Der Black Friday 2021 beschert uns ein schönes Angebot: Melde dich zum Paris Marathon an und bekomme eine zweiten Startplatz umsonst dazu. Das nutzen Judith und ich gerne aus.
Flüge wären günstig, aber der TGV von München nach Paris ist noch günstiger. Für 78 € geht es hin und zurück und da ja gerade die x-te Welle der Pandemie beginnt, sind auch Hotels erschwinglich. Jetzt muss man nur noch hoffen, dass bis April 2022 alles wieder gut ist und dass man vom Arzt die Gesundheitsbestätigung gemäß französischer Vorgabe bekommt. Das italienische Formular wird nämlich nicht akzeptiert. Aber alles läuft mach Plan.
Wenige Monate später steht unserer Reise trotz Omikron-Variante nichts mehr im Weg. In Paris ankommend erleben wir sogar eine recht lockere Atmosphäre. Es scheint, dass Masken nur noch in öffentlichen Verkehrsmitteln notwendig sind. Mit der Métro geht es dann von unserem nettem Hotel am Gare de l`Est gleich durch die halbe Stadt zur Marathonmesse an der Porte de Versailles. Dieses Jahr findet sie in Halle 7 statt. Die Warteschlange ist lang, denn am Eingang werden die Taschen kontrolliert.
Die Marathonmesse ist sehr groß, fast wie in Vor-Corona-Zeiten sind viele Anbieter vor Ort. Lediglich die Veranstalter anderer Läufe machen sich etwas rar. Wir bekommen sehr schnell unseren Umschlag mit Nummer, Taschenanhänger und Sicherheitsnadeln, zusätzlich einen Laufrucksack mit Paris-Marathon-Aufdruck und einem Massagegel-Pröbchen.
Danach noch ein wenig Sightseeing und früh ins Hotel. Weil wir in München unseren Zug vor 7 Uhr erwischen mussten, sind wir ziemlich müde.
Die Startzeiten sind gestaffelt und beginnen schon kurz vor 8:00 Uhr. Unser Block ist nach Plan um 10:30 Uhr dran und wir sollen uns spätestens um 10:20 Uhr am Start einfinden. Da kommt keine Hektik auf.
Taschenabgabe ist in der Avenue Foch, der breitesten der 12 Straßen, die sternförmig vom Arc de Triomphe abzweigen. Der Zugang in den abgesperrten Bereich liegt vom Triumphbogen abgewandt. Wer an diesem Ende eine Métro-Station (Argentine, Victor Hugo oder Kléber) nutzt, muss nicht so weit gehen.
Die Organisation ist - wie schon bei unserem ersten Paris-Start vor sieben Jahren - perfekt. Die Masse der Teilnehmenden wird immer in eine Richtung geführt. Etwas ungewöhnlich ist die Sortierung der Taschenabgabe nach den letzten zwei Ziffern der fünfstelligen Startnummer. Es gibt mehrere Blöcke, dazwischen immer sehr viele Toilettenhäuschen. Es lohnt sich nicht, gleich die ersten Häuschen anzusteuern. Weiter hinten muss man nicht warten.
Etwas schwierig ist die Kleiderwahl. Die Temperatur liegt knapp über dem Gefrierpunkt, die Sonne soll bis Mittag scheinen, dann soll es unangenehm windig werden.
Wir müssen nun am Arc de Triomphe vorbei. Danach beginnt die Prachtstraße Champs-Élysées, auf der viel weiter vorne der Startbogen liegt. Auch hier Platz genug, um an den hinteren Startblöcken vorbei und in den passenden Abschnitt zu kommen.
Die Straße verläuft leicht abschüssig und der Blick auf die unendliche Läuferschar beeindruckt. Viele internationale Starter kann man an ihrer Kleidung erkennen. Unaufdringliche Musikbeschallung gibt es auch. Es werden immer kleine Gruppen aus den Startblocks auf der linken oder rechten Straßenseite auf den Parcours geschickt. Endlich sind wir dran. Der Untergrund besteht hier aus kleinem Kopfsteinpflaster mit vielen Schadstellen. Da heißt es aufpassen.
