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Laufberichte

Auf Trails durch die Rheinschlucht

 

Bevor sich bei Reichenau im Schweizer Kanton Graubünden Vorderrhein und Hinterrhein vereinen, fließen beide durch faszinierende Schluchten, die außer ihrer landschaftlichen Schönheit wenig gemeinsam haben. 

Seit 2014 gibt es am Tag vor dem seit Jahren beliebten Transviamala, der durch die Schlucht des Hinterrheins führt, nun einen Trailmarathon durch die Ruinaulta, die Schlucht des Vorderrheins. Die meisten Teilnehmer beschränken sich auf einen der beiden Tage, man kann sich aber auch für beide Tage anmelden und steht dann nicht nur in den beiden Tageswertungen, sondern auch in einer Gesamtwertung. 

Der Trailmarathon führt mit 42 km und 1800 Höhenmetern von Ilanz, der ersten Stadt am Vorderrhein, bis nach Donat am Hinterrhein, wo am nächsten Tag der Transviamala startet. 

Eines der Kriterien, nach denen ich „meine“ Veranstaltungen auswählen, ist der Wunsch, durch Landschaften zu laufen, die ich noch nicht kenne. Da ich schon mein ganzes Leben lang in Karlsruhe lebe, ist der Rhein für mich ein gewohnter Anblick und ich kenne von der Quelle des Vorderrheins bis etwa nach Köln den größten Teil des Flusses. Aber die beiden Schluchten blieben bisher für mich noch unbekannte Ziele. Daher ist klar, dass ich hier an beiden Tagen starten will.

Neben vielen ambitionierten Teilnehmern und ebenso vielen Genussläufern steht auch sportliche Prominenz am Start. Emma Pooley, die amtierende Weltmeisterin auf der Duathlon-Langdistanz, wird morgen den Transviamala gewinnen und in der Gesamtwertung als zweite Frau stehen. 

Ich fahre bereits am Freitag mit dem Zug in die Schweiz und steige beim kleinen Bahnhof Versam Safien mitten in der Rheinschlucht aus. Hier werden wir auch morgen früh beim Marathon vorbei kommen, aber heute will ich das herrliche Wetter nutzen, um abseits der Laufroute zu einigen Picknickplätzen direkt am Fluss zu spazieren und anschließend zu einer Aussichtsplattform oberhalb der höchsten Felsen zu wandern. Der Blick von oben ist grandios.

Am frühen Abend spaziere ich durch die kleine, unscheinbare Altstadt von Ilanz, der ersten Stadt, die der Vorderrhein auf seinem Weg vom Gebirge herab erreicht. Dann sehe ich, wie vor dem Rathaus gewaltige Felsblöcke von zwei Tiefladern mit Kran geladen  und als würdiger Rahmen für unseren Start aufgestellt werden. Gleich unterhalb der Rathaus-Treppe wurde auf dem Asphalt extra für uns ein „Trail“ aus Sägemehl, Holz- und Rindenstücken aufgeschüttet.

Am nächsten Morgen gibt es in der Mehrzweckhalle von Ilanz ab 7.30 Uhr die Startnummern, Kaffee und Kuchen. Wer am Ziel in Thusis übernachtet oder parkt, der wird mit kostenlosen Shuttle-Bussen hier her gebracht. Umgekehrt gibt es am Mittag natürlich auch Busse für die Leute, die wie ich nach Ilanz zurückkehren wollen.

Ich bin es seit Jahren gewohnt, dass ich bereits kurz nach dem Start eines Rennens am Ende des Feldes laufe. Doch heute sind die schnellen Läufer schon eine halbe Stunde lang unterwegs, bis ich überhaupt loslaufe. Das liegt aber nicht daran, dass ich verschlafen hätte. Weil die Strecke schon bald nach dem Start über sehr schmale Trails führt, gibt es heute keine Startblocks sondern Einzelstarts. Die Läufer, die bei ihrer Anmeldung schnelle Zehnerzeiten angaben, dürfen zuerst los. Die anderen finden die geplante Startzeit auf unseren Startnummern. Hinter den extra für uns aufgestellten Felsblöcken reihen wir uns entsprechend der Nummer in die Schlange ein, was super schnell und problemlos klappt. Alphornbläser sorgen für die passende Stimmung. 

