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Laufberichte

Laufen am Blauen Band

24.10.04

In Berlin wird vor jedem Marathon eine blaue Linie vom Start bis zum Ziel gezogen. In Magdeburg können sich die Organisatoren diesen Aufwand sparen: Gelaufen wird am Blauen Band!

 

Selbst ein Blaues Kreuz steht als Wendemarke zur Verfügung. Gemeint sind die uralte Elbe und das neue Wasserstraßenkreuz mit Europas längster Trogbrücke nördlich von Magdeburg. Man nehme in südlicher Richtung den Dom, Deutschlands älteste gotische Kathedrale, als Wendepunkt und fertig ist ein City- und Landschaftslauf am Blauen Band.

 

So geschehen am 24. Oktober 2004 beim 1. Magdeburg-Marathon.

 

Jeder, der die klassische Strecke von 42,195 Kilometer läuft, muss schon etwas verrückt sein. Dreimal war ich es bereits. Das sollte eigentlich genügen – dachte ich. Doch als ich das erste Mal von der Premiere in meiner Heimatstadt hörte, war für mich klar: Als waschechter „Machteburjer“ musst du dabei sein, auch wenn ich bereits das Angebot „Studieren ab 50“ der hiesigen Uni nutzen könnte.

 

Endlich ist es so weit. Der Sonntag trägt heute seinen Namen völlig zu Recht. Es soll der wärmste 24. Oktober seit 60 Jahren werden - 21 Grad im Schatten.

 

Um 9.45 Uhr treffen wir uns bei den Messehallen. Wir laufen uns etwas ein, begrüßen Bekannte unter den Zuschauern und jede Menge Mitläufer. Durch die ganzjährigen Ranglistenläufe um den Sachsen-Anhalt-Cup kennt man sich eben.

 

Ein Marathon in der Heimatstadt – das hat schon was! Nicht nur weil wir auf Teilstrecken trainieren konnten, auch emotional ist es etwas Besonderes. Schließlich verbinden sich mit vielen Straßen, Wegen und Plätzen persönliche Erinnerungen.

 

Es beginnt bereits am Start. Die steingrauen Gebäude am Messegelände wurden jahrzehntelang als Kaserne genutzt. Mein Vater wurde hier 1938 eingezogen und kehrte erst elf Jahre später aus sowjetischer Gefangenschaft zurück. Ich freue mich über das schöne Wetter, die tolle Stimmung und darüber, dass ich nach den sinnlosen Weltkriegen geboren wurde.

 

Habe für heute eine wichtige Aufgabe übernommen, soll für Tochter Yvonne und Torsten aus Genthin, beide bestreiten ihren ersten Marathon, als Bremser fungieren. Erfahrungsgemäß neigen Läufer um die 30 zu einem zu hohen Anfangstempo. Zwischen Euphorie und Einbruch liegen dann nur ein paar Schritte. Nach den Trainingseindrücken haben wir uns auf eine Kilometerzeit von rund 6:30 Minuten geeinigt, die wir bis Kilometer 30 durchhalten wollen. Mein persönliches Vorhaben: Vor 15.00 Uhr im Ziel sein!


Die Startzeit rückt näher. Gleich ist es 10.15 Uhr. Die letzten Sekunden werden vielstimmig heruntergezählt: Fünf, vier, drei, zwei, eins – Schuss. Unser OB Lutz Trümper hat pünktlich abgedrückt!

 

Eine riesige Läuferschlange, bestehend aus fast 1.800 Laufverrückten auf drei Strecken, setzt sich in Bewegung, überquert erstmals die Elbe und schlängelt sich dann an dieser entlang, von der Lukasklause bis zum Dom. Das Panorama wurde früher von sieben doppeltürmigen Kirchen bestimmt, doch drei haben Bombenhagel und Sozialismus nicht überstanden. Aber alle anderen Kirchen und die Reste der einst mächtigen Stadtmauer wurden liebevoll restauriert. So ist Magdeburg von der Elbseite wieder prächtig anzuschauen.

