgebracht. Ich spiele das Lied während meiner Autofahrt ins südlichste Bundesland Österreichs.

Heimat ist dort, wo man seine Wurzeln hat. Ich nehme mir vor, als ich von Wien aus anreise, am Abend bei meiner Schwester in Spittal/Drau zu essen und wenn es sich ausgeht, auch am Friedhof vorbeizuschauen, wo unsere Eltern begraben liegen. Der Kirchenmarathon in Feistritz/Drau, ca. 13 km von Spittal entfernt, wo ich Anfang der 1970er-Jahre maturierte, ist eine regionale Veranstaltung mit angeschlossenen Viertel- und Halbmarathon. Nur wenige Nichtkärntner nehmen daran teil. Die Startunterlagen werden bis 20 Uhr am Vortag in der Pfarre ausgegeben, bei nur 20 Euro Gebühr bleibt das Sackerl aber leer, abgesehen von einer Dose eines mir unbekannten Isogetränkes und eben der Startnummer.

Als ich am Renntag eine halbe Stunde vor dem geplanten Start um 8.30 Uhr mein Auto auf dem Parkplatz des Transportunternehmens Seppele – wie empfohlen – abstelle, trifft fast gleichzeitig Werner Kroer in seinem Volvo SUV ein. Er ist erst seit August 2013 Mitglied im 100 Marathon Club Austria, zusätzlich Obmann-Stellvertreter in einem anderen Laufverein. Er hat mit seiner Liebsten in Villach Quartier bezogen und wird erst am Sonntagabend wieder nach Bad Vöslau zurückfahren. Werner macht auf alle einen sehr guten Eindruck, er ist stets topmodisch gekleidet, nicht nur, was das sportliche Outfit betrifft. Er ist überdies auch ein guter Marathonläufer, der aus dem Stand ohne Vorbereitung für die 42, 195 km nur knapp über 4 Stunden benötigt, manchmal liegt er auch darunter. Heute möchte er die vier Runden des Marathons konstant in 65 Minuten laufen und den Kirchenmarathon mit 4:20 Stunden beenden.

Start und Ziel ist der Sportplatz des örtlichen Fußballclubs, der in der Kärntner Unterliga spielt. Ich bin überrascht, dass nur 14 Läufer am Marathon teilnehmen. Der Herr Pfarrer persönlich spricht einige Worte, wünscht allen ein gutes Gelingen. Man könnte sagen, er segnet die Läufer – keine Frau ist am Start – und gibt einen Schuss aus einer Schreckschusspistole ab. Es riecht nach Pulver.
Meine Taktik ist auf ein kontrolliertes Laufen ausgelegt, schließlich habe ich mich für den Wachau-Marathon am nächsten Tag angemeldet. So kommt mir meine Funktion als Marathon4You-Reporteraspirant – ein Titel, den man sich erst erarbeiten und erlaufen muss – sehr gelegen. Ich versuche erst gar nicht, auf die schnell startende Kleingruppe aufzuschließen, sondern bleibe gleich an letzter Stelle des Feldes. Nach wenigen Minuten sehe ich die letzten beiden Läufer gerade noch von hinten.

Wir laufen die ersten beiden Kilometer entlang der Drau, die hier in einem breiten Flussbett mit kaum merklicher Geschwindigkeit in Richtung Villach fließt. Die Farbe der Drau ist grünblau, die Lehrer in der Volksschule erzählten im Heimatkundeunterricht, dass das Flusswasser von Bächen aus den Bergen gespeist wird. Heute würde ich im Web nach der Mineralienzusammensetzung dieses Flusses suchen. Als Buben im Alter von 13 bis 14 Jahren sind wir im Sommer öfters mit der Luftmatratze von Osttirol bis nach Oberkärnten auf der Drau dahingetrieben. Hätte meine Mutter das gewusst, hätte sie mir das gewiss untersagt. Meine Sommererkältungen holte ich mir auf der Matratze, da der Unterbauch und der halbe Oberkörper zwei Stunden lang im von 14 bis 16 Grad kalten Wasser umschlossen waren  – nachher spürte ich meine kindliche Männlichkeit nicht mehr. Solche Jugenderinnerungen kommen in mir hoch, wenn ich auf die Drau schau.

