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Laufberichte

“Land unter” zwischen den Ozeanen

08.04.12

 

“Oceans of Mud”- der Zieleinlauf auf dem Uni-Campus 

 
Von der M3 werden wir direkt auf das weite, grüne Rugby-Feld zu Füßen der Universität geleitet. Die Hoffnung auf das nahe Ziel mobilisiert die letzten Kräfte. Eine letzte Runde müssen wir auf dem elastischen und durch den Regen zusätzlich aufgeweichten gepflegten Rasen noch zurück legen. Ein seltsames Gefühl nach 55,5 km hartem Asphalt. Die meisten werden diesen halben Kilometer aber als höchstpersönlichen Triumphzug erleben. Ein erhebendes Gefühl ist es, den banden- und fahnengesäumten Parcours durch die weitläufige Zeltstadt, die auf dem Rugbyfeld errichtet wurde, zurückzulegen, angefeuert aus zahllosen Kehlen derer, die sich entlang der Banden und auf den Tribünen versammelt haben, begleitet von lauter Musik und der Kommentierung des Zieleinlaufsprechers. Eine spezielle Herausforderung halten die letzten 100 Meter bereit. Denn hier haben die Heerscharen der Halbmarathonläufer den feuchten Boden bereits derart malträtiert, dass nur eine Schlammgrube übrig geblieben ist, sehr zur Freude der Zuschauer und zur Überraschung der einlaufenden Ankömmlinge. Ich versuche wie viele noch am Bandenrand ein halbwegs gangbares Wegstück zu finden. Aber da habe ich keine Chance: Meine Laufschuhe, die zwar pitschnass, aber bisher sauber waren, bekommen eine dicke Schlammpackung verpasst. Aber als glücklicher Finisher nimmt man das ohnehin gelassen und freut sich voyeuristisch an den Manövern und Verrenkungen derer, die noch nach einem einlaufen. 

Nach 5:11 Std. endet für mich das Lauferlebnis Two Oceans Marathon, im Verlauf etwas anders als erhofft und erwartet, aber dennoch mit dem Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben. Im Ziel werde ich, wie alle Einläufer zwischen fünf und sechs Stunden, mit einer Bronze-Medaille dekoriert. Vier weitere Medaillenkategorien gibt es: Gold für die ersten zehn, silber für alle sonstigen Läufer unter vier Stunden. Die sogenannte “Sainsbury”-Medaille für Läufer zwischen 4 und 5 Stunden erinnert an den langjährigen Renndirektor der Veranstaltung. Und alle, die das Rennen zwischen 6 und 7 Stunden schaffen, erhalten die blaue Medaille.

Gewinner des heutigen Rennens ist bei den Männern Stephen Muzinghi aus Zimbabwe, der nach drei Comrades-Erfolgen hintereinander mit 3:08:08 Std. nun auch hier die Konkurrenz deklassiert.  Bei den Frauen setzt sich einmal mehr eine der Nurgalieva-Zwillinge, dieses Mal Elena in 3:41:55 durch. Schon sechs der acht letzten Rennen hatten die beiden Russinnen unter sich ausgemacht. Die fast schon “steinalten” Streckenrekorde, aufgestellt vom Südafrikaner Thompson Magawama mit unglaublichen 3:04:44 im Jahre 1989 und der gleichfalls aus Südafrika stammenden Läuferin Frith van der Merwe mit 3:30:36 im Jahre 1988, bleiben allerdings einmal mehr unangetastet.

Mit dem Zieleinlauf ist der Renntag allerdings noch nicht beendet. Nach einer kurzen Stärkung im International Tent, in dem speziell für die internationalen Starter eine ausgezeichnete und üppige Zielverpflegung, etwa Burger mit Putenfilets oder Lasagne, bereit gehalten wird und in dem ich endlich einmal auch einen Wolkenbruch trocken erleben darf, reihe auch ich mich in die trotz des Regens zahlreichen Zuschauer ein, die den Zielkanal bevölkern.

Der Morast vor dem Ziel hat in der Zwischenzeit noch dramatischere Ausmaße angenommen. Knöcheltielf versinken die Läufer auf der vollen Breite im Schlamm. Manchem reißt der Sumpf den Schuh von den Füßen, sodass er ihn vor dem Weiterlaufen erst einmal suchen darf. Ganz Schlaue ziehen schon vorher die Schuhe aus und laufen barfuß ins Ziel. Ein halbes Dutzend Fotografen hat sich auf der Jagd nach dem besten Schnappschuss vor der Schlammgrube positioniert. Und die Ausbeute ist reichlich. Tatsächlich werden diese Bilder am nächsten Tag die Presse prägen. Und eine Tageszeitung wird den diesjährigen Two Oceans Marathon sehr treffend mit “Oceans of Mud” betiteln. 

