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Laufberichte

Insel des Versehrten

 
Autor: Joe Kelbel

Fotos: Andreas Bettingen

 

Man nennt es Ermüdungsbruch. Bei mir wurde  die Verletzung durch ein Medikament ausgelöst, das in den Kaliumhaushalt eingreift. Ich kann also nicht starten. M4Y-Kollege Andreas macht die Fotos von der Strecke, ich habe Zeit für den Bericht.

Vom Flughafen nimmt man den Bus 60 oder 91 (2,30 Euro) nach Las Palmas. Man fährt an Teresitas vorbei, wo eigenartige Schiffe mit Riesentürmen und Hubschrauberlandeplatz auf dem Vorderdeck auf Reede liegen: Es ist der größte Friedhof für Bohrschiffe. Sie suchten einst nach Öl zwischen den Kanaren und Afrika, doch der Protest der Insulaner war zu heftig, die Suche wurde eingestellt. Im Hintergrund sind schaurige Bohrinseln zu erkennen.  In Telde oder in Santa Catalina wechselt man den Bus, oder man geht zu Fuß zum Centro Commercial Las Arenas. Man kommt dann am besten Surfspot Las Canteras vorbei, unsere morgige Zielstrecke.

Um diese Jahreszeit gibt es preisgünstige Übernachtungsmöglichkeiten mit Meerblick, es sind nur wenige Meter  zum  Start/Ziel. Henry, der wie immer im schwarz-weiß gestreiften Anzug läuft, liebt die Tips in unseren Berichten, denn außer russisch hat er keine Fremdsprache gelernt. Die website des Gran Canaria Marathon ist in  perfektem Englisch geschrieben. Im Laufe des Tages kommen über email zusätzliche Infos in spanisch und englisch von der Orga aufs Handy. Sehr gut!
12 Buslinien fahren das Centro Comerial Las Arenas an.  Ich bin gelaufen und merke, dass ich morgen nicht antreten kann. Unter meinem Balkon laufen  die  Teilnehmer des  Frühstückslaufes. Es müssen über 3000 sein.


Start Sonntag um 8:30


Wo  gestern die Marathonmesse war, gibt man nun seinen Kleiderbeutel ab. Nur wenige Läufer nutzen das, es sind heute 15-25 Grad angesagt. Das Thermometer zeigt später 30 Grad an, es steht allerdings in der Sonne.

 

 

Die Laufstrecke des Marathons hat die Form eines Seepferdchens: Schnauze nach Amerika, Rücken nach Marokko, Ringelschwanz die Küste von Afrika hinab.  Namenssponsor ist die kanarische Bank Cajasiete. Trinkstationen alle 5 Kilometer, ab Kilometer 20 mit Nahrung, dazwischen Schwammstationen. Schwämme brauchen bei einer Temperatur von 15 Grad wohl nur die Spitzenläufer. 10 Männer kommen aus Kenia (2:09-2:15). Bei den Frauen fällt nur die Spanierin (2:36) auf. Etwa 6200 Marathonläufer und HMLäufer treten an, dazu  4000 10er.

Es ist ein flacher  Rundkurs, nur in der Altstadt gibt es einige Wellen. Die Strecke ist optimiert worden, sie führt jetzt länger an der spektakulären Felsenküste entlang.
Zunächst geht es  4 Kilometer bis zur Ostküste, dort läuft man am  Doramas Park vorbei. Der ist nach  dem altkanarischen König Doramas benannt, der gegen die spanischen Eroberer kämpfte und unterlag. Eine Skulptur erinnert an ihn. Auch der kollektive Selbstmord (1485) der letzten überlebenden Ureinwohner, der Felsensturz von der Fortaleza de Ansite bei Santa Lucía wird dargestellt. Ein wichtiger Park für Läufer ist der Jardin  Canario mit den urigsten Pflanzen der Insel, denn ganz oben, auf dem Gipfel gibt es Bier. Ein beeindruckendes Gebäude ist die Gabinete Literario, die Bibliothek am Cairascoplatz.

 

 

In der Kirche Ermita de San Antonio Abad soll Kolumbus 1492 vor seiner Reise gebetet haben. Tatsächlich hat der Gouverneur die Gebetsbriefe von Kolumbus zum Altar der damals einzigen Kirche auf Gran Canaria gebracht.

Bei Km 6 kommen wir zur Kathedrale Santa Ana. Mit dem Bau wurde 1497 angefangen, kurz nachdem die Eroberung und Christianisierung der Kanaren  abgeschlossen war. Schade, denn die Kultur der Ureinwohner war einzigartig:  Es herrschte ein Matriarchat, Frauen waren Boss, Ärzte, Priester, Königinnen und jede  hatte einen Harem von Männern.

Wichtig für den Tourismus ist das Kolumbushaus (Casa de Colón). Gerne behaupten die Einwohner von Las Palmas de Gran Canaria, dass Christoph Kolumbus vor seiner großen Entdeckung in ihrer Stadt übernachtet hätte. Doch schon bei der dreitägigen Überfahrt von Spanien murrte die Mannschaft, denn freiwillig war von denen niemand an Bord. Es waren Kriminelle aus den Straßen Spaniens, die von der Organisation Santa Hermandad, einer paramilitärische Securityfirma eingesammelt wurden. Finanziert wurde die Santa Hermandad von Städten und Dörfern. Die Santa Hermandad finanzierte wiederum die Schiffe von Kolumbus, um die Kriminellen zu entsorgen. Kolumbus hat 1492 definitiv keinen Fuß auf Gran Canaria gesetzt, das Schiff  blieb vor Reede.  