Und sofort geht es los mit dem Sightseeing. Das Grand Palais auf der rechten Seite, anlässlich der Weltausstellung 1900 erbaut und heute für Wechselausstellungen genutzt, verwandelt sich jeden Dezember in eine der größten Eishallen der Welt. Links wäre etwas entfernt der Élysée-Palast, Sitz des französischen Staatspräsidenten an der von noblen Geschäften gesäumten Rue du Faubourg Saint-Honoré.
Gleich danach auf der Place de la Concorde, dem größten Platz der Stadt, steht – zurzeit eingerüstet - der Obelisk von Luxor, den der französische König Louis Philippe Anfang des 19. Jahrhunderts vom ägyptischen Vizekönig geschenkt bekam.
Eine Neuerung hat die Strecke für uns zu bieten: Nach links biegen wir in die Rue de Castiglione ab und laufen um die Colonne Vendôme, ein Kriegerdenkmal, das von einer Napolenfigur gekrönt wird. Die Straße danach heißt dann sinnigerweise „rue de la Paix“, Straße des Friedens. Was natürlich eine gute Überleitung zum Krieg in der Ukraine ist: Während wir vor einer Woche in Italien unzählige „Pace“(Frieden)-Fahnen sahen, verleiht man in Paris seiner Unterstützung der Ukraine mit blau-gelben-Armbinden Ausdruck. Viele Teilnehmer tragen sie.
Vor uns der bis 1998 größte Opernbau der Welt. Das Palais Garnier wurde 1875 eingeweiht. Wir umrunden das Gebäude und ich habe nur Augen für die spärlich bekleideten jungen Damen aus Metall, die sich an Laternenpfählen festhalten. Wenn man gelegentlich einen Läufer mit einem weißen Adler auf rotem Grund auf dem Ärmel sieht, lohnt es sich, ein „Viva Polonia“ zu rufen. In nahezu jedem Fall wird zurückgejubelt. Über die Avenue de l’Opéra direkt auf den Louvre zu.
Links auf die lange Rue de Rivoli. Das wird jetzt ganz monumental: Der Louvre liegt auf der rechten Seite. Mit 72.735 Quadratmetern Fläche und 9,6 Millionen Besuchern im Jahr 2019 ist er das größte und meistbesuchte Kunstmuseum der Welt. Mit den Tuileries-Gärten bildete er einst das Pariser Stadtschloss. Größter Anziehungspunkt ist das Gemälde der Mona Lisa von Leonardo da Vinci. Außer vielen Bildern gibt es eine Sammlung ägyptischer Kunst, Skulpturen wie die antike „Venus von Milo“, einige Räume Napoleons III und und und... Auch der neue unterirdische Eingangsbereich mit einem Einkaufszentrum, umrahmt von Grundmauern früherer Gebäude, ist sehenswert.
Aber hier geht es um den Marathon. Oft lohnt sich auch der Blick nach links in die Seitenstraßen, um allerlei auffällige Bauwerke zu sehen. Dem gotische „Tour Saint Jacques“ fehlt irgendwie die dazugehörige Kirche. Dann das Hôtel de Ville. Ich weiß längst, dass es sich dabei nicht um eine Unterkunft handelt, sondern um das neoklassizistische Rathaus. Auch hier sieht man die typischen französischen Türmchen mit den abgeschnittenen Dächern.
An den nächsten Straßenzügen kommen wir durch ein Viertel mit vielen älteren Gebäuden und kleinen Gässchen. Hier lohnt sich ein Besuch abseits des Marathons. Sehr schön die quadratische Place des Vosges, von 1605-1612 auf Anordnung Heinrichs IV gebaut und der älteste von fünf „königlichen Plätzen“ in Paris.
Wir stürmen Richtung Bastille. Am 14. Juli 1789 wurde mit dem ebenso genannten Sturm die Französische Revolution eingeleitet. Kurz danach wurde die kleine Festung dem Erdboden gleichgemacht. Ein Rest der Mauer findet sich noch in der Métro-Station. In der Mitte eine Säule zur Erinnerung an die Julirevolution 1830.
Rechts kommen uns Läufer entgegen. Die haben schon 16 Kilometer mehr in den Beinen als wir. Weiter Richtung Osten durch die Stadt. An der Place Félix-Éboué ein Brunnen mit riesigen Bronzelöwen. In der Avenue Daumesnil ein Markt, an dem wir vorbei laufen. Ich zweige kurz in die Marktstraße ab. Ein Foto muss sein.
