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Laufberichte

So wie früher…

19.05.18
Autor: Joe Kelbel

Als Eric 2009 einen seine vielen Geburtstage mit der Ausrichtung eines Ultralaufes feierte, da waren seine brutalen Ideen innovativ, denn mit „Trailrunning“ bezeichnete man hierzulande eher einen Wald-und Wiesenlauf und kein Überlebenstraining. Er benannte seinen Lauf nach einem Berg in seiner Wahlheimat, der an der Grenze zwischen Saarland und Rheinland Pfalz liegt. 2010 war der schreckliche Name „Keufelskopf“ in aller Munde, kaum jemand traute sich dort hin.

Ich war mit Eric auf dem Weg zum Gondo Event, da erzählte er von seinen Plänen: Der Abwassertunnel unter der Autobahn, da müssten wir mal durch und über mittelalterlichen Bergbau-Halden würde er Drahtseile ziehen, damit man die überhaupt schafft, so steil sind die. Das war eine Zeit, da spielten heutige Spitzentrailer wie Max, Martin, oder Florian noch Völkerball.

Ich musste also den härtesten Ultralauf Deutschlands, so wie er 2010 bezeichnet wurde, antreten, bevor Eric total durchdreht und noch Golfspielen in seinen Trail einbaut. 2011 war mein erstens Finish. 2012 mein zweites. Den Begriff „cut-off“ gab es damals nicht, wir kannten keine Limits.

 

 

Eric organisiert jetzt seinen 10. Geburtstags-Ultra  und der fällt genau auf meinen Geburtstag. Mal sehen, ob der Trail so hart ist, wie er mir früher vorkam.
Längst braucht es eine große Wiese für die zahlreichen Autos der Läufer. Gemeindehaus statt Sportlerheim. Personalausweis, statt Laufvita, um seine Startnummer zu erhalten. Thomas Dornburg steht neben der Strecke.  Will er den Keufelskopf Ultra Trail (KUT) in seinen Deutschlandlauf 2021 einbauen? Die Idee, nach 1,4 Kilometern eine kleine, bei den Startunterlagen beigegebene  Startnummer in einen Karton zu werfen, damit der Veranstalter weiß, wer gestartet ist, sollt er übernehmen.

 

 

Noch etwas ist neu: Ich bin mitten im Läuferfeld, nicht wie üblich hinten. Praktisch nur dem Max habe ich  den Vortritt gelassen, damit er alle Zecken abbekommt.  Davon gibt es nämlich reichlich. Viele Läufer sind deshalb in langen Hosen unterwegs. Knapp 100 Läufer sind auf der Ultrastrecke, die auch von den zeitgleich gestarteten 45 Kilometlern bevölkert wird.   

Direkt nach der 1,4 Kilometer-Kontrollstation geht auf die Trails, durch den Wald. Schnell wird klar, wie die 3600 Höhenmeter zusammenkommen:  Wir laufen durch uraltes Bergbaugebiet. Der Fund einer Statue des römischen Schmiedegottes Vulkanus beweist, wie alt die Abraumhalden sind.

Auf dem kurzen Abschnitt der 1995 stillgelegten Osterbahntrasse kann man aber noch erholsam laufen. Mit den Bergarbeiterzügen kamen die Samen des Riesenbärenklaus aus dem Kaukasus an die Bahnstrecke. Die großen Blätter sollte man nicht berühren, sie sind phototoxisch. Das einzige Mittel, das gegen die Pflanze, die hier keine Feinde kennt hilft, ist Gyphosat. Es gibt unterwegs weitere solcher Pflanzen: Johanniskraut und Engelwurz lassen die Beine brennen. Überdeckt wird diese allergische Reaktion von den vielen Brennesseln, vor denen der wahre Trailläufer aber keinen Respekt mehr hat. Der Tunnel bei Oberkirchen ist innen beleuchtet. Eine  Stirnlampe habe ich mitgenommen, falls ich erst spät ins Ziel komme. Danach sieht es aber nicht aus. Auf der folgenden Steigung hinter dem Viadukt kann ich meine aktuelle Fitness ausleben.

 

 

Da sich die Laufstrecke kreuzt, oder zumindest dicht in der Nähe vorbei führt, sind schon „Umbändler“ unterwegs. Die machen die Markierung perfekt und mit Freude. Auch in diesem einsamen Gebiet sind aber Witzbolde unterwegs, die die Markierungen entfernen oder umhängen. Dann wird schnell eine Legion losgeschickt, um nachzubessern. Klappt gut, doch auch ich verlaufe mich manchmal. Andere Läufer machen schon mal einen Umweg von 5 Kilometern, mir unklar warum, denn eigentlich sind die Flatterbänder dicht gesetzt.