Einige Fischer haben sich eingefunden und hoffen auf einen guten Fang. Es ist noch kühl am Morgen, doch der Wetterbericht kündigt einen warmen, trockenen und sonnigen Spätsommertag an. Ich bin froh, dass ich auf Anraten von Werner auf eine zweite Schicht verzichtet und beim Kurzarm-Shirt geblieben bin.

Nach zwei Kilometern endet der asphaltierte Radweg, die Strecke führt in einen Feldweg mit kleinen Wasserlachen. Knapp vor Kilometer 3 befindet sich die Draufähre, sie dürfte noch nicht in Betreib sein.  Auf diesem befestigten Weg geht es weiter, bis nach vier Kilometern die Wende erfolgt. Ein Betreuer steht dort, er unterhält sich mit Radfahrern. Jetzt laufe ich wieder in westlicher Richtung, alleine, alle Kontrahenten sind meinen Blicken entschwunden. Ich kann mich nicht erinnern, je mit so einer Situation konfrontiert gewesen zu sein. Aber als Hobbymarathonläufer bin ich es gewohnt, mich stundenlang mit allen möglichen Themen gedanklich zu beschäftigen. Obwohl alleine auf weiter Flur, fühle ich mich nicht einsam. Inzwischen habe ich ja auch etliche Fotos geschossen und den Ausblick ins weite Land genossen. 

Knapp vor Kilometer 5 erwartet mich die erste Labestation, wo man nur einen Plastikbecher mit Wasser bekommt. Der Betreuer erklärt, dass sich 300 m weiter beim kleinen Ort Feffernitz eine größere Verpflegungsstelle befindet. Ich laufe weiter auf einen asphaltierten Zubringerweg entlang von Maisfeldern, die zum Teil schon abgeerntet sind. Die Fernsicht bei wolkenlosen Himmel reicht im Westen bis an die Oberkärntner Grenze hin zu Osttirol: Man sieht den schon etwas mit Schnee überzuckerten, fast 2700 m hohen Hochstadl, mehr als 50 km entfernt.

Ich frage mich insgeheim, warum der Lauf „Kirchenmarathon“ bezeichnet wird – bisher habe ich noch keine einzige Kirche, außer der in Feistritz gut einen Kilometer vom Sportplatz entfernt, gesehen. Jetzt aber bei Kilometer 6 erblicke ich eine weitere, die wegen Renovierungsarbeiten an der Fassade eingerüstet ist. Eine Sperre taucht auf, davor steht ein Helfer, der mir den Kurs weist. Hinter der Absperrung führt nämlich der Marathon am Rückweg vorbei, man würde sich fast zwei Kilometer sparen. Doch wer denkt schon ans Abschneiden, gerade im Hobbysport wäre das auch verwunderlich.

Nun beginnt eine Steigung, die sich auf einen Kilometer erstreckt. Der Kurs führt ca. 300 m auf dem Gehsteig der B 100 durch den kleinen Ort Mühlboden. Ich erreiche Kilometer 7. Durch das Firmengelände der Zimmerei Strauß geht es in einer Schleife wieder südöstlicher Richtung in Richtung Feffernitz. Ich blicke auf meine Uhr. Leider habe ich die Garmin sowie auch mein Startnummernband in Wien vergessen. Im Auto habe ich stets eine funktionierende Sportuhr im Handschuhfach als Ersatz dabei, die aber keine Stoppfunktion hat, auch kein GPS. So  orientiere ich mich an der normalen Uhrzeit: Es ist 9.20 Uhr. Noch ca. 2,5 km bis ins Ziel. Nach Kilometer 8 führt der Kurs auf einen Feldweg, teils auf Asphalt, teils auf erdigen Untergrund wieder nach Westen in Richtung Feistritz. Die Ortschaft Pobersach liegt zu meiner Rechten. Es ist eine bemerkenswert schöne ländliche Gegend, die ich zum ersten Mal mit meinen bald 60 Jahren so erlebe. Kleine schmucke Einfamilienhäuser, Bauernhöfe, Landwirtschaft, das eine oder andere Feuerwehrhaus – die Tafel mit der Aufschrift Kilometer 10   taucht auf. Nun geht es in einer Schleife zum Ausgangspunkt zurück. Die wenigen Zuschauer applaudieren, mit 1:08 Stunden habe ich doch einige Verspätung.

