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Laufberichte

The cold and winding trail

 

Fotos: Thomas Enck und Mario Bartkowski

 

Wer sich an den Beatles-Titel „The long and winding road“ erinnert, der wird den Inhalt des folgenden Berichtes über die Brocken Challenge, die immer am zweiten Februarsamstag stattfindet, erahnen. Anders als in jenem Titel wollen wir allerdings nicht weinen (höchstens vor Freude, im Ziel). Schon gar nicht draußen stehen bleiben (jedenfalls nicht nach dem Lauf, denn oben auf dem Brocken ist es doch recht frisch). Und durch die Nacht soll es auch nicht gehen, wobei der frühe Start um 6 Uhr sich genauso im Dunkeln vollzieht wie die Ankunft der eher langsamen Läufer wie mich, Zielschluss 20 Uhr.

Warum dann der Bezug zum Beatles-Titel? Weil er mir als Fan besonders gut gefällt. Weil von Irrwegen die Rede ist, und diese zu gehen kann einem hier leicht passieren – ich sage nur Spanische Runde (was das ist, erfahrt ihr später). Weil es sich im einen langen und kurvenreichen Weg handelt - 80 km von Göttingen zum Brocken, 1900 Höhenmeter bergauf.  Und weil es um einen Weg zu einem Ziel („zu Dir“) geht. Dabei kann „Dir“ für den Brocken stehen, für das Ego oder für die im Ziel wartende Partnerin oder den Partner.

Also, in Anlehnung an den Beatles-Song

... lang und gewunden ist nicht nur die Strecke

… lang und gewunden sind auch die Gedankengänge, die einen auf den 80 km ereilen können  

… lang und gewunden war schließlich auch die ehemalige innerdeutsche Grenze, die wir während der Challenge queren werden.

… lang, aber nicht gewunden ist die Zeit, die vergeht, bis das Ziel naht.

… gewunden, aber nicht lang ist am Ende auch die Brockenbahn, die den Läufer wieder mit zurücknimmt. Aber nur, wenn man schnell ist.  Der letzte Zug geht bereits um 17.07 Uhr.

 

Impressionen (Mario Bartkowski)

 

 

 

Barbis

 

Barbis. Schon mal davon gehört? – wahrscheinlich nicht. Es ist ein Dorf am Oberharzrand, knapp 3000 Einwohner und bei km 42 der Strecke gelegen. Marathon. Quasi zum Warmlaufen. Bis hierhin ist es eher flach: die ausgezeichnete Wegbeschreibung des Veranstalters zählt bis hierhin 645 positive Höhenmeter. Und 705 negative. Also eigentlich ein Bergablauf. Streckenbeschaffenheit bis hierhin: überwiegend Feld- und asphaltierte Wege. Was man aber nicht immer merkt, es hängt vom Wetter ab. Schnee, Eis, sauberer Asphalt, alles schon dagewesen in den letzten Jahren. Also – wenn Ihr auch an eine Teilnahme denkt – fleißig Berichte aus anderen Jahren lesen.

Zurück nach Barbis. Hier ist nicht nur die Hälfte der Strecke erreicht, hier gibt es auch Verpflegung. Kostenlos. „Kostenlos“ werdet Ihr sagen, „ist doch normal bei einem Laufevent“. Klar, für uns Läufer schon. Aber meist nicht für den Veranstalter. Hier besteht die Komplettverpflegung (wie auch alle anderen Leistungen für die Läufer) aber aus Spenden. Der Veranstalter muss nichts zahlen dafür. Aha. Also macht sich da jemand reich. Ja, reich wird jemand …  beschenkt. Denn das gesamte Startgeld von etwa 1,44 € pro km geht als Spende an wohltätige Organisationen. Und der Spender, also wir, bekommt dafür sogar noch eine Quittung fürs Finanzamt.

Aber genug übers liebe Geld geredet, eigentlich wollte ich mich ja zur Verpflegung äußern. Viele Bioprodukte, auch veganes dabei. Obst, Kuchen, Kekse, Riegeln, Schokolade. Getränke natürlich auch, kalte, z.B. Cola. Aber bei Temperaturen knapp um den Gefrierpunkt ist was Warmes auch nicht schlecht. Zum Beispiel Brühe oder Tee. Derlei üppiges Angebot gibt es allerdings nicht an jeder Ecke, sondern meist im Abstand von 10 km. Also empfiehlt es sich, Getränke für unterwegs mit zu nehmen, am besten in Thermobecher oder –kannen.