Der erste VP ist bei Kilometer 24. Dort gibt es Wasser und die gebunkerte Eigenverpflegung. Feste Nahrung wird nicht zu den 4 VP´s transportiert. Diese Bedingung resultiert noch aus der Zeit, als es für diesen Trail noch 2 UTMB Punkte gab. Für uns kein Problem, längst haben wir gelernt, Nahrungskonzentrate mitzunehmen. Ich stehe mehr auf Salamibrötchen, die bei der heutigen, optimalen Lauftemperatur auch frisch bleiben.

Frisch gestärkt geht es für mich weiter.  Relativ viele Läufer aber verkünden ihren Ausstieg, der bietet sich geradezu an, denn der Start/Zielbereich ist 100 Meter unter uns.  

 

 

Oberhalb von Reichweiler ist der Hellerberg mit seinem markanten Steinbruch. Das Wort „Hell“ deutet es an: Vulkanismus. Allerdings aus der Zeit, als Reichweiler auf dem Äquator und dem Superkontinent Pangäa lag. Millionen Jahre reicherte einsickerndes Wasser die kleinen Blasen im Magma mit Mineralien an. Es entstanden Drusen, in denen Achate, Zeolithe, Geothite, Rauchquarze und prächtige Amethyste entstanden. Diese Edelsteine, die in Freiburg und Venedig geschliffen wurden, finden wir in den Kronen der Herrscherhäuser Europas wieder. Die Edelsteinschleiferei in Reichweiler brachte kaum Geld ein, weswegen viele Reichweiler (heute ca. 600 Einwohner) nach Brasilien auswanderten. Nach dem Krieg 1871 musste Frankreich die Blockade von Edelsteinimporten aus Brasilien aufheben. Reichweiler wurde reich. Die hiesige Edelsteinschleiferei wurde 1875 stillgelegt, deren Fundamenten sind aber deutlich erkennbar.

Die Abraumhalden, die damals entstanden, sind steil, so steil, dass man Seile anbrachte um hinauf zu gelangen. Ein fülliger 22- Kilometerläufer, er ist der Letzte, blockiert das Seil. Das ist nicht negativ gemeint, ich finde es klasse, dass Eric Läufer aller Leistungsklassen für diesen Trail begeistern kann.

Ich bin noch immer schnell unterwegs, laufe mit Kameraden, mit denen ich die letzten Jahre kaum noch mithalten konnte. Vor allem die Steigungen bewältige ich locker. Das macht richtig Spaß, alles stimmt.

Auf dem Keufelskopf trennen sich die Laufstrecken. Hier ist der zweite VP, km 39. Der Weiler Kremel hat ein großes Hinweisschild, lustig, aber langsam wird es schwierig. Kilometerangaben werden von „Abschnittsangaben“ überlagert. Niemand von uns interessiert sich für einen der „Abschnitte“ an dessen Ende Abschnittsbeauftragte sitzen, die unsere Durchlaufzeit notieren. Wir schummeln nicht!

 

 

Neben dem Keufelskopf haben wir den Weiselberg, den Füsselberg, den Hellerberg, den Trautzberg, den Böschberg, den Karrenberg, den Herzerberg, den Spitzberg und den Schweisberg zu bewältigen, alle knapp 600 Meter hoch. Eine reiche Ausbeute! Spaziergängern, oder gar Wanderern begegnet man hier nicht.

Populär ist aber das Pfingstsaufen. Überall entlang unserer Laufstrecke befinden sich Zentren dieser Extremsportler, die den heiligen Geist empfangen wollen. Und dann kommt endlich dieses kultige Schild: „Beware oft the chair“ mit den Öttinger-Kästen. Längst hat sich die Brauerei Öttinger den hiesigen Gepflogenheit angepasst und serviert sein Bier in der regional verbreiteten Stubbi-Form. Die Stubbies haben ihren Ursprung in der französischen Besatzungszeit, als das Vichyiwasser in dieser Größe angeboten wurde.  „Stubbi“ dagegen ist Englisch, auf Deutsch wurden sie Steinieform genannt. Nun musste mein Freund Steinie, der Berliner „Andenkenverkäufer“ leider vor diesem besagten Stuhl aus dem Rennen aussteigen, dabei sollte dies heute ein Testlauf für Biel sein. Mal sehen, wer von uns beiden in 2 Wochen bei km 80 in Biebern noch fit ist.

