Frankreich ist das Land der Trailwettkämpfe, Deutschland das der Landschaftsläufe. Beide Arten finden in der Natur statt, die Philosophie aber unterscheidet sich ganz wesentlich. Ein Landschaftslauf soll zwar Schwierigkeiten enthalten, aber nicht zu viel. Allzu sehr sollte die Zeit darunter nicht leiden - weil Lob und Anerkennung mit ihr sehr eng verbunden sind.
Der normale Teilnehmer erwartet eine zumindest ausreichende Verpflegung, und auch der Untergrund sollte nicht zu anspruchsvoll sein. Ein typisches Beispiel für einen solchen Lauf ist der Rennsteiglauf, der jährlich tausende anlockt.
Ganz anders wird ein Trail in Frankreich bewertet. Hier heißt das Motto: Je schwieriger desto attraktiver. Der Veranstalter überlegt sich von Jahr zu Jahr, wie er eine weitere Erschwernis einbauen kann. Beispiele für beliebte Trails sind der Grand Raid auf Reunion und seine extreme Steigerung, der Ultra Trail du Mont Blanc, bei denen die erfolgreiche Teilnahme beinahe einem Ritterschlag gleicht.
Gemäß diesem Motto hat sich der Veranstalter des Grand Défi des Vosges für das 10-jährige Jubiläum einen neuen Streckenverlauf ausgedacht. Die Höhenmeter summieren sich jetzt auf 1.800 m, 400 mehr als die Jahre zuvor und bei der Zahl der Verpflegungsstellen gab es keine Verwässerung: drei verteilt auf die 53 Kilometer müssen, wie auch in den Vorjahren, reichen. Ein Lauf also in bester Tradition der französischen Trails.
Entsprechend ausgerüstet sahen dann viele Teilnehmer auch aus, so dass mein Freund Armin ins Zweifeln kam, ob er mit seinen kurzen Hosen, dem Singlet und einem einfachen Gurt für eine Trinkflasche den Lauf überstehen könne. Schlussendlich aber ließ er sich von den mit Jacke, langer Hose, Stöcken und Rucksack „hochgerüsteten“ Teilnehmern nicht irritieren und sein 23. Gesamtplatz gab ihm dann auch recht.
Aber von vorne: Am vergangenen Sonntag war ich in Niederbronn, beim „Grand Défi des Vosges“, einem Trail über 53 Kilometer in den Nordvogesen. Niederbronn ist über die A5 gut zu erreichen: Ausfahrt Baden-Baden, über den Rhein rüber nach Frankreich und via Hagenau (Haguenau) nach Niederbronn-Les-Bains, einem kleinen, schmucken Städtchen.
Die Turnhalle, in der die Startunterlagen ausgegeben werden, ist ausreichend groß für die nicht ganz 200 Teilnehmer, die die große Herausforderung (Défi) angehen wollen. Es wird zwar noch ein kürzerer Trail über 24 km und 700 Höhenmetern angeboten. Der wurde aber erst zwei Stunden später gestartet, so dass man sich nicht ins Gehege kam.
Leute wie ich, die nicht französisch sprechen, kommen bei diesem Lauf bestens zurecht, gibt es doch einige im Team des Veranstalters Didier Amet, die perfekt deutsch sprechen, so dass ich nach wenigen Minuten meine Unterlagen hatte. Achtung: in Frankreich wird bei allen Läufen ein ärztliches Attest gefordert, also nicht vergessen!
Die kurze Ansprache mit Informationen zur Strecke wird sowohl auf französisch, als auch auf deutsch gehalten, was sicher den beinahe 30 deutschen Startern geschuldet ist.
Anders als in den Vorjahren, war vor der Halle nicht nur das Ziel, sondern auch der Start. Um 7.35 Uhr ging es los. Ich trabte los, machte ein paar Bilder und war dann, wie schon gewohnt, das Schlusslicht. Auch kein Problem, ich würde schon noch ein paar überholen.
Von Anfang an ging es leicht hoch und noch war es neblig, so dass sich die Läuferschlange vor und über mir beinahe im Dunst auflöste. Nach wenigen Minuten leichten Anstiegs waren wir im Wald und wir im hinteren Bereich begannen jetzt zu marschieren, hatte uns doch Luc Kautzmann in seiner Info vor dem Lauf gewarnt, hier nicht gleich zu überreizen.
