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Laufberichte

Endlich Kiel geholt

25.02.17 Kiel-Marathon
 

Als regelmäßiger Ostsee-Urlauber am Schönberger Strand in Schleswig-Holstein, welcher etwa 20 km nordöstlich der Landeshauptstadt Kiel liegt, fasste ich schon früh den Entschluss, auch an der Küste einen Marathon zu laufen. Der Gedanke kam mir während eines herrlich langen Strandlaufes. Damals, von Malmsteg über Schönberg nach Laboe, immer entlang der Kieler Bucht. Ein toller Abschnitt mit vielen Singletrails, entlang weiter Dünen, Strandwege und steilen Klippen. Dass es aber noch einmal satte drei Jahre dauern würde, bis endlich der Startschuss am westlichen Teil der Förde in Kiel fallen und ich voller Begeisterung losrennen durfte, hätte Ich rückblickend nicht  gedacht.

Die letzte M4Y-Berichterstattung vom Kiel-Marathon liegt gar satte 5 Jahre zurück. Woran mag das liegen? Weil es sich um einen Wintermarathon handelt, welcher Ende Februar ausgetragen wird? Klar ist da nix mit Sonne, Strand und blauem Himmel bis zum Horizont. Für viele mag die schnelle Wendepunkt-Strecke zudem eine gewisse Monotonie ausüben, aber gerade diese Entscheidung der Veranstalter, den Lauf entlang der Kieler Innenförde zu organisieren, war goldrichtig. Aber: als Auswärtiger verlange ich doch vor allem ein maritimes Erlebnis, und den bekommen die mittlerweile weit über zweitausend teils internationalen Läufer wie ein Fischbrötchen lecker-salzig serviert. Kiel ist nicht nur Sailing- City, hier lädt das Ufer zum Promenieren, Radfahren und Joggen ein. Hunger bekommen?

 

Anreise

 

Nach einer mehrstündigen Autofahrt von Hannover nach Kiel am Vorabend der Veranstaltung erreichen meine Frau und Ich endlich das Ostseeterminal, um noch vor Schließung die Unterlagen abzuholen. Hier, wo sonst Reisende für Kreuzfahrten einchecken, haben wir Glück und treffen zum einen Organisator und treibende Kraft Nils Hagge sowie Bernd Bichel, dem ersten Vorsitzenden des im Frühjahr 1998 gegründeten Vereins LG Power-Schnecken. Nach ausgiebigem Schnack mache Ich noch schnell einige Fotos von dem gewaltigen Innenraum des vollverglasten Terminal. Spätestens morgen früh wird es hier vor internationalen Läufern an der Startnummernausgabe, dem Verpflegungsstand sowie diversen Verkaufsständen nur so wimmeln. Wir checken jedoch woanders ein: auf der Ostseite der Förde im Hotel Alter Seehafen. So, und wo gibt es jetzt noch Fischbrötchen? Na gut, dann also der Kieler Döner Marke Jumbo und dann mal ab ins Bett!

 

Aufbruchstimmung im Cruise Terminal

 

Der Wecker klingelt zeitig. Nach einem kurzen Frühstück düsen wir los. Unweit vom Ostseekai wirft mich meine Frau dann aus dem Auto, um eine nahegelegene Parkmöglichkeit zu finden. Mit einer kräftig steifen Brise knallt mir der zunehmend heftiger werdende Wind ins Gesicht. Jawoll, so mag ich's doch! Je rauer, umso besser! Den Transponder hab ich bereits heute Morgen am Schuh befestigt, und nun fummele ich noch eben die Starternummer mithilfe vierer Magnetpins ans Shirt. Praktisch! Nun hab ich noch einige Minuten und  verschaffe mir auf die Schnelle einen Überblick in dem nun wuseligen Innenbereich des Terminals. Hier nesteln viele Läufer auf unzähligen Zeltgarnituren ebenfalls an Ihren Schuhen, Shirts und Hosen herum. Eine allseits bekannte Zeremonie!

 

 

 

Stadt-Küsten-Lauf

 

Nun sollte ich mich aber mal sputen, also renne ich fluchtartig aus dem Gebäude, um nicht den Marathon-Startschuss um 10 Uhr 20 zu verpassen. Die 10-Km-Läufer waren uns bereits gut zwanzig Minuten im Zeitplan voraus. Kaum reihe mich ins letzte Drittel, knallt's und wir werden von der Leine gelassen.

