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Laufberichte

Entspanntes Sightseeing

 

Zweieinhalb Stunden nach meinem Zieleinlauf bei „The Wayve“ komme ich in der Nähe von Basel bei meinen Eltern an. Der Sonntag ist erst ein paar Minuten alt, es bleiben also gut fünf Stunden Schlaf, bevor ich mich zu meinem nächsten Einsatz aufmache.

Mich haben weder der Größen- noch sonst ein Wahn gepackt, dass ich keine zwölf Stunden nach meinem Ultra-Finish schon wieder an der Startlinie stehe. Es ist ganz einfach die mangelnde Übersicht über meinen Terminkalender. Als ich dem Chefredakteur die Zusage für „The Wayve“ gab, dachte ich nicht daran, dass dieser Anlass am gleichen Wochenende stattfindet wie der  Manor Marathon Basel, für welchen ich ihm schon viel früher meinen Einsatz aufgedrängt hatte. Ein Rückzieher kam für mich weder beim einen noch beim anderen Anlass in Frage. Dort ist es ein Erstling, da ist es die Drittauflage mit Facelift. Da wollte ich keinen von beiden verpassen.

Dieses Facelift kommt mir zu Hilfe und ermöglicht eine Anpassung meines Programms. Neu wird der Marathon in Basel auf einer 21km-Runde gelaufen, was mir die Möglichkeit zu einem eleganten Ausstieg nach Halbzeit gibt.

Vor einer Woche habe ich das Postulat herumposaunt, dass Joggen schlau macht. Der lebendige Beweis bin ich heute nicht. Kaum sitze ich in Muttenz in der Straßenbahn (die Anreise innerhalb des Tarifverbunds Nordwestschweiz ist inbegriffen), realisiere ich, dass ich die beiden Reserveakkus in die Tasche gelegt habe, die ich im Auto zurückließ. Ein Grund mehr, nur eine Runde zu laufen. Und die Hoffnung, dass der eine Akku mindestens so lange hält, wird mitlaufen.

Neu ist in diesem Jahr die Bündelung der Infrastruktur und von Start und Ziel rund um den Barfüsserplatz. Das Stadtcasino ist keine Spielhölle, sondern ein traditioneller Kulturtempel. Heute wird er aber von solchen geflutet, die schon früh zum Spielen rausgingen. Im kleinen Musiksaal schweben statt Klänge die Düfte von Massagemitteln durch die Luft, an der Garderobe wird nichts abgegeben, sondern entgegengenommen. Zur Startnummer gibt es einen Schuhsack mit Trinkflasche, Getränk und Werbematerial. Ein elegantes, schwarzes Funtionsshirt kann für Fr. 15.- erworben werden.

Die Freie Straße, Hauptgeschäftsstraße im Großbasel, ist Ausgangspunkt des Marathons. Ungeduldig wie selten stehe ich beim Starbogen. Offenbar habe ich gestern den Laufmodus gar nicht ausgeschaltet. Der Startbereich füllt sich langsam aber stetig. Die schwarzen Startnummern der Halbmarathonis überwiegen. Mit der ziemlich festen Absicht, nur eine Runde zu laufen, komme ich mir mit der weißen Nummer ein bisschen wie ein Verräter vor.

Pünktlich um 08.30 Uhr zieht OK-Chef Adrian Schlatter den Abzug der Startpistole. Die Straße führt hinauf zum Bankenplatz und um fünf Ecken auf die Wettsteinbrücke. Ab hier haben auch die Hintersten im Feld freie Bahn und bald schon freie Sicht auf die Altstadt auf dem Münsterhügel. Mit der kleinen Schlaufe auf die Kleinbasler Seite sind bei der Rückkehr auf der Wettsteinbrücke die ersten zwei Kilometer schon im Kasten.

Ebenfalls vom Vorjahr bekannt ist die Kulisse der alten Patrizierhäuser in der  St.Alban-Vorstadt und des St.Alban-Tors auf welches wir zusteuern. In der Nähe des Aeschenplatzes biegen wir in die Engelgasse ein und kommen damit nicht am Basler Hammermann vorbei, der großen Skulptur mit Verwandtschaft in Frankfurt. Die Bekanntschaft mit seinem im Marathon tätigen Kollegen dürfte heute der eine oder andere trotzdem noch machen.