Laut Höhendiagramm würde es die ersten fünf Kilometer ausschließlich hoch gehen, schaute man das Diagramm aber genauer an, waren das aber nur etwa 230 m Höhenmeter. In der Tat waren die Steigungen während des gesamten Laufes recht moderat, so dass man nur an wenigen Stellen gehen musste. Trotzdem hatten es die ersten knapp 10 Kilometer in sich. Die Wege waren anspruchsvoll, es ging über Stock und Stein und auch der Abstieg zwischen Kilometer acht und zehn, hinunter nach Jaegerthal, erinnerten mich manches Mal an den Gondo Event. Stellenweise ging es ganz ordentlich steil nach unten, vom Regen in den Vortagen war der Pfad aufgeweicht und rutschig, Steine lagen im Weg, große und kleine und man musste sich ständig konzentrieren um nicht zu stolpern. Meine Stöcke vermisste ich trotzdem nicht, denn die schwierigen Abschnitte wechselten meist nach wenigen Minuten mit leichter zu laufenden ab.
Aber für die Anstrengung und Schwierigkeit wurde man mehr als entschädigt: viel Natur belassener Wald, Mischwald in seiner schönsten Form, verschlungene, schmale Pfade, bemooste Steine, ab und an auch Blumen - selten bin ich in einer solch schönen Gegend gelaufen. Für die ruhige Atmosphäre sorgte auch der Nebel, der zumindest die ersten anderthalb Stunden lang die Sicht ganz leicht dämpfte und den Wald manchmal beinahe geheimnisvoll wirken ließ.
Verstärkt wurde dieser Eindruck dadurch, dass Bill und ich bereits nach einer halben Stunde ganz alleine in diesem verwunschenen Wald liefen, vor uns war schon lange niemand mehr zu sehen und nur beim Abstieg hinunter nach Jaegerthal hatten uns Beate und Stefan eingeholt. Beim anschließenden Aufstieg zum Wasserstein blieben die Beiden dann aber zurück und wir waren wieder alleine, nachdem auch Marianne abreißen ließ und zurück fiel.
Die Wege waren jetzt nicht mehr so anspruchsvoll, aber unsere Umgebung nach wie vor sehr abwechslungsreich. Mal ging es einen Hohlweg hoch, man musste eine matschige Stelle überwinden, dann wieder wurde man über ein kurzes Wiesenstück geführt; wir passierten eine Festungsanlage aus dem zweiten Weltkrieg, kamen an wunderschönen moosgrünen Steinen vorbei, der Wald wechselte ständig sein Aussehen, mal reiner Blätterwald, dann wieder Tannenwald, meist aber Mischwald in seiner ursprünglichen Form. Dass es aber auch ein Nutzwald war, sah man an den frischen Holzstapeln, die ab und an am Wegesrand standen. Ein ums andere Mal versicherten wir uns gegenseitig, wie herrlich dieser Lauf doch sei, wie phantastisch der Wald, der Ausblick auf die Landschaft, die Pfade. Kurz, wir waren restlos begeistert.
Nach weiteren knapp anderthalb Stunden sahen wir an der ersten Verpflegungsstelle in Windstein das erste Mal wieder Läufer vor uns, die aber weiter liefen, gerade als wir eintrafen. Für die ersten 19 Kilometer bis zur Verpflegungsstelle waren Bill und ich etwa 2:45 Stunden unterwegs. Da ich aber von Erzählungen bereits vorher wusste, dass es nur drei Verpflegungsstellen auf der gesamten Strecke gab, hatte ich vorgesorgt und eine Trinkflasche mitgenommen, die auch bis hier her gut reichte. Die Temperaturen waren noch nicht so hoch, dass der halbe Liter zu wenig gewesen wäre. Allerdings änderte sich das auf dem nächsten Abschnitt, so dass für Durstige durchaus eine größere Flasche anzuraten ist.
Vorerst aber staunten wir über das Angebot, ließen uns die Getränkeflaschen auffüllen und genossen den Flammkuchen, der hier angeboten wurde. Glücklicherweise hatten wir es nicht so eilig, wie die vielen Läufer vor uns, die üblicherweise an den Verpflegungsstellen nur kurz anhielten, um in aller Eile etwas zu trinken und dann weiter zu hasten. Den Ehrgeiz auf eine gute Zeit hatten wir, mangels Talent und Vermögen, nicht.
Die nächsten 17 Kilometer bis Dambach war laut Höhendiagramm recht moderat, nur kleine Spitzen von vielleicht 50 bis 100 Höhenmetern wurden angezeigt. In der Tat war dann dieser Abschnitt auch bestens und beinahe mühelos zu laufen.
Bereits nach wenigen Minuten kamen wir das erste Mal an einer verfallenen Burg vorbei, wurden sogar durch das Gemäuer hindurch geführt, bevor es dann ein ganz kurzes Stück steil abwärts ging und weiter auf breiten Waldwegen mit gemäßigten Steigungen und Gefälle.
