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Laufberichte

Muzungu und die Weltmeister

10.07.16 Iten Marathon
 
Autor: Joe Kelbel

Der Juli 1890 war ein schlechtes Jahr für die deutschen Siedler in Kenia. Bismark hatte abgedankt, und der neue Außenminister Caprivi setzte die Träume des Kaisers um:  Abtretung aller Ansprüche in den Sultanaten Sansibar und Witu an die Engländer, im Tausch gegen   Helgoland. So entstand aus einem deutschen Protektorat an der Küste des indischen Ozeans die englische Kolonie Kenia.

Der Außenminister tauschte noch einen malariaverseuchten Streifen entlang des Sambesiflußes, weil er eine Schiffsverbindung zwischen Deutsch-Südwest und Deutsch-Ost-Afrika wolle. Was er wohl nicht wusste: Dazwischen liegen die unpassierbaren Victoriafälle.

Ein deutsches Schiff hatte es doch noch geschafft: Die „Liemba“, ehemals „Graf Götzen“, allerdings auf den 1200 km langen Landweg. Sie transportiert immer noch täglich mehr als 600 Menschen aus dem ehemaligen Bismarckburg über die Seen des Rift Valleys.

Ich bin auf dem Weg in den kenianischen Teil des Rift Valleys. Hier findet ein besonderer Marathon statt, ein Marathon mit der größten Dichte an Weltklasseläufern weltweit.

Direkt am kleinen Wilson-Regional-Flughafen der Hauptstadt beginnt der Nairobi-Nationalpark. Beim Abflug sehe ich unter mir tausende grasende Antilopen. Die Giraffen bilden vor den Hochhäusern einen unwirklichen Kontrast. 40 Minuten später Landung in Eldoret (1800 m), der ersten Läuferschmiede. Nun geht es mit dem Auto weiter, hinauf nach Iten (2400m). Die Straße ist nervig. Jeder Barackenbesitzer  hat eine private Bremsschwelle auf die Straße betoniert, damit die Leute sein Angebot sehen. Dazu kommen noch die ganzen staatlichen Schwellen und Betonhindernisse, die Kontrollen, Radfahrer, Traktoren und stinkenden Lastwagen.

Links und rechts der Straße hat man breite Fußgängerwege gebaut, etwas Seltenes in Afrika. Das hat aber seinen Grund, wie ich gleich zu sehen bekomme. Denn plötzlich tauchen zwischen den unübersichtlichen, selbstgezimmerten Baracken dunkle Gestalten in grellen Hemden und neonfarbenee Laufschuhen auf. Unglaublich, es sind die schnellsten Läufer der Welt, die  mit einem wunderbaren Laufstil an mir vorbeifetzen. Hier wird richtig trainiert. Am Sonntag soll diese Strasse für den Marathon gesperrt sein. Soll ...

Kurz vor Iten wird es richtig bunt: 20, 30 Gruppen flitzen entlang der Strasse und verschwinden in Seitenwegen. Es sind Olympiateilnehmer, sie trainieren im HATC, dem High Altidude Training Center für die Olympiade in Rio. Sie laufen immer in Gruppen, um sich gegenseitig zu pushen, immer schneller, immer härter, 2,3 mal pro Tag. Jogger sieht man hier garantiert nicht.

Es ist Donnerstag, Sprinttag. Freitags ist frei, Samstag ist Langlauftag, Sonntag normalerweise Kirchentag, aber die Olympiateilnehmer stehen dann wohl am Streckenrand, da sie selbst keine Langstrecken mehr laufen sollen. Die Deutschen Marathonläufer, die Hahner Twins, Anja Scherl, Henrik Pfeiffer und Arne Gabius, sind schon abgereist. Einige von ihnen trainieren nun in den Alpen, die Hahner Zwillinge werden am Sonntag den Halben in Amsterdam laufen.

 „There is no beer in Iten!“ schreibt mir Nary Ly, die für Kambodscha am 21. August die Fahne ihres Landes ins Maracana-Stadion tragen wird. Sie bittet um Gels, in Iten gibt es anscheinend nur Ugali, den Maisbrei. Sie wird von Salva Calvo, einem spanischen Spitzenläufer trainiert. Wir kennen uns von den Ultraläufen in Kambodscha und Sri Lanka.

In Nairobi habe ich Helmut kennengelernt. Der Professor der Humboldtuniversität,  zuständig für die Zeitnahme, kennt sehr viele Spitzenläufer persönlich, weil er denen in Chikago, Tokio, London, Berlin oder Frankfurt die Splitzeiten live auf das Führungsfahrzeug liefert.

Moses Masai ist in der kenianischen Nationalmannschaft, er betreibt das Elgon Valley Resort, benannt nach seiner Heimat. Dort checken Helmut und ich ein. Moses trainiert gerade für einen großen Marathon, ich darf nicht verraten, für welchen, da der deutsche Veranstalter dies selbst verkünden will. Seine Schwester, Linet Chepkwemoi Masai ist die 10.000 Meter Weltmeisterin.

