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Laufberichte

Der Härteste im Norden

18.06.11

 

WUMM!!! Ein ohrenbetäubender Kanonenböller direkt neben dem Starterfeld lässt mich zusammenschrecken. Weißer Qualm steigt auf und ein munter anfeuerndes Zuschauerspalier schickt knapp 170 Marathonläufer und 68 Staffelstarter los.

Vom Neubrandenburger Kulturpark aus soll es einmal rund um den Tollensesee gehen. Norddeutschlands härtester Marathon soll das sein. Wohl wegen der nicht zu unterschätzenden An- und Abstiege, nahm ich an. Ich meldete mich vor, um das jetzt zu überprüfen. Dabei stand mein Start auf der Kippe, denn ein Schnupfen machte mir unter der Woche zu schaffen. Doch nun laufe ich locker in einer kleinen Gruppe durch den grünen Wald am Ostufer des Tollensesees in Richtung Süden. Fühlbar nahe plätschert das Wasser vom Tollensesee ans Ufer. So mancher Landschaftsblick tut sich uns auf – gegenüber den Campingplatz Gatscheck werden wir bei km 36 erreichen. Ein langer Weg, nun ja…

Viel geredet wird nicht. Anspannung ist spürbar, aber keiner verkrampft. Jeder sucht und findet sein Tempo. Ich orientiere mich an einer beständig laufenden Frau: Marion Thomson aus Fahrdorf. Wir plaudern ein wenig. Der ein oder andere Staffelläufer im Feld fällt uns auf. Einige brechen jetzt schon ein, haben einen schleppenden Schritt – sind halt keine Marathonis.

Nach 8 km in Klein Nemerow der erste Staffelwechsel. Jetzt werden wir von den zweiten Staffelläufern erst mal stehen gelassen. Doch das irritiert uns nicht.

Bei den Verpflegungsstellen werden stilles Wasser sowie Apfel- und Bananenstücke angeboten. Ich verzehre im Gehen, während Marion und die meisten anderen um mich dies im Laufen tun. Bisher war das Streckenprofil flach. Doch bei km 10 in Bornmühle wird es selektiv. Auf einem Anstieg lese ich die blaue aufgesprühte Schrift auf dem Asphalt: „Martin Lenk Go!“ – Martin ist ein Lauffreund von mir und hier beheimatet. Er läuft jetzt irgendwo vor mir, genau wie Markus Dreyer, der wie ich aus Putbus auf Rügen stammt.

Da die Anstiege mir liegen bin ich bald wieder an Marion und anderen heran und vorbei. Die Gruppe ist gesprengt. Da sind auch wieder einige Staffelläufer, die schwächeln. Wir laufen jetzt etwas entfernt vom See durch Feld und Wiese, an der Nonnenmühle vorbei bis nach Usadel. Wer Landschaften liebt, kommt voll auf seine Kosten. Das Korn steht in den Feldern, der Mohn und die Kornblume blühen. Pferde, Kühe, Rinder grasen auf den Weiden. Und das alles bettet sich als famoser Ausschnitt in die recht großflächige und hügelige Landschaft der Mecklenburger Seenplatte.

Auch die verschieden dichten Wolken am Himmel passen ins Bild. Da die Mittagsstunde naht, bin ich über jede Wolke am Himmel dankbar. Gottlob herrschen nicht die von mir gefürchteten 30 Grad Celsius, doch die Luft ist recht schwül. Einige flache Kilometer führen uns nun gen Westen. Wir haben die Südspitzte des Tollensesees mit seinem Nebengewässer, der Liebs, erreicht.
 
Hier, beim Ort Prillwitz, biegen wir auf eine Wendepunktstrecke. Jetzt kommen die schnelleren Läufer von vorn. Deren Studie ist unterhaltsam und motiviert mich eher. Engagiert setzte ich den recht steilen und ca. 2,5 km langen Anstieg nach Hohenzieritz hinauf. Da kommt Martin von vorn. Ein kurzer Wortwechsel. Er bindet sich einen Schuh neu. Ein Zeichen von Schwäche? Wenig später kommt Marcus. Er lächelt und wir klatschen uns die Hände ab.

In Hohenzieritz durchlaufen wir einen Landschaftsgarten, der zum dortigen Schloss gehört. Schloss und Ort wurden europaweit bekannt, da die Anfang des 19. Jahrhunderts im Volk beliebte Königin Luise hier verstarb. Heute erinnert eine Gedenkstätte an Königin Luise.
 
Die Hälfte des Marathons schaffe ich in genau zwei Stunden. Das ist genau das Zeitfenster, in dem ich sein wollte. Stimmung, Verpflegung und zweiter Staffelwechsel in Hohenzieritz, dann geht’s wieder hinab Richtung Prillwitz.

