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Laufberichte

Hessisches Original

 

Frankfurt im Ausnahmezustand

 

Ich laufe eng gedrängt inmitten der Hochhausriesen. Da vorne, der Main Tower. Vierthöchster und ebenfalls energieeffizienter Wolkenkratzer mit der höchstgelegenen Aussichtsplattform der Stadt (Tipp!). Im Erdgeschoss des Main Towers befindet sich ein besonderes Kunstwerk aus Mosaik: „Die Frankfurter Treppe“. 2,7 Millionen Steine waren notwendig, um 56 Persönlichkeiten Frankfurts darzustellen. Darunter Anne Frank und Marcel Reich-Ranicki.

Ines fackelt nicht lange und auch Hans ist binnen Sekunden verschwunden; ich muss es abrobbe lasse. Der Mann im hautengen Läuferhemd, wochentags vielleicht ein harter Entscheider im Zweireiher, nutzt die Gunst des Augenblicks und setzt sich von seinem Kumpel ab. Locker, irgendwie unangestrengt, leicht und fast schwingend; schon nach wenigen Sekunden verliert sich seine Spur im Getümmel. Endlich kommen die Hormone zu ihrem Recht. Die Evas am Trottwaa indes zeigen Härte. Sie feuern und beten ihre Helden an. Sie werden auch noch in drei, vier, fünf Stunden hier stehen. Wie kalt es auch sein mag. Sie sind guud druff, jubbeln, winken und halten Namensschilder hoch. Die Café- und Hotdog-Stände sind umlagert, die Gass is frisch gekehrt. Die blaugezogene Ideallinie zieht sich durch den Stadtkern von Frankfurt, Sachsenhausen, Niederrad, Goldstein, Schwanheim, Nied, Höchst, Gallus und an der Messe direkt ins Ziel. Viele wollen die schnelle und extrem flache Strecke nutzen, um vielleicht eine persönliche Bestzeit zu erzielen.

 

(km 0,5/3,5/36/41,5) Platz der Republik

 

Die ersten Meter entwickeln eine eigene Dynamik. Nach einem Linksschlenker, die erste Begegnungsstrecke. Schon ist das erste Stimmungsnest der Strecke erreicht, die Musik und die Anfeuerungsrufe machen gute Laune. Ich laufe weiter auf dem erhöhten Mittelstreifen, von dort oben habe ich alles im Blick – ein tolles Gefühl. Ich treffe Gudrun. Gudrun ist in Plauderstimmung. Was folgt ist ein dialektisches Babbelfeuerwerk. Pausenlos hessisch sabbert ihr das hessisch aus der Schnuud. Und da! Eine Gruppe Dänen. Zwischen all den Marsibils und Haraldurs, den Sigurds und Björks winkt mir jemand zu. Wenige Laufminuten später ist auch schon die Taunusanlage erreicht.

Der Blick fällt unausweichlich auf die 155 Meter hohen Zwillingstürme der Deutschen Bank Zentrale, „Soll und Haben“ genannt. Kulisse zerknautschter Boss-Sakkos und Boss-Gesichter. Die Doppeltürme sind mit 155 Metern markant und weit sichtbar und gehören zu den umweltfreundlichsten Hochhäusern der Welt. „Greentowers“, den Titel haben sich die Türme im Rahmen der größten Gebäudesanierung Europas verdient. Die Dinosaurier-Plastik vor dem Senkenbergmuseum verpasse ich. Ich bin auf der falschen Straßenseite, ein Durchkommen ist nicht möglich. Schon immer war Frankfurt am Main Mittelpunkt zentraler Verkehrswege, ideal also als Messe- und Handelsplatz. Fast 500.000 Menschen arbeiten hier. Keine andere deutsche Stadt hat mehr Pendler. Von den unzähligen Flugbewegungen mal ganz abgesehen. Wolkenkratzer stellen Erfolge zur Schau. Verrückt oder hochmütig, von Frankfurt als Grüne Stadt zu sprechen?

 

Grüne Lunge

 

Die Marathonstrecke verläuft auch durch Frankfurts grüne Ecken. Die Bäume sind mehr als nur grünes Schmuckwerk. Das nutzen einige Läufer hinter Büschen versteckt und unter Bäumen postiert. Mehr als 40 Parks gibt es bei uns. Viele stammen von den prächtigen Gärten der Familien Rothschild, Bethmann und Brentano ab.  Allein an der Mainzer Landstraße stehen 879 Bäume. Sie trotzen Abgasen, Wind und Wetter, Streusalz und eingeschränktem Wurzelplatz. Der älteste (erfasste) Baum wurde bereits um 1700 gepflanzt. An diese alte Linde hat vielleicht schon Goethe gepinkelt. Oh ja, Stadtbäume müssen wie Städter hart und robust sein. Kaiser Karl IV. lag nicht viel an Frankfurts umgrenzenden Wald. Kaiser und Könige kamen sowieso nur zur Krönung nach Frankfurt, gelebt haben sie an anderen Orten. Was also hätte der Kaiser mit dem Stadtwald anfangen sollen? Kurzerhand verkaufte er den Wald, das war vor 642 Jahren. Aber auch ohne den Stadtwald sind in Frankfurt mehr als 200.000 Bäume erfasst. Die Hälfte Frankfurts ist grün und das meine ich nicht nur politisch. Im 19. Jahrhundert entstand das Gründerzeitviertel wohlhabender Bürger inmitten grüner Parkanlagen.

