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Laufberichte

Es geht grad so weiter

01.01.10

Schlieren ist nicht gerade eine Perle unter den Agglomerationsgemeinden Zürichs. Ein Liebeslied, wie Herbert Grönemeyer es für Bochum singt, wurde für diese Stadt noch nicht komponiert.

Zumindest weiß ich nichts davon. Gut möglich, dass die „Schlieremer Chind“ dies mittlerweile nachgeholt haben. Als ich mich zu ihren treuen Zuhörern zählen konnte, damals in meiner Grundschulzeit, fehlte eine solche Ode noch in ihrem Repertoire.

Sicher gibt es auch in Schlieren erwähnenswerte Besonderheiten, und bevor mir ein Lokalpatriot an die Gurgel geht, nenne ich eine davon. Eine, die man auch dann kennt, wenn man nicht zu den Eingeborenen gehört. Wenn man sie kennt und ihrem Ruf folgt, gehört man aber zu den Eingeschworenen.

Wer beim ersten Marathon eines neuen Jahres starten will, der geht nach Schlieren an den Neujahrsmarathon Zürich. Am 1.1.10 um 0.00 Uhr schon zum sechsten Mal.

Nach der fünften Austragung gab es eine Zäsur. Einen Monat danach verstarb das Vorstandmitglied Catherine Egger im Alter von erst 46 Jahren bei ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Laufen. Trotzdem – oder gerade deswegen – wurde an einer Neuauflage geplant und der diesjährige Marathon als Catherine-Egger-Gedenklauf durchgeführt.

Aber auch jenseits des Emotionalen und Bewegenden ist dieses Mal einiges anders. Aus der bisherigen Schulanlage ist man mit dem Wettkampfzentrum in die Sporthalle Unterrohr umgezogen, einen kurzen Fußmarsch von der S-Bahn-Station und dem gut ausgeschilderten Parkplatz entfernt.

Beim Betreten der Halle treffe ich gleich Klaus und Margot, die heute (bis zum Start) und morgen (vom Startschuss bis zum Schluss) das Fotografieren übernehmen, damit es für die m4y-Leserschaft überhaupt brauchbare Bilder gibt. Trotz Vollmondnacht würde ich mit der Kompaktkamera höchstens verschwommene Leuchtapplikationen auf Sportkleidern und Stirnlampen einfangen können. Ehrlich gesagt bin ich auch nicht unglücklich darüber, dass ich die Kamera, die ich während des Laufens sonst immer in der rechten Hand trage, in der Tasche lassen kann. Noch weiß ich nicht, was meine Schulter – auch ohne Zusatzgewicht - zu einem Lauf über die Marathondistanz meinen wird, denn es ist genau sechs Wochen her, seit sie auf dem Operationstisch vom Orthopäden hart angegangen wurde.

Auch Joe kreuzt auf, allerdings nicht in Begleitung seiner gesamten Gang. Deren erster Marathontraum im neuen Jahr blieb in den vereisten Fahrleitungen der Deutschen Bahn hängen. Aber auch ohne sie bleibt es dabei, dass der Neujahrsmarathon Zürich als einziger Volkslauf in der Schweiz mehr Teilnehmer aus dem Ausland anzieht als aus der Heimat. Bei gewissen politischen Gruppierungen im Land klingeln bei dieser Tatsache sicher sämtliche Alarmglocken, womit sie sich gleich als Banausen auch läuferischer Natur zu erkennen geben. Der Grund ist nämlich ein einfacher. Wo sonst, wenn nicht hier beim ersten Marathon des Jahres, hat man als Durchschnittsmarathonike die Möglichkeit, sich für einmal in der Jahresweltbestenliste so weit vorne zu platzieren?