30 Minuten nach dem Spitzenläufer renne auch ich ein paar Treppenstufen hinab, über den Sägemehl-Parcours und dann für kurze Zeit auf dem Fußgängerweg entlang der Hauptstraße. Doch die Veranstalter meinen das mit den Trails wirklich ernst. Daher verlassen wir gleich die Straße, laufen über einen Rasen, eine Böschung hinauf und dann weglos hinter einem Parkplatz vorbei. Noch ein kurzes Asphaltstück über eine Brücke, schon habe ich echten Trailboden entlang des Flusses unter meinen Füßen. Super!

Heute ist perfektes Lauf- und Fotowetter. Wolkenlos, windstill, morgens etwas kühl, mittags bis zu angenehmen 16 C.  Nur auf den ersten Kilometern bedeckt an schattigen Stellen noch etwas Raureif den Boden. Manchmal sehe ich den Atem der Läufer vor mir als Wölkchen aufsteigen.  Ich hatte nicht erwartet, dass wir hier auf so tollen Trails laufen dürfen. Die ersten Kilometer verlaufen zwar ohne große Höhenunterschiede, tendentiell sogar leicht abwärts, aber der oft sehr wurzelige, manchmal steinige, aufgrund der trockenen Witterung nur ab und zu leicht schlammige Untergrund bereitet mir perfektes Trailvergnügen.

Zwischendurch führt die Route zwar auch über normale Wege, doch die schönen Trails dominieren. Jetzt verstehe ich, warum wir heute nur einzeln mit ein paar Metern Abstand starten durften. Die schmalen Pfade bieten nur wenig Platz zum Überholen. Doch zumindest in meinem Bereich des Feldes stellt das kein Problem dar. 

An einigen Stellen liegt eine dünne Nebelschicht über dem Fluss. Wo die Sonne hin scheint, leuchtet buntes Herbstlaub farbenfroh auf, in der Ferne sehen wir schneebedeckte Alpengipfel. Wie schön, dass ich auf meinen läuferischen Reisen immer wieder auf solch herrlichen Wegen das Leben genießen darf!

Da im engen Tal kaum Forstwirtschaft möglich ist, umgeben uns oft noch recht ursprünglich wirkende Wälder. Mal laufen wir direkt am Ufer des Rheins, mal ein Stück abseits. Es wird nie langweilig.  An einer Stelle hängen sehr viele mit Tautropfen besetzte Spinnennetze an den Ästen über uns. Viele Pilze wachsen am Wegrand. 

Bei km 6,8 erreichen wir am kleinen Bahnhof Valendas-Sagogn die erste Verpflegungsstelle. Wir sehen immer mehr die für diese Schlucht typischen weißen Felswände vor und neben uns. Die Ruinaulta bietet uns eine Landschaft, wie man sie auch in den Alpen nur sehr selten findet. Umgeben von weißen, über 300 m hohen Steilwänden windet sich der Vorderrhein hier in engen Schlingen durch das Gebirge. Aber nicht nur die Landschaft fasziniert. Auch die Geschichte der Entstehung dieses Naturwunders ist außergewöhnlich.

Vor etwa zehntausend Jahren stürzten beim größten nacheiszeitlichen Bergsturz in den Alpen mehr als 10.000 Millionen Kubikmeter Fels in die Tiefe. Auf einer Fläche von mehr als 50 Quadratkilometern wurde das Tal mehrere hundert Meter tief mit Schutt verschüttet. Dadurch konnte der Fluss nicht mehr abfließen und wurde zu einem etwa 25 km langen See aufgestaut. Im Laufe der Zeit grub sich der Vorderrhein nun seinen neuen Weg durch die Schuttmassen, so dass diese grandiose Schlucht entstand.

Wir verlassen für eine Weile das Ufer und steigen etwas höher den Hang hinauf, wodurch wir eine schöne Aussicht genießen können. Dann folgt ein  märchenhafter Abschnitt. Direkt unterhalb einer Felswand führt uns ein Trail bergab. Gleichzeitig sehen wir vor uns auf der gegenüberliegenden Flussseite ebenfalls gewaltige weiße Wände, umgeben von Wald. Ein herrlicher Anblick! Hier macht das Laufen sehr viel Spaß. Kein Wunder, dass an dieser Stelle gleich mehrere Profi-Fotografen die Läufer aufnehmen.

