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Laufberichte

Streetlife

31.05.14

Über die schnurgerade-dreispurige Avenue John F. Kennedy rolle ich inmitten der endlosen Karawane aus Teamläufern, Halbmarathonläufern und über 1000 Marathonläufern im gemütlichen Laufbandtempo, vier Kilometer quer durch Europa, hinunter in die Stadt. Dort sind die Läden bereits seit achtzehn Uhr geschlossen. Tatsächlich ist die ganze Luxemburger City für ein paar Stunden ein Laufband der Nationen: Da sind Luxemburger, ansässige Ausländer, Ausländer und Grenzgänger. Unglaubliche 10.000 Läufer beim europäischen Nachbarschaftsplausch. Sprachbarrieren? Keine Spur! Ganz Luxemburg ist eine einzige Europa-Sprachschule (und das ab der Grundschule). Egal ob du in Französisch, Deutsch oder Englisch nach dem Weg fragst, du bekommst immer Anschluss und eine Antwort. Meist so fließend wie in deren Muttersprache, dem Letzeburgisch.

 

 

Europa Zentrum und Bankenpaläste


Von Montag bis Freitag ist das Areal das glamouröse Zentrum einer Bussie-Bussie- Society, hier sitzt die gesamte Finanzwelt auf engstem Raum zusammen. Freitagabends wird es schlagartig ruhig. Die Angestellten, Grenzgänger und Wochenendheimfahrer sind ausgeflogen. Europäische Flaggen wehen im Wind. Die Läufer spiegeln sich in den futuristischen Glas-Beton-Bauten.

Europäischer Gerichtshof, Europäischer Rechnungshof, Europäische Investitionsbank, Europaschule. Vermögensanlage, Firmengründung, Fondsgeschäft. Die Eurokraten und Banker vom Kirchberg haben ein positives Image. Zweihundert Banken, darunter annähernd fünfzig deutsche Geldinstitute, sind in Luxemburg ansässig. In der geldgetränkten Bankentown fühle ich mich ein wenig wie in Klein-Frankfurt. Kein Zufall also, dass der Hauptsponsor des Night Marathon seit neun Jahren ING Luxembourg heißt.

Sogar Luc Verbeken, der CEO der ING, hat eine Team Run Nummer auf dem Rücken.  Auch  Europabeamte, Modepüppchen und Konsumkids sind Teil einer Teamstaffel, andere wagen sich an den Halbmarathon. Pubertierende Jungs mit viel Gel in den Haaren nicken lässig und winken mit ihren Armen zum Beat. Lautstark feuert ein DJ uns rappend auf: 1. zu Gehen (go, go, go), 2. Spaß zu haben (have fun) und drittens „yeah!“ (yeah!)

Wie „Hans guck in die Luft“ fasziniert mich das bunte Treiben. Das Drängelgitter wird zur Stolperfalle. Mit einem Fuß bleibe ich an dem Standbein des Absperrgitters hängen und komme unwillkürlich ins Straucheln. Mit ein wenig Geschick, vielleicht auch Glück, fange ich mich gerade noch auf und vermeide einen Sturz. Diese Situation ist ein Klassiker und bestimmt schon einigen passiert. Tour de France Fahrer erwischt es immer wieder. Im Übrigen wird seit 1935 das Etappen-Radrennen „Tour de Luxembourg“ zur Vorbereitung auf die Tour de France, mit Start und Ziel in der Stadt Luxemburg ausgetragen. Vor fünf Jahren gewann der Luxemburger Fränk Schleck die Tour.

Jetzt halte ich meine Füße und meinen Blick künftig doch ein wenig mehr unter Kontrolle. Ich denke an das rennende Seniorenduell. Einundachtzig Jahre, leidet man da nicht unwillkürlich unter nachlassendem Sehvermögen, das das Sturzrisiko erhöht und ist nicht gar die Reaktionszeit verringert und der Gleichgewichtssinn gestört? Hoffentlich, denke ich, kommen die beiden gut ins Ziel. Jetzt habe ich keine Lust mehr auf den orange Hut - ich werfe ihn in den Ring.

