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Laufberichte

Marathon vignoble a la Lausanne

30.10.11

Durch das Herz des Lavaux

 

Hinter Cully beginnt der attraktivste Teil unseres Streckenkurses. Wir folgen hier der durch das Herz des Lavaux führenden Panoramastraße. Zu unserer Linken ziehen sich, soweit das Auge reicht, die in herbstlichen Gelb-Rot-Braun-Tönen eingefärbten Weinberge die Hügel hinauf. Zu unserer Rechten erstreckt sich unter uns der weite glitzernde See, am Horizont von den schemenhaften Bergen der Sovoyer Alpen umrahmt. Und wir laufen mitten hindurch. Nichts stört diese so puristische, wie wundervolle Kulisse.

Die die teils steilen Hügelflanken empor steigenden, rebstockbepflanzten Terrassen wurden bereits seit dem 12. Jahrhundert angelegt. Selbst extremes Gefälle hinderte die Winzer nicht daran, den sonnenverwöhnten Südhang zu kultivieren. Viele Meter hoch steigen die massiven Stützmauern der Weinterrassen an und verleihen dem Hang bisweilen die Optik einer gewaltigen mittelalterlichen Trutzburg. Das hat dieser landschaftlich einmaligen Region 2007 immerhin die Anerkennung als UNESCO Welterbe eingebracht. Die Chasselas-Traube wird hier kultiviert. Der daraus gekelterte feine Weißwein findet allerdings kaum den Weg in die weite Welt der Weinliebhaber.

Bei km 15 erreichen wir St. Saphorim. Dicht an dicht schmiegen sich die Häuser des kleinen Weindorfs in den Hang. Wir passieren den Ort allerdings beinmuskelschonend am unteren Ortsrand.

Am Horizont zeichnet sich die Silhouette unseres nächsten Zwischenziels ab: Vevey. Aber bis dorthin bleibt uns die prächtige Szenerie der Weinberge erhalten. 

In Corseaux kurz vor Vevey holt uns die Zivilisation wieder ein. Vereinzelte Häuser, eingerahmt von buntbelaubten Bäumen, lösen die Rebkultur ab. Am berühmtesten Bauwerk des Ortes wäre ich wohl achtlos einfach vorbeilaufen, hätte ich nicht bewusst danach Ausschau gehalten. Es ist die 1923/24 von Le Corbusier erbaute Villa «Le Lac».  Dem Architekturbanausen, also einem wie mir, präsentiert sich die Villa eher als bescheidenes und wenig ansehnliches  kastenförmiges Gemäuer. Sie gilt aber als erstes Beispiel der modernen Architektur von Le Corbusier in der Schweiz, was ihre architekturhistorische Bedeutung begründet. Kurz darauf erreichen wir bei km 18 den Stadtrand Veveys.

 

Vevey

 

An sich ist Vevey ein kleines beschauliches Städtchen mit 18.000 Einwohnern, einer hübschen Altstadt mit lauschigen Gassen und zahlreichen mittelalterlichen Relikten. Andererseits steht  auch Vevey für einen Ort, an dem eine “Weltmacht” zu Hause ist: Denn hier hat der weltgrößte Lebensmittelkonzern Nestle, vor etwa 150 Jahren von dem milchpulvermixenden Apotheker Henri Nestle gegründet, seinen Hauptsitz. 108 Mrd. Sfr setzt Nestle in 449 Produktionsstätten in 83 Ländern mit 278.000 Beschäftigten um. Und alles wird gesteuert aus einem kleinen Städtchen am Genfersee. Eben die Schweizer Art des Big Business. Gleich am Ortseingang heißt uns das mächtige, eigentümlich blau verglaste dreiflügelige Nestle-Verwaltungsgebäude willkommen, dem trotz seines stolzen Alters von 50 Jahre aber durchaus zeitloser Chic anhaftet. Nur in die Umgebung will es eigentlich gar nicht so recht passen.

Auf breiter Straße geht es weiter in die Stadt hinein. Vereinzelt kommen mir auf der Gegenspur nun schnellere Läufer entgegen. Zunächst irritiert bin ich, dass es nicht die ostafrikanischen Spitzenläufer sind. Des Rätsels Lösung: Die habe ich wohl auf meinem Weg durch Corseaux, wo Hin- und Rückstrecke (ausnahmsweise) nicht deckungsgleich sind, verpasst. Dafür darf ich wenig später die motorradeskortierten Spitzenläuferinnen, natürlich auch aus Ostafrika, in Augenschein nehmen. 

Kurz darauf erreiche ich den Grand Place, den Marktplatz der Stadt, der gemessen an der Größe Veveys überdimensioniert wirkt. Aber diesen Platz braucht man wohl, um vier bis fünf Mal im Jahrhundert (!) die berühmte Fete des Vignerons feiern zu können. Für alle, die sich das nicht entgehen lassen wollen und es noch erleben: Der nächste Termin ist für Anfang der 2020er-Jahre geplant. Nach einem Bogen über den Platz geht es weiter entlang der gutbesuchten Uferpromenade. Angenehm läuft es sich unter den langen Reihen schattenspendender Bäume, die sich in schönstem Herbstgewande zeigen.

Am Seeufer grüßt Charly Chaplin mit Stock und Melone in “klassischer” Pose die Vorüberziehenden. Die lebensgroße Bronzestatue am Seeufer erinnert daran, dass der legendäre Urvater aller Komiker seine  letzten Lebensjahre in einer Villa in Vevey verbrachte. Sein Konterfei ziert im Übrigen auch die Finisher-Medaille in diesem Jahr. Eines der herausstechenden Bauwerke entlang der Seepromenade ist das Alimentarium, das von Nestle begründete Ernährungsmuseum. Davor im See ragt als Kunstobjekt eine monumentale Gabel aus dem Wasser.

Übergangslos führt die Strecke aus Vevey hinaus und in den Nachbarort La Tour-de-Peilz hinein. In La Tour-de-Peilz ist der Startpunkt des Halbmarathon. Mit fast 4.800  Anmeldungen ist der „Halbe“ die beliebteste Distanz beim Lausanne Marathon. Da der Start erst um 13.30 erfolgt, kommen sich die auf dem gleichen Kurs laufenden Halb- und Vollmarathonis aber praktisch nicht ins Gehege.

Im Ortszentrum ist, noch mehr als in Vevey, der „Bär los“. Hochstimmung herrscht unter den dichten Trauben der wartenden Zuschauer, die klatschend und laut johlend jeden Einzelnen der Vorüberziehenden anfeuern. Die Begeisterung steckt an. Angeheizt wird die Stimmung durch die Klänge einer Liveband. „Knockin‘ on heaven‘s door“ spielen sie gerade, als ich vorbei komme. Wie meinen die denn das? Nun ja, eigentlich fühle ich mich noch ganz gut.

Eher en passant erfolgt die Zwischenzeitnahme bei km 21. Der Streckenwendepunkt ist damit für uns aber nicht erreicht. Bis zur 360-Grad-Kehre müssen wir noch ein paar Hundert Meter weiter laufen. Reger läuferischer Gegenverkehr herrscht auf dieser Passage und es ist immer wieder spannend zu beobachten, wer vor einem läuft und noch mehr, wer alles nachfolgt.

 
 

Informationen: Lausanne Marathon
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