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Laufberichte

Lake Tahoe IRONMAN Triathlon 2013: High five

22.09.13 Special Event
 


Eismeerschwimmerin


Ich drücke Natascha wie zum Abschied. Es gibt nicht mehr viel zu sagen. Ich hole nochmal Luft. Das kalte Wasser ist wie ein Weckruf für meine Blutkörperchen. Ganz langsam läuft das Wasser in den Neopren, kühlt kurze Zeit die Emotionen. Die Zeit läuft. Wir schwimmen zwei Runden gegen den Uhrzeigersinn. Am Rande des Sees jubeln die  Zuschauer, Sponsoren, Helfer. Brustschwimmend wage ich die ersten Züge, traue mich nicht das Gesicht in das kalte Wasser zu tauchen. Endlich kreiseln zaghaft meine Arme durch das Wasser,  ich habe Angst keine Luft zu bekommen, will einfach nur heil durchkommen. Trotz der Kälte fange ich an es zu genießen. Verzaubernder als die aus dem Nebelmeer steigende und schneebedeckte Bergkette der Sierra Nevada kann ein Bild von dieser Welt nicht sein.



Das erste Sonnenlicht trifft auf das Weiß des Nachtfrosts. Es vergoldet augenscheinlich die noch vor mir liegenden Bojen  – zumindest einen Augenblick lang. Der Rücken wird leicht erwärmt von der Sonne und ich sehe, wie das Wasser unter mir tiefer und ich spüre, wie der See kälter wird. Bei diesem Unterwasserfernblick dürfte jeder Goldfisch im Glas verrückt werden. Nicht hetzen, sich mitziehen lassen wie ein Stück Treibholz - das hatte ich mir vorgenommen. Dunst steigt aus dem Wasser empor, nicht nur der Wind kräuselt die Wasseroberfläche. Unter Wasser wirken die Triathleten in ihren schwarzen Neoprenanzügen wie ein aufgeschreckter Fischschwarm. Über Wasser schlagen die muskulösen Ausdauerenthusiasten mit ihren starken Arm- und Beinschlägen alles nieder – auch Treibholz! Mutig versuche ich mich so schnell als möglich in das Gewimmel der zuckenden Meerestiere einzufügen und um sozusagen in deren Kielwasser zügig und trotzdem sicher voranzukommen. Immer wieder hebe ich den Kopf und peile ich die Silhouette der nächsten Boje an, die allmählich näher kommt und bald habe ich die Hälfte der Strecke geschafft.


Land in Sicht


Ich kann durch meine Schwimmbrille beobachten, wie ein Schwimmer aus dem Wasser auf ein Boot gezogen wird. Mir schießt das Adrenalin ins Blut. Klar, jeder hat seine Tiefpunkte: Augenblicke, in denen man sich fragt, was um Himmels willen man hier eigentlich macht. Zum Glück habe ich bald meinen Rhythmus gefunden, kann es endlich genießen - das Gefühl, das alle Langstreckenschwimmer an diesem Sport so lieben: Die unbegrenzte Weite, das Schwimmen in der Natur, ohne Beckenränder oder schwarze Linien am Schwimmbadboden, sondern nur das klare Wasser unter mir, hier verwischt die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit. Ich denke an die vielen Trainingsstunden. Klatsch, schon hat mich die Realität eingeholt.

Stilperfektionismus oder Eintauchwinkel sind mir heute egal, die Arme werden schwer. Es hört nicht auf, es geht immer weiter so. Über immer gleiche Wellen und Falten. Noch sind etwa fünfhundert Meter zu schwimmen. Das Ufer kommt näher.


Crashtest Dummies


So schön der See auch ist, jeder ist heute bemüht so schnell als möglich wieder aus ihm herauszukommen. Nach und nach erreicht einer nach dem anderen das Seeufer. Nach 1:28 Stunden und damit auf Platz 43 meiner Altersklasse habe auch ich wieder festen Boden unter den Füßen. Ich renne zur Wechselzone und suche meinen Radbeutel.  Ohne die Helfer würde man im Chaos der tausend Kleiderbeutel untergehen. Rasch bekomme ich meinen Beutel mit den Radsachen darin in die Hand gedrückt und laufe in Richtung Wechselzelt. Noch bevor ich reagieren kann, zerren zwei andere Helfer an mir. Sie streifen mir den Neoprenanzug ab wie eine Schlangenhaut. Gehäutet und zitternd vor Kälte versuche ich ein paar Zentimeter Platz in dem  überfüllten und dunklen Wechselzelt zu erhaschen. Jedoch keine Chance auf einen Sitzplatz.

