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Laufberichte

Die Nummer 1 an der Havel

 

Jedes Jahr zu Ostern zieht es mich nach Berlin an die Havel. Dort findet seit 2015 immer am Karsamstag der Berliner Ostermarathon statt, heute bereits zum 9ten Mal. Für mich ist es diesmal bereits der 7te Start. Damit bin ich noch nicht einmal Rekordteilnehmer, denn viele der meist leider nur knapp 50 Teilnehmer zählen zum Stammpublikum, man/frau kennt sich. Hans-Joachim, Alois, Birgit, Matze und viele andere bekannte Gesichter, aber auch Ostermarathon-„Neulinge“ wie meine M4You -Reporterkollegen Judith und Andreas treffe ich in der Kleingartenanlage HoKa IV am Hohenzollernkanal.

Dieser Kanal, schon lange in Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal unbenannt, verbindet die Flüsse Spree und Havel miteinander und ist idyllischer Ausgangspunkt unserer 42,195 km langen Runde an der Havel. Das Clubheim in der Kleingartenanlage ist für heute Quartier der Laufgruppe „im Saatwinkel“ um „Etze“ (Frank-Ulrich-Etzrodt) und seine Frau Evi (Evelyn). Im Garten ist die Startnummernausgabe, im Clubheim können wir unsere Wechselklamotten lassen (eine Dusche gibt es allerdings nicht) und hier ist auch das After-Run-Buffet aufgebaut.

 

 

So weit ist es noch nicht, denn erst einmal begrüßt uns Etze mit einer wie immer emotionalen Rede. Eine große Einweisung muss er nicht machen, denn es geht „immer links am Wasser lang“. Und die Strecke ist gut markiert mit orangefarbenen Pfeilen und Flatterband. Aber etwas anderes lässt uns aufhorchen, Etze deutet an, dass er als Veranstalter aufhören möchte und nach einem Nachfolger sucht.

Wird dies gelingen oder ist es das Ende des Ostermarathons, kann ich in vielen fragenden Gesichtern lesen. Denn schließlich ist die Organisation eines Marathons selbst ein Marathon und das Team der Laufgruppe „Im Saatwinkel“ ist klein. So können auch nur 4 Verpflegungspunkte besetzt werden, was aber im April bei kühlen Temperaturen noch ausreichend ist, jedenfalls für mich. Der eine oder andere hat ergänzend Eigenverpflegung dabei.

Nach diesen kurzen, nachdenklich machenden Worten gehen wir wenige Meter zum Startpunkt direkt am Kanal. Punkt 10 Uhr wird gestartet. Vorher noch stimmt uns wie immer Bruno, Etzes und Evis Hund, auf das Abenteuer ein. Dann geht es los.

 

Die Startnummer 1

 

Heute darf ich die Startnummer 1 tragen, und das erstmals. Nicht weil ich Vorjahressieger war, sondern weil ich mich schlichtweg als erster angemeldet hatte. Die Nummer 1 zu tragen kann auch hinderlich sein, denn oft werde ich heute auf diese Zahl von Passanten angesprochen und muss mich erklären. Ich habe also die Nummer 1 nicht wirklich verdient, wohl aber der Ostermarathon die Bezeichnung als Nummer 1 an der Havel.

 

Vom Saatwinkel bis Tegelort

 

Mit Saatwinkel wird die Gegend am Kanal rund um unseren Start bezeichnet. Ursprünglich war es ein Holzlagerplatz, denn die Havel dient als Transportweg für gefälltes Holz. Später kamen Ausflugsrestaurants hinzu, Campingplätze und entlang des Hohenzollernkanals die Kleingartenanlagen. Jahrelang mussten die Kleingärtner die Start- und Landegeräusche vom unmittelbar anschließenden Flughafen Tegel erdulden, aber nun ist es ruhig.