 

 

Wo war ich? Ach ja, immer noch in Barbis. Eigentlich wollte ich ja nur sagen, dass es zwei Laufhälften gibt. Einen Landschaftsmarathon, wie man ihn von vielen Veranstaltungen kennt, nur eben im Winter. Und einen richtigen Traillauf, ab Barbis, auf Waldwegen, mal schneebedeckt, mal Schneematsch, mal vereist. 37,5 km bis zum Brocken, 1260 Höhenmeter hoch und 400 runter. Das gilt es natürlich als Teilnehmer bei Ausrüstung und Laufeinteilung zu berücksichtigen.

Zur Ausrüstung: Da es kalt ist, versteht sich Lang/Lang in mehreren Schichten (Zwiebelprinzip) von selbst (obwohl heute tatsächlich jemand in kurzer Hose das Ziel erreichte). Ich habe mir extra Funktionsunterwäsche für den Winter zugelegt, darüber ein Langarmshirt und die Jacke. Mütze und Handschuhe komplettieren die Bekleidung. Aber Achtung: das Wetter kann im Hochharz ganz anders sein als im Harzvorland. Daher am besten Wechselklamotten und ggfs. zusätzliche Ausrüstung, wie zum Beispiel eine Sturmhaube, im Rucksack mitnehmen,  denn der Veranstalter bietet keinen Dropbag-Service. Und dies kann man ihm auch nicht übel nehmen, da die Brocken Challenge (BC) komplett ehrenamtlich organisiert ist. Vom Verein Ausdauer-Sport für Menschlichkeit e.V. Göttingen (ASFM) rund um den Organisator Markus Ohlef.

 

 

Aber vielleicht können mitreisende Freunde oder Verwandte den Dropbag-Service stellen – jedenfalls  stehen am Tage der BC in Barbis so viele Autos ‘rum wie wohl nur selten. Was genau in den Rucksack gehört, dass solltet Ihr erst kurz vor dem Start festlegen, nach dem Studium der Wetterkarte. Dies gilt auch für die Schuhe. Die erste Hälfte könnte man – bei gutem Wetter - auch in normalen Laufschuhen absolvieren. Für die zweite sind Trailschuhe empfehlenswert. Habe mir extra neue zugelegt,  mit Goretex,  sonst könnte es nasse Füße geben. Was fehlt noch an den Schuhen? Schneeketten natürlich. Gibt es wirklich und sind Gold wert bei Eis und Schnee. Was gehört sonst noch zur Ausrüstung? Handy, zur Navigation, Ihr wisst schon, Irrwege. Den GPX-Trail kann man von der Veranstaltungsseite herunterladen. Außerdem kann man sich, falls man Hilfe braucht oder aussteigt, beim Veranstalter melden. Denn an jeder Verpflegungsstelle werden die Läufer registriert und wenn jemand fehlt, geht die Sucherei los. Muss ja nicht sein. Fehlt noch was? Stirnlampe natürlich und ein Trinkbecher.  

 

Brocken Challenge 2019, here we go

 

Die ist der traditionelle Eröffnungsruf von Markus Ohlef, statt eines Startschusses. Wir sind gedanklich wieder zurück, am Start, in Göttingen, am Ostrand der Stadt, mitten im Wald am Hainholzhof. Begrenzte Parkplätze, aber ich brauche keinen, denn meine Frau bringt mich mit dem Auto hin. Wir haben in einem Hotel in Göttingen übernachtet. Wer mit weniger Komfort auskommt, kann auch direkt am Start in einer vom Veranstalter organisierten Unterkunft übernachten, sollte dies allerdings bei der Anmeldung bereits angeben, denn die Kapazitäten sind begrenzt.