Völlig fassungslos betrachte ich das Wuseln und Treiben und versuche drei Schichten eng anliegende Kleidungsstücke über den feuchten Körper zu ziehen. Schon zieht und zerrt es wieder an mir. Die Helferinnen bemühen sich, jedem möglichst schnell in sein Trikot zu helfen. Die Kleidung ist kalt und klamm. Sie lag die ganze Nacht auf dem regennassen Boden, die Schnur daran ist über Nacht vereist. Zum Glück habe ich in die Tüte noch eine Tüte gesteckt und so hat meine Kleidung die Nacht trocken überstanden. 



Beim Triathlon gilt: Wer morgens seinen Einteiler angezogen hat, kommt bis abends nicht mehr aus ihm heraus – aber nicht hier: Hier und heute ist alles aufwendiger und die Zeit läuft und läuft. Meine eiskalten, steifen Finger sind keines Gefühls mehr fähig. Noch immer kraulen viele gleichförmig durch das kalte Gewässer. Nicht wenige unter ihnen sind, wegen der Kälte bereits hier auf der Strecke geblieben. Bis dann endlich meine Schuhplatten in die Pedale klicken sind unglaubliche 18 Minuten (!) vergangen. Zum Vergleich, in den vergangenen Jahren habe ich in Frankfurt in der ersten Wechselzone immer nur knapp 6 Minuten gebraucht.


Up, up and away


Über leichte Hügel gleite ich Richtung Westen über neun Meilen bis nach Tahoe City immer am See entlang. Er ist von hohen Gipfeln voller weißem Pulverschnee und tiefgrünen rauschenden Wäldern umgeben. Die besonders tiefblaue Farbe des Wassers begeistert mich, auch wenn unter dem Helm noch immer das Seewasser unangenehm aus dem klatschnassen Pferdeschwanz über meinen Rücken tropft. Sanft steigt die Strecke in die erste Kurve.



Nur ganz langsam werde ich warm. Ständig bin ich damit beschäftigt meinen körperlichen Zustand zu kontrollieren. Pulszone, Atmung und Ernährung. Die Powerbarriegel sind eiskalt und steinhart und bei jedem Biss habe ich Angst mir einen Zahn abzubrechen. Am Highway 89 blitzt gelegentlich der Truckee River durch die Büsche und Bäume. Locker rolle ich in die hundertvierzig Jahre alte Kleinstadt Truckee.  Gegründet wurde der Ort als Vorposten der Central Pacific Railroad, der Hauptachse von Küste zu Küste. Berühmt wurde er als Drehort von Filmen wie Charlie Chaplins "Goldrausch" oder James Camerons "True Lies" mit dem ehemaligen Gouverneur Kaliforniens Arnold Schwarzenegger. Wie im Wilden Westen stehen die Holzhäuser aus dem neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert am Straßenrand Spalier. Nach 36 Meilen geht es in die Berge und mit der Gemütlichkeit ist es zwar jetzt vorbei, aber dennoch kann ich ständig überholen.


Geschlossene Gesellschaft (North Star)


Ich bin auf dem Northstar Drive.  Der Aufstieg auf den Gipfel des Nobelskigebietes Northstar California hat ungefähr den gleichen Anstieg wie der zum Brockway Summit, der  den höchste Punkt der Radstrecke markiert. Die Fahrt auf den Gipfel ist ein willkommener Moment, die geschundenen Sitzknochen aus dem harten Sattel zu heben. Die Atemzüge werden lauter. Ich versuche die Drehzahl gleichmäßig zu halten und meine Atmung zu normalisieren. Die wärmer werdende Luft duftet jetzt nach Pinien. Nirgendwo ein Bürgersteig, nicht mal einen einzigen Fußgängerüberweg und von den Laternenpfosten grinsen keine Gesichter von den großformatigen Wahlplakaten des heute um neun Stunden versetzten Bundestagswahlkampfes im weit entfernten Deutschland. Auf 6.800 feet (2072 HM über N.N.) unterfahren wir die Northstar Gondel.