Ruhig ist es auch am Samstagmorgen, als wir vom Kanal nördlich abbiegend durch den Saatwinkel und die anschließende Jungfernheide laufen. Letztere ist übrigens keine Heide mehr, sondern ein Kiefernwald als Teil des Tegeler Forst. Dementsprechend wechselt unser Untergrund von Asphalt am Kanal auf Sand. Linker Hand sehen wir jetzt erstmals eine der vielen Badebuchten an der Havel und einige der vielen Havelinseln wie Maienwerder, Valentinswerder, Baumwerder und Reiswerder. Genauer gesagt liegen diese Inseln im Tegeler See, einer weit ausladenden Bucht der Havel, die wie ein Anhängsel aussieht, was auf slawisch ähnlich wie „Tegel“ klingt. Dies ist möglicherweise der Ursprung des Namens des Berliner Stadtteil Tegel, den wir nach etwa 5 km erreichen.

Tegel gehört zum Berliner Bezirk Reinickendorf, wir werden uns später noch mit der Bedeutung dieser Ortsbezeichnung auseinandersetzen. Den ehemaligen Borsigwerken (Gießerei, Maschinenbauanstalt und Lokomotivfabrik), die wir rechts liegen lassen, verschwenden wir heute keinen Blick und erreichen die Greenwichpromenade. Schön blühen hier die Osterglocken (danke Sandra für den pflanzenkundlichen Hinweis). Linkerhand sehen wir die Havelqueen, die noch am Flusskreuzfahrtterminal festmacht. Wie immer morgens gegen 11 Uhr, und wie immer werden wir sie heute Nachmittag auf der Havel sehen.

 

 

An der Greenwichpromeade laufen bzw. fahren auch Katrin und Andreas auf mich auf. Andreas, nicht zu verwechseln mit meinem Reporterkollegen gleichen Vornamens, hatte sich angemeldet, aber verletzt, und will zumindest einen Teil der Strecke mitlaufen. Daher hat er sich ein Laufrad besorgt und tauscht es abwechselnd mit Katrin. Schön, dass so etwas möglich ist, und am Ende beide eine Medaille bekommen.

Wir überqueren die rote „Sechserbrücke“, die den Tegeler Fließ und die Zufahrt zum ehemaligen Tegeler Hafen überquert. Der Name der Brücke leitet sich von der Sechser-Münze mit einem Wert von 6 Pfennigen ab, soviel war vor langer Zeit als Maut zu zahlen. Heute ist die Passage in der niedrigen Startgebühr von anfangs 40 € inkludiert und wäre auch sonst kostenfrei. Links sehen wir nun ein Boots- und Yachtanleger nach dem anderen, alle noch gut bestückt, es ist für die meisten noch zu früh im Jahr zum Schippern. Wir wechseln nun nach der gepflasterten Promenade wieder auf Waldboden und sind erneut am Tegeler Forst.

Zeitweise trennt uns eine Mauer vom Wasser, diese gehört zur Akademie des Auswärtigen Dienstes und zum Gästehaus der Bundesregierung auf der Halbinsel Reiherwerder. Bei letzterem handelt es sich um die „Borsig-Villa“, dem ehemaligen Landhaus der Unternehmerfamilie. Vorbei am Strandbad Tegel, dass im Gegensatz zum Wannseebad noch nicht geöffnet hat und dessen Wasserrutschbahn und Liegenwiesen somit verwaist sind, erreichen wir Tegelort und die erste Verpflegung etwa bei km 10.

Hier bedienen uns unter anderem Burkhard und Samir. Samir ist Flüchtling, kommt  aus Afghanistan und wird von Burkhard vormundschaftlich betreut. Danke Burkhard für Dein Engagement und Euch allen für die ausgezeichnete Verpflegung. Cola, Wasser, Schorle, Kekse, Salzstangen, Äpfel und Bananen und weiteres wird uns heute an der Strecke geboten. Mit einem Blick auf die Schulfarm-Insel Scharfenberg (zur Schule kommen die Schüler also nur mit der Fähre) machen wir uns wieder auf den Weg.

 

Von Tegelort bis Heiligensee

 

Nach der Stärkung passieren wir in Tegelort zunächst ein Restaurant mit schöner Seeterrasse, leider geschlossen, und zwar nicht nur heute, sondern schon seit eigenen Jahren. Wird hier in den nächsten Jahren vielleicht wieder mehr Leben herrschen? Im weiteren Verlauf auf dem Uferweg von Tegelort und später Konradshöh kommen wir noch an dem einen oder anderen Ausflugslokal vorbei, welche nach und nach öffnen und zu einer Pause einladen. Wir müssen widerstehen, denn Etze und Team möchten ja auch mal Feierabend machen, obwohl es keinen offiziellen Zielschluss gibt: „wir warten auf jeden“.