 

Echte Kerle

 

Zwischen den Hochhäuserschluchten geht im Gegensatz zu letztem Jahr kein Lüftchen, mir ist warm und ich schwitze. Bis ich vor mir die Feuerwehrmänner sehe. Wie in der Sauna müssen die sich wohl fühlen? Ich vermute mal, dass es Staffelläufer sind. Ich komme mit Markus ins Gespräch. Er sagt mir, er heißt Markus Pein, Pein wie Schmerz. Wir müssen beide lachen. Denn der Name ist für ihn heute Programm. Er läuft heute zum ersten Mal in kompletter Feuerwehrschutzkleidung den Marathon. Zum Verständnis: Mit Atemschutzgerät, Helm und Sicherheitsschuhen, was ein Gewicht von etwa 24 Kilogramm bedeutet. Ich bin sprachlos und schwer beeindruckt. Strongmanrun oder Toughmudder – Darüber können die Feuerwehrmänner in Frankfurt wirklich nur schmunzeln. Nebenbei bemerkt wollen sie um Spenden zugunsten des Caritasverbandes (u. a. Hilfe für Kinder die Brandopfer sind) bitten. Nachwuchs und Freiwillige sind gern willkommen.

Palmengarten (KM 5), Frankfurts grüne Oase. Verschwommene Kindheitserinnerung. Durch die gläserne Kuppel des Palmenhauses schien nur fahl das Licht. Die Luft im inneren war kühl, nicht kalt. Riesige Bäume und Palmen, gar Schlingpflanzen? Von einem zehn Meter hohen Felsen floss Wasser in einen Teich. Darin übergroße, fette, orangefarbene Goldfische und viele, viele Kupfer-Pfennige. Immer wieder balancierte ich mit Hilfe von Steinen über das Wasser. Bei der Erinnerung daran geht mir das Herz auf und ich frag mich, ob es das so alles noch gibt? Ich nehme mir vor, dieser Frage gleich nächste Woche auf den Grund zu gehen. Weiter laufe ich Richtung Opernplatz. Dort war vor 200 Jahren Frankfurt zu Ende, die Stadt war von einer Mauer begrenzt. 

 

Opernplatz

 

Großbildleinwand – Zuschauermassen. Viermal laufen wir über den Opernplatz. Beim Anblick der Alten Oper sagte 1880 Kaiser Wilhelm der I.: "Das hätte Berlin sich nicht leisten können." Die Frankfurter, nebenbei bemerkt, auch nicht. Denn dessen Baukosten gerieten von geplanten zwei Millionen Mark auf zwanzig Millionen Mark.

Der Frankfurter Dichter Adolf Stolze formulierte die Inschrift am Dachfries um. Statt:  „Dem Wahren Schoenen Guten“ hieß es:  „Dem Wahre, Scheene, Gute, die Berjerschaft muß blute“. Plötzlich ein markerschütternder Schrei. Ein Jammerlabbe schmeißt sich mit Krämpfen und schmerzverzogenem Gesicht aufs Trottoir. Sofort eilen Helfer herbei und zerren und ziehen an seinem Bein.

Im 101 Meter hohen Japan Center in der Taunusstraße ist der höchstgelegene Club der Stadt. Heute sind die Hochhäuser menschenleer. Rotlicht- und Gründerzeit-Architektur in der Kaiserstraße, die wir nur streifen. Viel zu schnell ist der Kaiserplatz am „Frankfurter Hof“ erreicht. Melodie- bzw. Trommelfetzen begleiten uns bis an die Hauptwache.

 

Hauptwache

 

Frankfurts Hauptwache, einst ein kleines Wachgebäude von 1729. Gegenüber die barocke Katharinenkirche, von der man sagt, es wäre Goethes Taufkirche. Weimar schmückt sich mit Goethe, dabei hat er dort doch nur gelebt. Hallooo! Hier aber wurde er geboren, in der Seitenstraße des Großen Hirschgrabens. Hundert Meter weiter, an den inneren der beiden Stadtmauern, wurden im Mittelalter Hirsche gehalten, als lebender Fleischvorrat für eine eventuelle Belagerung. Ja, die Frankfurter sind ein schnäubisch Völksche. En Selfie hier, en Foddo da. So viele bekannte Gesichter treffe ich das ganze Jahr nicht, wie hier beim Marathon. Schon tönt es von hinten: Nicht babbeln, laufen! Ein kleiner Schlenker durch das feuerrote Caritas-Spendentor und über die „Spendenmatte“ hilft  Frankfurter Kindern aus benachteiligten Quartieren zu mehr Gesundheit. Jede Läuferin und Läufer der den Weg durch das Caritas-Spendentor nimmt, spendet mit seinem Durchlauf drei Euro für die Caritas-Initiative. Kurz darauf queren wir den Konsumschlund Zeil. 

 
 

Informationen: Mainova Frankfurt Marathon
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