Eins noch, bevor es wirklich losgeht. Frühstück natürlich. Uns wird ein tolles Frühstücksbuffet geboten, Müsli, Brötchen, Joghurt, frisch geschnittener Obstsalat, Kaffee, Tee, Saft und vieles mehr. Allerdings wird uns das Buffet nicht in einem warmen Café angeboten, sondern im zumindest heute nicht beheizten „Alten Tanzsaal“, einer Eventlocation des örtlichen Reitervereins. Die fehlende Heizung soll die Akklimatisation an die niedrigen Außentemperaturen fördern.

 

 

Interessant, wie meine Mitstreiter sich auf die kommenden Herausforderungen einstellen: Viele schwatzen miteinander, andere dösen  in der Ecke. Dem Buffet wird reichlich zugesprochen, ich halte mich aber trotz der Leckereien etwas zurück und beschränke mich auf ein kleines Müsli, ein Brötchen und eine Tasse Kaffee. Eine kurze Begrüßung mit Joe Kelbel, M4You-Autor, der mich mit seinem Bericht von der eisigen BC 2012 erst auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht hat. Wir werden uns heute öfter über den Weg laufen.

Nun aber, 6.02h  … „Brocken Challenge 2019 here we go“

 

Kalt, Hart, Schön…


… so bezeichnete vor Jahren M4You–Autor Günter Kromer die Brocken-Challenge. „Kalt“ haben wir schon besprochen, wobei es heut mit +7 Grad am Start und -1 Grad am Ziel eher mild ist. „Schön“ wird hoffentlich Euer Eindruck am Ende des Berichtes sein. Bleibt „Hart“. Günter meinte mit „Hart“ natürlich die körperliche Belastung. Aber „Hart“ steht noch für etwas anderes. Nämlich für einen Bergwald. Und diese Bergwälder gaben einer Landschaft den Namen: dem „Hart“, später wurde daraus „Harz“. Nomen est Omen. In diesen geht es noch nicht direkt, wenn man von Göttingen aus Richtung Osten losläuft. Wir tun dies zunächst durch den dunklen Göttinger Stadtwald. Die Strecke ist beleuchtet mit Fackeln, die orangefarbenen BC-Schilder geben uns erst später den Weg vor (dann aber sehr zuverlässig, so dass ich heute nur einmal zur Sicherheit mich am GPS-Track orientiere). Zudem erhellen viele „tanzenden“ Stirnlampen den Weg durch den Wald.

In Mackenrode verlassen wir den Stadtwald und erreichen mit dem Eichsfeld das Harzvorland. Die Endung –rode bezeichnet durch Waldrodung gewonnenes Land. Im Harz eine sehr gebräuchliche Endung, siehe zum Beispiel Wernigerode. Dies liegt zwar nicht an der Strecke der Brocken-Challenge, hat aber eine Menge mit dem heutigen Tag zu tun. Jedenfalls für mich. Dort startet nämlich der Harzgebirgslauf (42km). Und wo führt der hin? Auf den Brocken! Und, im Gegensatz zu heute, auch wieder runter. Seit Mitte der 2000er Jahre wollte ich dort schon teilnehmen, aber nie hat es geklappt. In Wernigerode startet auch die Harzquerung (51km) immer am letzten Samstag im April. Auch ein toller Lauf, kann ich nur empfehlen.

Als es kurz vor Mackenrode in einigen Serpentinen hinuntergeht, gilt es auf vereiste Stellen zu achten, die im Lichte der Lampen nur schwer zu erkennen sind. Nach Mackenrode geht es unspektakulär durch ein Tal zum zweiten Frühstück in Landolfshausen.

 

Harzvorland

 

Jetzt wird es langsam hell. Gestern wurde angekündigt, dass es in diesem Jahr eine „Landolfshausen-Challenge“ geben solle. Denn bei den vorherigen Austragungen ging es hier wohl recht ruhig zu. Und in der Tat, es werden Raketen abgefeuert, stillungsvolle Beleuchtungen und Begrüßungsschilder erwarten uns. Und die Verpflegungsstation, eine Wucht. Das halbe Dorf ist hier versammelt, inklusive einer kleinen Musikkapelle. Stimmung pur, und das um 7.15 Uhr auf dem Land. Versprechen „Landolfshausen-Challenge“ eingelöst.

