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Laufberichte

Schmerz, Hunger und Durst sind Hysterie des Körpers

28.05.11
Autor: Joe Kelbel

 Eine Mücke nachts im Auto kann schon den Tag versauen, aber wenn der schrille Wecker von Stevie um 4:30 das sanfte Säuseln der Nachtigal unterbricht, dann steht mir ein harter Tag bevor.

Die Heckklappe kann ich von innen nicht öffnen. Es ist nicht einfach, sich aus der Kälte des Fahrzeugs durch die Hintertür  zu krempeln.

Joey Kelly sagte zu mir: „Joe, ein optimaler Renntag beginnt damit, zunächst einmal den Gang zum Klo erfolgreich zu finishen.“  Und schon spurte ich los, es gibt  nur einen separierten Raum. Ich begreife umgehend, dass  in diesem Moment die richtige Platzierung ausschlaggebend für den ganzen Tag ist.

Zwei Kaffee im Sportlerheim, 1 Brötchen und umgehend die Ausrüstung sortieren. Zack Zack, es ist höchste Zeit!

„Es wird empfohlen wegen der Zecken mit langen Laufhosen zu laufen“
Ich checke meinen Rucksack: 2 Liter Wasser, Handy, Ausweispapiere, Müsliriegel, Hühnchen in Alu, 150 g Trockenfleisch, entspricht einem 450 g-Steak, 5 Scheiben Brot, Gels, Traubenzucker, Salztabletten, Blasenpflaster, Zeckenspray, Wundspray, Fotoaparat, Mülltüte, Melkfett und Coffeintabletten. Die Bekanntschaft am frühen Morgen mit diesem prallgefüllten Rucksack zieht mich runter.

Eigene Getränke darf ich als Eigenverpflegung an die Wasserstellen (24, 42, 55, 70) transportieren lassen. Feste Nahrung darf nicht an die Wasserstellen  mitgeschickt  werden,  auch nicht, wenn diese an den Flaschen geklebt ist. Am Ende dieses Tages werde ich die Kalorienaufnahme der letzten Woche verbrannt, 84,7 Kilometer und mehr als 3000 Höhenmeter bewältigt haben, dafür bekomme ich dann 2 Qualipunkte für den UTMB, der süße Wahnsinn.

Nicht nur die Entfernung und die Höhenmeter des Ultratrails sind eine Herausforderung, auch die Ernährungsautonomie und die Einsamkeit zählen zu den Gefahren. Innerhalb von 3 Jahren hat Eric Tuerlings einen brutalen Ultratrail und Kultlauf geschaffen, der in Deutschland nördlich der Alpen einmalig ist und mittlerweile Trailcracks aus der ganzen Welt anzieht. Das Teilnehmerfeld ist stark begrenzt, Eric will wissen, wer sich in sein Jagdtgebiet begibt.

 „Es ist nicht die Aufgabe des Veranstalters, Probleme der Läufer zu regeln: körperliche oder geistige Probleme, die auf Grund von großer Müdigkeit auftauchen, Verdauungsprobleme, Muskel- oder Gelenkschmerzen und/oder kleine Verletzungen.“

Ich habe keine Illusionen, keine Träume, es wird mein härtester Lauf werden. Ich werde den ganzen Tag auf mich allein gestellt sein. Allein mit meinen Schmerzen und mit meinen Gedanken. Wie sagte Joey:  „Schmerz, Hunger und Durst sind Hysterie des Körpers!“  Ich scheiß´ auf Hysterie, ich will laufen!

Aufgrund der deutlich schwierigere Streckenführung im Vergleich zu 2010, wurde  das Zeitlimit für der Ultra-Trail gelockert. Anstatt 10:00 Min/km sind jetzt 10:30 Min/km erlaubt. Hört sich easy an. Es gab einigen Änderungen in der Streckenführung. Jäger, Wildschweine oder sonstige Relikte aus der hiesigen Urzeit sind der Grund, es gibt 300 Meter weniger zu laufen, dafür aber mehr Steigung als 3000 HM, sehr viel mehr. „Ihr seht das dann schon“ . Notfallnummern stehen auf der Rückseite der Startnummer. Packen wir´s!

6 Uhr Start.  Es schägt die Stunde der Wahrheit. Startklar für eine neue Herausforderung! Ich befinde mich in Reichweiler, in Rheinland Pfalz, an der Grenze zum Saarland und in den nächsten 15 Stunden werde ich mein Limit erfahren. Ich will endlich loslaufen!

Schon in der ersten Minute dieses Laufes beginnt mein Ziel: Jeden Kilometer zu vernichten, zu pulverisieren. Ich bin aggressiv, ich bin auf Testeroston. Endlich wieder ein Lauf des Leidens.

Was erwartet mich?

„Die Bodenbeschaffenheit variert von Asphalt über unbequem steinig (z.T. sehr steinig) bis weiche Waldböden, hier und da auch mal sehr nass. Die Strecke führt überwiegend auf Trampelpfaden, Single Trails, Waldwegen und Feldwirtschaftswegen. Zweimal führt die Strecke richtig querfeldein, aber mal richtig. Weiter gibt es einige Pfade, die eher weniger bis gar nicht mehr genutzt werden. Die ganze Strecke besteht aus zwei großen (aber verschiedenen) Schleifen mit dem Keufelskopf als Mittelpunkt und führt fast durch die gesamten Preussischen Berge: Hellerberg (595), Trautzberg (604), Böschberg (570), Karrenberg (492), Keufelskopf (573), Herzenberg (585), Spitzeberg (578), Schweisberg (561), Weiselberg (569), Füsselberg (595) und  Steinberg.“

Mir doch egal!

Preussische Berge? Reichweiler gehörte zum Fürstentum Lichtenberg (Sachsen Coburg). Der Napoleon hatte wieder gezaubert. Da ja Sachsen bis zur Völkerschlacht auf Napoleon Seite war, kam der Korse auf die Idee, Sachsen eine Enklave mitten in Preussen zu schenken,  um ein bißchen Zoff zwischen den Deutschen zu provozieren.

Vom Fürstentum Lichtenberg aus gesehen bilden de Preussischen Berge  eine mächtige Bergkette.  

In der Kühle des Morgens geht es zügig voran. Als wir zur alten Strecke der Ostertalbahn hinunterkraxeln, ist Réné, der spätere Zweitplatzierte, unmittelbar vor mir, ich bin also gut dabei.

Die Strecke der Ostertalbahn wurde 1937  für den Personen-,Gepäck-, Expressgut-, Güter-, Tier-und Leichenverkehr geschaffen. Wikipedia hält da Interpretationsspielraum für grausige Vorstellungen offen. Der alte Bahntunnel ist ewig lang, dahinter geht es bequem weiter auf der alten Bahntrasse. An den Wegrändern stehen imposante Stauden des Riesen-Bärenklau. Er wurde über den Güterverkehr aus dem Kaukasus eingeschleppt. Die Berührung der Blätter bewirkt bei Sonneneinstrahlung schwer heilende Verbrennungserscheinungen (phototoxisch). Ich laufe sehr vorsichtig, ich kenne die Wirkung dieser Pest.

Km 12: im Wald verlaufen!

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Informationen: Keufelskopf Ultra-Trail
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