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Laufberichte

Ein Wochenende in Riga

04.09.21 Riga Marathon
 

Der letzte große Stadtmarathon liegt für Judith und mich inzwischen viele Monate zurück. Füllen konnten wir die Wartezeit mit kleinen, selbst veranstalteten Marathons und einigen Trail-Läufen. Eine schöne Alternative, aber trotzdem freuen wir uns auf unseren ersten großen Stadtmarathon seit mehr als einem Jahr. Samstag früh geht es im halbleeren Flieger in die Hauptstadt Lettlands, nach Riga. 1.300 Kilometer von München entfernt und eine Zeitzone weiter östlich..

Sofort nach dem Verlassen des Flugzeugs bin ich überwältigt von der weichen Meeresluft und dem Geruch nach Salzwasser. Wie schön sind Reisen. Mit dem Bus geht es für 1,50 € in 30 Minuten ins Zentrum. Die Altstadt von Riga ist gut erhalten und vom Bahnhof aus finden wir unser Hotel recht schnell. Die Straßen und Gassen der Stadt zeichnen sich durch ein extrem unregelmäßiges Kopfsteinpflaster aus. Da muss man schon bei gemütlichem Gehen höllisch aufpassen, nicht hinzufallen. Bis zum Tag der Abreise werden wir uns aber daran gewöhnt haben.

Lettland (engl. Latvia) ist der mittlere der drei baltischen Staaten. Und auch nach Einwohnerzahl liegt es mit 1,9 Millionen in der Mitte. Davon lebt die Hälfte in der Metropolregion Riga. Das Land ist fast so groß wie Bayern, aber wesentlich flacher. Der höchste Berg misst 311 Meter.

Das Klima ist feucht-kontinental, das bedeutet regenreiche Sommer, erkennbar an den grünen Wiesen, und kalte, schneereiche Winter, denen ich gerne aus dem Weg gehen möchte. Heute regnet es leider und es ist kühl. Nicht der ideale Tag für einen Stadtbummel.

Inländische Teilnehmer/innen bekommen ihre Startnummern und Kleiderbeutel mit der Post. Für ausländische Starter ist gleich am Stadtpark in einem Hotel die Abholung eingerichtet. Gegen Vorlage unseres deutschen Impfzertifikats wird uns ein grünes Band für den ersten Startblock angelegt. Dies ist das erste Mal, dass mein Zertifikat gescannt und das Ergebnis auch mit dem Namen im Personalausweis verglichen wurde.

Ines vom Organisationsteam erzählt uns, dass der Riga Marathon 2020, normalerweise im Mai veranstaltet, am Vorabend des Laufs abgesagt werden musste. Das Parlament hatte die Richtlinien für Veranstaltungen angepasst. Die Durchführung des Marathons wäre zwar erlaubt gewesen, aber ohne Verpflegung. Dieses Jahr wird das nicht passieren, wird uns versichert.

 

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Impressionen

 

 

 

 

Auf einer kleinen Runde durch die Altstadt sehen wir eine Skulptur der Bremer Stadtmusikanten. Riga wurde im Jahre 1201 von Bischof Albert von Buxhoeveden aus Bremen gegründet. Sein Standbild sieht man auch am Dom, dessen Grundstein manchen Quellen zufolge im Jahr 1211 gelegt wurde.

Dann geht es früh zu Bett. Um 5:00 Uhr heißt es schon wieder aufstehen, was 4:00 Uhr deutscher Zeit entspricht. Von allen Hotels im Zentrum kommt man zu Fuß schnell zum Platz vor dem Freiheitsdenkmal. Dort werden um 7:00 Uhr die Covid-geimpften Starterinnen und Starter auf die Strecke gehen. Der Sprecher fordert uns sogar auf, etwas zusammenzurücken. Judith und ich bleiben erst mal hinten bei den 4:30-Pacern.

Es ist recht trüb und für den Vormittag ist Regen angesagt. Der seit 1991 veranstaltete Riga Marathon wird in diesem Jahr erstmalig auf einer großen Runde absolviert, auf der den Läufer/innen das Kopfsteinpflaster der Altstadt erspart bleibt. Der Halbmarathon mit ungleich höherer Teilnehmerzahl startet um 9:00 Uhr und verzichtet auf den ersten Teil der Route.

Vor uns, auf dem 1935 von Kārlis Zāle geschaffenen Freiheitsdenkmal steht eine 9 Meter hohe Allegorie der Freiheit. Am Sockel befinden sich Flachreliefs, die historische Ereignisse darstellen.

