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Laufberichte

Koberstadt gefunden!

 
Autor: Joe Kelbel

Der Main hinterliess von Aschaffenburg bis Mainz eine Kette von Sanddünen. Durch diesen  Dünenzug führt seit grauer Vorzeit ein Handelsweg, der vor 3000 Jahren eine sagenhafte Stadt entstehen liess: Koberstadt, die Kupferstadt.

Einmal im Jahr, seit 1978, suchen Marathonläufer dieses Koberstadt, doch sie finden - nichts! Dank Marathon4you gibt es nun den endscheidenen Hinweis:

Man peile Egelsbach an. Das kleine Nest liegt ein bisschen nördlich von Darmstadt, hat sogar eine eigene Autobahnausfahrt an der A 5 und einen Flugplatz für Privatjets. Eigentümer ist Warren Buffett. Dennoch steht Egelsbach unter dem kommunalen Rettungsschirm.

In der Stadtmitte, am Berliner Platz, ist das Sportzentrum. Dort ist die Startnummernausgabe, Start und Ziel. Wer mit der Bahn anreist: Die S Bahn von Frankfurt braucht 27 Minuten, vom Bahnhof Egelsbach sind es 10 Minuten bis zum Sportzentrum.

Vor über 100 Jahren war an diesem Bahnhof richtig was los: Kaiser Wilhelm, Zar Nikolaus,  der Prinz von Preußen, Prinzessin Beatrice von England, Prinzessin von Schleswig-Hostein, Großherzöge und jede Menge Mischpoke trafen ein. Alle wollten bei der Jahrtausendsensation anwesend sein: „Koberstadt gefunden!“

Was dem europäischen Adel gelang, muss doch auch einem Läufer gelingen! Es sind zwar über 1000 Läufer hier, aber viele mit ihren Eltern, und der Rest läuft Halbmarathon.

Seit Ewigkeiten wird über die Existenz Koberstadts gemunkelt. Sagen erzählen von einem Mann ohne Kopf, der durch diese Stadt, in der mit Katzen bespannte Wagen herumfahren, spazieren geht. Ein Hirsch soll Wanderer von der Stadt weglocken, dabei stand der Name Koberstadt groß in alten Karten.

1894 war es soweit, Koberstadt wurde ausgegraben, unter den Augen des europäischen Adels. Einer war total gierig auf Funde und Dokumente der 330 Meter langen Stadt mit seinen fünf Stadttoren: Zar Nikolaus II. So verschwand Koberstadt ins Russische Staatsarchiv nach Moskau.

Halt! Stop! Jetzt nicht sofort nach Moskau fahren! Die Startnummernausgabe ist wirklich in EGELSBACH !

Heureka! Es geht  los!

In einem Sommer, der damit begeistert, dass immer mehr Marathonläufer zu Trailultras werden, und Marathon schon fast eine Unterdistanz ist, genieße ich meine letzten Tage als „normaler“ Läufer.

Es gibt normale Läufer, die gießen sich Eiswasser über den Kopf, andere posten auf FB Ausrüstungsgegenstände, die für eine Marsexpedition geeignet wären, vergessen aber das Klopapier.  

Beim Koberstädter Waldmarathon braucht man kein Klopapier, es gibt Wald, Wald und noch mehr Wald, dazu mindestens alle 5 km eine Verpflegungstelle mit Cola, Wasser, Apfelschorle, Bananen und Müsliriegel.  Das Startgeld ist angenehm, so wie auch die stressfreie Abwicklung der Formalitäten, die man noch vor Ort erledigen kann, sollte man vergessen haben, sich anzumelden.

8 Uhr ist Start. Die Läufer mit Elternbegleitung laufen später. Die Strecke ist im Prinzip ein Rechteck, wird im Prinzip zweimal gelaufen. Prinzipiell ist das ganz praktisch, denn  prinzipiell sind Helfer anwesend, die mich in das korrekte Rechteck einweisen. Man braucht also nicht seine Eltern mitzunehmen, denn im Prinzip ist die Strecke einfach.

Schwierig sind die Klimabedingungen: Es ist saumäßig schwül. Wenn ich schon mal das Wort „Wetter“ benutze, dann leide ich, aber ich habe „Wetter“ nicht erwähnt!

Der Wald ist dicht und dunkel, Fotos verschwommen. Nebelfetzen hängen  an Urwaldriesen. Baumstämme sind mit dickem Moos bewachsen, Pilze, wie die schreckliche Teufelskralle wachsen am Wegesrand, oder bilden Hexenkreise. Die Orientierung auf den kilometerlangen Schneisen fällt schwer. Fürstliche Jagdherren haben nach französischem Vorbild den Wald zerteilt. Lange Wege waren damals modern. Auch einem Marathonläufer gefällt das.