Helmut und ich werden vom Bischof am Frühstückstisch empfangen. Wir dachten, „Bischof“ wäre sein Name. Irgendwie haben wir die Ehre, die uns zuteil wurde, nicht begriffen und dann habe ich auch noch vor dem Tischgebet angefangen zu essen, ich Sünder!

Die Zimmer sind einfach, kein Stuhl, kein Tisch, kein TV, keine Minibar, man darf sich ganz auf das Laufen konzentrieren. Nur die rosa Moskitonetze irritieren. Wir gehen zum Marathonbüro, einer Garage an der Hauptstrasse. Erst 50 Läufer sind gemeldet, es werden aber über 470 werden. In Kenia macht man alles auf den letzten Drücker. Ein wenig weiter ist der Start/Zielbereich mit der  Zeitmessung. Vor der St Patrick´s High-School treffen wir David Rudisha. In London 2012 hat er die Goldmedaille im 800 Meterlauf gewonnen (mit neuem Weltrekord), sowie letztes Jahr Gold bei den Weltmeisterschaften in Peking. Er tritt auch bei Olympia in Rio an.

Die St.Patrick´s Schule wurde 1961 von der irischen Mission gegründet und finanziert seitdem den kostenlosen Unterricht für die Schüler mit einer campuseigenen Farm. Colm O´Conell, der Geographielehrer, erkannte damals die läuferischen Fähigkeiten der Kenianer und gründete hier die Eliteschmiede für Langstreckenläufer. Etwa 500 angehende Spitzenathleten werden unterrichtet und trainiert. Wir machen einen Rundgang über das Schulgelände, schauen in die Schlafsäle, machen einen Bogen um die Sanitäranlagen, schauen in den Speisesal. Das Essen ist stärkelastig, Mais- und Hirsebrei, das indische Chapati-Brot und abends ein wenig Hühnerfleisch. Zu trinken gibt es Wasser. Die Baracken sind nach berühmten Marathons benannt: Frankfurt, Berlin, Wien, San Diego, der Marathon du Vignoble d`Alsace fehlt.

Gerade ist Freizeit, da spielt man barfuss mit einem selbstgebastelten Fußball, oder wäscht seine Wäsche.

In Iten sind also etwa 300 Champions, Olympiateilnehmer und -gewinner, 700 sonstige Läufer, und diese 500 Schüler auf den Wegen laufend unterwegs. Dazu kommen nun noch 470 Teilnehmer des Itenmarathons. Unterhalb von Iten liegt der Kerio Valley National Park. Von der 1200 Meter hohen Kante gibt es einen atemraubenden Blick nach Osten, in das riesige Tal des Rift Valley. Zwei Läufer kommen vom Wäschewaschen. Der eine ist in Hannover gelaufen, der andere in Duisburg und Paderborn. Eine halbe Stunde quatschen wir mit den beiden. Auf die Idee, die Waschschüssel mit den nassen Klamotten dabei abzusetzten, kommen die beiden nicht.

Celestine, die Managerin des Itenmarathons, ist die Betreuerin der Kenianer bei Marathonläufen in Deutschland. Mit der Betreuung eines verrückten Weißen, der seinen 328ten Marathon (siehe Startnummer) läuft, hat sie wieder alle Pressevertreter auf ihrer Seite.

M4Y-Kollege Wolfgang Bernath hatte es 2011 in die Sportschlagzeilen von Kenia geschafft. „Deutscher glänzt beim Nairobi-Marathon“. So eine Schlagzeile will ich auch. Einfach wird das nicht werden. Aus einer Höhe von 2400 Meter führt die Strecke in Wellen hinab nach Eldoret (1800m), dann wieder in Wellen hinauf. Versorgung alle 5 Kilometer, aber nur Wasser.

 

 

Freitag, erster Trainingstag

 

Es hat die ganze Nacht geregnet, die Wege haben sich aufgelöst, tiefer Matsch. Nary, die für Kambodscha den Marathon laufen wird, hat heute trainingsfrei. Salva, der sie seit drei Monaten in Iten trainiert, hat daher Zeit, mich und drei Kameraden auf den Trails zu begleiten, die durch Felder und dichten Urwald führen. Wir treffen uns vor dem High Altidude Training Center, das von Lornah Kiplagat geleitet wird. Sie ist 4fache Weltrekordhalterin auf Kurzstrecken, den Marathon ist sie in 2:22 gelaufen.

