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Laufberichte

Samstags auf der Kampfbahn

 
Autor: Joe Kelbel

Der Name der Wettkampfstätte für die diesjährige Deutsche Meisterschaft im 100 km Straßenlauf macht scharf: August-Bebel-Kampfbahn. August-Bebel, man kann es kam glauben, war Kölner. Der Begründer der Sozialdemokratie wurde 1840 dort geboren. Nach Leipzig kam er um Arbeit zu suchen, er war Drechsler. Er fand Arbeit, mobilisierte die Arbeitnehmer zu Protesten, weil er das Essen nicht mochte.

In Leipzig fand er auch Julie, sie war Putzmacherin. Nicht, was ihr denkt. Das war die Bezeichnung für eine Modedesignerin, in diesem Falle Hutmacherin. Sie unterstütze August wärend seiner Haftzeit. Die gab´s wegen seiner Nähe zu Karl Marx und Friedrich Engels. Da war dann auch noch der Leipziger Hochverratsprozeß (1872), aber wir wenden uns nun dem heutigen Kampfgeschehen zu, der rund um den Auensee stattfindet.

Der Auensee lieferte das Material für den Leipziger Hautbahnhof, denn das Gelände des HBF´s ist eigentlich sumpfig, weswegen man den Fluß Parthe weit hinter das Bahnhofsgelände umleiten musste, und 7 Meter tiefe Gründungspfeiler in die Erde trieb. Der Leipziger HBF ist eine Pracht, viel freundlicher als die meisten Bahnhöfe im Westen.

Vom HBF kommt man mit der Straßenbahn 10 und 11 nach Leipzig-Wahren. Dort steht die  Gnadenkirche aus dem Jahr 1004, die der römisch-deutsche Kaiser und König von Italien, Heinrich II, hat erbauen lassen, da Heinrich aus Versehen die vorherige Kapelle bei einem Kampf nahe der Kampfbahn zerstörte.

Der Campingplatz Auensee liegt direkt an der Kampfbahn, dort kann man preiswert Hütten mieten. Eine Wiese lädt zum Wildcampen ein. Der Parkplatz lädt Wohnmobile, die Sporthalle lädt mich ein.

Geboten wird eine 10 km Strecke und Verpflegung alle 3,3 km. Nachmelden ist bis 30 Minuten vor dem Start möglich. Eigenverpflegung bunkert man entlang der Kampfbahn.

An diesem Lauf darf jeder teilnehmen, er muss keinen Startpass haben, das gilt nur für diejenigen, die an der Deutschen, Bayerischen oder Sächsischen Meisterschaft teilnehmen.

Es gibt auch eine 50 km Wertung und wer will, kämpft dann bis zu 5 Runden weiter, sofern er unter 13 Stunden bleibt. Ab km 50 gibt es alle 10 km eine Zwischenwertung.

Der Boden und die Wände der Turnhalle sind mit Teppichboden aus der Zeit von August Bebel ausgelegt, das dämpft die Kampfgeräusche der zahlreichen Schlafenden. Um 23 Uhr wird es mir zu blöd, ich mache das Licht in der Halle aus.
 
Im Halbschlaf denke ich an Leipzig, eine Stadt, die mir sehr gefällt. Vor fünf Jahren haben mir die renovierten Häuser sehr gut gefallen, heute sind die bunten, mit Stuck verzierten Prachthäuser mit Schmierereien überdeckt und stehen vielfach leer. 

 

 

Samstag, Kampftag

 

Um drei Uhr fangen die ersten Kameraden an, sich kampfklar zu machen. Um vier Uhr entdeckt jemand den Lichtschalter. Im Vereinsheim gibt es Frühstück, auf der Kampfbahn werden Tische mit Eigenverpflegung bestückt. Die Reihe der vollgestellten Tische ist beeindruckend, die Fülle der Nahrungsmittel erst recht. Vor allem die Menge der künstlichen Nahrung erschreckt mich. Aber es werden auch Grills aufgestellt und Kartoffeln gepellt, fehlt nur noch die Saftpresse. Die vielen Saftflaschen einer Molkerei dominieren die meisten Aufbauten. Diese Unternehmensgruppe firmiert übrigens in Luxemburg und nicht in Bayern.

Nach 27 Jahren ist der Start das erste Mal auf dem Weg vor der Kampfbahn, denn für die Deutsche Meisterschaft wurde die Strecke millimetergenau neu vermessen. Es ist eine 10 km Runde mit je 15 Höhenmetern, 70 % davon Begegnungsstück, der Rest eine Runde um den Auensee.

Mein Schlachtplan für den heutigen Kampf ist, mir die 50er Wertung zu holen und dann 10, 20 Kilometer draufzusetzen. Nach den 100 Meilen von Berlin vor 6 Tagen ist das bestimmt kein schlechtes Konzept.

 

 

Nach knapp zwei Kilometern laufen wir über die Brücke, die die Neue Luppe quert. Bei dem engen Läuferfeld schwankt die Konstruktion besorgniserregend. Die Neue Luppe ist ein Kanal von 1930, er leitet das Wasser der vielen ehemaligen Nebenflüsse der Weißen Elster ab, was leider heute morgen nicht geklappt hat, meine Schuhe sind naß.