Die eiszeitliche Dünenlandschaft hat kaum sichtbare Steigungen. Man wundert sich trotzdem, warum man ein wenig kämpfen muss. Dann geht es aber wieder sehr, sehr leicht bergab.

Irgendwo ab km 20 geht es mir besser. Langsam kämpft sich auch die Sonne durch, taucht das gesamte Naturschutzgebiet in ein freundliches Licht und macht die Luft atembar.

Koberstadt also vom Zar gefunden? Aber nicht Koberstädt ! Kein Fluss, auch nicht der Main, lagert Kupfer ab. „Koberstädt“ bedeutet „ Kupferstätte“, meint : „Ort, wo man Hügelgräber ausrauben kann, um an den Bronzeschmuck zu kommen.“

Doch weder Koberstadt noch ein einziges Hügelgrab ist erkennbar. Nur ein Sonnenkönig, nein, nicht der Franzose, ein kleiner Vogel, auch Sommergoldhähnchen genannt, und einige plattgelaufenen Kröten.

Koberstadt wurde also beiläufig gefunden. Eine Stadt, tatsächlich aus der Bronzezeit. Den Namen für den Marathon gab aber Koberstädt, Stätte der 79 keltischen Hügelgräber aus der Eisenzeit. Die Kelten nutzen Bronze nur noch als Schmuck, welches sie ihren Toten mitgaben.  Geschätzte 30.000 Hügelgräber befinden sich in der restlichen Sanddünenkette zwischen Aschaffenburg und Mainz. Hier bei Egelsbach jedoch ist alles durchwühlt. Zum Glück nicht die Kiste mit der Eigenverpflegung, ich habe ein bisschen Hühnchenbraten  deponiert.

Ich mag diesen Lauf, der ohne Felsen und eisbedeckte Höhen auskommt. Man kann laufen, laufen, laufen. Kein Kurzstreckler behindert den freien Lauf. Mal ist man einsam auf den langen Schneisen, mal trifft man alte Bekannte. Keine fotogenen Objekte bremsen mich, nur meine Beine. 50 % davon machen Probleme.

Dann dröhnt die Tante Ju-52 über mich hinweg, tritt von Flughafen Egelsbach ihren sonntäglichen Rundflug über Frankfurt an. Auch den Doppeldecker Antonov 2 kann man mieten.

Bei km 33 überholt mich Lokalmathador Ulrich Amborn, 14mal, also seltener als Tante Ju, ist er hier schon gestartet, ich heute das erste Mal, in dem Dorf, wo einst Wäscheklammern geschnitzt wurden. „Klammerndorf“, so nennt man immer noch Egelsbach. Als Rheinländer und Wahlhesse beziehe ich diese Namensgebung auf die närrische Zeit. Wer hier am Karnevalsdienstag nichts geklammert kriegt, der sollte sich Gedanken machen.  

Der Rest der Halbmarathon-Challenge, den ich jetzt überhole, braucht sich keine Gedanken zu machen. Es ist Horst Jendrasch, der 75 jährige Altmeister, der bisher jeden Frankfurt Marathon gefinisht hat, dazu über andere 134 Marathons (Bestzeit 2:59) und obendrauf 34mal Biel.

Georg Kunzfeld zieht vorbei: „ Ich habe noch das Dirndltal in den Beinen!“  Korrekt, das 120 km-Ding hatte er als Dritter gerockt. Gegönnt sei ihm hier der zweite Platz. Gerd Papcke, das M80 Wunderkind, will noch kämpfen. Aber ihn plagen seine Waden.  Bernhard Hertinger hat heute auf diesen schönen Lauf schweren Herzens verzichtet. Mir zuliebe, damit er nächstes Wochende seinen 400ten zusammen mit meinem 250ten feiern kann! Ganz in Ruhe, im Kreise gestandenen Marathonsammler.

Ganz ruhig läuft auch Johann Spieker (M75). Er macht seinen 500ten nächstes Jahr. Cristoph Randt hat mehr als 355, Marion Möhle mehr als 180. Es waren noch unglaublich viele Ultra-Cracks dabei, alle still und leise aber doch zu schnell für ein Interview.

Die Sensation des Koberstädter Waldmarathon aber ist nicht nur das Zusammentreffen erfahrener Läufer, die die Entspanntheit und die Ruhe genießen wollen, es ist die überaus friedliche Organisation. Danke!

 

 

 

Informationen: Koberstädter Wald-Marathon
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