Am Ufer verstecken sich hinterm Schliff kleine Boote, die zu den Anwesen auf der anderen Seite des Weges gehören. Hier lässt es sich aushalten. Vorbei an einem Schwanenpaar zieht es uns, Andreas und Judith laufen seit einiger Zeit mit mir, weiter, denn wir haben erst ein Drittel geschafft. Mit der Fähre, die wir „links liegen lasssen“, könnten wir auf die andere Seite wechseln und würden 17 km sparen. Das wäre aber dumm, würden wir doch unser Laufvergnügen an der herrlichen Havel verkürzen.

 

 

Nach dem 15-km-Schild in Sandhausen (ob der Name von der kleinen Badebucht dort abgeleitet wird?) laufen wir einige Zeit abseits der Havel, sehen dann aber trotzdem Wasser, nämlich den Heiligensee, eine weitere Ausbuchtung der Havel. Der See ist auch namensgebend für das folgende Dorf.

Alt-Heiligensee ist ein typisches Berlin-Brandenburgisches Straßenangerdorf, länglich an einer Straße gelegen, die sich um einen in der Mitte gelegenen Dorfanger mit Kirche zerteilt. Ähnlich historisch wie die Kulisse ist auch der Bodenbelag. Kopfsteinpflaster und schlecht verlegte Platten verlangen Aufmerksamkeit. Auf den kommenden Sommer stimmt uns ein mit einem Strandmotiv bemaltes Trafohäuschen ein. Dann erreichen wir die zweiten Verpflegungsstelle.

 

Von Henningsdorf nach Spandau

 

Kurz danach erinnert uns ein Schild an die Teilung Deutschlands, an dieser Stelle bis zum 13. Januar 1990. Dort verlassen wir Berlin und erreichen Brandenburg. 20 km sind geschafft. In Hennigsdorf überqueren wir die Havel und machen uns auf den Rückweg. Auch hier wird dem Wassersport gefrönt, ein Kanuverleih wartet auf Kunden, die wohl erst kommen, wenn wärmer wird. Obwohl es heute gar nicht so kalt ist, mit etwa 12 Grad und bedecktem Himmel (später kommt die Sonne noch raus) ist es ein angenehmes Laufwetter.

Eine lange Stange mit einem kleinen Schild oben erregt Aufmerksamkeit. „Berliner Mauerweg“ steht drauf, also der Kolonnenweg für die Grenztruppen der DDR, denn auf 10 km Länge bildete hier die Havel die innerdeutsche Grenze zum ehemaligen West-Berlin. Wir folgen daher diesem Weg, der in seiner Gesamtheit als (Rad-) Wanderweg rund um West-Berlin herumführt. Die Höhe des Schildes soll wohl auf die Höhe der Mauer hindeuten.

Nun geht es einige Kilometer entlang dem Alstom-Werk. Auch dieses Bahnwerk hat eine lange Historie (von AEG über LEW - Lokomotiv-Elektrotechnische Werke Hennigsdorf bis Bormbardier) ist aber im Gegensatz zu den Borsigwerken noch im Betrieb. Heute sehen wir gelbe Fahrzeuge für den Bahnverkehr in Baden-Württemberg und rote für Österreich. Orangenfarbene Stelen machen uns wieder bewusst, wo wir uns befinden, sie erinnern an die Geschichte der Mauer bzw. der Maueropfer.

Mit km 25 überqueren wir einen Seitenkanal und erreichen Niederneuendorf. Aus dem Mauerweg ist hier eine schöne Uferpromenade geworden, neue Wohnsiedlungen säumen den Weg. Eine Idylle, wenn da nicht der Grenzturm, heute ein Denkmal, an die Vergangenheit erinnern würde. Nach einem kurzen Waldstück erreichen wir wieder Berliner Terrain, in den Boden eingelassene Pflastersteine markieren den ehemaligen Grenzverlauf. An der Bürgerablage legen sich im Sommer Bürger zum Baden ab, heute ist der Strand aber leer. Den Namen hat die Bürgerablage allerdings von der Ablage gefällter Holzstämme zum Weitertransport auf der Havel. Der Erlös der dort abgelegten Bäume kam der Kämmerei zugute, also den Bürgern.