 

 

Eine kleine kurze Steigung nach der Station, mit Fackeln illuminiert, verschafft einen ersten Eindruck von den Dingen, die da noch kommen. Noch liegen 69 km vor uns. Gelegenheit, sich mit der Landschaft zu befassen, die nun immer besser zu erkennen ist. Der südwestlich vom Harz gelegene Teil des Harzvorland‘, durch das wir laufen, ist eine wellige, landwirtschaftlich genutzte Region, nett anzuschauen, aber wenig spektakulär. Diese Bezeichnung trifft dann schon eher auf den Harz selbst zu. Woher der Name kommt, wisst Ihr schon. Diese Bergwälder haben es in sich, sind teilweise rau, zerklüftet, fast ein kleiner Urwald, es gibt hier sogar „Raubkatzen“ (nein, keine Löwen, sondern Luchse, eigentlich hier ausgestorben, wiederangesiedelt nach 2000).  Wir passieren den Seeburger See, dort treffe ich auf Andrea, die sich freut, wie schon so oft einem M4You-Reporter zu begegnen. Am See treffe ich auch auf das Kamerateam des MDR, das Aufnahmen für einen Bericht über die BC macht. An der folgenden zweiten Verpflegungsstelle in Rollshausen ist der Halbmarathon geschafft – wir werden auf einem Schild darauf hingewiesen, dass das Ziel 987 Höhenmeter über uns liegt und 58,2 km entfernt ist – keiner lässt sich davon entmutigen.

Nach der Verpflegungsstelle erwartet uns die erste richtige Trailpassage. Etwa einen Kilometer lang schwerer Matsch, der an den Schuhen klebt, hinauf zu einer eine Kuppe. Dort bei km 25 die Tilly-Eiche. Diese erinnert an den Heerführer der katholischen Liga im dreißigjährigen Krieg (1618-1648), ist aber vermutlich jüngeren Datums. Tilly war wohl mit seinen Truppen auch hier vorbei gekommen – die wirre Blutspur seiner Schlachten zieht sich durch ganz Deutschland (deswegen gibt es auch mehrere Tilly-Eichen)  – Irrwege ohne Ende, nur hier leider ernst gemeint.

Kurz danach weist ein Schild auf den Tiefpunkt der Strecke hin, mit 153 Meter knapp 1000 Meter unter dem Ziel. Auf dem Foto seht hier, dass sich das Schild gebogen hat, was an dem Wind heute liegt. Kalt, hart, schön müsste also heute ergänzt werden um windig, da kommen Assoziationen zum Beatles-Titel „… winding road“, was natürlich eine falsche Übersetzung wäre.

 

 

An der Rhumequelle bei km 31 erreichen wir die dritte Verpflegungsstation, hier gibt es sogar Bier.... Die Rhumequelle ist übrigens die viertgrößte deutsche Quelle, aber nur weil sie sich versickerndes Wasser von anderen Harzflüssen wie Oder und Sieber „borgt“. Am Ende egal, weil beide Flüsse sowieso in die Rhume münden. Und uns sowieso, weil wir ja nicht schwimmen wollen, sondern laufen.

Von nun ans wird’s hügeliger, auch wenn wir noch immer nicht im Harz sind. Ab jetzt gehe ich an allen Steigungen. Hier fängt die Challenge langsam richtig an, so der Veranstalter. Aber wie hat es eigentlich für mich angefangen? Ganz einfach anmelden und schon bis Du dabei! Nee, so einfach „läuft“ das hier nicht. Kannst Du gut schreiben? Dann bist Du vielleicht im Vorteil. Denn bei der Anmeldung jeweils Anfang November wirst Du gebeten, Deine Gründe für die Teilnahme anzugeben. Der Veranstalter freut sich über „aufwändige Bewerbungen in Versform“ und hat dafür einige Startplätze reserviert, der Großteil der Plätze wird allerdings über ein komplexes Losverfahren vergeben. Warum die Beschränkung? Die Logistik, insbesondere im Ziel auf dem Brocken, ist herausfordernd. Uns steht dort nur der Goethesaal im Brockenhotel zur Verfügung, und dessen Kapazität ist sehr begrenzt. Derweil erreichen wir die vierte Verpflegungsstelle an der Dreymann’s Mühle in Barbis. Kennt Ihr schon, deswegen gleich weiter zum …