Kilometer 7. Dicht am Pavillon der Philharmonie, der ein wenig an einen lächelnden Wal erinnert, füllt sich lückenlos die Straße mit feiernden Männern, Frauen und Kindern. Auch auf der über 350 Meter langen Grande-Duchesse-Charlotte-Stahlbrücke, die auch „Rote Brücke“ genannt wird, findet kein Partygast mehr eine Lücke. Ich laufe 74 Meter hoch über dem Alzette-Tal. Hier ändert sich die Stadtlandschaft. Es ist wie eine Zeitreise, von dem modernen ins alte Luxemburg.

 

Public Viewing


Mitten auf dem Platz des Rond Point Schuman steckt das Gefühl von  Lebensfreude und Lebenslust der Samba-Trommeln das Publikum und uns Läufer an. Unermüdlich und dynamisch: Umbumbumbumb. Ich laufe wie von selbst einfach den tausenden Läufern vor mir hinterher. Dreimal rechts, dreimal links. Abbiegen. Treiben lassen.



Mal links, mal rechts. Abbiegen. Was für eine verwirrend verwinkelte Streckenführung - verloren geht hier trotzdem keiner. Querbeet liegen Studenten auf der Wiese. Der exzentrische Korso hat den „Le Parc de la Ville“ Teil I erreicht. Ältere, perfekt frisierte Damen schlendern uns gemächlichen Schrittes und Arm in Arm entgegen. Verstörte, nach Ruhe suchende Touristen, finden diese auch hier nicht, im Stadtpark, wo sie das für sie ungeplante und ungewohnte Treiben mit grimmigem Voyeurismus beobachten. Davor warnte kein Reiseführer, dennoch klicken die Fotoapparate. Hunde sehe ich nicht, dafür blühende Pflanzen und Vögel, die man nicht hört, eine versteckte Bronzeskulptur, ein kleiner künstlicher Teich. Die Sitzbänke führen in Versuchung. Ein Spielplatz wie eine malerische Abenteuerkulisse im Park - gleich biegt Peter Pan und Glöckchen um die Ecke.




Rechts, links und schon ist der Tross in den verwinkelten, engen Gassen der Altstadt eingetaucht. Bin ich im Wahn oder sehe ich tatsächlich an jeder Ecke eine Patisserie? Plüschig-kitschige Cafés? Schwache Gedanken aus meiner Kindheit steigen empor. Ein Schokoladenbonbon, was sag ich, Plombenzieher, die mir mein Stief-Opa tütenweise aus Luxemburg mitbrachte. Die waren sicherlich nicht alleine der Grund dafür, dass mein Opa Heinz die 280 Kilometer von Frankfurt bis nach Wasserbillig auf sich nahm. Hauptsächlich zum Tanken führe er her, na und wegen der Zigaretten auch. Er rauchte viel.

Vor den Bars und Cafés sitzen Gäste in der fast untergegangenen Sonne, deren Rauch steigt mir in die Nase. Unermüdlich und dynamisch sind die Samba Rhythmen: Umbumbumbumb. Wir sind in der „Uewerstad“, das pochende Zentrum, die la ville, die Hauptstadt!  Hier irgendwo ist der Fischmarkt, der Mittelpunkt der Altstadt, die ein Teil des Unesco-Weltkulturerbes ist. Kirchen und Boutiquen, oder besser, Konsum und Glaube trennen hier nur wenige Schritte. Vor mir sehe ich einen laufenden Diener Gottes, er läuft in der Sonderwertung „Geistliche aller Weltreligionen“, ihn würde ich zu gerne morgen auf der Kanzel sehen.
 
 

Informationen: ING Night Marathon Luxemburg
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