 

 

Pünktlich um 7:00 Uhr werden wir mit nicht mehr gewohntem Tamtam und musikalischer Untermalung auf die Strecke in die Neustadt geschickt, mehr oder weniger schnurgerade nach Nordosten. Anfangs noch durch Straßen mit nicht direkt schönen Häusern. Die urbaneren Straßen liegen parallel südlich und sind nicht geteert, also mit Kopfsteinpflaster. Es folgt eine Brücke über die Eisenbahn, später ein Viertel mit unterschiedlicher Industriebebauung, einem Einkaufszentrum, dem VEF-Kulturpalast und auch schönen alten Gebäuden. Dazwischen natürlich auch immer die ortstypischen Holzhäuser, teils schön renoviert, teils kurz vor dem Einsturz.

Im Kronvalda Park die erste Wasserstelle, es gibt 0,5-l-Flaschen.Rechter Hand sieht man eine sehr große Kunstinstallation: Ein Affe steckt in einer weißen Astronautenmontur. Er soll an alle Tiere erinnern, die bei Testflügen in der Raumfahrt ums Leben gekommen sind.

Wir verlassen die breite Hauptverkehrsader und kommen in eine grüne Lunge. Ein völlig anderes und schönes Ambiente. Sehr naturnah geht es in Riga zu, aus dem Flugzeug sah man die riesigen Kiefernwälder, durchzogen vom Torfabbau. Neben uns im Rasen eine Trambahnstrecke. Die großen Hochhäuser werden schlagartig von Einfamilienhäusern abgelöst. Sehr gepflegte Anwesen auf riesigen Grundstücken.

Die Führenden kommen uns entgegen, wir laufen beim Zoo in den Mežaparks. Hier ist eine große Schleife zurückzulegen. Bei km 10 sieht man kurz den Kisch-See, allerdings nicht das Meer, welches mit dem fischreichen See durch einen Kanal verbunden ist. Der Weg ist breit und oft sind Bodenmalereien angebracht. Leicht wellig geht es dahin. Mir fällt auf, dass die Wurzeln der hiesigen Kiefern nicht wie die der Mittelmeerpinien innerhalb weniger Monate den Teer anheben und Stolperstellen erzeugen. Hier ist der Untergrund sehr lauffreundlich.

Besonderes Schmankerl auf dem Rückweg: Wir durchqueren eine Freiluftbühne in einer großen Schleife. Kommt uns bekannt vor, denn beim Vilnius Marathon gibt es fast die gleiche Anlage, auch dort in einem Parkabschnitt. Gelegentlich werden wir nun schwungvoll überholt. Die Läufer tragen gelbe Armbänder und sind somit getestete, aber ungeimpfte Teilnehmer, die ab 7:25 Uhr mit 5-Sekunden-Abstand gestartet wurden.

 

 

Wir kommen, wie schon beim Eintritt in den Park, an einer riesigen Eichhörnchen-Skulptur vorbei und verlassen die Anlage wieder. Inzwischen kennen wir einige Mitstreiter. Das Tempo hat sich also eingespielt. Über die schöne Allee geht es zurück Richtung Zentrum. Ein riesiges Bauwerk am Ende der Villenzone beherbergt das Finanzamt. Die Tankstellen verkaufen den Liter Benzin hier um 20 Cent billiger als in Deutschland. Die Restaurantpreise sind auch eher günstig. Links liegt der große Pokrov-Friedhof und rechts gab es früher auch einen Friedhof. Der wurde während der großen Pest-Epidemie angelegt und während der sowjetischen Besatzung aufgegeben. Übrig blieben nur einige Mausoleen und vereinzelt sieht man noch Grabsteine.

Weiter an einem Neubaugebiet mit Hochhäusern vorbei. Möchte man da einziehen? Hier lebt man immerhin sehr zentrumsnah. Für uns gibt es den VP bei km 20 und eine Zeitnahme, so wie alle 10 km und an Stellen, an denen “Spezialisten” wohl gerne abkürzen würden. An diesem VP erhalten wir auch Gel-Tütchen, ansonsten immer 0,5 l-Wasserflaschen, oft auch eine Art Iso-Getränk, das wie verdünntes Cola schmeckt. Zu Essen gibt es auf der ganzen Laufstrecke nichts, also auch keine Bananen. Vielleicht Corona-bedingt? Die VPs sind sehr großzügig angelegt, da ist viel Platz und man kommt sich nicht in die Quere. Alles wird angereicht.