 

 

Kurz darauf wartet bei km 29 Wolfgang, Veranstalter des Berliner Müggelsee-Halbmarathons im Oktober mit der dritten Verpflegung auf uns. Weiter geht’s und auf der Havel ist nun auch die Havelqueen unterwegs. Bei km 30 erreichen wir eine schöne Holzbrückenkonstruktion, den Oberhavelsteg, der den Teufelsseekanal überquert. Auch über den folgenden Aalemannkanal führt eine Brücke. Dies dürfen wir aber nicht benutzen, denn sonst fehlen uns am Ende Kilometer. Also bis zum Ende laufen und auf der anderen Seite wieder zurück. Nicht mehr genutzt wirkt der Kanal heute beinah verwunschen, knorrige Bäume spiegeln sich im Wasser.

Aus einem Garten grüßen uns zwei große Osterhasenfiguren, bevor wir das städtische Spandau erreichen. Hier erwartet uns Göran, der bislang bei allen Ostermarathons dabei war, aber diesmal wegen einer Verletzung pausieren muss und sich in die Dienste des Veranstalters stellt. Denn hier weicht die Strecke aufgrund von Bauarbeiten von der üblichen ab und es soll verhindert werden, dass sich jemand verläuft. Was sonst aufgrund der guten Markierung eigentlich nicht möglich ist.

Kreuz und quer geht es nun durch das alte Hafenviertel von Spandau rund um die Maselakebucht, neue moderne Wohnhäuser bilden hier einen reizvollen Kontrast zu alten Hafenbecken. Auch die drei alten Lagerhäuser, deren Umbau ich in den letzten Jahren verfolgen konnte, sind inzwischen bezogen. An den alten Kais liegen mittlerweile Hausboote, unter anderem der „Haubentaucher“ mit einer goldfarbenen Galionsfigur. Dann werden wir bei km 38 und der letzten Versorgungsstation geradezu euphorisch empfangen.

Über die große Eiswerderbrücke, einer alten Stahlbrücke, von der man auch die Zitadelle erblicken kann, erreichen wir die Insel Eiswerder. Auch die dortigen alten Fabrikgebäude sind teilweise zu Wohngebäuden umfunktioniert. Dann geht es über die kleine Eiswerderbrücke wieder zurück auf die ursprüngliche Havelseite. Auch hier viele neuen Wohngebäude, dringend benötigt, aber auch bezahlbar?

 

Im Ziel

 

Nun ist der Hohenzollern- bzw. Berlin-Spandauer-Kanal nicht mehr weit. Wir folgen diesem auf schönen Naturwegen, bevor wir ihn auf dem Saatwinkler Steg überqueren. Nun sind wir wieder im Stadtbezirk Reinickendorf, da denkt man doch gleich an Meister Reinicke, also den Fuchs. Dieser zeigt sich auch sogleich und läuft unbeirrt an mir vorbei. Halluzinationen? Nein, es ist nicht der erste Fuchs, den ich beim Vollmondmarathon ablichte. Allerdings der erste bei Tag.

Nun ist es nur noch ein Kilometer und es grüßen uns die Banner des Veranstalters, den Etzes Freunde an ihrem Kleingartenzaun befestigt haben. Eine lange Gerade noch, dann ist das Ziel erreicht.

 

 

Dort werden wir von Evi und Etze und natürlich Bruno empfangen. Zum Abschluss noch ein gemütliches Beisammensein im Clubheim des Kleingartenvereins und dann verlassen die Nummer 1 an der Havel.

Und die gute Nachricht zum Schluss: Etze konnte dem Flehen vieler Teilnehmer (auch meinem) nicht widerstehen und macht weiter. Also dann bis zum 30. März 2024. Und wer so lange nicht warten kann, sollte sich die Sommeredition am 03. Juni 2023 vormerken.

Danke an Evi, Etze und die Laufgruppe Saatwinkel!

 

Informationen: Berliner Oster-Marathon
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