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Laufberichte

Hessisches Original

 

Neulich in einem hessischen Lauftreff
oder: Im Land der Wortlosen

 

Ich werde freundlich angesprochen. Wir wechseln ein paar Worte, schnell stellt sich heraus, dass der Läufer aus Bayern kommt. Das habe ich mir gedacht, dass des kein Hesse ist. Denn die sind verschlossen, introvertiert und misstrauisch. Dazu fällt mir ein Witz ein: Steigt ein Mann in die voll besetzte S-Bahn. Freundlich grüßt er die muffelige Gesellschaft der Fahrgäste: „Guten Morgen!“ Keine Reaktion, bis ein Fahrgast laut erwidert: “So was setzt sich hier nett dorsch“.

Mir ist da neulich so etwas passiert. Ich glaubte einen Landstrich der emotionalen Dürrekatastrohe zu betreten, statt einen Freizeit-Lauftreff. Jeder läuft gesenkten Hauptes. Kein Wort wird untereinander gewechselt. Falls doch, dann lausche ich den Gesprächen. Gut, ich gehöre nicht zur Stammlaufkundschaft. Dennoch teilen wir doch für etwa eine Stunde mehr oder weniger ein gemeinsames Interesse. Es kam schon vor, das ich mich am liebsten entschuldigt hätte, dass ich hier in das eingeschworene Grüppchen eindringe. Am liebsten möchte man die Augen senken, das sich einstellende Verpflichtungsgefühl abschütteln und den verkniffenen Läuferhäufchen schleunigst entfliehen, aber man zieht die Stunde dann doch noch durch. Eine Stunde Lauftreff hat so etwas wie „Täglich grüßt das Murmeltier“.

Von der Hauptwache (KM 8) laufen wir uff de Eschenhamer Gass (KM 8) entlang. Einst Zeitungsstraße genannt; mehr als 51 Jahre hatte die Redaktion der Frankfurter Rundschau ihren Sitz am Eschenheimer Tor, 2006 haute die Abrissbern alles kurz und gla. Es folgte rechter Hand das Großbauprojekt „Palais Quartier“. Namensgeber des Ensembles ist das Thurn-und Taxis-Palais, ein spätbarocker Repräsentationsbau. Wie ein gläserner Stachel mit kühler Extravaganz ragt dem Palais, wie aus dem Genick der einhundertsechsunddreißig Meter hohe, rautenförmige Wolkenkrater – teils Bürohaus, teils fünf-Sterne-Luxushotel.

Mitten in der Stadt laufe ich über farbenfrohe Herbstblätter und über tausende klebriger Pappbecher. An der Verpflegung da vorne  nemm mir gleich noch ein schnibbelsche Banähnsche. Da fällt mir uff, dass unglaublich viele Plattköpp heut unerweschs sind, warum die sich nett a Kapp uff de Herndeckel setze?

Vor knapp sieben Jahrhunderten war der 40 Meter hohe Eschenheimer Wach- und Wehrturm, den wir jetzt erreichen, der erste Hochbau, heute das älteste Bauwerk der Innenstadt. Ich mag den Kontrast zwischen alt und neu, zwischen Bruchsteinbau und Glasbeton. Am Giebel die durchlöcherte Fahne des Eschenheimer Tors. Auch am Römer Rathaus weht eine Fahne, darauf abgebildet ist ein Adler. Nein, nett der der Eintracht. Die, die ich mein is scho viel älder, ausem Middelalder, als Frankfurt noch Freie Reichsstadt war.  Piep, piep, piep. Wieder eine elektronische Messmatte, sie stoppt die Zwischenzeit. Einige rennen drauf zu auf  Deiwelkommraus, mir ist die Zeit heut grad worschd egal. Die Freßgass, die eigentlich Kalbächer Gasse heißt, ist erreicht.  

 

Goetheplatz, Goethestraße, Goethe-Universität

 

Im Westen des Rossmarkts, nur wenige Schritte weiter, steht eine Statue Goethes. Auf dem Platz unter ihm finden 600 Fahrzeuge Platz. Goethe hatte keine Parkplatzprobleme. Geneigt, gebildet und energisch, scheint er von seinem Sockel herunter springen zu wollen, um sich unter uns Läufer zu mischen. 