Erwähnte ich schon die herrliche Monotonie einer Doppelwendepunkt-Strecke? Hallo? Das meine ich ganz und gar nicht ironisch. Der Streckenverlauf hat den immensen Vorteil, dass sich die Läufer in allen Disziplinen 10 Km (Start bereits um 10 Uhr), Halbmarathon (Start erst 11 Uhr 15) und Marathon ständig über den Weg laufen. Wahrlich clever organisiert. Und das Beste: Immer schön entlang der Förde. Wasser satt!

 

 

Schnell erreicht der Läuferstrom die Uferpromenade und es geht stetig geradeaus. Spaziergänger entlang der Kiellinie applaudieren, rasseln, grinsen. Die wetterfesten Kieler sind echt gut drauf und gänzlich unbeeindruckt vom Miesepeter-Nieselregen. Das maritime Flair der Strecke hat mich nun voll im Griff und so mag man entschuldigen, dass ich entlang der Kaistraße bis hoch zum nördlichen Wendepunkt bei Km 4-5 ziemlich wenig Augen habe für Aquarium, Landtag und Ministerien. Vielmehr fasziniert mich die Seeseite der Innenförde mit ständiger Blickrichtung nach Nordosten. Unübersehbar der Industriekomplex mit seinen gewaltigen Kränen der Kieler Traditionswerft. Ein gut siebzehn Km langer Fjord, von dem die Läufer immerhin gut die Hälfte zu Gesicht bekommen würden. Während wir den Sporthafen Düsternbrook passieren, kommen uns bereits die ersten 10-Km Läufer entgegen.

 

Die Sache mit dem Fuß

 

Unvermittelt werde ich von einer Marathonläuferin angesprochen. „Hey, Du machst für die Webseite Fotos vom Lauf?“, fragt sie mich und zeigt dabei auf mein Shirt, auf dem unübersehbar das Marathon4you-Logo prangert. „Jau! Laufen, schauen und berichten“, entgegne ich grinsend. „Schreibst Du viel?“, fragt mich Christine mit der Starternummer 4078. „So viele Berichte hab ich bislang nicht geschrieben. Der letzte liegt gar knapp ein Jährchen zurück,“ antworte ich und schaue dabei ein wenig nachdenklich Richtung Nordosten des Fjords, wo in weiter Ferne das Marine-Ehrenmal von Laboe zu sehen war. „Im Vorjahr, Anfang April, wollte ich frühmorgens mit dem Zug zum Osnabrücker Piesberg-Ultra anreisen. Die Bahnhofstreppe war nicht beleuchtet, und so habe Ich die leere Konservendose übersehen, die achtlos auf der Treppe lag. Nach dem heftigen Sturz, der folgte, hab ich mich zunächst zombie-artig Richtung Zug geschleppt und die Schmerzen ignoriert. Was soll ich sagen? Er fuhr doch glatt ohne mich los. Und so hab ich mich dann nach Hause gequält, auf's Sofa geknallt und abgewartet, bis die Familie irgendwann ausgeschlafen hat. Danach sind wir ins Krankenhaus gefahren, dort stellte man recht schnell fest: Wadenbeinbruch, rechter Fuß.“

Christines Gesichtsausdruck kommt mir bekannt vor, während uns Spaziergänger applaudieren, die auf der Hafenpromenade flanieren. „Tags darauf wollte ich den Hannover-Marathon laufen, also einen Doppeldecker. Pustekuchen. Ach ja: wenige Monate später hatte ich mir noch den großen Zeh zertrümmert, erneut auf der rechten Seite. Ich wollt bloß was hochheben und hatte mich verschätzt. Naja, das Ende vom Lied: die Lauferei konnte ich mir erst mal abschminken,“ fasse ich zusammen. „Gut, dass Du jetzt wieder drüber lachen kannst. Den PUM kenn' Ich übrigens auch,“ entgegnete Sie.

 

 

Von rechts holt derweil ein Läufer mit Vornamen Noud auf und spricht mich zwar in Deutsch, aber mit leichtem, niederländischem Akzent an: “Hey Du, machst Fotos, ja? Das echt cool! Und dabei noch laufen, ja?“. Ich muss unversehens loslachen! „Ja genau: laufen, schauen und berichten!“ antworte ich wiederholt und stelle mich bereits darauf ein, dem Niederländer ebenfalls die Sache mit dem Fuß zu erzählen.

