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Laufberichte

51 Kilometer durch den Harz

30.04.05
Autor: Klaus Duwe

Herrliches Wetter und ideale Laufbedingungen bei der 26. Harzquerung von Wernigerode nach Nordhausen

 

Über 500 Kilometer sind von mir aus nach Wernigerode zu fahren. Das letzte Stück zeitraubend über Bundesstraßen. Es ist dann auch schon dunkel, als ich die Stadt im Harz erreiche. Um dann dort das Organisationsbüro zu finden, brauche ich noch einmal Geduld. Das erste handgeschriebene Pappschild mit entsprechendem Hinweis entdecke ich unmittelbar am Straßenschild „Unter den Zindeln“ in der Nähe vom Westerntor. 200 Meter weiter ist dann bereits die Turnhalle mit dem Organisationsbüro. Dann klappt aber alles wie am Schnürchen. Die Anmeldung ist noch geöffnet, ich bekomme meine Startnummer und beziehe Quartier in der Turnhalle.

 

Dann muss ich mir noch etwas die Beine vertreten und gehe in die Stadt. Ich war noch nie in Wernigerode und bin neugierig, so mich meine Laufleidenschaft heute hinführt. Es sind nur ein paar Minuten. Erst durch das schon erwähnte Westerntor, dem ehemaligen Zoll- und Eingangstor im Westen der Stadt mit dem 38 Meter hohen Turm, dann kurz auf der gepflasterten Straße vorbei an herrlichen mittelalterlichen Fachwerkhäusern, und schon sehe ich auf rechten Seite den Marktplatz mit dem einmalig schönen, 1277 erbauten Rathaus und dem Wohltäterbrunnen davor. Er wurde 1848 errichtet. Darauf sind die Wappen und Namen wohltätiger Adliger verewigt. Verdiente Bürger der Stadt sind namentlich erwähnt.

 

Hinter dem Rathaus, auf einer Anhöhe, ist schön beleuchtet das Schloss aus dem 12. Jahrhundert zu sehen. Einem Hinweisschild entnehme ich, dass dort ein "Feudalmuseum" mit ca. 40 Ausstellungsräumen eingerichtet ist. Nur ein paar Schritte weiter ist das 1583 erbaute Café Wien mit seiner prächtigen Fassade. Als Kaffeehaus wird es schon seit 1897 genutzt.

 

Ich gehe ein Stück weiter und komme zum Krummelschen Haus, das 1674 mit einer komplett aus Holz geschnitzten Fassaden erbaut wurde. Ich bin sprachlos, fast jedes Haus in der Breiten Straße ist ein Schmuckstück für sich. Trotzdem, ich muss umkehren, morgen ist ein anstrengender Tag.

 

Die Geschichte der Harzquerung geht bis in die siebziger Jahre zurück. Es war seinerzeit die Idee von Herbert Pohl, der bis zu seinem Tode 1993 auch die treibende Kraft im Organisationsteam war. Nachdem der Lauf zwischenzeitlich vom DDR-Regime verboten war, gibt es die Harzquerung nun seit 1988 ununterbrochen. Die Hauptinitiative liegt heute beim Skiclub Wernigerode 1911 e.V. und der Familie Unverzagt. Schon immer war die Veranstaltung für Wanderer und Läufer offen. Drei Strecken sind im Angebot: 25 km von Wernigerode nach Benneckenstein, 28 km von Benneckenstein nach Nordhausen und als Ultrastrecke die 51 km von Wernigerode nach Nordhausen.

 

Ich schäle mich schon früh aus meinem Schlafsack und entgehe so dem später einsetzenden Andrang auf die nicht sehr zahlreich vorhandenen Toiletten und Waschplätze. Selbstversorgung ist angesagt. Ich bin nicht so gut vorbereitet wie die vielen anderen, die in der Turnhalle geschlafen haben. Also mache mich auf den Weg, um mir ein Frühstück zu besorgen und mir bei der Gelegenheit noch einmal die herrliche Innenstadt bei Tageslicht zu begucken.

 

Es wird ein schöner Tag werden. Die Sonne geht am strahlend blauen Himmel auf. Frisch ist es noch, aber das wird sich auch noch ändern. Die Atmosphäre vor dem Start ist eine ganz eigenartige. Gelassenheit ist angesagt. Von der sonst üblichen Nervosität und Hektik vor einem Marathonstart ist hier nichts zu spüren. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind abgeklärte, weit gereiste und Langstrecken erprobte „Profis“. 51 Kilometer schrecken die nicht. Jeder trifft hier Bekannte, manche kennen wohl alle. Spitzenläufer, Breitensportler und Hobbyläufer, hier sind sie eine große Familie.