 

Auf der Elbuferpromenade Petriförder ist das bunte Feld noch dicht geschlossen. Am dortigen Elbpegel ist eine digitale Anzeige zu sehen: 0.99. Einige schauen verwundert auf ihre Uhren, denken sicher, dass es sich um die mitlaufende Zeit handelt. Doch 0.99 passt besser zu Aldi, als zu einer Zeitangabe.

 

Auf dem Domplatz bekomme ich Gänsehaut, ähnlich wie bei meinem Marathondebüt in Berlin, als ich erstmals durch das Brandenburger Tor lief. Es ist der Atem der Geschichte. Ich denke dabei weniger an Otto den Großen oder an die Truppen Tillys und Pappenheims. Nein, meine Gedanken gehen zurück in den stürmischen Herbst anno 1989. Es war gestern Abend vor 15 Jahren, als hier am Dom die erste Montagsdemo in Magdeburg begann. Wir zogen schweigend durch die Innenstadt.

 

Welch ein Unterschied zur heutigen Stimmung!

 

Im Remtergang laufen wir durch ein schmales mittelalterliches Tor, an dessen alten Steinen rankenartig wilder Wein wächst, dessen Blätter leuchtend rot gefärbt sind. Hinter dem Nadelöhr wieder viele Zuschauer, die uns mit Rasseln, Pfeifen oder in Handarbeit anfeuern. Die Stimmung im Feld und am Straßenrand ist einfach super. Unter den Zuschauern entdecke ich viele Kolleginnen und Kollegen. Überhaupt beweisen die Magdeburger wieder einmal, dass der so genannte Bördemuffel sein Revier woanders haben muss.

 

Ich finde es einfach toll, echt supermegageil, wie mein Enkel sagen würde.

 

Nach der ersten Trinkstation führt der Kurs zurück ans Blaue Band, das in der Sonne silbern glänzt. Unsere Fangruppe hat inzwischen umgesetzt und sorgt am Ende der Friedensbrücke für gute Laune. Wir sind nun auf dem Elberadweg, der sich nach der Jahrhundertflut 2002 in einem tadellosen Zustand präsentiert. Kurz vor Kilometer neun biegen die 12-km-Läufer ab.

 

Am Parkhotel Herrenkrug sorgt ein Fanfarenzug für musikalische Umrahmung, wenig später die zweite Tränke für Erfrischung. Freundliche Helfer reichen das „gans gute Gaensefurther Mineralwasser“. Ausgerechnet dort, wo an einem heißen Sommertag meine liebe Gattin mit Enkelkind und Wasserflasche auf ihren trainierenden Mann wartete. Pech für mich, dass sie zur richtigen Zeit am falschen Ort war. Als sie es endlich bemerkte, war ich fast verdurstet. Seitdem ist uns der orientierungslose Wasserträger ein Begriff.


Yvonne, Torsten und ich haben jetzt einen guten Rhythmus gefunden. Bis zur Stadtgrenze, ein Drittel ist geschafft, genießen wir die herrliche Laubfärbung, zumal es im Feld etwas ruhiger geworden ist. Vor zwei Kilometern sind nämlich die Halbmarathonis rechts abgebogen. Darunter auch meine bessere Hälfte. Sicher mit viel Wehmut, denn zu gern hätte sie heute ihren ersten Marathon absolviert. Aber der Halbmarathon ist alles andere als eine halbe Sache und aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

 

Bei Halbzeit in Hohenwarthe bietet sich uns ein atemberaubender Anblick. Vor uns der riesige Trog mit der Vorlandbrücke, deren geschwungene Pfeiler an Schiffsspanten erinnern. Hoch oben sehen wir die etwas schnelleren Läufer wie an einer Perlenschnur aufgereiht. Atemberaubend werden auch die Rampen sein, um dort hinauf zu gelangen.

 

Da will die Elbe sicher nicht nachstehen. Sie zeigt sich unterhalb des Steilufers von ihrer besten Seite: Neue Schiffsanleger, heller Sandstrand und Angler auf den Buhnenköpfen. Sichtbare Zeichen, wie gut sich unsere Elbe erholt hat.