 

Nördlicher Wendepunkt

 

„Wir betreten neue Wege, die wir noch nicht hatten. Und ich nehm' euch mit 'n Stück in meinem Windschatten. Mario B. ist auf der Reise und hat Rückenwind...“
Während Ich gedanklich einen bekannten Song von Thomas D. trällere, führt unser Weg weiter Richtung Hindenburgufer und Tirpitzhafen, dem Marinestützpunkt. Und so muss ich unvermittelt an die Kieler Woche denken, als Ich die gewaltig leisen Fregatten beim Vorbeilaufen näher in Augenschein nehme.  Neben den Segelregatten und dem Sommerfest ist das Internationale Flottentreffen im Marinestützpunkt Kiel stets eines der zentralen und traditionellen Elemente der maritimen Großveranstaltung. Wer also mag, sollte in der letzten vollen Juniwoche (17. -25. Juni) vorbeischauen.

Ah, was seh' ich da? Der erste VP! Kaum erreiche ich jedoch die Wende und drehe dort um, ballert mir der Wind einmal mehr entgegen! Gegenwind vom feinsten! „Deinen Kampfgeist will Ich seh'n, mien Pööks!“, ruft mir jemand entgegen. Ich nehme einen Becher warmen Tee (großes Kino!) entgegen, kippe diesen sachte hinunter und dann heißt es auch schon: Gegenwind, Attacke! Da Ich immer wieder anhalte, um aus bestimmten Perspektiven Fotos zu machen, vergrößert sich der Abstand zwischen mir und Noud sowie Christine zusehends. Nicht schlimm, vielleicht hole ich die beiden ja noch ein? Auf der Gegenspur kommt mir das Top 20 Läuferfeld bei Km 6 entgegen. Gerade rennt die stets strahlende Camilla Ahlberg mit der Nummer 4074 an mir vorbei und müsste bereits mehr als das doppelte an Kilometern in den Beinen haben. Rakete!

 

 

Schwedenkai, Sartorikai, Sündenkai

 

„Und mit so 'ner Einstellung werd' ich alles überleben, sagte ich nicht, irgendwann mal es wird Regen geben? Es gibt nicht nur Sonnenschein, doch ich lass' die Sonne rein...“

Ich habe zwar ein Multifunktionstuch um den Hals, aber das hängt da doch bloß zur Zierde. Raues Ostseewetter? I love it! Immer positiv denken, auch wenn der feine Nieselregen ununterbrochen ins Gesicht peitscht und eisiger Wind aus südwestlicher Richtung zu bremsen versucht. Und warme Gedanken machen. Wo wir gerade davon sprechen: lachend winkt mir meine Frau auf dem Düsternbrooker Weg Höhe Aquarium Geomar zu, macht ein Foto. Hach ja: Mario B. Ist auf der Reise und hat Gegenwind.

Vorbei am Ostseekai warten dort bereits ungeduldig die Halbmarathonis. Ich passiere das noch jungfräulich-frisch aussehende Starterfeld auf der linken Seite, vorbei an der besonderen Architektur des Schwedenkais, die ein Schiff darstellen soll. Vom Schwedenkai aus verkehren unter anderem die Passagierfähren der schwedischen Reederei Stena Line auf der Route Kiel – Göteborg. Und wer mal wieder Lust auf Heringsangeln hat, besucht unmittelbar neben der Kieler Altstadt den Sartorikai, einer der bekanntesten Angelplätze, unweit der backsteinfarbenen Speichergebäude. Kein Bock auf Fisch? Auch gut: Steife Brisen und heiße Mädchen versprechen vermutlich die direkt gegenüberliegenden Laufhäuser, mitten im Stadtkern von Kiel, im Herzen der roten Meile. Dann taucht auch schon der südliche Wendepunkt vor mir auf,  und die Erste Runde mit einer Länge von 10,5 km im Seesack!

