Außer einer Gruppe von 30 – 40 Jugendlichen, die vor einem Imbisswagen Schlange nach einem Gyros stehen, begegnet mir kein Mensch, kein Läufer mit übergeworfenem Kleiderbeutel gibt mir Sicherheit. Als guter Deutscher bin ich, wenn es heißt Abfahrt ab 6.00 Uhr, eben um 5.50 Uhr zur Stelle. Und das ist in Griechenland halt nicht so. Also sitzen im ersten Bus neben mir noch ein paar Landsleute, Schweizer, Franzosen, Dänen und nur ein paar schlafgestörte Griechen.
Um 5.55 Uhr fährt der Bus los und gleichzeitig fängt es an zu regnen – und wie. Aber in drei Stunden, beim Start, scheint die Sonne, davon bin ich überzeugt. Fast eine Stunde davon ist rum, als wir in Marathon ankommen, den Bus verlassen und auf dem Weg zum nächstgelegenen Unterstand klatschnass werden. Mein Gesicht wird immer länger. An meine Wetterprognose will ich so recht auch nicht mehr glauben, denn im ersten Morgenlicht sind nichts als dunkle Wolken zu erkennen.
Um im Kreis der erwartungsfrohen Läuferschar nicht weiter aufzufallen, mache ich letztlich auch gute Miene zum bösen (Wetter-) Spiel. Erst als der Sprecher mahnt, jetzt endlich die Klamotten abzugehen, denn in 20 Minuten wird pünktlich gestartet, wird es etwas hektisch und manch ein Läufer merkt, dass sein Nummernaufkleber sich regennass vom Beutel gelöst hat. Die Helfer wissen Rat, schreiben die Nummer auf ein Klebeband und umwickeln damit den Beutel. Das braucht nur Zeit, und die wird jetzt knapp.
Während unter dem Startbogen die Teilnehmer den feierlichen Eid sprechen, hechten die Letzten über die Bande in ihren Block und sind schon vor dem Start außer Atem. Zuschauer sind kaum anwesend. Den Einheimischen ist es wohl zu nass und für die Angehörigen ist es ziemlich umständlich, wieder zurück in Richtung Athen zu kommen. So bejubeln die Marathonis sich einfach selbst, als endlich der Startschuss fällt.
Zehn Minuten dauert es, dann sind die Positionskämpfe beendet und man kann sich darauf konzentrieren, nicht in eine tiefe Pfütze zu treten, um nicht gleich am Anfang durchnässte Füße zu haben. Nach weiteren zehn Minuten hat sich das erledigt. Einziger Trost für die durchnässten Läufer – es ist nicht kalt. Die Schnellen sprechen bestimmt von guten Bedingungen.
Nach ungefähr vier Kilometern verlassen wir die Hauptstraße um eine Schleife um den Grabhügel der bei der Schlacht von Marathon gefallenen 192 Athener Soldaten zu machen. Die Anlage ist sehr gepflegt, aber nur weil man hinter dem Zaun etwas Besonderes vermutet, fällt der Hügel auf. Von hier aus also muss 490 v. Chr. Pheidipides zu seinem Lauf gestartet sein. Lief er wie wir der Küstenstraße entlang oder nahm er den kürzeren, aber viel beschwerlicheren Weg über die Berge?
Bis km 11 ist die Strecke ziemlich flach. Trotzdem fällt mir das Laufen schwer. Ich habe Blei in den Beinen und die Muskeln schmerzen schon jetzt. Pünktlich zur ersten Steigung bei km 11 lässt der Regen nach, im Süden sind Aufhellungen erkennbar. Einen Kilometer zieht sich der Anstieg hin. Ich laufe langsam, überhole viel und werde mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages belohnt.
Die Straße ist in beiden Fahrtrichtungen zweispurig. Obwohl nur die rechte Spur von den Läufern genutzt wird, sind beide Richtungen gesperrt. Nur ganz vereinzelt sieht man einen Bus mit Sondergenehmigung oder Einsatzfahrzeuge der Polizei oder des Rotes Kreuzes. Jeder Kilometer ist markiert, alle paar Kilometer kommt eine Wasserstelle, teilweise gibt es auch Iso, später Bananen und Gel und am Schluss auch Cola. An den zahlreichen Bushaltestellen stehen zwei oder drei Helfer vom Roten Kreuz. Da gibt es nichts zu meckern. Überhaupt kann ich alles, was mir vorher über den Athen Classic Marathon berichtet wurde (es war nicht viel Gutes dabei), vergessen. Stinkende und hupende Autokolonnen – Fehlanzeige! Schlechte Organisation und Verpflegung – Fehlanzeige! Hitze – Fehlanzeige (das kann aber beim nächsten Mal schon wieder anders sein)! Nur die hügelige Strecke bewahrheitet sich – und genau das hatte ich unterschätzt.
Zur Abwechslung laufen wir durch einen schönen Pinienhain, links kann man das Meer erkennen. Ansonsten sind entlang der Straße vereinzelte kleine Orte, deren Namen meist nur in Griechisch geschrieben sind und ich nicht entziffern kann. Der bekannteste Ort ist wohl wegen seines Badestrandes Nea Makri, den die Athener an den Wochenenden gerne aufsuchen. Zwischen den Orten gibt es unzählige Gewerbebetriebe, quer durch’s Branchenbuch.
Endlich, es geht auch einmal abwärts. Auf dem Gefälle Richtung Rafina (km 18) kann man es einmal so richtig rollen lassen. Aber der nächste Anstieg wartet schon. Meine Zeit für die Halbdistanz verschweige ich, beim Jungfrau Marathon war ich schneller. Aber der Regen hat aufgehört.