Schon nach dreieinhalb Kilometern steht die erste Verpflegungsposten und dieser Abstand wird auf der Runde in etwa eingehalten. Wasser, Iso, Riegel, Bananen, Gel; von der großen Auswahl benötige ich nur Flüssiges und vertrage sogar bereits wieder Iso.

Die Engelgasse habe ich zu Schulzeiten in ganz anderem Tempo geschafft. Damals allerdings mit dem Fahrrad in entgegengesetzter Richtung und mit dem vom Stundenplan gesetzten Zeitlimit im Nacken.

Von der Grosspeterbrücke aus sehen die Gleise der Einfahrt in den Bahnhof im morgendlichen Gegenlicht aus wie eine Modellbahnanlage. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch der Halbmarathon im Maßstab 1:1 über volle 21 Kilometer gelaufen wird. Gleich nach der Brücke folgt eine kurze Begegnungsstrecke. Irgendwie juckt es mich, dass ich nicht spritzig genug bin, um auf der anderen Straßenseite mitlaufen zu können, und muss mir gleichzeitig sagen, dass ich mich mehr als glücklich schätzen darf, dass ich überhaupt mitlaufen kann – und das erst noch nach einem nicht so kurzen Lauf am Vortag.

Das niedlich kleine Quartierfeuerwehrhaus Dreispitz, ein Kontrast zu den großvolumigen Bauten ringsum, ist heute vermutlich nicht einmal für das gegenüberliegende Einkaufszentrum groß genug, aber ein wertvoller Zeitzeuge der Stadtentwicklung. Bis ich wieder auf der Begegnungstrecke bin, kommt mir niemand mehr entgegen. Ich befinde mich irgendwo zwischen den Zugläufern für 4:30 und 5:00.

Nun geht es hinein ins Gundeldinger Quartier, in Basel „s’Gundeli“ genannt – oder vor dem Hintergrund der zahlreichen Bewohner mit Migrationshintergrund auch scherzhaft „Gündülü“. Das Läuferfeld auf der Südseite des Bahnhofs ist ziemlich unter sich. Wer als Zuschauer am Straßenrand steht, den hat es meistens aus Zufall dahin verschlagen. Ich kann einfach nicht verstehen, warum die Bevölkerung dem Marathon nicht mehr Interesse und Wohlwollen entgegenbringt. Mir persönlich machen einsame Läufe nichts aus, doch ich finde es den Veranstaltern gegenüber unfair. Da wird mit großem Aufwand eine gut organisierte Laufveranstaltung auf die Beine gestellt, die das Potential hat, der Stadt mehr Glanz zu verleihen, und dann nutzen die Basler dieses Instrument nicht besser.

In meiner Enttäuschung schlage ich den Läufern um mich herum vor, dass im kommenden Jahr die Strecke um den zehnten  und elften Kilometer herum nicht um den Zoo herum geführt werden sollte. Viel besser wäre es, durch den Zoo hindurch. Vermutlich würden die Affen der vorbeiziehenden Läuferkarawane mehr Aufmerksamkeit schenken…

Durch die Steinenvorstadt geht es in Richtung Barfüsserplatz, wo schon zwölf Kilometer hinter mir liegen. Den Kohlenberg hinauf gönne ich mir eine Gehpause und auch in den folgenden Gassen der Altstadt schraube ich einen Zacken zurück, um die schönen Häuser bildlich festzuhalten. Ausgerechnet jetzt, wo die Strecke in umgekehrter Richtung aufs Spalentor zugeht, ist dieses eingerüstet und verhüllt. Als besonderer Service ist es in Originalgröße auf der Schutzplane abgebildet.

Über den Petersplatz geht es weiter zur Peterskirche. Die Glocken läuten und laden ein zum Gottesdienstbesuch. Einer kleinen Pause wäre ich nicht abgeneigt, doch ich zweifle daran, ob ich in meinen verschwitzen Klamotten da drin willkommen wäre.

Auf dem Weg hinunter zum Rhein kommen wir noch an einer weiteren schönen Kirche vorbei, der Predigerkirche am Totentanz mit ihrer wunderbar klingenden Silbermann-Orgel.