 

Das Gepäck wird auf das bereitstehende Fahrzeug gegeben und pünktlich um 8.30 Uhr ist der Start in der Salzbergstraße. Nur ein kleines Häufchen (ich vermute mal: die mitgereisten Partner), hat sich eingefunden, um die paar Hundert Läufer mit Applaus auf die Strecke zu verabschieden.

 

Auch der Start ist unspektakulär. Keine Gedränge und Geremple. Würde auch nichts bringen, es geht gleich bergauf und manche beginnen deshalb gleich gar nicht erst mit dem Laufen sondern marschieren.

 

Als es nach ungefähr zwei Kilometer auf einen schmalen Pfad geht, ist das Feld schon so auseinander gezogen, daß das keinerlei Probleme macht. Nach nur einer halben Stunden Laufzeit habe ich schon alles hinter mir, was die Strecke zu bieten hat: breite und schmale Wege, steile Anstiege und Abwärtspassagen und flache Abschnitte auf gut gepolsterten Waldwegen. Es ist still im Wald, obwohl hinter mir und vor mir Läuferinnen und Läufer in Sichtweite sind. Nur das Vogelgezwitscher und der eigene Atem sind zu hören.

 

Genau das habe ich jetzt nach etlichen Cityläufen in Folge gebraucht. Ich laufe gerne auf den asphaltierten Straßen durch die Städte, aber genauso schätze ich die Landschaftsläufe durch die Stille der Natur. Wobei so ein Landschaftsmarathon ganz andere Anforderungen an die Teilnehmer stellt. Meist sind die Strecken recht anspruchsvoll, der ständige Wechsel von Auf und Ab lässt einen gleichmäßigen Laufrhythmus kaum zu, und die von Unebenheiten und Wurzeln durchzogenen Wald- und Wiesenwege erschweren das Laufen obendrein. Zeiten, wie man sie von den Stadtläufen her gewohnt ist, kann man sich also von vornherein abschminken. Das ist auch einer der Gründe, weshalb die „erprobten Ultras“ die Strecke so gelassen angehen. Zeit spielt nicht die Rolle. Das Erlebnis steht im Vordergrund.

 

Ich überhole gerade Ulrich Etzrodt, der sich als Brockenhexe verkleidet hat, und sehe dazu passend rechts am Horizont den mit 1142 Meter höchsten Berg des Harzes, der beim Brocken-Marathon (8. Oktober 2005) überquert wird. Nach 45 Minuten erreiche ich die Zillierbach-Talsperre und laufe ungefähr 10 Minuten am wild bewachsenen Seeufer entlang. Es ist in dieser Jahreszeit besonders schön hier im Wald. Das kräftige Grün des jungen Grases zwischen den dunklen Bäumen wird durch die Sonnen-strahlen noch auffälliger. Dazu permanent das Gezwitscher der Vögel und ab und zu das Rauschen eines Bächleins. Welch ein Kontrast zu der Geräuschkulisse eines Citylaufes mit Trillerpfeifen, Gejohle und Sambatrommeln.

 

Nach einer Stunde höre ich zum ersten Mal Motorengeräusche von der nahe liegenden B 27, die wir auch gleich überqueren. Polizei und drei Helfer erfüllen eine Doppelfunktion: sie halten die wenigen Autos an und klatschen den Aktiven Beifall. Nach einer Stunde und zwanzig Minuten erreiche ich bei Neue Hütte und 11,5 Kilometern die erste Verpflegungsstelle. Es gibt Iso, Tee, Wasser, Bananen, Orangen, Äpfel und Schmalz- und Butterbrote.


Ich laufe weiter und komme nach 10 Minuten nach Königshütte, überquere die Hauptstraße und nach einem kurzen Stück auf dem Wiesenweg führt ein Steg über die Kalte Bode und anschließend ein steiler Pfad bergauf.

 

Die Wege sind sehr gut markiert. Auf dem Boden sind Pfeile und zusätzlich an den Bäume Schilder und Bänder. Kilometerangaben werden nur an den Verpflegungsstellen gemacht. Hin und wieder kommt eine matschige Passage, und ich kann mir vorstellen, welche zusätzliche Erschwernis auf die Läuferinnen und Läufer zukommt, wenn es regnet. Heute ist aber herrlicher Sonnenschein, ich freue mich an der herrlichen Strecke und laufe bis auf die steilen Anstiege alles durch.