Nun kommen wir in den Bereich, wo die Schlucht am tiefsten ist. Bis zu 300 m erheben sich die Wände über uns. Danach verlassen wir den Fluss für eine Weile und steigen weit in die Höhe. Wunderschöne Blicke hinab zum Fluss und den hohen, weißen Felswänden sind der Lohn für die Mühe. 

Beim Bahnhof Versam-Safien müssen wir die Gleise der Rätischen Bahn überqueren. Damit hier kein Teilnehmer unnötig Zeit verliert oder sogar zu einem gefährlichen Sprint auf einem geschlossenen Übergang verleitet wird, liegen auf beiden Seiten Zeitmessmatten, so dass eventuelle Wartezeiten neutralisiert werden.

Noch einmal durchqueren wir ein sehr uriges Waldstück. An einer Stelle hat die Erosion den alten Weg zerstört, so dass wir ein paar steile Stufen hinauf zur Bahntrasse und wieder hinab steigen müssen. Vor lauter Fotografieren komme ich kaum voran, aber Zeit ist mir heute völlig egal. Ich kenne keinen Traillauf, bei dem das Zeitlimit so großzügig auch den langsamen Teilnehmern ein erfolgreiches Finish ermöglicht, wie dieser. Ich will ganz einfach den Tag genießen, außerdem Kraft für den Transviamala morgen sparen.

Nachdem wir nun schon etwa 11 km durch die Schlucht gelaufen sind, verlassen wir den Vorderrhein nun an der Stelle, wo der Fluss eine spektakuläre, enge Schlinge in den Berg gegraben hat.  

Es geht steil bergauf. Sehr steil! Wer bisher dachte, das sei heute ein flaches Rennen, der hat die Ausschreibung nicht gelesen.  Der mühevolle Aufstieg wird mit tollen Blicken hinab in die Schlucht belohnt. Zwischendurch gibt es ein kurzes, flaches Stück zum Erholen, dann geht es wieder steil weiter.

Nach fast 300 Höhenmetern Aufstieg verlassen wir den Wald und sehen sonnige Bergwiesen vor uns, dekoriert mit farbenfrohen Herbstbäumen. Wenige Minuten später komme ich in Versam bei der zweiten Verpflegungsstelle an. 15 Kilometer sind jetzt schon geschafft.

Insgesamt wird uns auf der Strecke sehr viel Auswahl geboten. Wasser, Tee, Iso, Bouillon, Cola, Obst, Nüsse, Gebäck, verschiedene Riegel und Gels, Brot, dazu Schweizer Spezialitäten wie Mostbröckli (Trockenfleisch), Birabrot (Früchtebrot) oder Biberli.

Wie mittlerweile bei vielen Laufveranstaltungen wird auch beim Transruinaulta auf Plastikbecher verzichtet. Mit den Startunterlagen bekamen wir einen Faltbecher, der im Gegensatz zu den meisten anderen Bechern, die ich bisher für diesen Zweck erhielt, wirklich sehr gut ist und zukünftig bei allen meinen Läufen im Rucksack stecken wird.

Positiv überrascht bin ich, dass nahezu keine leeren Gelpackungen oder anderer Läufer-Müll an der Strecke zu sehen ist. Das ist leider nicht bei jeder Veranstaltung so.

Nun können wir etwa 160 Höhenmeter schnell bergab rasen, erst über Wiesen, dann im Wald auf Trails. Nach dem steilen Aufstieg macht das so richtig Spaß.Unten im Versamertobel überqueren wir auf einer Straßenbrücke eine kleine Schlucht. Dann folgt ein langer Aufstieg, meist auf breiten Forstwegen mit moderater Steigung, ab und zu unterbrochen durch kurze Zwischenabstiege. Immer mehr begeistern mich die Farben des Herbstes. Ende Oktober ist für diese Strecke wirklich die beste Zeit. Bald sehen wir das Rheintal unter uns. In der Ferne sehe ich die Hochhäuser von Chur. 

Auf und ab, Trails und Waldwege, nahezu kein Asphalt, dazu absolut perfekte Streckenmarkierung, so muss es sein! An kritischen Abzweigungen stehen Helfer, jede Straßenüberquerung wird gut gesichert. Hier kann wirklich nichts passieren.

Bei Versam erreichen wir das Tal des Hinterrhein. Hier ist bei der Verpflegungsstelle das einzige Zeitlimit unserer Strecke. 4:15 Stunden hätte ich für die ersten 25 km Zeit gehabt, ich bin aber trotz bequemem Trainingslauf-Tempo 45 Minuten früher hier. Für die letzten 17 km hätte ich nun sogar noch fast 4,5 Stunden Zeit.

