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Laufberichte

Like ice in the sunshine?

17.07.16

Nach einer Schlechtwetterphase fällt die Prognose für das Wochenende zur Abwechslung günstig aus: Sommerlicher Sonnenschein ist angesagt. Da zieht es viele Münchner natürlich ins Gebirge. Judith und ich sind dabei und froh, dass es am Tag des 15. Karwendel Berglaufs nicht regnen soll.

Samstag ist Reisetag, die Kurzausflügler drängeln sich mit den Urlaubsreisenden in einer langen Schlange auf den Fernstraßen. Früh aufstehen lautet hier die Devise. Um 7:00 Uhr ist der Autobahnring um München schon dicht. Die A95 nach Garmisch ist aber noch ziemlich leer, so dass wir unerwartet zügig vorankommen und ohne Stau am Ende und ohne die obligatorischen roten Ampeln in Oberau schon um kurz nach 8:00 Uhr in Mittenwald eintreffen.

Mittenwald, neben dem sächsischen Markneukirchen das bedeutendste Zentrum des Streich- und Zupfinstrumentenbaus in Deutschland, verfügt über einen idyllischen historischen Ortskern und eine für Naturliebhaber ideale Lage: Das Wettersteingebirge im Westen und der Karwendel im Osten bieten für Kletterer, Bergwanderer und Skifahrer unzählige Gipfel jeden Schwierigkeitsgrads. Der Ort nahe der österreichischen Grenze, im Mittelalter bedeutender Umschlagplatz auf der Handelsroute von Augsburg/Nürnberg nach Venedig, lebt heute in erster Linie vom Tourismus. 600 Beherbergungsbetriebe mit ca. 5400 Betten sowie rund 70 Restaurationsbetriebe laden sommers wie winters zum Verweilen ein.

Auf der Hauptstraße, dem Obermarkt, befindet sich die Startzone für den Berglauf. Hier in der Fußgängerzone erhalten wir unsere Unterlagen. Im Preis von 27 € ist auch ein Laufhemd des australischen Bekleidungsherstellers 2XU enthalten, ebenso berechtigt die Startnummer zur Teilnahme an der Pastaparty im Ziel, zum Rücktransport mit der Bergbahn und zum Duschen im Karwendelbad.

 

 

Wir genehmigen uns erst mal einen Kaffee. Der DLV Berglauf-Chef und Organisator Kurt König, selbst erfolgreicher Bergläufer und dreimaliger Gewinner des Empire-State-Hochhauslaufs, muss ankündigen, dass die Strecke dieses Jahr leider vorzeitig an der Bergstation der Karwendelbahn enden wird. Zu viel Schnee liegt noch auf dem letzten Kilometer (+150 hm) zur 2.374 Meter hohen Nördlichen Linderspitze. Auch nicht wirklich schlimm. Bei schlechtem Wetter hätte man laut Ausschreibung auch auf eine Alternativroute am Kranzberg umsteigen können.

Interessant die Tipps zur Bekleidung: Als ehemaliger Gebirgsjäger rät König angesichts der Temperatur von 3 Grad im Zielbereich, Kopf und Knie zu bedecken. An diesen Stellen entwickle sich schnell ein besonders unangenehmes, leistungshemmendes Kältegefühl. Judith geht zurück zum Auto, um die lange Laufhose anzuziehen. Ich habe meine im Rucksack und wechsle in der Folge drei Mal die Kleidung, wobei ich mich an den Outfits der Mitläufer zu orientieren versuche. Unmittelbar vor der Taschenabgabe entscheide ich mich schließlich für die lange Hose und zwei Hemden. Die meisten anderen Läufer erscheinen mir auch recht warm gekleidet und in unserer Leistungsklasse ist man ja nicht so flott unterwegs.

Dann verkündet Kurt noch, dass der Start um 40 Minuten auf 11:40 Uhr verschoben wird, da viele Läuferinnen und Läufer noch im Anreisestau feststecken. Das nenne ich mal Kundenservice. Der nächste Kaffee geht dann auf eure Kosten, liebe Zuspätkommer!

 

 

Judith und ich nutzen die Zeit nach dem dritten Frühstück in einer der örtlichen Bäckereien für einen Rundgang durch Mittenwald. Unzählige Wanderer, Moutainbiker und heute eben auch Bergläufer sind unterwegs. Inzwischen hat auch der letzte Souvenirshop aufgemacht. Im Osten erhebt sich majestätisch der Karwendel mit der am schroffen Hang klebenden Bergstation der Karwendelbahn. Davor auf einem Drittel der Höhe die Mittenwalder Hütte. Von dort können sich sehr geübte Bergwanderer durchs hochalpine Gelände hinaufarbeiten.  