 

Jetzt komme ich auf eine Hochfläche, die mich sehr an den Schwarzwald erinnert. Das Gras ist noch mehr braun als grün. Der Winter ist hart im Harz und in diesem Jahr war er wie überall auch noch sehr lang. Der Wind weht frisch, aber nicht unangenehm. Der Weg verläuft nun fast eben über eine lange Strecke.

 

Nach über zwei Stunden Laufzeit habe ich mich an die ständigen Wechsel von auf- und abwärts gewöhnt. Trotzdem spüre ich, dass das Bergauflaufen heute nicht so mein Ding ist und ich nehme mir vor, jetzt wieder öfters auf meiner bergigen Hausstrecke zu trainieren. Ich habe das in diesem Jahr sehr vernachlässigt, weil ich zwischen den Marathonläufen nur 3 – 4 langsame Läufe von 40 Minuten in der flachen Rheinebene absolviert habe.

 

Es geht wieder über eine Verkehrsstraße, artig erfüllen die Helferinnen und Helfer ihre Doppelfunktion, halten zwei Autos an und klatschen mir Beifall. Gleich laufe ich über die Warme Bode und anschließend ein Stück am Bach entlang. Dann geht es links steil den Wald hoch. Ich komme auf eine Lichtung und sehe links unten Autos in der Sonne blitzen. Es ist die zweite Verpflegungsstelle, die ich kurz vor 11.00 Uhr, also nach ziemlich genau 2:30 Stunden Laufzeit erreiche. Hier ist auch Streckenteilung. Die 25 km gehen geradeaus nach Benneckenstein, ich laufe links weg auf der 51 Kilometer-Strecke Richtung Sophienhof.

 

Zwanzig Minuten später erreiche ich den kleinen Ort Trautenstein, überquere die Hauptstraße und laufe dann rechts ins Dammbachtal, immer dem unkontrolliert im Zickzack verlaufenden Bach entlang. Plötzlich werde ich unsicher. Bin ich noch richtig? Kein Mensch ist zu sehen. Etwas beunruhigt laufe ich weiter. Dann, bei der nächsten Abzweigung wieder eine Markierung. Erleichtert lege ich einen Zahn zu.

 

Gleich wird es wieder steiler. Ich begegne einigen Wanderern mit schweren Rucksäcken. Respektvoll gehen sie zur Seite. Über eine breite Forststraße geht weiter auf schmalem Pfad. Plötzlich überholen mich etliche Läufer, fast im Sprinttempo. Wo kommen die denn her? Klar, sie sind auf der 28 Kilometer-Strecke, die in Benneckenstein startet und auch nach Nordhausen führt. Nach einer Weile wird ein Bahndamm überquert, es geht ganz kurz auf dem Schotter entlang und dann rechts wieder in den Wald.

 

Ich habe mir mein kleines Radio eingesteckt. Ich denke aber überhaupt nicht daran, mir die Stöpsel ins Ohr zu machen, sondern genieße die Stille und die Landschaft mit allem, was sie zu bieten zu hat. Bei Kilometer 31 erreiche ich die dritte Verpflegungsstation in Sophienhof. Es ist 12.20 Uhr. Zu der wieder reichhaltigen Getränkeauswahl und den Schmalz- und Butterbroten gibt es auch noch aufmunternde Worte. Jede Läuferin und jeder Läufer nimmt sich Zeit, um sich zu versorgen. Auch hier keinerlei Hektik.

 

In der Ausschreibung wird auf die Verpflegungssituation hingewiesen. Deshalb hat auch fast jeder eine Trinkflasche und seine Lieblingsriegel dabei, um sich zusätzlich selbst zu versorgen. Von hier aus geht es meist abwärts, nicht steil, es ist sehr gut zu laufen. Auffallend ist das zarte Grün der Buchen, die hier erst ganz zaghaft ausschlagen. Um 12.55 Uhr erreiche ich Netzkater, einen kleinen Bahnhof der Harzbahn. Gleich dahinter beginnt der Anstieg zum Poppenberg, unserem nächsten Ziel. Ständig geht’s bergauf, teilweise sehr steil. Dann kommt eine längere flache Passage. Ich überhole einige Marschierer, kurze Wortwechsel und jeder geht wieder sein Tempo. Um 13.35 Uhr erreiche ich bei Kilometer 39 den Gipfel. Ziemlich unspektakulär hier. Nur ein großer Turm und zwei kleine Schutzhütten, sonst gibt es nichts zu sehen. Also trinken und dann weiter.