Die Bremer Straße (KM 10) zwischen Holzhausenpark und Grüneburgpark mit Universitätscampus Westend. Seit der Gründung der Goethe-Universität vor genau einhundert Jahren wurden 18 Nobelpreise an Wissenschaftler verliehen, die hier gelehrt und geforscht haben. In den schönen alten Parkanlagen, unter alten Bäumen, kann man sich von der Großstadt erholen und den Anblick des bunten Laubes genießen. Ich finde, dass sich keine Jahreszeit besser für einen Stadt-Marathon eignet als der Herbst. Frankfurt den Titel „Europäische Stadt der Bäume 2014“ zu verleihen, wäre in den vergangenen Jahren keinem Bürger reinen Herzens in den Sinn gekommen – bestenfalls hätte man solch eine Behauptung  vermessen genannt.

Vor uns liegen die ersten von insgesamt knapp 28 Höhenmetern. Jetzt geht’s iwwer die aale Brück (KM 13). Hier hat es letztes Jahr so gegosse, da war ich ruckzuck badschenass. Der Führende des Marathons wusste ganz sicher nichts von der Legende, die man sich von der Alten Brücke erzählt. Schlammfarben und träge fließt der Main unter der Brücke. Obendrauf hockt noch immer der vergoldete Brickegiggel. Der Bauherr der Brücke, so die Legende, sei in Verzug gewesen und habe den Deiwel um Hilfe gebeten. Dafür werde er die Seele desjenigen bekommen, der die Brick als erster überquere. Als der Meister die Brücke fertiggestellt hatte, ging er jedoch nicht selbst, dem Brauch gemäß, darüber, sondern überlistete den Deiwel und schickte einen Giggel. Ich habe keine Zeit, nach dem Giggel zu schauen. Ich bin einfach nur begeistert von dem Blick, der sich von dieser Brücke auf Frankfurts Skyline bietet. Der Himmel hinter den Hochhausbauten ist tief dunkel.

 

Uff der anner Maaseit

 

Wir sind dribbe, in Dribbdebach, also uff der anner Maaseit. Von hier führt der erste Gang jedes Touristen oder Zugezogenen zum Schoppeweipetze (Apfelwein trinken) nach Sachsenhausen, in die urigen Äppelwoi-Wirtschafte. Das Petzen, also das Trinken des Äbelwois, ist eine Art Einbürgerungstest: Wer trinkt, ohne das Gesicht zu verziehen, hat ihn bestanden. Do gibt es auch unseren leckeren und mageren "Handkäs' mit Musik". Musik deshalb, da die vielen Zwiwwelscher  im Bauch Gase bilden die beim Austritt an die Luft zu musizieren beginnen. Un dann erst de Schoppe im Gerippte, der für die Fremden so sauer ist, dass es ihnen glatt die Löcher in den Socken zusammenzieht. Wer das alles net mag, der isst halt ein Rummstick (Rumsteak) mit Grie´Soß´ (Grüne Soße).

Die Kunst- und Geschichtsinteressierten können ihren Hunger auf der Museumsufermeile stillen. Patrizierhäuser und Neubauten. Am Schaumainkai reiht sich ein Museum an das nächste.  Rechter Hand ist die schöne alte Fußgängerbrücke „Eiserner Steg“. Für mich, besonders in den Abendstunden, wenn sich Frankfurts beleuchtete Skyline auf dem Mainwasser widerspiegelt, ein ganz besonderer Platz. Praktisch betrachtet verbindet sie die Touristenmagnete Paulskirche/Römerberg mit Sachsenhausen.

Für kurze Zeit führt die Strecke weiter auf der Sachsenhäuser Seite am Main entlang. Ein Frachtkahn wird für kurze Zeit zum Begleiter. Ich sehe den roten Mainsandstein der Dreikönigskirche und die gläserne Front in Rautenstruktur des „Gerippten“ am Horizont auf der anderen Uferseite. Den Westhafen-Tower bezeichnen wir allgemein als Geripptes, da seine Fassade an ein überdimensioniertes Ebbelwoi-Glas erinnert. Am West- wie auch am Osthafen hat sich Frankfurt sehr stark verändert. Der einstige Westhafen mit den rotgeklinkerten Lagerhäusern.  Wo am Ufer die runden Stahlbehälter standen und ein paar Privatleute ihr Wochenendbötchen festmachten. Dort schwenkte ein Riesenkran über die Behälter und verteilte seine staubige Last in die davor festgemachten Frachtkähne. Heute sind dort Nobel-Immobilien mit eigenem Bootsanlegesteg.