Wir Läufer nehmen aber einen anderen Weg. Nun wird es in der Fußgängerzone richtig voll. Fast 400 Sportler fiebern dem Aufbruch entgegen. Vorne die vermutlich schnellen Herrschaften mit der sommerlichen, hinten dann die mit der eher winterlicheren Bekleidung, sprich Langsameren. Viele Zuschauer verfolgen den Start. Dann geht es über die Gleise der Eisenbahn. So erklärt sich auch die „krumme“ Startzeit, denn viele Züge fahren hier Richtung Garmisch-Partenkirchen und München und nach Innsbruck, so dass man eine Lücke im Fahrplan erwischen muss. Dann über die Isar, die hier in der Nähe im Karwendel entspringt. Ich schaue nach hinten, um ein Foto zu machen, und stelle fest, dass Judith und ich die letzten Teilnehmer sind. Da muss sich schnell was ändern.

An der Alpenkorpsstraße erwarten uns Soldaten des Mittenwalder Gebirgsjägerbataillons 233, die wohl gerade auf dem Weg zu einer Klettertour sind. Unter der B2-Umgehungsstraße hindurch und schon sind wir auf einer Forststraße. Wie es sich für einen Berglauf gehört, geht es fast nur aufwärts. Vor uns kann man viele Teilnehmer in den Latschenkiefern weiter oben erkennen.

Der Weg ist schön zu laufen und reicht bis zum Bankerl bei Kilometer 5. Eine Verpflegungsstelle mit Wasser, Iso und Geltütchen befindet sich hier. Um unnötiges Gedränge zu vermeiden, gibt die  Bergwacht den Wanderern Tipps für Ausweichrouten. Ein kurzes Stück durch den wunderschönen dunklen Mischwald,  dann sind wir in den Latschenkiefern. Ich halte nach Tieren Ausschau. Aber Reh, Gämse, Murmeltier & Co. sind wahrscheinlich in Deckung gegangen. Dafür sehe ich einen Herrn in langärmeligem rosa Hemd und dunkler Hose auf einer Alternativstrecke hinauf wandern. Korrekt fürs Büro gekleidet, aber wenigstens mit Wanderschuhen ist er unterwegs.

 

 

Bei der Dammkarhütte (1650 hm, 6,5 km) dann etliche gut gelaunte Zuschauer, aber für uns leider keine Bewirtung mit Kaffee noch Kuchen, wie wir Bergvagabunden das insgeheim gehofft hatten. Dafür wird die Landschaft jetzt richtig spektakulär: Das Dammkar erwartet uns. Links steigen die Wände 600 Meter auf. Es geht ziemlich langsam voran. Ich lege nach Fotostopps immer wieder Sprints ein: Laufen auf dem Schotter ist gar nicht so schwierig. Wenn man nur nicht so schnell aus der Puste käme...

Berwachthütte (1.800 hm, 7,5 km), Verpflegung und Beginn des Hinteren Dammkars. Ich lobe die gut gekühlten Getränke. Oft bekommt man ja bei Sommerläufen dieses grässliche warme Iso. Hier passt die Temperatur.  Judith und ich sind jetzt schon lange mit Hans und „Laufmonster“ Manfred zusammen. Kilometer 8 ist angeschrieben. Uhrenvergleich: Vier Exemplare zeigen höchst unterschiedliche Werte von 7 bis 9 Kilometern. Will sagen: Vergesst GSP/Glonass-Empfang hier zwischen diesen Felswänden.

Kleine Blümchen zwischen den Gesteinsbrocken warten auf Insekten. Hier muss man in den zwei Sommermonaten ohne Schnee die wenigen Bienen und Hummeln durch besonders schöne Farben oder Duftnoten anziehen.

 

 

Für uns geht es nun in den Schnee. Wie von Kurt König angekündigt, wurden hier Stufen in ein Schneefeld geschaufelt. Ein Streckenposten, der im Notfall Hilfestellung leisten soll, beobachtet unser Treiben. Vor ihm eine Flasche Cola „on the rocks“. Jetzt zeigt sich, dass Trailschuh nicht gleich Trailschuh ist. Meine Spikecross-Treter würden mir nun gute Dienste erweisen. Das Knirschen von Metallstiften hatte man bei einigen Läufern auf der Teerstraße gehört. Wir hingegen geraten mit unserem „normalen“ Trailprofil ein wenig ins Rutschen. Wirklich gefährlich ist die Strecke jedoch nicht. Auch richtig kalt kommt es mir nicht vor. Auf einer Brücke für Skifahrer der letzte Verpflegungspunkt. Mir fällt der Werbesong „Like ice in the sunshine“ ein.  Es könnte aber ruhig ein bisschen sonniger sein. Wenigstens bleibt der mögliche Nieselregen aus.

