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Laufberichte

100 Kilometer durch den Chiemgau

19.07.08

Co-Autor: Bernd Spring

„Hallo Bernd, ich suche noch einen schönen Trainingslauf in den Bergen.“
„Ich gehe zum Chiemgauer. Dort sind noch ein paar Plätze frei geworden, weil so viele die 100-Meilen-Option wählten.“

Was er damit meinte, habe ich erst viel später verstanden. Auf jeden Fall habe ich mich kurz entschlossen angemeldet – kostete ja nur €40. Und mit Bernd gehe ich immer gerne zum Laufen.

Irgendwann, als ich mich mit dem Lauf näher auseinandersetzte, wurde klar: das wird kein üblicher 100 km Lauf mit ein paar Anstiegen. Dieser geplante Trainingslauf für meine Herbsttour wird eine eigene und ganz besondere Herausforderung. Also wurde ordentlich trainiert, schließlich war ich seit über 20 Jahren nicht in mehr den Bergen und unvorbereitet antreten ist nicht mein Ding. Drei Ziele setzte ich mir. Erstens: gleichmäßig durchlaufen, zweitens: ins Ziel kommen und drittens: den Lauf vor Dunkelheit um 21 Uhr zu beenden.

Das Briefing im Ruhpoldinger Waldstadion durch Gieselher Schneider (Gi), Initiator des Chiemgauer 100, war liebevoll, launisch und klar. Geburtsstunde für den Lauf, der nun zum vierten Male ausgetragen werde, war seine Erkenntnis, dass hierzulande keine Läufe mit entsprechendem Anspruch angeboten werden. Wem es auch so geht, der solle doch einfach auch so einen Lauf organisieren. Ihm mache das jedes Jahr viel Spaß trotz des damit verbundenen Stresses.


Im Prolog, so Gi weiter, geht es zuerst in einer kurzen Schleife mit 26km durch den südlichen Chiemgau rund um den Rauschberg über die Kaitalm und dann zurück zum Start. Wem das schon anstrengend erscheint, der solle dann gleich hier im Stadion bleiben und auf die zweite Schleife verzichten. Es gehe dann über 74 km und einigen netten Anstiegen erst richtig zur Sache.

Der Chiemgauer 100 Bergultra, schreibt Gi auf seiner Homepage, ist ein Natur-Trail-Erlebnislauf, der hauptsächlich alpine Wander- und Forstwege benützt und mehrere nennenswerte und technisch sehr schwierige Anstiege und Abstiege aufweist. Er ist den härteren amerikanischen 100 Meilen Landschaftsläufen nachempfunden, die Hauptstrecke beträgt jedoch „nur" europäische 100 km mit 4.460 m im Anstieg . Ein „Vorspann" mit eigener Versorgung für eine Verlängerung auf 100 Meilen (160km, 6.810m im Anstieg) ist möglich. Die Teilnehmerzahl beim 100 km-Lauf ist auf 100 begrenzt. Hinzu kommen noch die 100 Meilen-Starter, die allerdings schon am Vortag um 15 Uhr auf die Strecke geschickt werden um später auf die 100´er zu treffen. Durch die Limitierung will Gi die familiäre Atmosphäre bewahren. Je nach Strecke kann man auf 141km, 127km, 80km oder 66 km verkürzen, ein Zugeständnis an das enge Zeitlimit.


Sehr früh am Morgen trafen wir uns im Waldstadion in Ruhpolding. Es gab noch ein reichhaltiges Frühstück mit allem was man so zur Vorbereitung braucht. Auch die Wetteraussichten konnten nicht besser sein. Zunächst noch etwas frisch, vielleicht mit ein paar wenigen Regentropfen, soll es im Verlauf des Tages trocken, sonnig und nicht zu warm werden.