 

Nach 25 Kilometern haben wir alle nennenswerten Anstiege hinter uns: Den Weinberg, immerhin 75,6 Meter hoch, und zweimal die Rampen hinauf zur Kanalbrücke, auf deren südlichen Seite wir jetzt laufen. Hier kommen uns Micha aus Gommern und Simone aus Plötzky entgegen. Wir grüßen hinüber. Hinüber, weil uns der Inhalt von etwa 500.000 Badewannenfüllungen trennt. So viel Wasser fasst der gigantische Trog.

 

Als wir das technische Meisterwerk verlassen, heizen uns die Hohenwarther mächtig ein – mit einem offenen Feuer und Blasmusik. Sie feuern uns an, puschen uns vorwärts. Toll auch die Stimmung an der neuen Brücke bei Alt-Lostau, wo Zuschauer sogar eine La-Ola-Welle für uns drei inszenieren. Einfach Klasse! Und es hilft, der Schritt wird in diesem Moment spürbar lockerer.

Bei Kilometer 30 habe ich meine Aufgabe, wir sind nur geringfügig schneller als geplant, erfüllt. Dies war anfangs nicht immer leicht, pendelte sich nach der Drittelmarke jedoch sehr gut ein. So kann ich Yvonne und Torsten beruhigt ziehen lassen.

 

Bis Kilometer 37,5 halte ich, von Trinkpausen abgesehen, laufend durch. Die dortige Tränke ist das entscheidende Motiv. Hier habe ich Torsten plötzlich wieder eingeholt. Von Yvonne keine Spur. So wird sie leicht 4:30 Stunden unterbieten. Mein Kopf errechnet, dass ich bequem vor 15.00 Uhr im Ziel sein werde. Prompt nehmen meine Beine die Hochrechnung zum Anlass, von nun an mehrmals die Gangart zu wechseln. Immer mehr Sportfreunden geht es ähnlich. Einige Meter traben, einige Meter gehen – wieder traben und wieder gehen. Nicht so Torsten. Er bekommt plötzlich die zweite Luft und düst davon.

 

Die letzten drei Kilometer werden im herbstlich bunten Elbauenpark gelaufen. Kaum vorstellbar, wie es hier vor der Bundesgartenschau 2000 ausgesehen hatte.

 

Ich bin nicht mehr richtig flüssig, obwohl ich an jeder Wasserstelle getrunken habe. Für mich ist es heute einfach zu warm. Die an und für sich lächerliche Rampe zur Fußgängerbrücke über die Herrenkrugstraße, den wirklich allerletzten Anstieg des Tages, latsche ich mit einem Leidens- und Geschlechtsgenossen hinauf. Eine Läuferin mit netter Fahrradbegleitung, Essen auf Rädern, bleibt

eisern im Laufschritt. Frauen können sich einfach besser quälen, stellen wir fest. Es muss an den Genen liegen.

 

Von der Brücke sehe ich bereits das Ziel, muss aber noch eine Runde durch den Park drehen. Irgendwie gemein. Zu allem Unglück lande ich wie ein übermüdeter Formel-1-Pilot im Kiesbett, jenem am Kletterfelsen. Es ist sechs Minuten vor 15.00 Uhr, als ich wieder festen Boden unter den Füßen spüre. Ich nehme mir fest vor, ab jetzt durchzujoggen. Möglichst locker, mit einem Lächeln im Gesicht. Wegen meiner Fans und dem Zielfoto, das geschossen werden soll.

 

Ich biege um die letzte Ecke. Plötzlich ein Höllenlärm! Da kein anderer Läufer in der Nähe ist, muss es wohl meinetwegen sein. Noch einmal Gänsehaut-Feeling pur!

 

Ich genieße die Standing ovations - ehrlich gesagt, die Anzahl der Sitzmöglichkeiten tendiert gegen null. Nach vier Stunden und 41 Minuten bin ich im Ziel!

 

Übrigens: Nach dieser überaus gelungenen Premiere hat Magdeburg wie New York, London und Berlin seinen eigenen Marathon. Nun besteht kein Grund mehr, sich hinter diesen Städten zu verstecken. Dies als Schlussbemerkung, weil der Magdeburger dazu neigt, woanders alles besser zu finden.

 

Informationen: Magdeburg-Marathon
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