Das folgende Naturschutzgebiet Burgaue kann eigentlich seinen Namen nur von einer Wasserburg haben. Aber nein, sie hieß früher Bürgeraue, weil hier die Bürger von Leipzig Holz schlagern durften.

Wir kommen zum Versorgungspunkt „Pilz“. Hier gibt es Bananen, Pellkartoffeln, Brot, Bier, Schleim, Iso, Tee, Wasser, Malzbier und vieles mehr, wie auch auf der Kampfbahn. An diesem VP kommen wir zweimal vorbei. Ein wunderschönes Flüsschen ist die Nahle, die Nahles nicht. Die neue Luppe wird wieder überquert, dann beginnt die Runde um den Auensee.

Dort war einst der größte Freizeitpark Deutschlands. Der Lunapark ging allerdings in der Weltwirtschaftskrise 1929 Bankrott. Die Miniatur-Eisenbahn ist gerade 65 geworden, sie legt eine sagenhafte Strecke von 1,9 Kilometern zurück, man zahlt dafür 3 Euro.  Im Vergleich dazu ist der 100 Km Lauf mit 50 Euro bedeutend preiswerter. Bei der Parkeisenbahn sind Kinder die Schaffner, beim 100er strenge Kampfrichter.

Meine erste 10 Kilometerrunde ist ok, die zweite dauert 10 Minuten länger, die dritte nochmals 10 Minuten, die vierte nur 5 Minuten mehr, es eröffnen sich mir neue Perspektiven. Allerdings eröffnet der Biergarten des Auenhauses auch und macht meine neuen Perspektiven zunichte.

 

 

Das Auenhaus hat sich in den letzten Jahren zu einer festen Größe im nationalen und internationalen Konzertbusiness entwickelt. Vor Jahren blieb ein Fan im Schornstein stecken und starb, er wollte ohne Eintrittsgeld hinein. In zwei Wochen gibt es „Über sieben Brücken“ mit den größten Hits der DDR.

Karat durfte 1979 in West-Berlin mit „Über sieben Brücken“ auftreten. Im September 1981 stellte die Gruppe beim Weltfriedenstag auf dem August-Bebel-Platz in Ost-Berlin das Lied „Der Blaue Planet“ vor, ihr größter Erfolg. Sie durften bei Thomas Gottschalk auftreten: „Uns hilft kein Gott unsere Welt zu erhalten!“
Am 15.10. tritt übrigens die bildhübsche Vanessa Mai auf und präsentiert das dem coolsten Läufer (Joe) gewidmete Lied: „Ich sterb für dich!“ vor. Ich sterbe zwar nicht, allerdings ist nach so einer Rast der Wille, nochmals den Kampf anzugehen,  nicht mehr gegeben.

Ich beende den Lauf wehmütig nach 50 Kilometern. Auch Wolfgang und Stefan, die letztes Wochenende die 100 Meilen gelaufen sind, beenden ihren Lauf nach 50 Kilometern, allerdings planmäßig.

13 Stunden ist das Gesamtzeitlimit. Ich könnte als noch 20, 30 Kilometer drauflegen, allerdings verbietet es mir meine Religion, bei einem so schnellen Wettkampf als Geher zu erscheinen. Außerdem warten in der Burgaue blutrüstige Monster: Kriebelmücken, die wie dicke Fruchtfliegen aussehen. Während die Stechmücken eher Ruhe zur Landung brauchen, wird die Kriebelmücke bei unserer heutigen Kohlendioxidspur zum blutgeilen Monster, und riskiert jede Landung.

Meine Landung in der Kampfbahn endet also definitiv nach 50 Kilometern. Ich beobachte den Zieleinlauf der neuen Deutschen Meister, André mit klassem Comeback (6:55:27) und Nele mit neuer Spitzenzeit( 7:29:04), nur eine Deutsche war je schneller als sie.

Vor den Sanitäranlagen des Vereinsheimes lungern Offizielle mit Plastikröhrchen rum. Mit dem großen Schild „Dopingkontrolle“ sind sie hinter den neuen deutschen Meistern her. Ich habe schon unter der Dusche gepinkelt, ich werde ja nicht kontrolliert.

Die nächste Deutsche Meisterschaft im 100 km Straßenlauf findet 2017 auf einer brandneuen 5 Kilometer Runde in der Innenstadt von Berlin statt, lasst Euch überraschen. Ich dagegen werde nächstes Jahr wieder hier in Leipzig antreten. 

 

Ergebnisse Deutsche Meisterschaft 100 km

 

Männer

1. André Collet1Aachener TG6:55:27
2. Michael Sommer Eichenkreuz Schwaikheim7:15:54
3. Alexander DautelLG Nord Berlin7:16:58

 

Frauen

1.  Nele Alder-Baerens       Ultra Sport Club Marburg            7:29:04
2.  Branka Hajek     LAZ Salamander Kornwestheim-LB         8:15:30
3.  Susanne Kraus  SV Grün-Weiß Kassel    8:19:44                

 

Informationen: 100km-Lauf am Auensee
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