Unser Trail führt über die Riftkante, die in drei Ebenen hinunter zum Kerio Nationalpark abfällt. Zunächst laufen wir zum Stadion Kamaryni, wo normalerweise bis zu 500 Läufer ihre Runden drehen. Noch ist Laufverbot, die Bahn ist zu naß. Abwärts, aufwärts, durch Plantagen, durch Dschungel, glitschige Abhänge hinunter, bis wir auf der zweiten Ebene einen Wasserfall entdecken. Je ein Kilo Lehm klebt an einem Schuh. Über uns turnen schwarz-weisse Meerkatzen, maulen uns wie Isländer an: „Huh Huh.“ Der Weg zurück nach oben macht mich fertig, die Laufkameraden sind schon an die Höhe gewöhnt.  

Die Menschen in Iten sind sehr freundlich. Wir fragen, ob wir einen Blick in eine Hütte werfen dürfen. In der Wellblechhütte schläft das Ehepaar mit sieben Kindern, in der Rundhütte wird gekocht, geduscht wird samstags mit je einem Eimer Wasser, das Klo ist ein Verschlag am Ende des Grundstückes. Man lebt von dem, was das Feld hergibt: Mais, Süßkartoffel, Kartoffeln und einige Getreidearten, die drei Rinder werden verkauft.

Iten ist sehr sicher, Kriminalität gibt es hier nicht. Zu abgeschieden sind der kleine Ort, die gegenseitige Hilfe ist einmalig.

Plötzlich laute Rufe, Hupen, Autokorso. Hat Deutschland doch gewonnen? Es ist eine große Gruppe Spitzenläufer, die urplötzlich im Nebel erscheint. Die Coaches sitzen in Autos, geben Kommandos per Trillerpfeife. Der Nebel verschluckt die Läufer. Habe ich geträumt? Nachmittags laufe ich noch eine Runde, gehe bei der Marathongarage vorbei, dort meldet sich gerade Francis Bowen an. Er ist dreimal unter 2:08 gelaufen. Ich werde also Sonntag nicht gewinnen. 4 € kostet der Halbmarathon, 8 € der Marathon.

Helmut raunt mir noch zu, dass sich auch Stanley Biwott, der Sieger vom Londonmarathon 2015  angemeldet hat. Stephen Kiprotich, in London 2012 Marathon-Olympiasieger, läuft für Uganda. Er hat sich heimlich für den Halbmarathon angemeldet und hält sich, so wie ich, am Sonntag zurück. Er wird den zehnten Platz beim HM machen (1:06).

„Kip“ heisst Junge. „Jep“ heisst Mädchen. Der Name sagt aus, was am Tag der Geburt passierte. Kiprotich könnte z.B. heißen: Der Junge, der geboren wurde, als die Kühe von der Weide kamen. Truphena Jepchichir wird die beste Newcomerin am Sonntag werden, und ist beim Eindhoven Marathon eingeladen. Ihr Name könnte bedeuten: Mädchen, das geboren wurde, als die Sonne schien.

 

 

Samstag, zweiter Trainingstag

 

Um 2 Uhr morgens klopft es an meine Tür: die Startnummern sind aus Uganda angekommen, Helmut hat die Transponder, die auf die Nummern geklebt werden sollen. Der ist aber nicht zu wecken und ich spiele toter Käfer, möchte die Nacht nicht mit Klebearbeiten verbringen.

Um 6 Uhr ist die Nacht vorbei, es muss doch noch geklebt werden. Die Startnumern sind Schrott, nur einfaches Fotopapier. Ich ziehe mir demonstrativ die Laufsachen an und gehe zum Treffpunkt vor dem HATC.

Nary hat laut Programm einen lockeren Langlauf zu absolvieren. Totti, Eric, Paul, Salva und ich sind dabei, wir laufen bergauf. „Pole, Pole“ ruft Salva, der Spanier auf Swahili, was bedeutet „ langsam, langsam“. 80 Millionen sprechen diese Mixtur aus Arabisch, Bantu, Persisch, Portugiesisch und Indisch. Ludwig Krapf aus Tübingen erschuf 1850 die erste Gramatik und Lexika für diese Sprache. In Deutsch-Ostafrika wurde Swahili zuerst Amtssprache und setzte sich von dort in den englischen Kolonien durch.  In Iten wird allerdings Kikuyu gesprochen. Die kenianischen Wunderläufer, die wir kennen, sprechen Kalenjin, sie gehören dem Volk der Nandi an. Ebenso wie die Masai trinken sie frisches Blut und Milch, theoretisch.

„Muzungu“ rufen vor allem die Kinder hinter uns her, es bedeutet: „ Mensch der sinnlos herumirrt“ und bezieht sich auf die ersten Forschungsreisenden in Ostafrika, die keinen Plan hatten. Jetzt ist dies die Bezeichnung für Weiße. Ich bin heute sehr zufrieden mit meinem Trainingslauf, ich könnte jetzt 3mal am Tag laufen. Es ist alles so zwanglos, jeder läuft, es ist gute Luft und ich habe eh nix zu tun. Ich nehme mir vor, mehr zu trainieren.

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