Eine Schnaps-Idee, ein Schmarr’n! Kettenmarathon! An eine Eisenkette gekettet 42,195 Kilometer laufen. Von den anderen 72 kenne ich lediglich einen. Wenn’s klappt, ist das Weltrekord. Und wenn nicht?
Nachdem ich am Vortag bei unserem 150jährigem Jubiläum beim Benefizlauf fast einen Marathon gelaufen bin, ist die Nacht entsprechend kurz. Noch kürzer aufgrund der Verlängerung und des Elfmeterschießens beim Champions-League-Spiel in München. Um sieben Uhr in aller Herrgottsfrüh soll ich in Würzburg sein, das heißt um 04.30 Uhr aufstehen und Frühstück auf der Autobahn. Ich sehe das ganze sportlich und nehme das Wochenende als Test für Biel.
Wie ich auf den Kettenmarathon gekommen bin, wollt Ihr wissen. Nun, der Klaus Puchinger wohnt hier ebenfalls in meiner Heimat und hat nebenbei angefragt, ob ich nicht ein paar Flyer auf meinen Ausflügen verteilen möchte. Unser Cheffe wurde informiert, ob das nicht was für die geneigte Leserschaft wäre. Es kam ein kurzer Bescheid: „Du bist angekettet!“
Es gab im Vorfeld viele Informationen auf den Internetseiten der Cabanauten (www.kettenmarathon.de und www.caba.de), die sich meist nur zu ganz verrückten Sachen treffen. So habe ich einige dieser Wahnsinnigen bei meinem Start beim BraveHeart in Münnerstadt vor zwei Jahren gesehen. John Caba ist der informelle Chef dieser Spaßtruppe, die über ganz Deutschland (und vielleicht den angrenzenden Ländern) verstreut ist. Kontakt halten sie über ihr Forum.
Den Weltrekord im Kettenmarathon hatten sie schon einmal, doch die Engländer haben ihnen den Titel wieder abgenommen. Nun soll in Würzburg ein Versuch gestartet werden. Die Teilnehmer sollen lediglich einen Gürtel und einen Karabiner mitnehmen. Die Kette wird von John gestellt. Wer seine Utensilien vergisst, der wird mit einem reißfesten Panzerband angehängt. Ausgeflippte Klamotten sollten getragen werden, auch aus dem Trödel. Und viele Krachmacher wie Kuhglocken, Pfeifen und Ratschen sollen mitgeführt werden. Ohropax wird für die Nachtruhe im Duschzelt vorgeschlagen, gegen die Schnarch-Fraktion.
Natürlich haben die Verrückten am Samstagabend zuvor gefeiert, aber es sollte keine „Sodom und Gomorrha Alkvergiftungs Pre Party“ geben, denn das Ziel des Weltrekordes sollte ja gegenwärtig sein. Als ich kurz nach sieben Uhr am Treffpunkt beim Duschzelt erscheine, liegt darüber eine deutliche Dunstwolke. Jägermeisterflaschen und Bierdosen liegen am Boden herum. Die Cabanauten sind gerade am Aufräumen und Vorbereiten.
Meine Startnummer liegt auf einer Bierbank. Ich nutze die Zeit für die vor einem Marathon notwendigen Geschäfte. Um 08.00 Uhr sollten wir uns im Startbereich einfinden, denn die Kette soll dann angelegt werden. Auch werden dann Offizielle vor Ort sein, damit der Weltrekordversuch anerkannt werden kann.
Um 08.00 Uhr stehe ich dann vor dem Eingang zum Congress Centrum und sehe an der Seite einen Waschkorb, in dem die Kette liegt. Einige der Cabas machen sich schon daran zu schaffen, bis der Chef selbst den Korb ausleert und Anweisungen gibt, das Gemenge zu lösen. Darauf werden natürlich Fotografen (wie Klaus) und Offizielle der zugleich stattfindenden Bayerischen Marathonmeisterschaften aufmerksam. Bisher bin ich in Würzburg immer schnell gelaufen. Heute wird es mir den Schnitt gehörig versauen. Aber das ist es mir wert.
„Wir gehen ganz an Ende des Läuferfeldes“, kommandiert der John seine Schäfchen. Dort wird die Kette ausgelegt. Die Damen sollen sich vorne links anhängen, so die letzte Information. Das ist praktisch, sollten sie mal müssen…
Bei den Männern sollte dieses in der Gruppe erledigt werden. Denn die dürfen nur für ein „großes“ Geschäft in die Box.