Der Start pünktlich um 5 Uhr war ganz unspektakulär, Gi sagte einfach „los“, musste das noch einmal laut wiederholen und schon ging es endlich auf die Strecke. Anfangs war der Weg einfach und leicht, das Tempo daher viel zu hoch. Nach gut 12 km mit einem nicht immer leichten Rauf und Runter kamen wir bei Zwing zu einem wunderschönen Hangweg im Wald. Weiter ging es hinauf zur Kaitlalm. Ein ganz besonderes Schmankerl der ersten Schleife, wenn auch stellenweise etwas matschig. Man bekam schon einen ersten Vorgeschmack, was noch auf einen zukommen könnte. Schnell und ohne weitere größere Herausforderungen kamen wir nach 26 km und etwa 800 Höhenmetern (hm) zurück zum Waldstadion, dem ersten großen Verpflegungsposten (VP). Hier wartete Bernd, der verletzungsbedingt leider nicht antreten konnte, mit einem ersten Frühstücksbier auf mich. Für ihn war die Rolle als Zuschauer und nahezu passiv anwesend zu sein (er durfte für Gi ein paar Warnschilder aufstellen, aber das zählt nicht wirklich als sportliche Betätigung...) äußerst ungewohnt. Eine Sehnenentzündung verhinderte, dass er den Lauf hätte aktiv genießen können. 

ls Bernd kurz vor 7 im Ruhpoldinger Waldstadion auftauchte, waren einige 100-Meilen-Läufer bereits durch. Die ersten beiden angeblich schon gegen 2 h morgens, lange bevor die Verpflegungsstellen aufgebaut waren. Und es gab die ersten Ausstiege zu verzeichnen. Die durch den Regen aufgeweichten Wege und rutschigen Passagen machten vielen Ultras zu schaffen. Zwischen 7 und 8:30 h trudelten die 100-km-Läufer ein, meistens mit einem breiten Grinsen im Gesicht – sei es wegen der sehr gut ausgestatteten Verpflegungsstelle im Stadion, oder die Vorfreude auf den "langen Kanten", die bevorstehenden 74 Kilometer mit einigen tausend Höhenmetern durch die Chiemgauer Alpen.

Nun begann der ernste Teil des Chiemgauer 100 mit einem ersten großen Anstieg mit gut 500 hm hinauf über Stockreit Richtung Unternberg. Der Weg war nass, von dem vielen Regen der letzten Tage aufgeweicht und streckenweise schon recht steil. Aber was wirklich steil ist, das werden wir erst später erfahren. An der Raffner Alm vorbei mit langen Anstiegen auf den Unterbergsattel und dann hinunter zur Brander Alm. Der Anstieg hinauf zur Hörndlwand zeigte mir meine persönlichen Grenzen auf, oben konnte ich das Tempo schon lange nicht mehr halten. Eine Läuferin huschte einfach so an mir vorbei, als wäre nichts gewesen. Mein zu hohes Anfangstempo rächte sich früh. Aber, was soll der Aufstieg, wenn man danach weit hinunter ins Tal muss! Und das auf schwierigen und rutschigen mitunter auch matschigen Wegen. Mehrmals drohte man abzurutschen oder zu stürzen. Zu allem Überfluss kamen starke Beinkrämpfe vom ewigen bergab, dabei sind es doch noch über 60 km bis zum Ziel. Viel früher als erwartet stellten sich massive körperliche Beschwerden ein. Dennoch unverhofft schnell kam dann der VP Röthelmoos.

Hier brauchte ich eine längere Pause. Dank der exzellenten Verpflegung mit Brot, Salz, Schokolade und meinem obligatorischen Bier trat schnell die gewünschte Erholung ein, so dass ein Aufgeben oder spätere Abkürzung auf 66 km noch nicht in Frage kam. Unmittelbar danach ging es zunächst erneut steil nach oben und über den VP Jochenbergalm zur Hochsattelscharte. Auch kein leichter Aufstieg. Nun kam ein etwas einfacherer Abschnitt mit leichtem auf und ab. Am nachfolgenden Schräghang hatte ich dafür das einzige Mal ernsthafte Probleme mit dem Weg, da ich die sonst guten Wegmarkierungen verloren hatte. Meinem GPS Empfänger zufolge war ich nah am richtigen Weg und fand daher bald zurück zu den Markierungen. Vorbei an der Bischoffellnalm und der Hinteralm ging es hinab auf erneut schwierigen Wegen zum VP Kohlstadt. Nach über der Hälfte der Strecke ging es mir wieder recht gut und hatte Dank den „versalzenen“ Kartoffeln an den letzten VP auch keine Krämpfe mehr. 

