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Laufberichte

Keine Schinderei im Hunsrück

30.08.09
Autor: Joe Kelbel

„Der Hannes war ja ein netter, gutaussehender Mann. Er hatte jede Menge Freundinnen gehabt während seines Räuberlebens. Da wird auch die Frau des Turmwärters die schönen Augen vom Schinderhannes bemerkt haben....anders ist die Flucht aus dem fensterlosen Verlies des Schinderhannesturmes in Simmern nicht zu erklären.“ So erklärt mir Dr. Fritz Schellack, der Museumsdirektor. Verhaftet wurde er im Bett von der Budzliese-Ami, aber die Elise Werner besuchte ihn zweimal in seinem Verlies in Simmern.Und der Johann Georg Scherer versuchte ihn zweimal während seiner Haft mit einem Giftrank, hergestellt vom örtlichen Apotheker, zu vergiften.

„Irgendwie kletterte er aus seinem Verlies in die Wachstube darüber, brach in einen Nebenraum das Fenstergitter heraus, sprang in den Stadtgraben und verschwand spurlos im Wald.“ Es war seine dritte Flucht, diesmal aus dem weltweit sichersten Gefängnis.

Der Turm  (Eintritt frei) ist heute freundlich geweißelt und trägt eine Wetterfahne obenauf, die den Schinderhannes darstellen soll. Zwei Beine baumeln zum Schrecken ahnungsloser Besucher aus einem Loch in der Decke - der Schinderhannes auf seiner abenteuerlichen Flucht, die mit einem Sprung sechs Meter tief in den Stadtgraben einen erfolgreichen Abschluss fand, auch wenn er sich dabei ein Bein brach.

In einer Vitrine im Schinderhannesturm sind lauter Kuriositäten zusammengetragen: Kräuterschnaps, Bier und Brot sind nach ihm benannt, ein Räuberspiel für zwei bis vier Personen, auch eine Rockgruppe namens "Schinderhannes" gibt es, und ihre jüngste CD trägt den passenden Titel: "In Berlin, da sind die Räuber ."

Aber klammheimlich machte noch ein anderer aus seiner Bande posthum eine große Karriere: Peter Petri, der rechtzeitig untergetaucht war, aber acht Jahre später dann doch im Gefängnis landete. Hier erfand er, bevor er im Säuferwahnsinn starb, ein Kartenspiel, das bis heute seinen Spitznamen trägt: "Schwarzer Peter".

Das war im August 1799, exakt 210  Jahre vor meinem Marathon-Zieleinlauf in ebendiesem Simmern. Der Hunsrück und das gesamte linksrheinische Gebiet war damals von Napoleon besetzt gewesen. Nichts fürchtete der 20jährige Johannes Bückler, so der bürgerliche Name  des Schinderhannes, mehr als die französische Polizeigewalt.

 4 Jahre später wird er und 19 seiner Kumpels in fünf  Wagen zum öffentlichen Richtplatz in Mainz gefahren (heute ist dort der Stadtpark, ein Rosenrondell zeigt die Stelle an).  Mit 16 Räuberhauptmann, mit 24 tot.

 24 Minuten nach der ersten Hinrichtung durch die Guillotine waren 20 Särge gefüllt. Die letzten Worte des Hannes waren: „ Die Woche fängt gut an..“  Die Rümpfe und Köpfe der Räuber wurden  wissenschaftlichen Untersuchungen unterzogen. Professoren der École Supérieure in Mainz (Universität) und Wissenschaftler der „Medizinischen Privatgesellschaft zu Mainz“ stellten u.a. Untersuchungen mit Elektrizität an, um zu testen, ob die geköpften Personen nicht doch noch Empfindungen zeigten. Aufgrund dieser Untersuchungen ist der wahre Aufbewahrungsort von Bücklers Leichnam nicht mehr zu klären. Zwar befindet sich heute in Heidelberg ein Skelett mit der Aufschrift „Schinderhannes“. Diesem Skelett fehlt aber der nachgewiesene Arm- und Beinbruch Bücklers, es weist zudem eine andere Körpergröße auf und besitzt seit 1945 einen anderen Schädel, als hätte die Räuberbande ein letztes Mal zugeschlagen. Nachweislich hatte Bückler zudem im Brustkorb Knochentuberkulose im letzten Stadium, war also gänzlich ungeeignet für einen Hunsrückmarathon.