Eine Fahrradklingel hat hier keiner – aber auch kein Mitleid. Denn leiden muss hier jeder. Ich bin nur auf meine Oberschenkel fokussiert – alles andere blende ich konsequent aus. Ich schalte in den kleinsten Gang, nutze den dritten Kranz, den sogenannten Rettungsring. Das Tempo nach zehn Minuten: Ganze neun Stundenkilometer. Mein Herz schlägt kräftig. Dann, endlich oben. Atemlose Erleichterung. Ich bin von dem fantastischen Blick ins Tal überwältigt.

Am zweiten Pass wirft es mich im wahrsten Sinn des Wortes dann fast doch noch aus dem Sattel und zwar vor Staunen. Vor mir arbeitet sich ein durchtrainiert aussehender Triathlet mit kleinem Schädel und großen Aerohelm auf seiner Triathlon-Rennmaschine mit Scheibenrad den Berg hoch und lässt sich kampflos von mir überholen. Dann (kreisch!!!) befinde ich mich am Fuß des 7209 feet (2.197 Meter über N.N.) hohen Brockway Summit. Dort oben hat es gestern noch geschneit! Mein Wille kann mit dem Aufstieg fertig werden, aber wissen das auch meine Beine?

Im kleinsten Gang pedalliere ich gen Himmel, Durchschnittsgeschwindigkeit 8,9 km/h oder so. Ich tanke die Luft der Sierra Nevada. Trinke und esse. Was das betrifft ist die Sache einfach. Jede Stunde immer ungefähr das Gleiche: Einen Riegel oder ein Gel, dazu ein Powerbar Getränk oder auch mal eine Flasche Wasser. Anspruchsvoll sollte man nicht sein. Ist man erst einmal hungrig oder durstig ist es meist zu spät.

Für Fahrzeuge ist die Straße in unsere Fahrtrichtung gesperrt. Auf der Gegenfahrbahn betrachte ich Wohnmobile so groß wie Reisebusse und dazu an der Anhängerkupplung ein Boot oder Geländewagen.  Der aufmunternde Gruß eines Fahrers reist mich aus meiner Gedankenwelt, ich beeile mich ihn zu erwidern. Schließlich ist auch der letzte Gipfel erreicht und der eigene Kampf mit der Schwerkraft ist bewältigt. Die Kette surrt, die Landschaft fliegt vorbei, endlich geht es wieder abwärts. Ich lege mich auf den Vorbau meines Lenkers und bestimmt klatschen schon die Mücken gegen meinen Helm; der Wind rauscht durch meine Ohren als ich mit mehr als 60 km/h drei Meilen downhill rase!!! Die erste Runde ist geschafft.

Die letzten vierzig Meilen der zweiten Runde bis zum Ziel empfinde ich wie Hundert und sie werden zur Tortur - die Willenskraft schon wieder auf eine harte Probe gestellt. Schon wieder bin ich am letzten Anstieg dazu verdammt mit zehn oder maximal elf Stundenkilometer dahin zu kriechen. Kopf und Blick gesenkt um mir den Anblick des Anstiegs der vor mir liegt zu ersparen. Ich japse in der dünnen Luft, Reden ist nicht möglich – mit wem auch? Wind, Berge, dünne Luft geben ein dramatisches Trio ab. Jetzt wäre ich froh nur einen dieser Gegner zu haben, jede Meile fällt mir doppelt schwer. Sie schenken mir keinen einzigen Yard, kennen keine Barmherzigkeit. Der Wind peitscht mir entgegen, fegt den Staub von der Straße mir in den Mund. Dennoch bin ich überrascht, weder das Herz rast, noch der Puls tobt. Lediglich im Hinterteil plagt mich ein stechender Schmerz und die Füße brennen unerträglich. Der Gegenwind bläst mir so hefig entgegen als wolle er mich von der Straße schieben oder über die Grenze nach Nevada fegen.

Schnaufend überholt mich ein Prachtexemplar eines Südstaatlers. Er grinst herausfordernd. Ich trete und trete und komme doch nicht voran. Schutz hinter dem breiten Rücken des Südstaatlers zu suchen ist anziehend, aber verboten.

 
 

 
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