Ein spannender Abschnitt beginnt hier. In einigen Schleifen wird uns die Neustadt vorgestellt. Dazu gesellen sich die Halbmarathonis, deren Masse aber vor uns läuft. Die Laufwege sind immer breit genug, damit dürften auch die Schnelleren gut zurecht gekommen sein. In der ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angelegten Neustadt, die mit der Altstadt seit 1997 Unesco-Welterbe ist, gibt es wunderschöne Beispiele großstädtischer Jugendstilarchitektur zu sehen. In den prunkvollsten Gebäuden residieren viele ausländische Vertretungen, so auch die deutsche Botschaft an der Esplanade. Die liegt am Park, der den ehemaligen Festungsanlagen entspricht. Der Wassergraben kann mit kleinen Booten befahren werden. Einige Fassaden sind noch schwarz verrußt und warten auf eine Renovierung. Oft wurden die Häuser nach dem Ende der Sowjetunion an ihre früheren Eigentümer oder deren Nachkommen zurückgegeben. Die Stadt Riga erwartet im Gegenzug aber den Unterhalt der Gebäude, was natürlich ein finanziell schwieriges Unterfangen sein kann.

An der Esplanade die große orthodoxe Geburtskathedrale mit goldenen Kuppeln. Kurz danach eine Hauswand mit den Wappen der lettischen Städte und Gemeinden. Daneben der Pulverturm aus dem 17. Jahrhundert, in dem Sprengstoff gelagert wurde. Auch Zuschauer tauchen an der Strecke auf. Nicht wirklich viele, aber immerhin. Bei einigen habe ich den Eindruck, ihnen öfter zu begegnen. Die Dame in Pink gehört wohl zu dem Barfußläufer. Ungewohnt, diese Anfeuerung, aber sie macht richtig Spaß. Drei Kinder halten mir die Hand zum Abklatschen hin. Stopp. ich lasse das besser bleiben und rufe was von Covid und winke. Die Kinder scheinen das nicht recht zu verstehen.

 

 

Wir queren den Fluss Düna, hier Daugava genannt, über die breite Vanšu-Brücke. Die am 17. Juli 1981 errichtete Schrägseilbrücke harrt wohl einer dringenden Renovierung. Auf der Brücke eine riesige Verpflegungsstelle, leider nur mit Wasser. Ich bin gespannt, was uns auf der gegenüberliegenden Seite erwartet. Unten ein großer Strand am Fluss. Fast bis zum Ziel bleiben wir nun westlich der Düna und es wird abwechslungsreich. Es ist grün mit vielen einfachen Häuschen oder kleinen Wohnblöcken. Trambahnen begleiten uns, hier mal ganz alte Tatra-Modelle mit Stangenstromabnehmern. Das ist schon einzigartig auf der Welt. Autoverkehr gibt es auf dem gesamten Kurs nur sehr wenig und er stört auch nicht. Das ist alles gut abgesperrt und geregelt. Rechts ein Betonmonument, ein Denkmal für die Soldaten des Autopanzer-Regiments der 1. bewaffneten Division von 1939.

Vor mir läuft ein Spanier. Die Moderatorin grüßt ihn. Ich rufe ihr zu, dass ich aus Deutschland komme. „Viel Glück und einen schönen Tag“ wünscht sie mir prompt. Lettland und Litauen haben verwandte Idiome innerhalb der baltischen Sprachfamilie. Anfangs klang das mit den langgezogenen Vokalen und vielen Zischlauten in meinen Ohren ein wenig wie portugiesisch. Englisch wird überall gesprochen und die Speisekarten sind oft zusätzlich in Russisch gehalten, da ein Viertel der Bevölkerung Lettlands russische Wurzeln hat. Lettisch ist aber die offizielle Sprache, die auch in den Schulen gelehrt wird. Die lettischen Beschriftungen erschließen sich den ausländischen Touristen so gar nicht. Mit Ausnahmen: Dass der “Džentelman” seine Kleidung im eleganten Herrenmodengeschäft kauft, bedarf keiner weiteren Erläuterung.

Am VP 35 wieder Gel, das ich dankend annehme. Ich habe es etwas eilig, möchte mein Zeitziel von sub 4:30 h erreichen und habe mich deshalb schon bei km 25 von Judith verabschiedet. Auf dem Weg Richtung Zentrum sehe ich nun einige neue Hochhäuser, darunter die drei höchsten Lettlands. Die runden Z-Towers, Wohntürme von 117,5 und 123 Metern Höhe.