Nach einer halben Stunde tauchte dann ein Schwarzwaldhaus auf und Bill verglich zum wiederholten Mal den Lauf mit der Harzquerung. Ich war zwar nicht einverstanden, dass er ein mit Stroh gedecktes Schwarzwaldhaus in den Harz verlegte, widersprach aber nicht, wunderte ich mich doch selbst, dass es hier in den Vogesen ein solches Haus gab. Nun ja, Vogesen und Schwarzwald sind ja sehr verwandt.
Etwa eine halbe Stunde lang lief man jetzt auf Wirtschaftswegen, bevor es wieder auf schmale Pfade ging, immer wieder vorbei an spektakulären Sandsteinmonumenten. Schon lange wunderten wir uns, dass wir niemanden vor uns sahen. Soooo langsam waren wir doch auch nicht? Plötzlich aber freute sich Bill neben mir. Er hatte ganz in der Ferne ein weißes Hemd aufblitzen gesehen. Den/die wollten wir einholen. In der Tat dauerte es noch zehn Minuten und wir hatten eine kleine Gruppe erreicht. Einer davon hatte sich wohl übernommen, er stieg aus und wurde von einem Helfer, der an einer Straßenüberquerung stand, in Empfang genommen. Die drei anderen aber gingen weiter und wir würden sie sicher überholen. Leider aber machten sich zwei sofort aus dem Staub und wir kamen nicht hinterher. Den dritten aber konnten wir überholen. Auch wenn er einige Kilometer später uns wieder ein- und sogar kurzzeitig überholen konnte, letztendlich kamen wir doch acht Minuten vor ihm ins Ziel. Man sieht daran, dass auch so alte, langsame Dackel wie wir beide sich freuen, wenn sie jemanden überholen.
Die „Ein- und Überholaktion“ hatte uns abgelenkt, aber trotzdem nahmen wir weiterhin die schöne Umgebung wahr. Wir passierten weitere zwei Burgruinen, Wineck und Schoeneck und liefen dann auf einem der schönsten Abschnitte der Strecke, oberhalb von Dambach, einen Grat entlang, vorbei an bizarren Sandsteinformationen, auf schmalen und schmalsten Pfaden, bevor es dann zuerst steil, dann moderat hinunter nach Dambach und zur zweiten Verpflegungsstelle ging.
Auch hier war das Angebot überreichlich, nur der Flammkuchen fehlte. Luc Kautzmann war hier, erkundigte sich nach unserem Ergehen und fragte nach unseren Eindrücken. Natürlich teilten wir unsere Begeisterung mit und beruhigten ihn, dass wir noch bestens drauf seien. Vermutlich zweifelte er an Letzterem, denn wir lagen doch recht weit hinten. Die Ergebnisliste zeigte dann tatsächlich, dass nur noch fünf nach uns ins Ziel kamen und zwei von denen lagen noch vor uns. Nur noch 17 Kilometer seien es, teilte uns Luc mit, die nächsten zehn allerdings ständig bergauf, bis hoch zum Grand Wintersberg; dann aber würde es nur noch bergab gehen.
Wir verabschiedeten uns und nahmen die mehr als vierhundert Höhenmeter in Angriff. Bill wunderte sich, warum es nicht steiler hoch ging. Aber 400 m, verteilt auf zehn Kilometer, das ist nicht spektakulär, sondern muss moderat sein. Wenn wir nicht schon 36 km hinter uns gehabt hätten, wären wir das alles gejoggt. So aber legten wir ab und zu eine Gehpause ein, wenn es kurz etwas steiler wurde.
Weiterhin liefen wir im schönsten Wald, ab und zu ein breiter Waldweg, dann wieder ein Hohlweg oder ein schmaler Pfad. Auch jetzt, nach bereits nahezu sechs Stunden, wurden wir nicht müde, uns gegenseitig zu versichern, wie schön doch dieser Trail sei. Auch waren wir über die bisherige Ausschilderung voll des Lobes. In der Tat kann man es nicht besser machen. Vor jeder Abzweigung ein unübersehbares, grün-gelb leuchtender Hinweis, direkt an der Abzweigung noch eines, wenige Meter danach noch mal ein Schild, das einem die Sicherheit gab, richtig abgebogen zu sein und dann alle paar hundert Meter ein Schild, das signalisierte, dass man noch richtig sei. Also schlichtweg perfekt. Verlaufen konnte man sich nur, wenn man unaufmerksam in Gedanken versunken vor sich hin lief, wie ich zum Beispiel.