Kurz vor dem Westhafen biegen wir linker Hand auf Sachsenhausens schönste Einkaufsstraße ab. Die Schweizer Straße mit dem Schweizer Platz, der 1877, warum auch nicht, nach Pariser Vor¬bild gestaltet worden war. Längst sind wir raus aus der quirligen Innenstadt und nähern uns bereits dem ruhigen Stadtwald – wenn man von den Flugzeugen die lautstark darüber krachen und ab und zu auch mal, ups, ein Teil verlieren, absieht. Prachtvolle Villen aus dem 19. Jhd., das sind die Bauten der Kennedyallee (KM 15). Etwas weiter, auf der anderen Straßenseite, stehen täglich die Objektschützer einiger Botschaften. Urplötzlich überkommt mich dieser Drang: Schelleklobbe (an fremden Türen klingen und wegrennen)! Tausende von Leut´  -  und känner war‘s.

Längst sind wir im Süden Frankfurts, dem Stadtteil Niederrad, angekommen, ganz in der Nähe der traditionsreichen Niederräder Galopprennbahn. Pünktlich zum Fürstentag wurde sie 1863 eröffnet. Unter den Zuschauern Kaiser Franz Josef von Österreich und König Maximilian der II. von Bayern und viele noble Gäste. Prinz Wilhelm von Hessen wurde als Bahnrichter tätig und der Graf Waldstein hob zum ersten Mal die Startflagge. Noch heute findet Jahr für Jahr auf dem Hippodrom über 200 Rennen statt. Damit jetzt ist Schluss, die Rennen bald nur noch Geschichte. Was mit dem 9-Loch-Golf-Platz in der Mitte des Areals passiert, kann ich nicht sagen, ich sag nur: „Erbarme -  zu spät, die Kicker komme“. Der Deutsche Fußballbund wird dort ein Leistungszentrum errichten – und wenn nicht hier, dann in Berlin.

„Zickzackhausen“ nennt man die heute gesperrte und sonst vielbefahrene Hauptstraße, wegen seiner in den 1930er Jahren wie im Zickzack gebauten Siedlungen. Heute in keinem Haushalt mehr wegzudenken: Die Einbauküche. Wer hat´s erfunden? Einer Frankfurterin.   Bereits in den 1920er Jahren ist eine weitere Siedlung am Stadtrand entstanden. Das Frankfurt mehr kulinarische Genüsse hat als Handkäs mit Musik, bewies Lacroix. Das schätzten auch Albert Schweitzer und Theodor Heuss, die Lacroix in seinem Delikatessen-Unternehmen in Niederrad besuchten. Der Badener Unternehmer war seit 1923 in Niederrad ansässig. Seine „Echte Schildkrötensuppe“ in Dosen war weltweit berühmt. Allein 1959 wurden auf dem Firmengelände 250 Tonnen gefrorene Schildkröten verarbeitet – heute unvorstellbar. Den Franzosen gefiel´s: Als einziger Deutscher in der „Academie Culinaire de France“ erhielt er für seine Leistung das Bundesverdienstkreuz und die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt.

 Ich bin umzingelt von Staffelläufern. 6000 sollen es sein. Ich mag es, die Läufer vor und um mich herum zu beobachten. Dem breiten Kreuz folgt ein dicker Bobbes und der münzgebräunte Hannebambel  rennt bulldogenartig alles in Grund und Boden. Die ane laufe schnell und floggisch, die annern lahmarschig und müd.

Zwischen Büro-Ödland und Gaddehäusje-Romantik führt die Strecke nach Schwanheim. Da steht ein Moderator des Hessen Fernsehens. Immer wieder sucht er Läufer für ein Interview. Die „Frankenfurt“ ist erreicht. Ich hab dorschd und nemm ein Becher Kliggerwasser an der Verpflegung. Schon ist die Halbmarathonmarke erreicht –die Zeit auf der Uhr verdränge ich. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn, denke an die Feuerwehrmänner.

 
 

Informationen: Mainova Frankfurt Marathon
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