Der Ungeheuerstein  erinnert an das Jagdglück des Königlichen Hegemeisters Gottfried Ungeheuer, der hier am 18.12.1898 einen ungeheuerlichen Keiler schoss. Mehr erhoffe ich mir vom Wildfrauenloch, das sich beim Vorbeilaufen als normale Felshöhle entpuppt. Angeblich wurde von den Hunnen nach der Schlacht bei den Katalaunischen Feldern  eine Frau von ungewöhnlicher Größe und Wildheit in unserer Gegend zurück gelassen, die fortan in der Felsenhöhle lebte.

 

 

Der dritte VP wird bei km 56 erreicht. Die Katalaunischen Felder liegen übrigens westlich von hier an der oberen Seine, im jetzigen Frankreich. Im Jahr 451 n.Chr. trafen dort die Hunnen auf die Gallier/Kelten. Die ungewöhnliche Frau war eine hunnische Marketenderin, von der die Hunnen sagten, sie sei eine Menschenfresserin.

Andere Truppen sind geblieben, 6000 Einwohner hat die amerikanische Gemeinde Baumholder heute.  Es ist die größte Ansiedlung von Kampftruppen außerhalb der USA. Vergleichsweise klein dagegen ist das ursprüngliche Baumholder mit seinen 4000 Einwohnern. Straßenschilder sind hier im Landkreis Kusel zweisprachig. Auch die kultigen Ultrasprüche von Eric gibt es häufig in Englisch. Der Truppenübungsplatz (12 x 15 km) Baumholder gehört seit 1960 wieder der Bundeswehr. Für den gibt es offizielle Schilder, damit wir dort nicht hineinlaufen.
Auf dem Anstieg zum letzten VP bei km 71 muss ich meine Mitstreiter ziehen lassen. Hinten kackt die Ente, is klar.  Aber Enten gehören in den Ofen.  Der Trans Atlas Marathon letzte Woche, nicht die Ente hat meine Reserven aufgebraucht. Als ich mich in den Laderaum des Transporters setze, geht es mir sehr schlecht. Es dauert 30 Minuten, bis ich wieder aufstehen kann.

Wenige Kilometer weiter gibt der Wald einen Blick auf die Burg Lichtenberg frei. Die 400 Meter lange Festung aus dem 13. Jahrhundert wurde nie zerstört. Wer vor dem KUT zünftig übernachten will, dem sei die Jugendherberge empfohlen. Vom Turm hat man einen wunderbaren Ausblick auf die Laufstrecke. Rechts von der Burg ist der Natursteinbruch von Pfeffelbach.

 

 

Auf den frisch gemähten Wiesen unterhalb des Keufelskopfes (Km 78) verlaufe ich mich, obwohl ich weiß, dass ich mich verlaufe. Aber wenn man sich verläuft, dann meistens, wenn es abwärts geht. Die Überwindung umzudrehen und wieder hinauf zu kraxeln ist nicht einfach.

Auch wenn es mir im Moment nicht gut geht, der KUT ist für mich nach all den Jahren ein Genusslauf geworden. Mit dem KUT haben wir internationalen Standard erreicht, und nur, weil man sich ein paar Mal an Seilen hochziehen muss, ist dies kein extremer Lauf. Das mag anders sein, wenn man nur Stadtmaras gelaufen ist. Ganz große Klasse ist der neue  „Jubiläumstrail“, den Eric auf den letzten Kilometern eingebaut hat  und über ganz frische Halden aus den 70ern führt. Für mich eine qualvolle Freude, wenn ich mir vorstelle, wie Eric, der aus dem flachen Holland kommt, hier auf den schmalen Müllhalden des Bergbaues seine ersten Streuner-Erfahrungen gemacht hat.

Der KUT ist und bleibt KULT. Und dass es auf den letzten zwei Kilometern nochmal heftig hoch und runter geht, ist die Reminiszenz an Zeiten, als der Mensch vom Völkerball auf Trailrunnig umgestiegen ist.

Kult ist auch die Lyoner Pfanne. Die Lyoner Wurst wird mit Kardamom, Kurkuma, Muskat, Koriander, Knoblauch und Ingwer gewürzt. Eine Wohltat für den gestressten Magen. Dazu zwei Freibierchen, ich bin happy zwischen all den Mitstreitern, die jetzt im Gemeindehaus chillen. Wir sind nicht älter geworden, wir sind fitter geworden. Es ist alles so wie früher……

 

Informationen: Keufelskopf Ultra-Trail
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