Zum Glück passte Bill auf und wies mir durch Zuruf den richtigen Weg. Die Kilometer allerdings waren nicht angezeigt, da war man auf Schätzungen aufgrund der gelaufenen Zeit angewiesen. Nur von den Verpflegungsstellen wusste ich im Vorfeld, wo sie lagen.
Natürlich trug auch das Wetter seinen Teil zu unserer guten Stimmung bei. Nachdem sich der Nebel gänzlich verzogen hatte, gab es immer häufiger Sonnenschein, der dem Wald wiederum eine ganz andere Atmosphäre gab. Aber auch wenn sich eine Wolke vor die Sonne schob, war die Temperatur sehr angenehm. Mit meiner kurzen Hose und dem kurzärmligen Shirt war ich absolut richtig angezogen.
Bill hatte seine Stöcke herausgeholt, um den Anstieg besser meistern zu können. In der Tat lief es dann bei ihm auch wieder besser, nötig aber sind Stöcke bei diesem Lauf wirklich nicht. Hatten wir uns zuvor noch gefreut, dass wir jemanden überholen konnten, jetzt wurden wir selbst wieder eingeholt. Marianne war von hinten aufgelaufen und begleitete uns noch bis zum Gipfel, wo uns bei Kilometer 46 die dritte und letzte Verpflegungsstelle erwartete. Danach aber machte sie sich davon und nahm uns auf den letzten sieben Kilometern bis ins Ziel noch einige Minuten ab.
Das Angebot an dieser Verpflegungsstelle war genauso gut wie zuvor. Hier trank ich zum ersten Mal zwei Becher Cola, um für restliche Strecke gewappnet zu sein. Ruhig stehen aber konnte man hier nicht. Jede Menge riesiger Ameisen wuselten auf dem Boden und krabbelten in Sekundenschnelle die Beine hoch. Ständig musste ich hüpfen und ganz vorwitzige Ameisen abstreifen.
Nichts wie fort! 7:30 h waren wir schon unterwegs und wollten endlich ankommen. Tatsächlich ging es ab jetzt nur noch bergab, mit ganz wenigen, ganz moderaten Gegenanstiegen. Aber auch die waren Bill zuviel und ganz kurz murrte er sogar, hatte er doch erwartet, dass man ihm das, wie auch immer, erspart hätte. Anfangs hatte er noch die Hoffnung, dass wir es unter acht Stunden ins Ziel schaffen könnten. Dafür aber waren wir viel zu langsam. Dann hatte er die Hoffnung, es unter 8:30h zu schaffen, auch vergebens. Sieben Kilometer können ganz schön lang sein, auch wenn man sie in leichtem, schönem Gelände läuft.
Aber irgendwann sahen wir unter uns Niederbronn, zehn Minuten später hatten wir das Schwimmbad erreicht und 300 Meter weiter liefen wir nach 8:35:32 h freudestrahlend ins Ziel.
Einer meiner schönsten Läufe war zu Ende. Da einem die Organisatoren genügend Zeit geben, ein Zeitlimit ist nicht angegeben, ist das, trotz der 1.800 Höhenmeter und der teilweise anspruchsvollen Wege, ein Lauf, den jeder Marathoni laufen kann, wenn er keine Berührungsängste mit der Natur hat. Hier stimmt einfach alles: Organisation, Landschaft, Anstrengung.
Wenn man dann noch bedenkt, dass man das alles für 18 Euro, inklusive Shirt und einer Flasche Wein bekommt, dann kann man nur empfehlen: Kommt 2009 nach Niederbronn, ihr werdet das keinesfalls bereuen! Ich werde auf jeden Fall wieder dabei sein. Das einzige Problem könnte sein, dass ihr süchtig nach solchen Trails werdet.
Übrigens: macht es so wie Armin und lauft mit einem kurzen Hemd, kein Rucksack, nur ein Trinkgurt mit einer Flasche, die 700ml fasst. Das reicht vollauf.
Statistik
Finisher 53 km: 169
Finisher 24 km: 284
Kosten
53 km: 18 Euro incl. Funktionsshirt und einer Flasche Wein.
Für 14 Euro kann man am Vorabend an der Pasta-Party teilnehmen und für 8 Euro bekommt man nach dem Lauf noch einen Rinderbraten mit Spätzle.
Übernachtung
Meldet euch beim Veranstalter, der nennt euch, je nach Geldbeutel, Unterkünfte. In der Nähe gibt es auch einen Campingplatz.
Verpflegung
Drei Verpflegungsstellen mit allem was der Läufer begehrt.
Zuschauer
Keine
Informationen: Grand Défi des Vosges