Der Weg zum nächsten VP führte zuerst steil hinauf und dann zur Gleichenbergalm über den Scheichenberg dann weiter nach Maria Eck. Läuferisch war der letzte Abschnitt schön und ohne die sonst so deftigen Anstiege. Hier wartete erneut ein tolles Angebot mit allem, was das alpine Läuferherz begehrte. Nach ausgiebiger Verpflegung ging es weiter in Richtung Egg. Auch ein sehr schöner aber unspektakulärer und zum Glück einfacher Abschnitt, galt es doch Kräfte für den letzten großen Anstieg auf den Hochfellln zu sammeln. Am nun schon gewohnt liebevollen VP Egg hätte man auf 80km verkürzen können bzw. verkürzen müssen, wenn man nach dem cut off (19:00 Uhr) eingelaufen wäre.

Da noch reichlich Zeit vorhanden war, kam ein Abkürzen nicht in Frage, also ging es nach der Pause los in Richtung Hochfellngipfel. Bisher waren alle Anstiege deutlich schwieriger als erwartet. Der nun folgende Aufstieg war dem entgegen relativ leicht zu bewältigen. Eine angenehme Überraschung nach so vielen Strapazen. Oder wurden die Anstrengungen schon nicht mehr wahrgenommen? Oben auf dem Hochfelln angekommen, gab es zur Belohnung traumhaft schöne Aussichten. Nach dem Gipfel ging es auf zunächst extrem schwierigem Terrain über einen tiefen Wurzelweg und hohen Absätzen hinab zum VP Eschelmoos. 

icht nur das Schwerste, auch das Schönste des Chiemgauer 100 hatten wir jetzt hinter uns und es ging auf öden Fahrwegen meist bergab in Richtung Ruhpolding (nach so vielen schönen und phantastischen Abschnitten meckert man halt gleich bei einem Fahrweg - sorry). Nach Brand kamen noch ein paar leichte Anstiege auf nun wieder schöneren Wegen, die mich aber trotz den geringen Höhenmetern zum Wandersmann werden ließen, denn mein letztes Pulver war bereits verschossen. Nach 15 Stunden und 12 Minuten kam das Waldstadion mit dem unvergesslichen Zieleinlauf. Zwei meiner Ziele konnten erreicht werden, nur aus dem gleichmäßigen Durchlaufen wurde nichts. Und wieder gab es eine besondere Überraschung: Wir wurden mit einem tollen Buffet mit Kuchen, Brötchen, Bier und, und, und  ... für unsere Mühen belohnt.

Hier wartete auch Bernd, der traurig war, heute hier nicht selbst mitgelaufen zu sein. Dafür hat er viele schöne Bilder gemacht. Aber ich muss ihm nachträglich recht geben, wer nicht absolut gesund und auch entsprechend fit ist, sollte hier nicht an den Start gehen. So ein Landschaftslauf ist eine großartige Möglichkeit, sehr lange und intensiv die Natur genießen zu können. Man erarbeitet sich über viele Stunden kleine und große Ausblicke, man erlebt intensiv das Profil der sich immer wieder ändernden Umgebung.

Streckenbeschreibung:

Der Chiemgauer 100er ist ein wunderschönes  Lauferlebnis auf einer schwierigen Strecke, angereichert mit traumhaften Fernsichten, ausgerichtet von einem überaus freundlichen und stets hilfsbereiten Team. Er ist eine noch lösbare Aufgabe für Läuferinnen und Läufer mit entsprechendem Anspruch. Gi ist es gelungen, keine denkbare „Gemeinheit“ entlang der Strecke auszulassen.

Zeitnahme:

Manuell

Weitere Veranstaltungen:

100 Meilen (Start am Vortag)

Auszeichnung:

Geschnitzte Trophäen für die Erstplatzierten, T-Shirt und Urkunde

Die Ergebnisse:

Platz 1 der 100 Meilen Männer: Achim Hohenadler in 22:43 (Streckenrekord)
Platz 1 der 100 km Frauen: Julia Böttger 13:40 (Streckenrekord) dicht gefolgt von Waltraud Berger in 13:41
Platz 1 der 100 km Männer: Josef Schneider in 11:02 (Streckenrekord) dicht gefolgt von Uli Calmbach in 11:07

 

Informationen: Chiemgauer 100
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