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Laufberichte

Gutes tun

03.06.12

Pfadfinder war ich nie, doch deren Losung „Jeden Tag eine gute Tat“ ist schon in jungen Jahren zu mir durchgedrungen und hat bei mir Resonanz gefunden. Daran konnten auch die Stimmen nichts  ändern, welche durch dieses Motto Luthers „sola gratia“ durch den Gedanken der „Werkgerechtigkeit“ gefährdet sahen.

Wenn ich sonst noch eine gute Tat folgen lasse, dann kann ich mir selbst auch etwas Gutes tun. Gesagt, getan. Ich fahre zum Marathon.

Der Start ist bereits um 08.15, die Fahrt dorthin 160 Kilometer. Der frühe Vogel fängt den Wurm. Leider erwischen auch Autos auf den Straßen um diese Uhrzeit Feld,- Wald- und Wiesentiere. Das ist mathematisch und logisch erklärbar – auch von mir. Erstens sind mehr von ihnen auf der Straße als Autos, dazu haben sie keinen blassen Schimmer von einer Straßenverkehrsordnung. Besondere Aufmerksamkeit ist von mir gefordert und ich schaffe es, damit und mit kräftigem Bremsdruck einem Fuchs und einem Igel ein hoffentlich noch langes Leben zu ermöglichen. Das Gleichgewicht der guten Taten für andere und für mich selbst ist so schon vor meiner Ankunft in Immenstadt mehr als gegeben.

Immenstadt liegt im Allgäu, einem Landstrich mit hoher Marathondichte. Aufgefallen ist mir das bevor mein erstes Dutzend voll war; vor fünf Jahren, als mich die Lust am Marathon überkam und ich auf der Suche nach Veranstaltungen war, die ich als Tagesausflug bewältigen konnte. Damals bin ich nach Immenstadt gefahren, um an Willi Hiemers legendärem, kultigem Gebirgsmarathon teilzunehmen, der mir eine neue Dimension von Marathon erschloss und so etwas wie mein marathonistischer Initiationsritus wurde.

Heute fahre ich nicht die Seilbahnstation an, sondern das Auwald-Stadion, denn der Iller-Marathon fehlt mir in der Sammlung, und dessen zentrale Stelle ist da. Von hier geht alles aus, hierher kommt alles zurück.

Die Startunterlagen gibt es im Eingangsbereich der Schule nebenan und ohne Firlefanz. Die Mehrweg-Einkaufstüte enthält nebst Startnummer und Zeitnahme-Leihchip auch sonst nur Brauchbares: Eine Trinkflasche und ein hochwertiges Funktions-Shirt in dezentem, älteren Herren wie mir gut stehendem, gedämpftem Dunkelrot mit diskretem Aufdruck. Mehr Sein als Schein.

Die ausgehängten Listen der Vorangemeldeten beinhalten nur 200 Namen, ein gutes Drittel davon für den Marathon, die anderen für den Halbmarathon oder die Schwäbische Halbmarathonmeisterschaft. Ich befürchte, dass zu diesen sehr überschaubaren Zahlen nicht viele Nachmeldungen kommen werden. Der Löwe mag noch so gut brüllen, wenn der Wetterfrosch so schlecht quakt wie für diesen Sonntag, ist die Chance klein, dass es Spätberufene geben wird.

Eifrige Heinzelmännchen und –frauen stehen mit Kaffeekannen bei Fuß, im Schlepptau verschiedenste leckere Kuchen. Diese Gutmenschen dürfen mir gerne etwas Gutes tun und mir ein schmackhaftes zweites Frühstück zu sehr bescheidenem Preis überlassen.

Als unverbesserlicher Optimist tränke ich meine Haut mit Sonnenschutz und kann ohne Wartezeit nochmals an die Boxe. Dann schlendere ich die paar Meter zum Stadion hinüber. Die drei Schwestern dort in Ordenstracht sind im Vorfeld eines Marathonstarts nicht ein alltäglicher Anblick, besonders wenn außer ein paar Angehörigen keine Zuschauer zugegen sind. Ein paar Minuten später sind es nur noch zwei in Tracht, ihre Mitschwester ist in Laufkleidung und mit GPS-Wecker für den Halbmarathon gerüstet.

Pünktlich zur Besammlung vor der Startlinie fallen die ersten schweren Regentropfen, was weiter nicht tragisch ist, denn die angekündigte Schafskälte hat (noch?) nicht Einzug gehalten. So entspannt wie die Stimmung ist, so entspannt setzt sich das gemischte Feld in Bewegung. Eine gute Runde auf der 400m-Bahn, dann verlassen wir das Stadion und sind mitten im Grünen auf dem Illerdamm.

„Mist!“, denke ich. Kaum losgelaufen, verspüre ich ohne Vorwarnung einen stechenden Schmerz im Knie. Was machen gegen die Bedrohung? „Fight, flight, or freeze“, schießt es mir durch den Kopf. Diese drei Verhaltensweisen, so haben es uns die Prüflinge jeweils berichtet, seien die Grundmuster des Menschen in Notsituationen. „Freeze“, also erstarren ist keine Option, da gäbe es wegen mir einen unschönen Haufen auf dem mittlerweile nicht mehr so breiten Weg. Da bleibt nur noch die Flucht vor dem Schmerz durch Aufgeben – oder?

Laufen macht so Vieles möglich, manchmal auch vermeintlich Unmögliches. Genau dieses Konzept versuche ich anzuwenden, indem ich gegen den Schmerz kämpfe und die Flucht nach vorne antrete. Nicht gerade sofort und mit einem Knall. Zuerst will ich noch ein paar Bilder von der kurzen Durchquerung der Innenstadt sammeln. Kirchplatz, Marienplatz, eine verhüllte Statue an einer Fassade beim Landwehrplatz mit der unbeantworteten Frage, ob da Christo am Werk war. Viel mehr hat sich aber nicht eingeprägt. Die Straßen sind ziemlich leer, man kann es den Immenstädtern nicht verübeln, dass sie wegen ein paar Läufern, die innerhalb kürzester Zeit einmal vor dieser Kulisse paradieren, sich an einem regnerischen Sonntagmorgen nicht extra aus den Federn quälen.

Am nordwestlichen Rand der Stadt geht es ein Stück der Straße entlang, dann bringt uns eine Unterführung zum Freibad am Kleinen Alpsee. Die paar Höhenmeter, die uns das in Minus bringt, sind bald, nämlich in Bühl, wieder aufgeholt. Und genau so wird es bis zum Wendepunkt weitergehen. Ein sanftes Auf und Ab, zwischen der schmalen Straße – mehr Radweg als Fahrstraße – und dem Großen Alpsee Weiden und die Bahnlinie.

Die Segelboot–Armada des Großen Alpsees steht ausgewassert und zugedeckt da. Ihren Anteil am Nass bekommt sie heute für einmal nicht von unten.

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Informationen: Iller Marathon
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