 

Impressionen (Mario Bartkowski)

 

 

 

 

Entsafter

 

Endlich der Harz. Endlich Trails. 11 km geht es fast durchgängig auf einer Mischung aus Eis und Schneematsch nur durch den Wald, 425 Höhenmeter stehen uns bevor. Einige deftige Steigung kurz hinter Barbis, dann etwas gleichmäßiger, mit einem Zwischengefälle hinter der Wasserscheide Weser-Elbe, an die ein Gedenkstein erinnert. Durchschnittlich 4% klingt gar nicht so heftig, aber im Winter kommt man trotz mittlerweile angelegter Schneeketten und den Laufstöcken nur langsam voran.

Da hilft nur Ablenkung, zum Beispiel durch Musik. Nicht über Kopfhörer, sondern im Kopf. Denn dort hat sich der Didgeridoo-Sound eingenistet, den wir am Vorabend hören dürften. Was hat das nun wieder dem Lauf zu tun? Es gibt ein verpflichtendes Briefing, welches im Uni-Sportzentrum Göttingen stattfindet und mit erwähnter Musik stimmungsvoll eingeleitet wird. Die Musik wird von Markus Ohlef und seinen beiden Söhnen mit Didgeridoo, Posaune und einer Art Waschbrett dargeboten. Dazu werden eindrucksvolle Bilder vergangener BC’s gezeigt. Anschließend erfolgte ein Briefing zu Strecke und Verhaltensregeln, welcher bei einer Outdoorveranstaltung dieses Charakters unbedingt einzuhalten sind, auch und vor allem der persönlichen Sicherheit und Gesundheit wegen.

Vor diesem Intro war noch die Startnummer abzuholen (am Renntag nicht möglich) und das Zielgepäck abzugeben. Nach dem Briefing erwartet uns eine Pasta-Party in der freien evangelischen Gemeinde. Markus erzählt mir, wie es zur BC kam. Nachdem Versuche von Bekannten gescheitert waren, den Brocken von Göttingen an einem Tag wandernd zu erreichten, probierte er es läuferisch 2001 erfolgreich, unterstützt durch eine Radbegleitung. Von einer Reise nach Asien zurückgekehrt, in der er die Armut vor Ort erlebte, kam er auf die Idee, mit der Brocken-Challenge Spenden zu sammeln.  Die erste offizielle BC war dann 2004.

 

 

Am Jagdkopf am Ende der sich hinziehenden Steigung steht wegen der schlechten Erreichbarkeit nur eine „Notverpflegung“ bereit. Also wenn das, was wir hier bekommen, Not ist, dann braucht es keinen Luxus. Weiter geht es, denn der Entsafter ist hier noch nicht zu Ende, es folgen weitere 9 km durch den Wald, aber mit nur 155 positiven Höhenmeter flacher, unterbrochen durch einige Bergab-Passagen. So jedenfalls der Plan.

Heute machen Forstarbeiten den Weg unpassierbar, eine Ausweichstrecke ist markiert, was uns zusätzlich 1km und ca. 100 Höhenmeter einbringt. Wegen des tiefen Schnees kann man nur in den Radspuren der Forstfahrzeuge laufen. Dafür sehen wir erstmals in der Ferne den  Brocken. Noch 27 km sind es bis dahin. Ab dem Jagdkopf befinden wir uns auf einer Loipe, die wir mit nutzen dürfen, allerdings uns hüten müssen, die Spuren zu beschädigen. So die „Warnung“ beim Briefing zuvor.

Nächste Verpflegung Lausebuche und wieder liebevolle Betreuung. Wir werden nach unseren Wünschen gefragt und bedient, an einer Feuerstelle werden Suppe oder Eintopf gekocht. Hier liegt der „Entsafter“ hinter uns. Wie es zu dem Namen kommt? Bei schwierigen Wetterverhältnissen kann die Verpflegung am Jagdkopf nicht garantiert werden, was 20 km ohne Verpflegung bedeuten würde, und das bei 600 schweißtreibenden Höhenmetern. Den Rest könnt ihr euch denken.