Ich bleibe trotzdem bei der Labestelle stehen, mische wie gewohnt Cola mit Wasser und gehe in meine zweite Runde. Wie lange würde es dauern, bis die um 10 Uhr startenden Viertel- und Halbmarathonläufer von hingen nachkommen? Die ersten 10 km-Läufer brausen schon um 10.20 Uhr heran, sind teilweise mit geschätzten Zeiten zwischen 3:30 bis 3:45 min/km unterwegs. Mein Zeitrückstand wächst an, die Halbmarathondistanz erreiche ich mit 2:18 Stunden.

Bisher habe ich keinen einzigen Kontrahenten auf der Laufstrecke erblickt, doch auf der dritten Runde überholt mich der führende Marathonläufer bei Km 23 – er ist bereits auf seiner vierten und letzten Runde. Ich kann auch in der dritten Runde meinen Rückstand nicht aufholen – auf den  Anstiegen immer ab km 5 und auf den Feldwegen auf Schotter und Erde verliere ich Zeit. Es wird so schwer werden, mit erhofften 4:45 Stunden zu finishen, denn nach der Runde bei ca. 31,5 km rechne ich die Uhrzeit im Kopf auf die Laufzeit um: ca. 3:54 Stunden bin ich nun schon unterwegs. Unter den Zuschauern sitzt nun auch meine Schwester. Wir haben am Vortag ausgemacht, dass sie mich mit einem Freund auf dem Rad begleiten würde, doch stattdessen sitzen beide auf der Tribüne und warten, bis ich finishe.

Die vierte Runde wird mühsam. Bei Kilometer 35 – auf dem Rundkurs ja eigentlich knapp nach dem 4 km-Punkt – fragt mich ein Mopedfahrer, wie es mir gehe. Ich komme erst später drauf, als er mir nachfährt, dass er eine Funktion hat, nämlich den letzten Läufer zu begleiten. Er telefoniert und kündigt den im Ziel mit der Siegerehrung auf mich wartenden Organisatoren an, dass ich in ca. 10 Minuten einlaufe werde. Ich kämpfe, aber eine Laufzeit unter 5 Stunden geht sich knapp nicht mehr aus. Ich finishe mit 5:01: 59. Der Mopedfahrer fährt hupend hinter mir auf den Rasen des Fußballplatzes nach.

Man applaudiert verhalten – ein Anlass für mich, den Platzsprecher um das Mikrofon zu ersuchen. Ich erkläre den Zuschauern, dass ich gebürtiger Kärntner bin, seit 40 Jahren in Wien lebe und wir im Juni 2012 den 100 Marathon Club Austria gegründet haben. Unser Ziel ist weniger die Laufzeit, sondern die Anzahl der innerhalb der vorgegebenen Öffnungszeiten absolvierten Marathons. Ich erkläre, dass ich 400 km am Freitag von Wien nur wegen des Kirchenmarathons nach Kärnten gefahren bin, nach dem Lauf am Samstagnachmittag wieder nach Wien zurückfahre, am Sonntag um 5.30 Uhr aufstehen werde, um meinen 7. Doppelpack in diesem Jahr  – 2 Marathon binnen 2 Tagen – beim Wachau-Marathon zu erzielen. Ziel seien heuer 52 Marathons, was bisher im Ranking unseres Clubs noch keiner geschafft hat.

Bei der Siegerehrung nicken mir zwei Läufer anerkennend zu und fragen mich, wie das geht, dass man gleich hintereinander 2 Marathons laufen kann. Ich möchte auf dem Boden bleiben, denn Ultra- und Transkontinentalläufer leisten weitaus mehr.

Leider gibt es auch für die Sieger außer der Urkunde keine Medaille. Ich werde als Elfter und Letzter immerhin zuerst aufgerufen.

Was mir am Kirchenmarathon gefallen hat, ist die Laufstrecke, auf der man gut joggen könnte. Die Versorgung bei km 5 und im Ziel verdient das Prädikat „gut“ – zur Auswahl standen Wasser, Iso, Bananen, Riegel und Cola. Enttäuschend finde ich, dass es keine Medaille gab.

11 Läufer beenden den 7. Kirchenmarathon 2013. Siegerzeit: 2:50:27. Werner Kroer finisht deutlich unter seinem Plansoll, nämlich mit 4:09:25,  3 Läufer geben auf.

 

Informationen: Kirchenmarathon
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