Am Rhein gibt es einen schönen Blick aufs Kleinbasel, wo beim Klingental der Start zum 1/6-Marathon war. Die Marathonis haben nun ein Drittel der Strecke geschafft, ich bereits zwei. Obwohl ich den Eindruck habe, dass mein Fahrwerk auch eine zweite Runde ohne Probleme überstehen würde, habe ich den Entscheid nun definitiv gefällt. Ich laufe noch sieben Kilometer, dann setze ich zur Landung an. Trotzdem mutet der Gedanke, dass es nur noch so kurz geht, ein wenig seltsam an. Es ist erstaunlich, wie man sich an Distanzen gewöhnen kann.

Im St. Johannspark steht ein weiterer Verpflegungsposten.  Gemütlich trinke ich meine Ration und mache mich dann ebenso gemütlich auf zur Dreirosenbrücke, über welche wieder ans rechte Rheinufer ins Kleinbasel gewechselt wird. Auf der Uferstraße gibt es wieder ein kurzes Begegnungsstück. Ich bewundere die Verve, mit der die Entgegenkommenden dem Ziel, respektive der zweiten Runde zustreben.

Wo die Wiese in den Rhein fließt und der Rheinhafen Basels Tor zur Welt markiert, wird zur Kontrolle die Zwischenzeit genommen, dann geht es dem Rhein entlang wieder zurück ins Stadtzentrum. Die edlen Flusskreuzfahrtschiffe spucken gerade eine Ladung Touristen aus. Ich bezweifle, dass sie in so kurzer Zeit einen so repräsentativen Blick auf die verschiedenen Facetten der Stadt am Rheinknie erhalten wie wir Läufer. Und wer eine solche Distanz nicht zum ersten Mal läuft, kann das sogar sehr entspannt tun, das Zeitlimit lässt es zu.

Bei der alten Kaserne, einem eindrücklichen Bauensemble, wird der Rheinuferweg verlassen und diese Ecke umrundet. Dann wird, bevor an einer weiteren Wasserstation nochmals nachgetankt werden kann, auf der Mittleren Brücke wieder auf die Großbasler Seite gewechselt. Hier streckt der „Lällekönig“  (Lälli heißt auf Baseldeutsch Zunge) dem „minderen Basel“ seit Jahr und Tag die Zunge raus.

Über den Marktplatz schlendern Stimmbürger zum Abstimmungslokal im neu herausgeputzten Rathaus, um ihren Bürgerpflichten bei den eidgenössischen Abstimmungsvorlagen nachzukommen. Meinen Berichterstatterpflichten komme ich heute nur teilweise nach, indem ich der Aufforderung, links zu halten, nicht Folge leiste, rechts abbiege und ins Ziel beim Barfüsserplatz einlaufe. Kaum baumelt die Medaille an meinem Hals, kommt hinter mir der Sieger des Marathons ins Ziel. Dieser Anblick ist mir nicht so häufig gegönnt.

Mit dem letzten Saft des Kameraakkus halte ich den hoch geschätzten Ausschank des besten bleifreien Hopfensafts fest. Ich halte mich an einem und noch einem Becher fest, dann ist nach der Nierendusche herkömmliches Duschen angesagt. Eine junge Läuferin sagt beim Anblick des Duschzelts leicht despektierlich: „Was, das sind die Duschen?“  Diesem Greenhorn fehlt offensichtlich der Erfahrungswert, dass ein Duschzelt Garant für heißes Wasser auch für den Letzten ist.

In der Steinenvorstadt komme ich endlich zu meinen gut gesalzenen Pommes, nach welchen ich mich seit dem achtzigsten Kilometer gestern gesehnt habe. Vom Tisch in der Fußgängerzone aus kann ich den Marathonis auf der zweiten Runde ein wenig Unterstützung und Anerkennung bieten.  Das Sightseeing habe ich auf der einen Runde so intensiv wie möglich betrieben, nun ist Entspannung angesagt.

  

Marathonsieger

Männer

1. Wacker Josias,  Binningen                2:29.21,0   
2. Schenk Felix,  Wigoltingen                 2:43.54,1   
3. Strähl Stefan,  Oensingen                  2:48.30,5   

Frauen

1. Colledge Flora,  Basel                     3:15.05,6    
2. Minder Esther,  Mühledorf BE         3:27.32,1   
3. Huber Luana,  Basel                        3:28.40,7  

310 Finisher

 

 

Informationen: Basel Marathon
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