Es geht zunächst leicht, dann aber teilweise recht steil abwärts. In dem dichten Wald, wo kaum die Sonne durchkommt, ist es im Vergleich zum schweißtreibenden Aufstieg recht kühl. Der Abstieg geht mächtig in Knie und ich bin froh, dass ich bald aus dem Wald heraus bin und auf eine vor lauter Löwenzahn knallgelbe Wiese komme. Genauso knallgelb ist der Dress von Siegrid Eichner, die mich mit ihrer Begleitung an dieser Stelle überholt. Sie wird für den Rest der Strecke immer in Sichtweite hinter oder vor mir sein. Siegrid ist eine Berühmtheit. Letzte Woche in Hamburg hat sie ihren 1.000 Marathon gemacht, mehr als jede andere Frau weltweit, wie Fachkreise zu berichten wissen.

 

Vor mir sehe ich die Ruine Hohenstein, darunter ist der Parkplatz und eine Freizeitanlage. Kurz darauf erreiche ich Neustadt, laufe über die Hauptstraße und durch das alte Steintor. Jetzt überhole ich auch einige Teilnehmer, die die 51 Kilometer wandernd absolvieren. Sie konnten schon in aller Frühe um 5.00 Uhr starten. Ein paar Leute auf der Straße schauen die Teilnehmer staunend oder ratlos an. Keine Hand rührt sich zu einem anerkennenden Klatschen. Aber es wird auch keiner ausgepfiffen.

 

Gleich kommt die fünfte Verpflegungsstelle bei Kilometer 43. Es ist 14.10 Uhr. Komisch, kein Gedanke daran, dass jetzt schon mehr als die Marathondistanz zurückgelegt ist und eigentlich Schluss sein könnte. Ich bin mental auch gar nicht auf 51 Kilometer eingerichtet, sondern auf ungefähr 6 ½ Stunden Laufzeit, die ich mir ausgerechnet habe. Die sind noch nicht rum, also geht es weiter ohne Probleme.

 

Inzwischen ist es richtig warm geworden. Wir sind auch raus aus dem Wald und laufen jetzt auf einer asphaltierten Straße Richtung Nordhausen. Für meine Füße ist das eine richtige Wohltat. Aber nach einem kurzen Stück geht es links ab. Bevor wir über den Hügel laufen, gibt es noch einmal Getränke. Jetzt noch 4 Kilometer.

 

Oben auf dem Hügel dann der Blick auf Nordhausen, das auf einem gegenüber liegenden Hügel liegt. Es geht abwärts auf einem schmalen, zerfurchten Pfad. Vorsicht ist angesagt, bloß nicht umknicken. Meine Befürchtung, dass es auf der anderen Seite noch einmal hoch geht, bestätigt sich zum Glück nicht. Wir bleiben unten und laufen weiter abwärts, bis ich links schon den Sportplatz sehe. Jetzt die letzten paar hundert Meter, dann der Zieleinlauf. Rechts und links liegen die Finisher auf dem Rasen. Der eine oder andere ist so nett und spendet freundlich Beifall. Ein kurzer Händedruck im Ziel, ein flotter Spruch, das war’s.

 

Dann eine kurze Erfrischung, 10 Minuten sitzen, durchatmen und genießen. Abschied von den vielen Bekannten und dann in den vollbesetzten Bus und stehend über eine Stunde zurück nach Wernigerode. Eine lange Heimfahrt steht bevor.

 

Streckenbeschreibung:

Bergiger Punkt-zu-Punkt-Kurs auf meist schmalen Pfaden. Landschaftlich äußerst attraktiv. Strecken

25 km von Wernigerode nach Benneckenstein,

28 km von Benneckenstein nach Nordhausen und

51 km von Wernigerode nach Nordhausen

 

Logistik:

Startnummern gibt es im Organisationsbüro in der Turnhalle Unter den Zindeln. Dort auch Übernachtungsmöglichkeit für 3 Euro

 

Verpflegung:

Unterwegs nur 6 Getränke- und Verpflegungsstationen. Verschiedene Getränke (Tee, Iso, Wasser) und Essen (Schmalz- und Butterbrote, Orangen, Äpfel). Es empfiehlt sich daher, eigene Verpflegung mitzuführen.

 

Auszeichnung:

Urkunde, wird gegen Gebühr zugeschickt.

 

Informationen: Harzquerung
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