Das Palais de la Porte Dorée wird von Palmen gesäumt und erinnert mich ein bisschen an das Haus der Kunst in München, nicht wegen der Palmen, sondern wegen des Baustils. Das 1931 anlässlich der Pariser Kolonialausstellung errichtete Gebäude beherbergt schon immer ein Aquarium mit tropischem Wasserfall und seit 2007 das Museum „Cité nationale de l’histoire de l’immigration“, das der Immigration nach Frankreich gewidmet ist.
Bei der Porte Dorée erreichen wir über den vielspurigen Boulevard périphérique den Bois de Vincennes, die erste der beiden großen Pariser Parkanlagen, die wir heute durchlaufen werden. Gleich zu Anfang links der Zoo. Leider sieht man keine Tiere, dafür glaube ich das Kreischen von Papageien zu hören. Deutlich ist ein künstlicher Fels zu erkennen.
Schon aus der Ferne fällt der markante Wohnturm des Château de Vincennes auf, neben dem Louvre eine der bedeutendsten Schlossanlagen Frankreichs. Gegenüber das „Quartier Carnot“, eine Kaserne des Kavallerieregiments der Garde Républicaine. Dem nahen Métro-Anschluss sind wohl die unglaublichen Zuschauerzahlen zu verdanken, durch deren enges Spalier wir uns unseren Weg bahnen.
Eine Pferderennbahn gibt es hier und ein Ensemble grün gekleideter Herren, die gerade leider nicht auf ihren Hörnern zur Jagd blasen. Direkt am Hauptgebäude des Hippodrome de Vincennes laufen wir entlang.
Links ein schöner Blick über die Stadt. Unten fließt die Marne in die Seine. Unmerklich haben wir vierzig Höhenmeter gewonnen. An der Avenue de Gravelle treffen wir nach fast 10 Kilometern Park wieder auf hübsche Einfamilienhäuser mit blühenden Kirschbäumen davor. Die Schnellstraße verläuft hier natürlich in einem Tunnel, unter der Idylle hindurch. Gerade sehe ich noch den Hinweis auf Berlin-Tempelhof, welches eine Partnerstadt von Charenton-le-Pont ist, das hier beginnt. Paris ist relativ klein und hat auch „nur“ 2,1 Mio Einwohner. Der Großraum mitsamt den direkt angrenzenden Städten verzeichnet das Sechsfache.
Kurz danach sind wir wieder im Stadtgebiet. Einige leichte Höhenunterschiede im Laufweg geben den Blick frei auf die endlose Läuferschar. In der westlichen Avenue Daumesnil laufen wir an einem schön renovierten Bahndamm vorbei, in dessen Backsteinbögen nette Cafés und Geschäfte eingerichtet wurden. Auf der ehemaligen Bahntrasse ist ein grüner Wanderweg angelegt, über den man vom Parc de Vincennes bis zur Bastille kommt. Wunderbar für unseren Spaziergang am Dienstag.
Dann noch einmal über die Bastille und an einem Kanal in Richtung Seine. Spätestens ab hier säumt eine ununterbrochene Reihe von Fans die Strecke. Wahnsinn. Wir kommen an die Seine. Links die Türme von Notre-Dame. Die Kathedrale liegt auf der großen Seine-Insel, die schon viele hundert Jahre vor Christus bewohnt war. Nach dem Brand vor fast genau drei Jahren gibt es dort eine riesige Baustelle.
Die Straße verläuft unterhalb der Uferbefestigung, sodass man von den Häusern auf unserer Flussseite nichts sieht. Dafür ragt in der Ferne schon der Eiffelturm aus dem Häusermeer hervor. Eine Trommlergruppe am Beginn des Autotunnels „Voies Georges Pompidou“ heizt uns mit afrikanischen Rhythmen ein, die uns in den Tunnel hinein folgen. In der Ferne eine Lightshow samt Discomusik. Dann noch mal ein Stück, bis wir nach fast einem Kilometer wieder an die Oberfläche kommen. Ich mag ja gerne mal Tunnel zur Auflockerung. Aber warum hier im historischen Zentrum von Paris, das doch optisch weiß Gott mehr zu bieten hat? Viele Zuschauer, dann ein kürzerer Tunnel, diesmal nur unbeleuchtet. Einige Mitstreiter schalten ihre Handylampen ein, um nicht zu stolpern.