Und, was natürlich bei diesem Weltrekordversuch Voraussetzung für den Erfolg ist, es darf sich keiner von der Kette abhängen oder umplatzieren. Wenn einer gesundheitlich nicht mehr kann, bedeutet das zugleich das Scheitern des Vorhabens. Wer nicht mehr kann, der kann sich ja auch ziehen lassen, so John's Credo.
Dann kommt von vorne ein lautes „ANKETTEN“. Es gibt kein Zurück mehr. Von vorne sehe ich den John zusammen mit dem Würzburger Anwalt Jörg Kessel beim Zählen, was aber nicht auf Anhieb gelingt. 73 Läufer hängen dann an der Eisenkette, und die übertreffen die bisherige Marke im Guiness-Book um zehn Personen.
Um genau neun Uhr markiert ein Kanonenschlag den Beginn des Blockstartes. Die Teilnehmer des Walking Day sind bereits fünf Minuten früher auf die Strecke gegangen. Unser Tross überschreitet die Startlinie nach etwa elf Minuten.
Die ersten Meter an der Kette zu laufen, das geht mehr schlecht als recht. Stellt Euch die Kette vor, an der etwa alle 1,5 Meter an der Seite kurze und etwas längere Kettenstücke hängen. Damit können die Läufer dann etwas versetzt laufen. Aber eine enge Sache ist es schon, denn du musst laufend konzentriert sein, damit du dem Vordermann nicht in die Hacken steigst.
Der Verrückteste hängt jedoch vorne dran: John, aufgepackt mit Kissen wie ein Sumo-Ringer, und flauschige blaue Badelatschen an den Füßen. Laufschuhe hat er umgehängt. Wollte er noch die Fußbekleidung wechseln und hat es vergessen? Oder will er mit den Sahara-Klapperl den Marathon laufen?
Mit dem Schlachtruf „Wir laufen Kette, Kette laufen wir“, geht es auf die ersten Kilometer. An der Ostseite der Brücke der Deutschen Einheit heizt zusätzlich zur Sonne eine Musikband ein. Im Stadtteil Zellerau werden in der Mainaustraße bereits die letzten Sportler des Feldes gestellt und eingeholt. Nur, ich erkenne an den Startnummern keinen Marathoni. Die 5.30 Stunden als Sollzeit wird unsere Hürde sein.
Immer wieder stehen einzelne Zuschauergruppen am Rand und geizen nicht mit Applaus. Unsere Gruppe erweckt natürlich auch die Neugier eines vorbeifahrendes BR-Kamerateams. Kilometerschild 2 passieren wir nach 15 Minuten Laufzeit. Wir sind zwar noch nicht weit gelaufen, aber eine überschlägige Hochrechnung erbringt, dass wir mit diesem Schnitt schon bei über 5 Stunden Laufzeit sind. Und Verpflegungs- und Entsorgungspausen sind da noch nicht eingerechnet.
Die erste Wasserstelle kommt kurz nach Kilometer 3. Ein Wort zur Verpflegung. Alle 2,5 Kilometer sind weitere Tankstellen eingerichtet mit Wasser, Mineralwasser, Apfelsaftschorle, Bananen, Ultra Buffer und Cola. Verdursten braucht da keiner. Nur hier an der Kette bist du angewiesen auf den Nachbarn, sollten die Tische auf der anderen Seite stehen. Und stehen bleiben geht auch nicht, wenn 72 an der Kette zerren. Aber die Führung macht die Sache gut, denn das Tempo wird verlangsamt.
In der Mainaustraße ist ein kurzer Wendepunkt, den wir umlaufen müssen. So kann man seine Verfolger beobachten, ohne allerdings zu befürchten, dass diese später überholen könnten. Ich schätze, dass der Lindwurm rund 50 bis 70 Meter lang ist. Dann werden Trinkflaschen in die Mannschaft gereicht. Das schaut aus wie eine privat organisierte Wasserstelle. Die leeren Flaschen können dann später in eine Plastikwanne eingeworfen werden.
Wir umlaufen den Festplatz Talavera. Gerade in den Unterführungen wird mit Pfeifen und Tröten Krach gemacht, dass schier die Ohren wackeln. Die PP (Abkürzung für Pinkelpause) kostet uns drei Minuten. Auf der Dreikronenstraße führt uns der Kurs Main aufwärts.