Die Stimmung kocht richtig hoch, als die sogenannten “busses” einlaufen, die Pacemaker für die Zielzeiten 6:00 und 7:00 samt Gefolge. Ein göttliches Bild ist es, die Massen euphorisiert durch den Schlamm spritzen zu sehen und man merkt den Läufern an, dass es ihnen mindestens so viel Spaß macht wie den Zuschauern. 

Als der letzte 7:00-“bus” gegen 13:22 Uhr eingelaufen ist, wird es spannend. Wenige  Minuten sind es noch bis zum Zielschluss um 13:25 Uhr. Wer schafft es noch? Und wer nicht mehr?
Der Zielmoderator kommentiert immer aufgeregter das Geschehen und heizt zusätzlich die Stimmung an. Jede der letzten Minuten wird lautstark angesagt. Jeder, der jetzt noch einläuft, wird euphorisch gefeiert. Und es spielen sich wahre Dramen ab. Ein Läufer stolpert und fällt der Länge nach in den Schlamm. Schnell rappelt er sich hoch und eilt als wandelnde Schlammpackung triumphierend ins Ziel. Einem anderen versagen die Beine. Er stürzt und wird von einem anderen Läufer hochgezogen. Dieser ist aber nicht in der Lage, den zu jeglicher Bewegung der Beine unfähigen Läufer allein weiterzuziehen. Ein Zielhelfer eilt herbei und gemeinsam schaffen sie es, den Läufer noch vor dem Zielschluss über die Ziellinie zu schleifen, wo ihn sofort Sanitäter in Empfang nehmen.

Die letzten Sekunden werden herunter gezählt. Ein Mann setzt auf den letzten 50 Metern zu einem aberwitzigen Spurt an. Und schafft es tatsächlich in letzter Sekunde ins Ziel. Sofort wird er eingefangen und zu wartenden Presse abgeführt. Der Läufer hinter ihm, den er noch überholen konnte, dagegen resigniert. Hilflos muss er zusehen, wie die Kette “Offizieller”, die sich auf der Ziellinie aufgereiht hat, mit dem Schlussschuss diese von einer Sekunde auf die andere mit einem Seil versperrt. Schluss, aus, hier gibt es kein Pardon, so sind die Gesetze des Laufs. Sieben Stunden, “gun to gun”, hat man Zeit, und keine Sekunde länger. Wie um es sich selbst zu beweisen, reißt der Läufer seine Arme dennoch in Siegerpose hinauf. Dafür bekommt er auch Applaus, aber sein unbewegtes Gesicht spricht eine ganz andere Sprache. 

Wow, war das ein Spektakel! Wo gibt es so etwas in Europa? Nirgendwo.

Allein um dieses emotionale Feuerwerk beim Finale zu erleben, lohnt es sich, hier einmal an den Start zu gehen. Dass das Wetter in diesem Jahr ausnahmsweise einmal nicht so recht mitgespielt hat, ist natürlich schade. Ein überaus beeindruckendes Erlebnis war der Lauf aber dennoch, allein schon wegen der Passage über den Chapman’s Peak Drive.

Womit sich unwillkürlich die Frage stellt: Wer ist denn nun mehr zu empfehlen: Der Comrades oder der Two Oceans Marathon? In Sachen Organisation sind beide Läufe perfekt. Das “Geschwister-Verhältnis” ist gerade hier in zahllosen Parallelen erkennbar. Die spektakuläreren Streckenabschnitte und die mit Kapstadt attraktivere “Location” hat zweifelsohne der Two Oceans Marathon. Andererseits hat auch der Punkt zu Punkt-Kurs des Comrades seine ganz besondere Ausstrahlung und vermittelt das Land letztlich authentischer. Auch hält er für den Läufer insgesamt doch einiges mehr an Stimmung entlang der Strecke bereit. Und dann ist da natürlich auch noch jene emotionale Komponente, einen solchen Lauf bewältigt zu haben, und da spielt der Comrades in einer anderen Liga. Letztlich würde ich sagen: Der Two Oceans Marathon ist der vielleicht geeignetere Lauf für den Südafrika-Einsteiger, der Comrades für den “Fortgeschrittenen”. Erleben sollte man jedoch möglichst beide.

Wer sich für den Comrades Marathon interessieren sollte, der kann unter  http://www.marathon4you.de/laufberichte/comrades marathon/84 comrades marathon 2009 the ultimate human race/964 Einiges mehr über den Lauf erfahren.

 
 


 
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