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Laufberichte

Beim ersten Mal tut's weh

30.09.12

Fotos: Christian Reitz, Natascha Sambach, Kay Spamer

 

Berlin, 30. September 2012 – Es ist 8:50 Uhr an einem schönen, sonnigen Herbstmorgen. Ich stehe zwischen fast 41000 anderen Menschen auf der Straße des 17. Juni und es geht mir eigentlich nur ein Gedanke durch den Kopf: „Wie konnte es nur soweit kommen?“

 

Ein Blick zurück – Wie alles begann...

 

Die Geschichte nahm ihren Anfang im April 2011 auf der Messe zum Berliner Halbmarathon. Wenn schon nicht selbst zu solchen Leistungen fähig, wollte ich wenigstens die unterstützen, die es können,  und meldete mich als ehrenamtlicher Helfer für die Startnummernausgabe. Während einer Pause, die ich zum Besichtigen der Messe nutzte, sollte dann alles seinen Anfang nehmen. Ich stolperte über ein Rennen über 10 km mit Zieleinlauf im Berliner Olympiastadion. Gut, normalerweise hätte dies ein kurzes Aufflammen von Neugierde verursacht, die auch schon im nächsten Augenblick wieder verflogen wäre. Doch das Datum erweckte meine Aufmerksamkeit.

Das Rennen sollte am 08.05.2011 stattfinden, genau am 15. Todestag meines Vaters. So wurde aus der Neugierde Entschlossenheit. Ich wollte, dass sich dieser Tag einmal nicht durch Trauer und Vermissen definiert, sondern etwas Neues versuchen, um diesen Tag irgendwie zu etwas Besonderem zu machen.

10 km – das waren für mich zu diesem Zeitpunkt eine gedanklich unvorstellbar lange, unüberbrückbare Distanz. Klar hatte ich vorher schon einmal Laufschuhe an den Füßen, doch dies war etwas komplett Anderes. Entsprechend war auch das Gefühl, als ich mich dann online meldete. Meine Hand zitterte förmlich und das nicht nur vor Aufregung. Ich hatte Angst... Angst davor, mir Schuhe anzuziehen, die ein paar Nummern zu groß sind. Angst davor, mich auf etwas einzulassen, dem ich nicht gewachsen bin. Angst davor, zu versagen!

Wie so oft, machte ich mir mehr Gedanken darüber, das Risiko vielleicht doch zu scheuen und so der möglichen Enttäuschung aus dem Weg zu gehen, als einfach mal einen Schritt vorwärts zu wagen. Ich nahm an diesem Rennen teil und dieser Zieleinlauf in das Olympiastadion war für mich einer der emotionalsten Momente überhaupt. Die Zeit war irrelevant, ich bin durchgekommen, obwohl es mir unterwegs alles andere als gut ging. Dieses Gefühl, über sich selbst hinaus gewachsen zu sein, war unbeschreiblich. Es folgten im Sommer 2011 noch zwei weitere 10km-Läufe, dann flachte das Engagement schnell ab. Der Blick fiel zwar öfter auf die Laufschuhe, doch die Motivation war irgendwie weg, der alte Trott wieder da.

Am letzten Septemberwochenende 2011 sollte das Schicksal dann das zweite Zahnrad in die Maschinerie setzen. Meine zukünftigen Schwiegereltern, die bei marathon4you bereits bekannten Andrea Helmuth und Kay Spamer, waren im Rahmen ihrer Marathon-Deutschland-Tour für den Berlin Marathon angereist und Natascha und ich hatten uns natürlich ins Zeug gelegt, um die beiden vom Streckenrand so gut wie möglich zu unterstützen. Aus irgendeinem Grund ist das fehlinterpretiert worden, denn Andrea meinte knapp drei Monate später an Weihnachten, sie hätte so ein Funkeln in meinen Augen gesehen und mein Weihnachtsgeschenk entpuppte sich als Startnummer für den Berlin Marathon 2012...