Inzwischen ist es so warm, dass ich nur im T-Shirt weiter laufen kann. Frisch an der Verpflegungsstelle gestärkt, marschiere ich munter bergauf. Es geht 4,5 km auf nicht besonders steilen Forstwegen etwa 400 Höhenmeter konstant bergauf. Manche  Teilnehmer mögen das zermürbend finden, aber wenn man, wie ich, keine Eile hat, kann es sogar entspannend sein. 

Am höchsten Punkt dieses Streckenabschnitts ist wieder eine Verpflegungsstelle. Dann folgt zum Erholen ein kurzes, flaches Wegstück mit herrlicher Aussicht über das Tal und zu schneebedeckten Gipfeln. Bald geht es dann aber wieder bergab. Mit wenigen kurzen Gegenanstiegen laufen wir nun fast ganz ins Tal hinab.

Bei km 29,5 gibt es noch einmal etwas zu essen. Wieder folgt dann ein permanenter Wechsel aus Auf- und Abstiegen, Trails und Waldwegen. Die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel. Noch immer begeistern mich die Herbstfarben und ich genieße den Tag mit lachendem Herzen.

Vor einigen Indianerzelten stehen vier Männer und schwingen ihre Treicheln. Ich bin sicher, dass sie morgen Muskelkater in den Armen und Schultern haben werden.
Die Zeit vergeht im Nu. Kaum zu glauben, schon wieder ein paar Kilometer geschafft! Bereits eine ganze Weile sehen wir den Zielort Thusis vor uns, doch in der Ausschreibung wird extra gewarnt: "Die letzten Kilometer beinhalten nochmals 3 sehr steile Anstiege". 

Insgesamt ist die Strecke aber nicht extrem steil, auch die Trails kann man nicht als schwer bezeichnen. Doch dann zeigt ein Schild an: „Noch zwei Kilometer“. Wer aber glaubt, jetzt nur noch locker lässig zum Ziel sprinten zu können, der irrt sich gewaltig. Einen Kilometer geht es nun doch noch sehr steil auf einem Trail bergauf. Mir macht das Finale mit dem folgenden Sprint bergab richtig Spaß. Ein mäßig ansteigender Weg führt schließlich ins Ziel. 

Vor der Sporthalle in Thusis sitzen und warten schon die meisten anderen Teilnehmer. Mehr als 1,5 Stunden vor Zielschluss für mich der Lauf zu Ende. Ich hole meinen Rucksack mit den trockenen Klamotten, der am Rand des Zielgeländes liegt und ziehe mich um. Eine nette Frau bietet uns kleine, köstliche Häppchen an. Dann gehe ich in die Halle und hole mir eine Portion Pasta. 

Gelaufen bin ich heute sogar für meine Verhältnisse langsam und das war auch gut so. Doch nun folgt ein Geschwindigkeitsrekord. Da ich mit dem ersten Shuttlebus zurück fahren will, esse ich meine Portion Pasta in nicht zur Nachahmung empfohlenem Tempo. 

Dann fahre ich mit dem Shuttle zurück nach Ilanz, wo ich ein Hotelzimmer gebucht habe. Kurz nach der Buchung erfuhr ich von der lobenswerten Idee der Veranstalter, dass Teilnehmer der Läufe auch privat bei Anwohnern in der Region übernachten können. "Zu Gast bei Freunden" - dieses nette Angebot werde ich beim nächsten Mal auch nutzen. 

Den Transruinaulta beendeten 331 Männer und 104 Frauen.

 

Den Transviamala-Laufbericht mit vielen Bildern gibt es hier  

 

Die Gewinner sind:

Männer: 

1. Beat Ritter 
2. Daniel Bolt
3. Michael Bandli 

Frauen: 

1. Kathrin Götz
2. Regula Meier
3. Edith Kortekaas-Amelsfoort

In die Kombinationswertung kamen 95 Männer und 26 Frauen.

Die Gewinner sind:

Männer: 

1. Beat Ritter 
2. Daniel Bolt 
3. Iwan Schwarz 

Frauen: 

1. Kathrin Götz
2. Emma Pooley
3. Brigitte Eggerling 

 

Informationen: Transruinaulta
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