Von Montag bis Freitag ist das Areal das glamouröse Zentrum einer Bussie-Bussie- Society, hier sitzt die gesamte Finanzwelt auf engstem Raum zusammen. Freitagabends wird es schlagartig ruhig. Die Angestellten, Grenzgänger und Wochenendheimfahrer sind ausgeflogen. Europäische Flaggen wehen im Wind. Die Läufer spiegeln sich in den futuristischen Glas-Beton-Bauten.
Europäischer Gerichtshof, Europäischer Rechnungshof, Europäische Investitionsbank, Europaschule. Vermögensanlage, Firmengründung, Fondsgeschäft. Die Eurokraten und Banker vom Kirchberg haben ein positives Image. Zweihundert Banken, darunter annähernd fünfzig deutsche Geldinstitute, sind in Luxemburg ansässig. In der geldgetränkten Bankentown fühle ich mich ein wenig wie in Klein-Frankfurt. Kein Zufall also, dass der Hauptsponsor des Night Marathon seit neun Jahren ING Luxembourg heißt.
Sogar Luc Verbeken, der CEO der ING, hat eine Team Run Nummer auf dem Rücken. Auch Europabeamte, Modepüppchen und Konsumkids sind Teil einer Teamstaffel, andere wagen sich an den Halbmarathon. Pubertierende Jungs mit viel Gel in den Haaren nicken lässig und winken mit ihren Armen zum Beat. Lautstark feuert ein DJ uns rappend auf: 1. zu Gehen (go, go, go), 2. Spaß zu haben (have fun) und drittens „yeah!“ (yeah!)
Wie „Hans guck in die Luft“ fasziniert mich das bunte Treiben. Das Drängelgitter wird zur Stolperfalle. Mit einem Fuß bleibe ich an dem Standbein des Absperrgitters hängen und komme unwillkürlich ins Straucheln. Mit ein wenig Geschick, vielleicht auch Glück, fange ich mich gerade noch auf und vermeide einen Sturz. Diese Situation ist ein Klassiker und bestimmt schon einigen passiert. Tour de France Fahrer erwischt es immer wieder. Im Übrigen wird seit 1935 das Etappen-Radrennen „Tour de Luxembourg“ zur Vorbereitung auf die Tour de France, mit Start und Ziel in der Stadt Luxemburg ausgetragen. Vor fünf Jahren gewann der Luxemburger Fränk Schleck die Tour.
Jetzt halte ich meine Füße und meinen Blick künftig doch ein wenig mehr unter Kontrolle. Ich denke an das rennende Seniorenduell. Einundachtzig Jahre, leidet man da nicht unwillkürlich unter nachlassendem Sehvermögen, das das Sturzrisiko erhöht und ist nicht gar die Reaktionszeit verringert und der Gleichgewichtssinn gestört? Hoffentlich, denke ich, kommen die beiden gut ins Ziel. Jetzt habe ich keine Lust mehr auf den orange Hut - ich werfe ihn in den Ring.
Kilometer 7. Dicht am Pavillon der Philharmonie, der ein wenig an einen lächelnden Wal erinnert, füllt sich lückenlos die Straße mit feiernden Männern, Frauen und Kindern. Auch auf der über 350 Meter langen Grande-Duchesse-Charlotte-Stahlbrücke, die auch „Rote Brücke“ genannt wird, findet kein Partygast mehr eine Lücke. Ich laufe 74 Meter hoch über dem Alzette-Tal. Hier ändert sich die Stadtlandschaft. Es ist wie eine Zeitreise, von dem modernen ins alte Luxemburg.
Mitten auf dem Platz des Rond Point Schuman steckt das Gefühl von Lebensfreude und Lebenslust der Samba-Trommeln das Publikum und uns Läufer an. Unermüdlich und dynamisch: Umbumbumbumb. Ich laufe wie von selbst einfach den tausenden Läufern vor mir hinterher. Dreimal rechts, dreimal links. Abbiegen. Treiben lassen.