Zurück im gleißenden Sonnenlicht am Musée d'Art Moderne. Wunderschöne Blicke auf den Eiffelturm und das Palais de Chaillot auf unserer Flussseite. Strategisch günstig die VP-Stelle an den Trocadéro-Gärten direkt gegenüber dem Turm. Mit großer Showbühne. Die VPs gibt es ca. alle fünf Kilometer. Wasser in kleinen Flaschen, Bananenstücke, Salzgebäck, Kuchen, Zuckerwürfel und noch mal Wasserflaschen. Leider keine Iso-Getränke Die im Internet erwähnte Einzelverpackung der Verpflegung war wohl nicht mehr notwendig. Toilettenhäuschen ebenfalls an den VPs in sehr großer Zahl.
Auf den nächsten Kilometern ist recht viel los. Über uns quert eine Métro die Laufstrecke und die Seine. Links an einer Seine-Brücke sieht man die New Yorker Freiheitsstatue in klein. In den nun folgenden Wohngebieten wird es wieder viel stiller. Mir scheint, dass die Anwohner, anders als in Berlin oder Hamburg, hier nicht so viel Interesse am Lauf haben.
Nur an den Musikpunkten, die nun wirklich wieder häufiger sind, gibt es einige Zuschauer. Und an den vielen Metrostationen. Der Verkehrsverbund RATP hat unter dem Titel “Ligne 42“ sogar eine virtuelle Marathonlinie kreiert und empfiehlt Zuschauern Verbindungen nach Zielzeit gestaffelt, mit deren Hilfe sie “ihre/n” Läufer/in abpassen und anfeuern können. Das ist wirklich gut. Natürlich werden auch die Zeitmessungen alle 5 km an „Begleiter“ gemeldet. So sehe ich mehrere Zuschauer immer wieder.
Bei Kilometer 34 an der Porte d'Auteuil ein letzter kleiner Anstieg. Einen Kilometer später verschluckt uns der Bois de Boulogne. Fast acht Kilometer geht es auf breiten Teerstraßen durch den großen Stadtpark. Jetzt sind viele Gehende zu überholen. Ich finde den großen Parkanteil nicht so toll, Judith meint nach dem Lauf, dass sie es nicht als so langweilig empfand. Die Fondation Louis Vuitton pour la Création ist in einem modernen, von Stararchitekt Frank Gehry kreierten Ausstellungsgebäude untergebracht und sorgt für eine optische Abwechslung, während zahlreiche Musikgruppen akustisch unterhalten.
Wir verlassen den Park und kommen auf die dreihundert Meter lange Zielgerade. Ein wunderbarer Zieleinlauf. Unendlich viele Zuschauer auch noch sieben Stunden nach dem Start der ersten Gruppe. Auch hier alles perfekt: ganz viele Helfende, jeder Finisher kann sich Zeit lassen. Wer will, kann noch auf langsamere Mitstreiter warten. Ich habe den Eindruck, hier wird man erst zum Weitergehen aufgefordert, wenn es wirklich zu voll wird. Echt nett.
Ganz weit vor uns sieht man den Arc de Triomphe. Wir sind wieder am Eingang zur Taschenabgabe, Medaille, VP wie an der Strecke. Gut, dass ich den klebrigen Honigkuchen erst jetzt probiere, Müsliriegel und wieder nur Vittel-Wasser. Aber schönes Finisher-Shirt, Regenumhang. Die Musikgruppe bei den Firmenständen spielt immer noch. Auch sie hat gewissermaßen einen Marathon hinter sich. Beim Verlassen des gesperrten Bereichs erwarten uns fliegende Händler und Verkaufsstände mit wohlriechenden Köstlichkeiten vom Grill. Am Arc de Triomphe tobt schon wieder der Verkehr.
Sieger
1. Deso GELMISA 02:05:07
2. Seifu TURA 02:05:10
3. Morhad AMDOUNI 02:05:22
Siegerinnen
1. Judith JEPTUM 02:19:48
2. Fantu JIMMA 02:22:52
3. Besu SADO 02:23:16
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13.11.09 | Marathon Paris ausgebucht |