Ab den 1930er-Jahren wanderten die Skisportler diesen Weg mit ihrer Ausrüstung noch hinauf, ein Phänomen, das „Dammkarwurm“  genannt wurde. Seit Ende der 1990er-Jahre gibt es unter der Bezeichnung einen vom Deutschen Alpenverein ausgetragenen Wettkampf im Skibergsteigen. 1954 begann man mit dem Bau einer Bergbahn. Wie so oft liefen auch hier die Kosten aus dem Ruder. Erst 1967 konnte die Bahn fertig gestellt werden. Ganze 5,2 Mio. DM verschlang das Projekt, doppelt so viel wie geplant.

 

 

Der Übergang von der Bergstation zum Dammkar war recht gefährlich, so dass man Mitte der 1970er-Jahre einen Tunnel baute, um die Wintersportler schneller zur längsten Skiabfahrt Deutschlands (7 km) zu bringen. Judith und ich geben hier drinnen noch mal richtig Gas. Gummimatten auf Holzplatten machen den leichten Anstieg im ca. 430 Meter/30 hm langen Tunnel zu einem griffigen Vergnügen. Die Lampen rauschen an uns vorbei. Ich fühle mich an einen Science-Fiction-Film erinnert. Kurz vor dem Ausgang haben wir Lichtgeschwindigkeit erreicht. Ein Posten mahnt, jetzt nicht mehr zu überholen. Unsere Startnummern werden aufgerufen. Eine Lichtschranke erfasst die Bruttozielzeit für ca. 10 km/1332 hm.

Schön war's. Vor uns die Karwendelgrube, Heimat der seltenen Schneehühner, die sich wohl gerade so perfekt dem Umfeld anpassen, dass sie für uns unsichtbar bleiben. In einem Gebäude mit der Form eines überdimensionalen Fernrohrs gibt es Informationen zum Naturpark Karwendel und einen freien Blick 1.300 Meter hinunter nach Mittenwald.

Wir genehmigen uns ein warmes Iso und Obst. Die Wechselkleidung steht im Bergbahngebäude bereit. Dann wandern wir noch ein bisschen höher in Richtung Nördlicher Linderspitze, wo eigentlich das Ziel gewesen wäre. An der Grenze zu Österreich mit Blick auf die Karwendeltäler wird es uns dann doch etwas zu kühl. Ein paar Grad über Null hat es hier. Also zurück in die Berggaststätte, wo Pasta und Bier für jeden Teilnehmer bereit stehen und die Siegerehrung stattfindet. Erster der Gesamtwertung wird der aus Schottland stammende Wahl-Mittenwalder Robbie Simpson, dem ein standesgemäß mit Rock bekleideter Teamkollege auch gleich einen Dudelsacktusch widmet. Als schnellste Frau wird Melanie Noll aus dem rheinland-pfälzischen Annweiler geehrt.

Einer der erstplatzierten Herren soll heute früh von seinem Heimatort rund 50 km zum Start geradelt sein, ein doch recht anspruchsvolles „Aufwärmprogramm“. Siegerin in der AK W70+ wurde die allseits bekannte Berglaufspezialistin Irina Spira aus Kitzbühel in 2:03:24. 11 Frauen konnte sie noch hinter sich lassen. Unser 76-jähriger Mitstreiter Manfred kommt mit 1:57:55 kurz nach uns ins Ziel und muss sich in der AK M70+  mit Platz fünf begnügen.

Dann ist noch eine Stunde Anstehen bei der Karwendelbahn angesagt. Aufgrund des Schnees und des falschen Schuhwerks entscheiden wir uns gegen einen Bergablauf. Ansonsten wäre das sicher eine schöne (und eventuell schnellere?) Alternative gewesen.

Natürlich bleiben wir noch einen Tag in den Bergen. In einem richtigen Sommer würden noch einige Seen bei Mittenwald zu einem erfrischenden Bad einladen. Aber auch eine Bergtour am Sonntag bietet Entspannung und trotz einiger Nebelfelder immer wieder lohnende Ausblicke. Nach acht „lockeren“ Wanderstunden im Wettersteingebirge machen wir uns am Sonntag spätabends auf die staufreie Heimfahrt.

Ein schöner Berglauf liegt hinter uns. Sicher - wie im Vorfeld angekündigt - der herausfordendste auf deutschem Boden. Für Freaks ein Muss, für Genießer ohne Probleme machbar und dank Bergbahn geht es auch spektakulär wieder ins Tal.

Wir werden sicher wiederkommen und in der gleichen Zeit dann die längere Originalstrecke zurücklegen – versprochen.

 

Die Ergebnisse:


Damen
1. Melanie Noll 1:12:49
2. Daniela Gassmann Bahr 1:15:49
3. Karin Freitag 1:18:49

Herren
1. Robbie Simpson 0:59:48
2. Eric Muthomi Riungu 1:01:01
3. Andreas Seewald 1:01:59

340 Finisher

Die Bergwacht meldet einen verarzteten Finger nach einem Sturz.

 

Informationen: Karwendel Berglauf
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