Eine Viertelstunde vor dem Start kommt ein bisschen Hektik auf. Grund ist, dass niemand so genau weiß, wo eigentlich gestartet wird. Es spricht sich dann herum, dass der Start im Eingangsbereich der Halle erfolgen wird. Der Countdown zum Start im vergangenen Jahr, draußen im Schnee, umrahmt von Wunderkerzen und Feuerwerkvulkanen, war da schon stimmungsvoller.
Angefeuert von den später startenden Halb- und Viertelmarathoniken machen wir uns auf, hinaus in die Vollmondnacht. Nach wenigen Metern auf Asphalt sind wir schon auf dem Spazierweg der Limmat entlang. Feuerwerke deren Knallerei meistens umgekehrt proportional kräftig zu ihrem ästhetischen Effekt ist, begleiten uns noch eine Zeit lang. In den Fenstern und auf den Balkonen nahe gelegener Häusern stehen Leute, rufen uns ihre Neujahrswünsche zu (und umgekehrt), bevor sie sich wieder ihrem Sekt zuwenden und uns Spinner hinaus in die Nacht lassen.

Die Streckenführung ist anders und einfacher geworden. Neu wird der Neujahrsmarathon auf einer Rundstrecke ausgetragen, die viermal zu durchlaufen ist. Vom organisatorischen Aufwand her ist dies sicher eine Vereinfachung. Zuerst geht auf dem Limmatuferweg am linken Ufer flussaufwärts. Diesen Teil der Strecke kenne ich und ich kann mich vorerst darauf konzentrieren, meine Spur ohne unnötige Zwischenlandung in einer Pfütze zu suchen. Nach gut zwei Kilometern kommt der ehemalige östliche Wendepunkt, eine Fußgängerbrücke, wo wir von einem der freundlichen Helfer weitergeleitet werden. In dieser nebligen Vollmondnacht sieht man hier nur die Limmat und die Bäume, die sie säumen. Die Idylle wird nur durch die Autobahn etwas gestört, die hier den Fluss überquert und hinein nach Zürich führt. Hinter den Bäumen nicht ausmachen kann ich den Gasometer von Schlieren, der letzte existierende teleskopierbare Niederdruckgasbehälter der Schweiz. Die Sanierung dieses technischen Kulturdenkmals von 1899 ist eine europaweite Pionierleistung. Weniger eine Glanzleistung sind die Querelen bei Heimatschutz und Denkmalpflege, die einer notwendigen Abdichtung eines Wasserlecks im Wege stehen, weshalb die eindrücklichen Führungen bis auf weiteres nicht stattfinden können. Nun, vielleicht gelingt es im neuen Jahr?

Am gegenüberliegenden Ufer sind immer mehr Stirnlampen zu sehen, zum  Wendepunkt kann es also nicht mehr weit sein. Es sei denn, meine Wahrnehmung stimmt nicht und ich bin viel langsamer unterwegs als ich meine. Überprüfen kann ich es nicht gut, denn es gibt keine Kilometerausschilderung und ich laufe heute ohne Stoppuhr, da ich den Brustgurt des Pulsmessers zuhause habe liegen lassen.

Ganz so falsch liege ich nicht. Über die Werdhölzlibrücke, eine kleine Hängebrücke für den Fußgängerverkehr, geht es auf die andere Seite der Limmat und weiter in die entgegengesetzte Richtung. Vier Kilometer liegen hinter uns und das anspruchsvollste Wegstück unter uns. Selber laufe ich ohne Stirnlampe, weshalb mich die Lichtkegel, denen ich von hinten und von der Seite ausgesetzt bin, ein wenig irritieren. Mit viel Gefühl versuche ich, meine Füße über die Baumwurzeln zu hieven, die den Weg durchziehen. Wenn ich mich nicht täusche, heben sich diese Stolperfallen, von den Veranstaltern mit oranger Forstfarbe besprüht, vom Rest des Bodens ab. Auch die Richtungsänderung unter der Autobahnbrücke hindurch ist mit einer Baustellenleuchte markiert. Mindestens in den ersten Stunden dieses Jahres sollte es wenigstens für ein paar  hundert Läufer kein Problem sein, nicht vom richtigen Weg abzukommen.

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Informationen: Neujahrsmarathon Zürich
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