Oh mein Gott! Ich war natürlich glücklich über das geschenkte Vertrauen, aber mein Körper schaffte gerade so 10 km, wie sollte ich also über 42 km durchhalten???

 

Wie eine Geste ein Leben verändern kann...

 

Ich startete direkt nach Weihnachten mit dem Training. Der Staub wurde von den Laufschuhen gepustet und alles, was ich tun konnte, war, Kilometer zu sammeln und hoffen, dass irgendwo in mir Leistungsvermögen steckt, das bis jetzt unentdeckt blieb. Die nächsten neun Monate bis zum Marathon sollten eine Entwicklung nehmen, die ich nie hätte so voraussagen können. Die Qual, laufen zu müssen, weichte und machte einem Gefühl Platz, das bis dahin nicht zu meinen festen Begleitern gehörte: Ehrgeiz. Im Februar lief ich meinen ersten 15km-Wettkampf – in 1:30h. Kurz darauf konnte ich die 10 km zum ersten Mal unter 60 Minuten beenden. Im April folgte ein weiterer unvergesslicher Augenblick, das erste Mal 21,1km – der Halbmarathon, vor einem Jahr noch unvorstellbar!

Die sportliche Entwicklung förderte etwas zu Tage, was ich nie für möglich gehalten habe. Eine völlig neue Art der Selbstwahrnehmung, ein neues Selbstwertgefühl, ein viel stärkeres Selbstbewusstsein, wodurch nicht nur sportlich sondern auch privat und beruflich sich vieles positiv verändern sollte. Ich verlor die Angst, meine Grenzen auszutesten. Aus „nein, lieber nicht...“ wurde ein „Ja!“.

Im Laufe der Marathon-Vorbereitung wurden die Trainingsrunden immer länger. Ein Problem, das  sich dadurch ergab, war die Getränkeversorgung. Ich hatte einfach keine Lust, über 30 km eine Flasche mit mir herumzutragen. Hier möchte einen besonderen Dank an die Berliner Marathon-Legende Bernd Hübner und seinen Lauftreff aussprechen, die mich herzlich willkommen hießen und durch deren super Organisation es richtig Spaß machte, 30 km und mehr zu laufen. Doch selbst 33 km sind nicht 42,2 km und der 30. September war nun da.



Es wird ernst...

 

Eine riesige Menschenmasse bevölkerte den Tiergarten am Morgen des Marathon-Tages. Ich verabschiedete mich von Natascha, sowie von Andrea und Kay, die für den Skating-Marathon am Vortag angereist waren. Alle drei wünschten mir viel Erfolg und sollten im Laufe des Rennens eine große Stütze werden. Für ein störungsfreies Rennen wollten meine Mama und meine jüngste Schwester sorgen, die sich extra als Streckenposten meldeten. Ein kurzer Blick eines Sicherheitsmannes auf meine Startnummer genügte und ich bekam Einlass in den Läuferbereich. Jetzt gab es kein Weg zurück mehr und während ich mich zu meinem Startblock begab, wurde ich doch ziemlich nervös. Der Puls stieg auf 120 Schläge pro Minute. Als Marathon-Neuling ohne Zeit startete ich im letzten Startblock, dem Block H, oder wie der Moderator es beschrieb, im Startblock für alle, die nicht so auf die Uhr schauen und einfach stolz sind, diese Laufleistung zu erbringen. Das musste sich noch herausstellen.

Gute 20 Minuten nach der Elite wurde die Strecke für uns „Genießer“ freigegeben. Auch unsere letzte Minute vor dem Start wurde durch „Sirius“ von Alan Parsons Project begleitet. Drei, zwei, eins... Jetzt sollte sich entscheiden, wie gut die Vorbereitung, wie stark der Wille wirklich war. Die Nervosität weichte einem ersten Adrenalinschub. Das Publikum am Start sorgte für eine unglaubliche Stimmung, der Schritt über die Startlinie fühlte sich an wie ein Schritt in eine andere Welt.


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