Das Kolumbushaus war das Haus des spanischen Gouverneurs Pedro de Vera, und der musste gegen alle Etikette zu  Kolumbus auf dessen Schiff Santa Maria, um die Befehle des Königs entgegen zu nehmen.

Weiter führt der Kurs über den Plaza Espíritu Santu, hier führt die Straße „Doctor Chil“ entlang. Doktor Gregorio Chil hat nichts mit einem scharfen Gewürz oder dem permanenten Abhängen Jugendlicher zu tun, er hatte Medizin an der Sorbonne studiert und begann nun die Überreste der Ureinwohner  (Schädel, Knochen, Keramik, Textilien, Mumien) zu studieren  und bestätigte die Thesen von Charles Darwin, woraufhin er vom Bischof der Kanaren exkommuniziert wurde. Heute ist sein Wohnhaus das Museo Canario, an dem man vorbeiläuft.

 

 

Weiter geht es nach Süden, immer die Küste entlang. San Cristóbal ist ein Fischerdorf mit den besten Fischrestaurants der Insel. In der Brandung steht die Ruine des Wachtturms (1577), gedacht zur Abwehr von Piraten.

Wendepunkt ist bei km 12 am Playa de la Laja. Der schwarze Strand steht im Kontrast zu den für Gran Canaria typischen sandgelben Berghängen auf der anderen Seite der Laufstrecke. Begegnungsstück Bei km 21 ist links der Parque Romano, der mit seiner 1 Kilometerrunde der wichtigste Joggingpark der Stadt ist. Läufer nutzen zum  Training die Uferpromenade, entlang der City Marina ihren zahllosen weißen Segelschiffen.

Am Hafen für die Kreuzfahrtschiffe  liegt die  Nachbildung der Carabela La Niña III (1591). La Niña „das Mädchen“, so wurde das Schiff genannt, weil der Besitzer Juan Niño hieß, der Kapitän hieß Vincente. Kolumbus, der Oberbefehlshaber ließ die Dreieckssegel durch die bauchigen Rahsegel auszutauschen, so konnten sie die steten Passatwinde besser ausnutzen und nach Amerika gelangen.

Der sehr belebte Parque Santa Catalina ist ein Platz mit Palmen und Blumenbeeten. Hier spielt sich das ultimative Nachtleben ab. Restaurants, Bars, Clubs und Diskos locken bis zum Morgengrauen. Im Hafen wurde letzte Woche das Großaquarium Poema del Mar eröffnet. Zitteraale in Mangrovenlandschaft und die  größte, je gebaute Glasscheibe. Die wiegt 140 Tonnen und hält 5,5 Millionen Liter zurück. Von der Dachterrasse des Aquariums hat man einen wunderbarer Blick auf den 3800 Meter hohen Vulkan von Teneriffa.

Der Woermann-Tower stellt einen virtuellen Wald dar. Benannt ist der Wohnturm nach dem Hamburger Reeder Adolph Woermann, der mit seinen Schiffen feste Linienverbindungen in die Deutschen Kolonien unterhielt. Der Hafen von Gran Canaria war Umschlagplatz für Post, Waren und Auswanderer der deutschen Kolonien Kamerun, Togo und Deutsch-Südwest, sowie nach New York. Es gibt noch Woermann-Firmen in Nigeria, Ghana und Angola.

Links ist die famose Playa de las Canteras, die Zielgerade, bis dahin sind es aber noch 5 Kilometer. Links oben ist das Meeresfrüchterestaurant La Marinera, 400 Plätze gibt´s dort.  

 

 

Km 35: Man blickt jetzt  auf die Ruinen des Castillo de la Luz (1541), das damals noch direkt am Hafen stand. Es wurde zur Abwehr von feindlichen Schiffen gebaut. Tatsächlich gelang es dem Piraten Francis Drake nicht, die Festung einzunehmen. Der Räuber wurde ja von der Queen zum Sir geadelt. Dem holländisch- nassauischen Piraten Pieter van der Does gelang aber vier Jahre später die Eroberung des Castillos. Er war der Erste, der über die Sturmleiter ins Fort eingedrungen ist. Die Hälfte seiner Flotte schickte er mit den eroberten Reichtümern zurück nach Holland und segelte weiter in die Karibik um dort weitere Raubzüge gegen Spanier und Portugiesen vorzunehmen. Das war 1499, sieben Jahre nach der Entdeckung Amerikas.

 

 

Wunderbar ist es auf der Uferpromenade, die jetzt auch von den 10 km-Läufern genutzt wird. Die sollen zwar getrennt von den Marathonis laufen, aber gerade die breiten Schlachtschiffe laufen in Viererkette Richtung Ziel, wo sie vor den 4 Std-Läufern die Zielverpflegung plündern, sodass ich für die Langstreckler schwarzsehe.  

Auffallend ist, dass sehr viele Spanier stolz die Eventshirts zum Lauf angezogen haben. Die noch ungewaschenen Hemden danken es mit wundgescheuerten Brustwarzen.

Viele Zuschauer und Spaziergänger säumen die abgesperrte Laufstrecke, das hat was! Dazwischen versuchen Surfer mit ihren Brettern einen Durchlass zu finden, um an den Strand zu kommen, auf dem barbusige Schönheiten Beachvolleyball spielen.

Für mich bleibt eine Rechnung offen. Nächstes Jahr komme ich wieder zu diesem von der Sonne verwöhnten Marathon, dann nehme ich aber im Anschluss den Flieger direkt zum Marrakesch-Marathon, ohne Umweg über die regnerische Heimat.

 

 

Joes Bilder von Start und Ziel

 

 

 

Informationen: Gran Canaria Marathon
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