Jetzt noch mal knapp zwei Stunden und ein Finish unter vier Stunden. Klingt ganz einfach, oder? Und jetzt kommen die langsameren von vorn und von nun an werden die Kilometerangaben rückwärts gezählt – noch 20, noch 19 km, noch 18 km…

Bis dahin war ich recht guter Dinge. Doch dann, wir biegen nordwärts auf die weitere Umrundung des Tollensesees ein und niemand kommt mehr von vorn, die ersten Schwächegefühle. Ich suche nach den berühmten Warum-Ausreden. Lugt die Sonne zu oft hinter den Wolken hervor? Ist es zu schwül? Waren Wasser und Obst unzureichende Verpflegungen? Hätte ich neben zwei Salzbonbon besser noch Gels oder Riegel mitführen sollen? Handicapt mich doch der nicht ganz ausgestandene Schnupfen?

Bei Zippelow - noch 16 km - geht es recht ordentlich hinauf. Das bewältige ich ganz gut. Und da ist Martin vorn zu sehen, er geht und schwächelt also auch. Nach der Verpflegung vor Wustrow setzte ich mich an den Streckenrand und schnüre einen Schuh neu – ein Zeichen von Schwäche, aber der Schuh saß zu locker, ja. Nun kommt Marion heran, bravo. Doch auch sie stöhnt: „Hätte ich das gewusst, wäre ich nicht gelaufen. So langsam war ich noch nie.“ Ich halte noch mit ihr mit. Bis zu Martin. Von jetzt an muss auch ich öfter gehen. Martin gibt mir noch Streckentipps: „Zwei Berge noch, zum Schluss kurz vor Broda zieht es sich ganz schön hin, im Kulturpark erwartet uns noch eine steile Brücke.“

Ich laufe wieder, Martin fällt weiter zurück, aber Marion, sie zieht davon. Und noch lange 12 km bis ins Ziel. Was ein wenig tröstet, auch einige andere wechseln zwischen den Fortbewegungen Laufen und Gehen ab. Was deprimiert, andere ziehen gemächlichen Laufschrittes vorbei. Mit Ach und Krach laufe ich den letzten nennenswerten Anstieg nach Alt Rehse hinauf, lasse die Anfeuerung dort beim letzten Staffelwechsel über mich ergehen und gehe geraume Weile mit Wasser und Obst in der Hand.

Wind ist aufgekommen, die Sonne ist weg, doch das nützt mir herzlich wenig. Auch dass die letzten 10 km flach und durch Wald führen sollen, baut mich nicht auf. Wir sind wieder dicht am Tollensesee, als es vom Himmel her zu grummeln anfängt. Dann fängt es zu tröpfeln, zu regnen, zu gießen an. Dazu blitzt und kracht es am See und im Wald. Jetzt nur nicht frieren! Ich treibe mich an und halte doch nicht lange den Laufschritt durch. Doch es ist warmer Regen und die Szenerie könnte ganz romantisch sein, wenn ich nicht so fertig wäre.

Noch 7 km, dann Verpflegung beim Campingplatz Gatscheck. „Cola?“, ruft eine Helferin mir zu. „Oh, ja.“ Ich greife zwei Becher, stürze sie hinunter und sie bauen mich ein paar Minuten auf. Der Gewitterguss hält an und wir haben die Wahl auf der uneben Pflasterstraße oder dem überfluteten Waldweg daneben zu laufen. Ich wähle den gewässerten Weg und fühle mich an meine Barfußläufe zu Pfingsten die Woche zuvor am Thiessower Ostseestrand erinnert. An Durchlaufen war jetzt aber nicht zu denken. „Ich bin kaputt“, sagt ein Läufer, mit dem ich ein paar Schritte gehe. Doch dann läuft er weiter, länger als ich. Ein Staffelläufer ist beständig um mich herum. Er läuft recht langsam in beständigem Rhythmus. Ich würde auch gern dieses Tempo laufen. Aber wenn ich laufe bin ich schneller und überhohle ihn, wenn ich gehe, läuft er an mir vorbei.

Zweimal gibt es noch Verpflegung, auch Cola. Das und dass das Gewitter 3 km vor dem Ziel endet sind Lichtblicke. Ich unterhalte mich mit Jürgen Teichert vom Marathonclub 100, mehr im Gehen freilich. 2 km vor dem Ziel im Strandbad Broda die letzte Cola und ein Blick zurück. Da ist Martin fast heran. Nun, das stimuliert mich insoweit, dass ich mir vornehme den Rest durch den Kulturpark zu laufen.

Ich laufe los und auch Jürgen zieht kurz an, geht aber bald wieder krampfgeplagt. Ich laufe noch immer! Dann das Schild: noch 1 km und genau dort zucken warnenden Krämpfe durch beide vorderen Oberschenkel. Ich will aber laufen, drossele das Tempo nun doch, schaffe es sogar noch an einem Mitläufer vorbei. Dann sind plötzlich mein Neffe Till und Markus Sohn Robert neben mir und laufen mit, kurz vor dem Ziel auch mein Neffe Malte. Die Jungs geleiten mich rein. Endlich im Ziel. Aber ich weiß, den Tollenseseemarathon habe weniger ich, viel mehr hat er mich geschafft. Da kommt auch Martin von seinen Kindern Luise und Adrian, seinem Freund Andreas Klug und von Till hereingeleitet. Markus war schon seit 20 Minuten und Marion seit fünf Minuten da. Aber wir sind uns einig: Das ist Norddeutschlands härtester Marathon.

 

 

Informationen: Tollenseseelauf
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