 

Im Hochharz

 

Ab jetzt folgen die Verpflegungspunkte in kürzeren Abständen. Aber nur nach Kilometern gerechnet, mit 63 km in den Beinen und bei zunehmenden Steigungen werden die Abstände zeitlich für die meisten Teilnehmer nicht kürzer. Auf die Zeiten gilt es übrigens zu achten, denn es gilt Cut-Off’s zu beachten.

Jetzt im Nationalpark gibt es keine orangefarbenen BC-Schilder mehr, wir folgen ausschließlich der Wanderwegbeschilderung. Die nächste Etappe führt uns über weitere 200 Höhenmeter zum Königskrug, den bekannten Wintersportort Braunlage lassen wir rechts liegen. „Groß“ geworden ist Braunlage allerdings nicht als Wintersportort, sondern als Ort einer „Hütte“. Der Harz verfügt nämlich nicht nur über Wälder und Wild, sondern auch über reichhaltige Bodenschätze (z.B. Bleierz), so dass es hier schon recht früh (bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts) Bergbau und Eisenhütten gab. Kein Wunder, dass es mir hier als Ruhrgebietskind so gefällt. Außer der Bergakademie Clausthal ist allerdings nicht viel davon geblieben, und auch diese Akademie ist mit Umwandlung in eine Technische Universität dabei, sich ihrer Geschichte zu entledigen. Was bleibt ist der Tourismus, im Sommer wie im Winter. Besonders im Winter ist hier richtig viel los, viele Loipen sind gespurt.

Königskrug ist ein Ausflugslokal, bekannt für seine Windbeutel. Aus den Fenstern des Lokals schauen die Leute auf die merkwürdige vorbeieilende Person. Ich winke freundlich, lächelnd wird zurückgewinkt. Etwas versteckt liegt die Verpflegungsstelle. Auch hier wieder sehr nettes Personal, und eine eindringliche Hinweise auf den weiteren Wegverlauf. Und das hat gute Gründe. Wer nämlich kurz nach Königskrug dem Schild Oderbrück folgt, macht einen Umweg. Das ist bei einer früheren Austragung dem führenden Spanier passiert. Während er auf Umweg war, überholten ihn (von ihm unbemerkt)  einige Läufer auf dem kürzeren, aber richtigen Weg. Der Spanier wähnte sich im Ziel als Sieger, musste aber dort realisieren, dass er nur Platzierter war. Seitdem heißt der Umweg die „spanische Runde“.

In Oderbrück treffen wir dann auf den letzten Verpflegungsstand vor dem Ziel, von dem uns noch 7,6 km und 370 Höhenmeter trennen.

 

Zum Brocken

 

Noch eine Weile laufen wir im Bundeland Niedersachsen und dann geht es über die Grenze „hinüber“ nach Sachsen-Anhalt. Also von West nach Ost, nicht nur geografisch. Eine Grenzerfahrung ist auch der Lauf an sich, insbesondere jetzt, wo es wieder vollständig dunkel ist und ich mich tief im Wald befinde. Zwar ist der Weg zum Brocken gut ausgeschildert. Plötzlich kommt ein Schneesturm auf, Der Wind ist so heftig und der Schnee so dicht, dass ich fast nichts mehr sehe. An jeder Kreuzung muss ich anhalten und den Wegweiser suchen. Zu allem Überfluss gewittert es nun auch noch.

Aber nach 15 Minuten ist der Spuk vorbei und als es kurz danach stark bergauf geht, kommt Freude auf. Ok, alles klar, verrückt geworden, der Gute. Kein Wunder nach der Anstrengung. Mitnichten. Ich habe beim Briefing gut aufgepasst und weiß, dass es sich um die Rampe zu den Gleisen der 1899 erbauten Brockenbahn handeln muss. Und von hier aus sind es nur noch 3 km.

