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Laufberichte

„Gleich ist alles Schöne vorbei!“

25.09.11
Autor: Klaus Duwe

Über 40.000 Teilnehmer (ausverkauft!) aus 125 Nationen – der Berlin-Marathon zählt weltweit zu den ersten Adressen. In den Hotels ist man als Deutscher in der Unterzahl, Sprachkenntnisse erleichtern die Kommunikation. Am Kudamm, Unter den Linden und am Potsdamer Platz dominieren Läuferinnen und Läufer, deutlich zu erkennen am Schuhwerk und den bunten Finisher-Shirts aus aller Welt, das Straßenbild. Dichtes Gedränge auf der Messe „Berlin Vital“, wo man sich die begehrte Startnummer holt.

„Wahnsinn“, meint Dietmar Mücke auf der Tribüne des Olympiastadions, „vorgestern war der Papst noch hier, heute der Pumuckl.“ Nichts erinnert mehr an den Papst-Besuch. In Berlin vergeht die Zeit schneller als anderswo.

Wer den Frühstückslauf vom Charlottenburger Schloss zum ehrwürdigen Berliner Olympiastadion versäumt, ist selber schuld. In geschlossener Formation absolvieren ein paar tausend meist kostümierte Läuferinnen und Läufer die rund sechs Kilometer. Die Stimmung ist phantastisch und der Einlauf durch das Marathontor in die riesige Arena ein Erlebnis. Einmal eine Runde laufen auf  Usain Bolt’s Spuren. Gänsehaut schon beim Warm-up.

Großzügige Bewirtung vor dem Stadion. Selbstverständlich mit Berliner, Kreppel, Krapfen oder Pfannkuchen, wie der Berliner sagt. Die in Schmalz gebackenen Hefeballen wurden angeblich 1756 von einem Berliner Zuckerbäcker erfunden, der sich als Kanonier bei  Friedrich dem Großen bewarb, aber als untauglich abgewiesen wurde. Auf sein Drängen hin wurde er schließlich als Feldbäcker aufgenommen. Zum Einstand und als Dank formte er aus Hefeteig Kanonenkugeln, die er, weil es keinen Backofen gab, in eine Pfanne mit heißem Fett gab. Heute füllt man die Dinger noch mit Marmelade. Vorsicht beim Zubeißen: Bei manchen Anlässen füllt man einzelne Exemplare scherzhaft auch mit Senf.

Das nächste Highlight ist am Sonntag der Weg vom Hauptbahnhof zum Startplatz auf der Straße des 17. Juni. Ich habe von meinem Quartier nur 15 Minuten zu gehen und verpasse den „Marsch der Gladiatoren zur Arena“ am Kanzleramt, am Reichstag und an der Kongresshalle (Schwangere Auster) vorbei. Unterwegs tauscht man seinen Kleiderbeutel gegen einen Plastik-Überzieher von adidas.  Mindestens eine Stunde vor dem Start sollte man das erledigen. Dann kann man die Atmosphäre stressfrei genießen.

Nicht nur auf Freizeit- und Hobbyläufer wirkt der Berlin-Marathon wie ein Magnet. Zahlreiche Weltrekorde belegen, dass Berlin mit seiner flachen Strecke und dem phantastischen Publikum immer für eine Bestzeit gut ist. Erstmals in der Marathon-Geschichte stehen heute sogar die schnellste Marathonläuferin, Paula Radcliffe (2:15:25) und der schnellste Marathonläufer, Haile Gebrselassie (2:03:59), gemeinsam an der Startlinie. Gespannt ist man auf das Duell der Lauflegende aus Äthiopien gegen den Kenianer Patrick Makau, der im letzten Jahr trotz miserabler Bedingungen in sagenhaften 2:05:08 gewann. Schon damals hätte er, so seine Meinung und die der Experten, bei besseren Bedingungen den Weltrekord gebrochen.

Der Berlin-Marathon ist ein Konjunkturprogramm erster Güte für die Hauptstadt. 60 Millionen Euro soll das Läufervolk in der Stadt lassen. Da versteht es sich von selbst, dass der Regierende Bürgermeister höchst persönlich anwesend ist und zusammen mit Boxlegende Henry Maske auf der Ehrentribüne den Startschuss gibt.

Bis zur gerade renovierten Siegessäule stehen die Zuschauer dicht gedrängt. Man entledigt sich seines jetzt überflüssigen Kälteschutzes, versucht, seinen Vorderleuten nicht in die Hacken zu treten und hofft, dass die Hinterleute ebenso rücksichtsvoll sind. Überpacen kann man auf dem Stück nicht. Erst beim Großen Stern beginnt für die, die mögen, der Lauf gegen die Zeit.

Über den Landwehrkanal und durch das Charlottenburger Tor, Grenze zwischen Tiergarten und Charlottenburg, wird Richtung Ernst-Reuter-Platz gerannt. Wenn es von dort in die engere Marchstraße nach Moabit geht, hat man schon fast drei Kilometer hinter sich. Das Feld ist noch dicht beieinander. Ein  Laie wird beim Betrachten der Bilder behaupten:  "So kann man doch nicht laufen.“ Man kann – und es macht riesigen Spaß. Übermorgen laufe ich wieder alleine durch den Wald, heute bin ich Teil des Berlin-Marathon. Und das ist geil. 

Bei km 5 sind wir am „Königlichen Untersuchungsgefängnis“. Sie hieß die JVA Moabit, als sie 1881 eröffnet, oder muss man sagen, „geschlossen“ wurde? An den mit Stacheldraht gesicherten roten Gefängnismauern entlang geht es in Richtung Hauptbahnhof. Der 2006 fertiggestellte Glaspalast ist der größte mehrgeschossige Bahnhof Europas. Eigentlich ist er mehr als ein „nur“ ein Bahnhof. Es ist ein Einkaufszentrum mit über 80 Einzelhandels- und Bewirtungsbetrieben. Deshalb frequentieren täglich zu den 200.000 Reisenden auch noch 100.000 Passanten die „Shopping-Mall mit Gleisanschluss.“

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