 

 

Kiel ist noch viel Meer

 

Wem zehn Kilometer nicht genug sind, macht sich erneut auf dem Weg. Und noch einmal. Und zu guter Letzt geht ja wohl noch eine vierte Runde. Oder? Nun hatte ich mir zum einen vorgenommen, sowohl Noud und Christine einzuholen als auch die Landseite einmal näher in Augenschein zu nehmen, um weitere Details dieser Strecke einzufangen. Diese ist – entlang der Uferpromenade – immerhin belebt und gesäumt von einer Reihe von Bootshäusern von Ruder-Vereinen, Kanuten und Seglern.  Aber: beides wollte mir nicht so richtig gelingen. Sehnsucht nach Meer halt. Und so laufe ich immer weiter, genieße und schaue stumm: Auf das Wasser, auf die zunehmend rauen Wellen, auf die großen und kleinen Schiffe. Mich stört dabei nicht einmal der regenverhangene, graue Himmel. Tja, selbst wenn man nicht direkt am Strand steht, fühlt man hier die See. Aber ich beobachte auch die Kieler. Mit Ihren Wind abweisenden Jacken scheinen diese ja stets für stundenlange Spaziergänge gerüstet zu sein. Als Auswärtiger, der nicht so privilegiert wohnt wie die Menschen an der Ostsee...war ich durchaus schon ein wenig neidisch.

 

Laufend Kielholen

 

Runde um Runde ein Genuss, dieser Wintermarathon. Das Training der letzten Wochen hat sich gottlob bezahlt gemacht, und auch der Fuß zickt nicht herum. Eine zugegebenermaßen recht makabre Assoziation schießt mir dann irgendwann während der dritten Runde durch den Kopf: das Ganze hier hat was von Kielholen. Ich spreche jedoch nicht vom an Land holen des Schiffes, um Säuberungsarbeiten an Rumpf und Schiffskiel durchführen zu können. Mitnichten. Vielmehr war es damals in zweiter Bedeutung eine Bestrafung für Seeleute, die im 16. und 17. Jahrhundert von verschiedenen Kriegsmarinen durchgeführt wurde. Der zu Bestrafende wurde an einem Tau quer – oder gar längsschiffs unter dem Schiffsrumpf durchgezogen. Auf See? Aber natürlich! Da Kiel und Rumpf des Schiffes in der Regel mit scharfen Muscheln besetzt war, kann man sich gut vorstellen, mit welchen Verletzungen der Kiel geholte aus dem Wasser gezogen wurde. Die Doppelwendepunkt-Strecke hier als Schiffskiel, im übertragenen Sinne. Kopfkino!


Augen auf und durch

 

Ich passiere das Km-40-Schild. Auf der linken Seite kommt mir Christine entgegen, wir klatschen fröhlich ab! Ein letztes Mal kommt die südliche Wendeschleife in Sicht, der wetterfeste Helfer nickt mir trotz des unaufhörlich prasselnden Nieselregens unter seiner dicken Kapuze aufmunternd zu. „Hast es gleich geschafft,“ ruft er mir noch zu. „Leider!“, rufe ich zurück. Ja, diesen Lauf habe Ich mit jeder Faser genossen, keinen Gedanken an   eine   Runterzählerei von Kilometern verschwendet. Ey, der Typ hat ne Meise, aber Rückenwind...

 

 

Beschwingt renn' ich ins Ziel und nehme dankbar die hübsche Medaille in Empfang. Auffällig die Rückseite: das Marine-Ehrenmal Laboe. Na sowas? Der Niederländer steht ebenfalls im Zielbereich. Wir umarmen uns, als seien wir langjährige Kumpels, während seine Frau ein Foto von uns macht. Umgehend ist auch meine Frau an der Reihe, lang und innig drücken wir uns. Der erste Marathon nach langer Zeit, ich habe ihn geschafft: für mich, für die M4Y-Fans, für den Fuß, für den inneren Seelenfrieden.

Und jetzt ab nach Hannover, sonst buche ich die nächste Ferienwohnung! Reisen ist gesund, ich hau ab und zieh Leine. Und ihr seht mich als Punkt, am Horizont verschwinden, um ein Stück weiter hinten mich selbst zu finden...

 

Impressionen

 

 

 


Marathonsieger

 

Männer

1 Ahlburg, Martin  Die Laufpartner  02:42:17
2 Speed, James  02:44:03
3 Brito da Rocha, Bruno   Run fleet  02:47:12

Frauen

1 brock, Katrine  Kims Cykelservice  03:01:58
2 Dreßler, Almut   Die Laufpartner  03:03:00   
3 Ahlberg, Camilla  SOK Knallen  03:09:37  

267 Finisher

 

Informationen: Kiel-Marathon
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