Der erste  Hunsrückmarathon fand ja auch erst 201 Jahre nach seiner Hinrichtung statt, und zwar auf dem Schinderhannes-Radweg. Der Radweg folgt der alten Trasse der Hunsrückbahn, die ab 1988 stillgelegt wurde. Die Lokomotiven wurden übrigens von der Rennsteigbahn weitergenutzt. Der 38 km lange  Radweg ist glatt wie ein Kinderpopo und ein Traum für die Läufer und Skater. Für Walker und Nordic-Walker ist auch noch genügend Platz auf dem 2 Meter breiten Weg. Es gibt den Marathon, den Halben und jede Menge kurze Disziplinen für Kinder, Teams und Walker und sonstige Sonntags- und Stöckchensportler.  Wir laufen leicht abwärts auf einem jungfräulichen Asphaltweg, so recht nach dem Gusto vom alten Hannes. Der Hunsrück war seine Heimat.Verstecke wie die Burgruine Steinkallenfels über Kirn, wo er seine letzte Nacht in Freiheit verbrachte, gehören dazu. Oder die verfallene Schmidtburg im Hahnenbachtal, seine Residenz sozusagen, wo man aus der Schlosskapelle wunderbar sehen konnte, wenn unten die Gendarmen anrückten.

Start für den Marathon ist um 9 Uhr in  Emmelshausen, etwa 20 km südöstlich von Koblenz gelegen. Vom Zielort Simmern gehen um 7:55 Uhr (Marathon) die Shuttlebusse zum Startort Emmelshausen.

Die Laufstrecke bis zur Halbmarathonmarke ist der schönste Teil: über kleine Brücken, entlang von Feldern und durch tiefe Laubwälder, entlang herrlicher Landschaften, vorbei an wunderschönen Aussichtspunkten geht es leicht bergauf und –ab. Die Steigungen fallen nicht auf. Es geht durch viele historische Orte, mit liebevoll restaurierten Fachwerkhäusern, über die schönsten Höhenzüge Deutschlands. Ab der Halbmarathonmarke kommt der leichtere Teil der Strecke. Durch offenen Feld-und Wiesenlandschaft, leicht bergab, entlang des Külzbaches, mit seinen mächtigen Erzgängen und den teilweise noch sichtbaren Stolleneingängen.

Entlang des Schinderhannes-Radweges sind zahlreiche Hinweistafeln angebracht, die von reichen Gräbern der Kelten, von Villen der Römer und der Pfalz der Kaiser  in der von Bodenschätzen nur so strotzenden Hunsrücklandschaft zeugen.

Tatsächlich war auch ich früher auf der Suche nach Pyrit, Achaten, Bleiglanz und Zinkblende, Malachit und Azurit hier gewesen.Meine Mineraliensammlung dürfte die größte sein, die im Besitz eines Marathonläufers ist. Sogar die Manganerzgrube  hier direkt an der Laufstrecke hatte ich seinerzeit geplündert.

Daß der Hunsrückmarathon dieses Jahr überhaupt stattfinden kann, ist den Organisatoren Rosi und Ottmar Berg hoch anzurechnen. Wie letztes Jahr beim Rostockmarathon, so wurde auch beim Hunsrückmarathon ein juristischer Kleinkrieg um die Absicherung der Laufstrecke ausgetragen. Während ein Bundesligaspiel noch im „öffentlichen Interesse“ steht, und die Sicherung von der Polizei kostenlos übernommen wird, so sind Laufveranstaltungen wie diese auf freiwillige Helfer angewiesen. Freiwillige Helfer haben natürlich nicht die juristische Gewalt, um Straßensperungen durchzusetzten und müssen auf die Akzeptanz der Bevölkerung setzen. Bei immer mehr Läufen erfahre ich von juristisch-behördlicher Kleinkrämerei, dabei stehen gerade die Läufe, die eine Vielzahl an Disziplinen anbieten vor einem enormen Organisationsdruck. Deswegen an dieser Stelle einen ausdrücklichen Dank an Rosi und Ottmar  für ihre Schinderei.

Letztendlich war es ja damals vor 210 Jahren auch die Auflehnung  gegen die Gerichtsbarkeit der französischen Besatzer, die den Schinderhannes zum Märtyrer und Robin Hood Deutschlands hochstilisierte.Was der Rübezahl im Riesengebirge war der Schinderhannes im Hunsrück. Vielleicht sind ja die Organisatoren eines Marthons auch ein wenig Märtyrer?

So, ganz schnell muss ich jetzt die Kurve kriegen, sonst schreibe ich hier noch ein Buch.

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Informationen: Hunsrück Marathon
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