Auf der Brücke über uns Läufer. Wo die wohl hin wollen? Zum Ziel geht es über die 1955 erbaute Akmens tilts, die 503 m lange “Steinbrücke”, bis 1992 “Oktoberbrücke” genannt. Auch hier ist die Streckenführung interessant: Wir kommen nochmals durch ein uriges Viertel. Eine orthodoxe Kirche in Rosa. Anstrengend bergauf. In einem Fenster döst eine Katze. Der Wetterbericht hatte nicht Recht. Kein Regen, dafür Sonnenschein. Wunderbar.

Fast oben auf der Brücke dann die Ausfahrt nach rechts, vorbei am Sonnenstein, dem Hochhaus der Swedbank, mit 122 Metern fast so hoch wie der  Z-Turm. Wir sind auf der Insel Ķīpsala. Aber nur kurz, dann über einen kleinen Kanal wieder aufs Festland. Immer noch 3 Kilometer. Den Zielsprecher hören wir schon lange auf der anderen Flussseite. Um die noch fehlenden Meter hereinzulaufen, absolvieren wir eine Pendelstrecke in einem Park am Fluss. Das hat den riesigen Vorteil, hier wieder wunderbare Ausblicke auf die Altstadttürme zu erhaschen. Der höchste gehört zur Petri-Kirche. 1209 erstmals erwähnt, wurde das Gotteshaus immer wieder vergrößert. Der Turm wurde stets aufgestockt, meist nach Bränden. Aktuell misst er 120,7 Meter. Vor uns der markante Fernsehturm mit seinen drei Beinen. Mit 368,5 Metern der höchste Fernsehturm der EU.

 

 

Ich bin jetzt kraftlos und gönne mir am Aufstieg zur Brücke ein paar Gehschritte. Oben kommen schon medaillenbehängte Sieger entgegen. Ich drücke wieder auf die Tube. 600 Meter noch. Ein Zielkanal, wie man ihn seit Monaten vermisste. Eine – wie sich zeigt, recht tiefe - Pfütze hindert mich nicht daran, auf der Ideallinie zu laufen. Vor dem Zielbogen eine Aufteilung nach links und rechts. Wird unterschieden nach “Halbmarathon” und “Marathon”? Nein, nach “geimpft” und “nicht geimpft”.

Glücklich komme ich ins Ziel und werde mit einer riesigen Medaille dekoriert, die in diesem Jahr ebenso wie das offizielle Laufshirt von dem preisgekrönten jungen lettischen Maler Janis Sneiders gestaltet wurde.

Mit Judith sonne ich mich am Ufer der Düna direkt am Rigaer Schloss. Als Zielverpflegung für Marathonis gab es einen Stoffsack der als Titelsponsor fungierenden Supermarktkette Rimi mit Wasser, Bier, Obst und süßen Datteln. Wir treffen noch einige Bekannte, Marathonreisende wie wir.

 

Fazit

Den Marathon in Riga kann man guten Gewissens empfehlen. Ein großer renommierter Stadtmarathon mit erfahrenem Veranstalter. Die neue Ein-Runden-Strecke hat mir gut gefallen. Bedingt durch Corona (oder das angekündigte schlechte Wetter) waren allerdings nur wenige Zuschauer vor Ort.

Riga ist für einen Wochenendtrip ideal geeignet, eventuell mit einem zusätzlichen Tag am nahen Ostseestrand. Eine Stadt, die heute zur EU samt Euro- und Schengenraum gehört, in der die jahrzehntelange Zugehörigkeit zur Sowjetunion aber ihre Spuren hinterlassen hat.

Wir waren mit der S-Bahn am Meer in Jūrmala und sind dort kilometerweit am Strand entlang und durch die Wälder spaziert, oft vorbei an schönen Wohnhäusern. Zu Fuß oder mit der Tram gelangt man vom Zentrum aus in die „Moskauer Vorstadt“, wo die Akademie der Wissenschaften in einem Monumentalbau Marke “Stalinistischer Zuckerbäckerstil” residiert, inmitten von einst sozialistischen Mietskasernen und idyllischen, aber oft maroden Holzhäusern aus der Zarenzeit. Sehenswert auch die Neustadt um die Krišjāņa Barona iela.

 

Ergebnisse

Frauen

1        Amanda Krūmiņa    Latvia         3:07:21
2        Agne Mataityte    Lithuania    3:13:16
3        Greta Urbutyte    Lithuania    3:22:47

 

Männer

1        Kristaps Bērziņš    Latvia    Scott     2:38:39
2        Marius Ignotas    Lithuania    2:40:28
3        Uldis Kļaviņš        Latvia        2:41:38

 

 

Informationen: Riga Marathon
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