Viele Jahre war für die Brockenbahn in Schierke Schluss, denn am 13. August 1961 (dem Tag des Mauerbaues) war der letzte Betriebstag des Abschnitts bis zum Brocken. Bis zur Wende war der Brocken militärisch genutzt, als „Horchposten“. Auf der westlichen Seite, auf dem Wurmberg (zweithöchster Barg des Harzes) gab es übrigens das NATO-Gegenstück. 1991 wurde die Eisenbahnstrecke wieder eröffnet. Seitdem verkehrt sie Jahr und Tag, dampfbetrieben, anachronistisch, aber romantisch – und nicht ganz billig.

Will man als BC-Teilnehmer hier oben einen Zug erleben, muss man schnell sein, denn, wie bereits erwähnt, der letzte Zug fährt um 17.07 Uhr, allerdings nicht heute. Es ist Sturm auf dem Brockenplateau mit Böen bis zu 137 km/h. Ich muss noch ein wenig die Gleise entlang. Entgegenkommende Wanderer, meist Läufer mit Stirnlampen, applaudieren. „Gratulation“, Gut gemacht“, „Nicht mehr weit“. Das tut gut. Tief verschneit sind die Bäume um uns herum. Ein Winterparadies, wenn der starke Wind nicht wäre. Dann die Brockenstraße, ein letzter Anstieg und dann ist der Turm auf dem Brocken zu sehen. Noch 500 m. Aber die haben es in sich. Der Sturm peitscht mir den Schnee ins Gesicht. Peeling kostenfrei. Aber sehr schmerzhaft. Ich muss mich alle paar Meter mit dem Rücken gegen den Sturm drehen und verschnaufen, abgestützt mit den Stöcken, um nicht umzufallen. Abgesehen vom Turm ist es komplett dunkel, so dass Orientierungsschwierigkeiten hinzukommen. Ein Zielbanner fehlt, man hat es weggemacht oder es isst vom Wind zerfetzt worden. Ich laufe auf den Eingang des Turms zu, wo ich von einem kleinen Empfangskomitee und  meiner Frau erwartet werde. Ich habe 13:36 Stunden auf mich warten lassen. Aber ich habe es geschafft!!!

 

 

Der Brocken schien Goethe viel bedeutet zu haben, denn etwas melancholisch schrieb er: „So einsam, sage ich zu mir selber, indem ich diesen Gipfel hinabsehe, wird es dem Menschen zumute, der nur den ältesten, ersten, tiefsten Gefühlen der Wahrheit seine Seele öffnen will.“ Auch der Leitspruch der Brockenchallenge „Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, befreit der Mensch sich, der sich überwindet.“ ist von ihm.

Im Goethesaal werde ich wie alle neu ankommende Läufer mit Beifall von allen Anwesenden begrüßt. Erhebend. Ich erhalte eine schöne, handgefertigte Medaille (und später eine Urkunde). Sodann kann das am Vortag in Göttingen abgegebenen Gepäckstück wieder im Empfang genommen. Auch eine Dusche ist vorhanden, allerdings wirklich nur eine. Schließlich steht ein Buffet bereit.

 

Impressionen (Mario Bartkowski)

 

 

 

Dann heißt es, vom Brocken runter nach Schierke laufen, 10 km über die Brockenstraße, oder 7 km über steile Wanderwege. Und das am späten Abend bei Dunkelheit.  Aber alle haben ja die Stirnlampen. Markus Ohlef ruft um 21 Uhr die verbliebenen Läufer zum gemeinsamen Aufbruch auf, denn es gilt gegen 23 Uhr in Schierke den bereitgestellten Bus zu erreichen, der die Läufer wieder zum Start zurückbringen wird, Fahrzeit ca. 90 Minuten.

Ich habe ein Zimmer hier im Brockenhotel gebucht – wenn Ihr das im nächsten Jahr nachmachen wollt, schnell buchen nach der Platzzuteilung, denn es gibt nur für einen Bruchteil der Läufer Platz.

 

Fazit

 

Die Brocken Challenge ist eine echte Herausforderung in jeder Hinsicht, ein kleines Abenteuer vielleicht sogar. Aber ich hatte immer das gute Gefühl, dass der Veranstalter alles im Griff hat und alle Situationen beherrschbar sind. Ganz herzlichen Dank an Markus Ohlef und sein tolles Team!

 

 

Informationen: Brocken-Challenge
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