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Laufberichte

Zahlenstrudel beim Unterwassermarathon

25.01.09
Autor: Joe Kelbel

48,6 Runden 24 Meter unter der Elbe zu laufen,  ist kein Zahlenspiel, sondern eine unheimliche  Kopfarbeit. Zum zehnten Mal veranstaltet der 100 Marathon Club Hamburg die weltweit einzigartige Unterwassersause im alten Elbtunnel zwischen St Pauli  und Steinwerder.

 426,5 Meter durch die Ost-Röhre und 426,5 Meter zurück durch die West-Röhre, 48 mal, dazu noch 48 mal die 180-Grad-Süd-Kurve und 48 mal die 180 Grad-Nord-Kurve, jede Kurve 7,25 Meter . Dann sind aber immer noch keine 42,195 Km komplett. Also gibt’s zu Beginn ein Viertel Oströhre, ne ganze Nordkurve und eine dreiviertel Weströhre extra, was zusammen 507 Meter ergibt. Alles klar ? Egal. Man muss nur laufen !

Da „niemand mehr so eine richtige Garantie für das Funktionieren der Technik übernehmen will“ (Zitat aus der Website des 100 MC) , muss sich jeder selbst um seine Rundenzählung kümmern. Man muss einfach  49mal die Zählmatte überqueren. „Hierfür trägt im Zweifel jeder Läufer selbst die Verantwortung.“ So steht´s im Reglement. 

Man könne ja, da man 48 mal am Getränkestand vorbeikommt, 48 Becher sammeln.  Als „Variante für Säufer, die bis 4 zählen können“ wird auf der Website das geschrieben: man könne, wenn man 10 Becher zusammen hat, diese entsorgen  und merkt sich +1 im Sinn. Hä? Ach, man muss nur laufen!

Die Website gibt weitere Tips: Der Polar-Uhr-Besitzer muss 50 mal auf den Rundenknopf drücken. Ja! Denn er muss ja die Uhr beim Start erstmal aktivieren.

Der Erbsenzähler bringt 48 Erbsen mit. Aber wo deponiert er die? Und wie entsorgt er die? Hä? Muß der nicht 49 mitbringen?

Der Seemann bringt  einen Tampen (dickes Seil) oder ein Bändsel (dünnes Seil) mit. Nach jeder absolvierten Runde macht er einen Knoten, nach jeder zehnten Runde einen Doppelknoten .Wenn er aber den fünften Doppelknoten hat, ist er eine Runde zuviel gelaufen. (Ich werde beim Start aufpassen müssen, daß mir niemand die Schnürsenkel rausfriemelt.)

Der Lehrer macht bei jeder Runde einen Strich an einer der Kachels des Tunnels.(Doch wie merke ich mir „meine“ Kachel?)

Und der Gläubige betet, daß die Elektronik dieses Jahr funktioniert. Vielleicht sollte ich mit  Hilfe eines Rosenkranzes zählen?

Ach was, ich muss  nur laufen.

Eine Besonderheit beim Tunnel ist, daß die üblichen Meßmethoden mit Matten und Sensoren  bisher versagt hatten. Deswegen wird dieses Jahr jeder Läufer mit 2 aktiv sendenden Transpondern ausgestattet, die an beiden Füßen zu tragen sind.

Wer „Elbtunnel“ hört, der denkt wegen der ständigen Staumeldungen eher an den Tunnel der A7. Unsere Laufröhre entstand aber schon 1911. Zwar können auch hier Autos durchfahren, allerdings werden diese mit einem der insgesamt 8 Aufzüge auf Tunnelniveau gebracht. An diesem Sonntag braucht man die Autoaufzüge für die Gepäckaufbewahrung und Dixiklos, die 4  restlichen Aufzüge für die Läufer, Zuschauer und die „normalen“ Fußgänger, die weiterhin den Tunnel benutzen müssen. Für die bleibt der rechte Gehweg reserviert.Wer mit dem Auto an marathonfreien Tagen durch den Tunnel will, zahlt 2 Euro, aber für eine gesunde Marathonluft ist der Tunnel seit Freitag für Luftverpester gesperrt.

Gelaufen wird auf der Fahrbahn, die 1,95 breit ist. Links ist der innere Gehweg, der zum Überholen gedacht ist - er ist 1,2 Meter breit, der Bordstein ist 10 cm! hoch. Ein 3 Std-Läufer müsste einen 4 Std-Läufer insgesamt 12 mal überholen, einen 5 Std-Läufer sogar 22mal. Demnach wird der Gewinner 299 Läufer etwa 17 mal überholen müssen. Also 5083 mal zehn Zentimeter hoch springen? Das sind ja dann 508 Meter! Dazu kommen nochmal insgesamt 150 Höhenmeter, da die Tunnelröhren zum Ende hin leicht ansteigen. Dann haben wir ja einen passablen Bergmarathon!

Das würde aber auch heißen, ich sehe den Gewinner bei etwas mehr als  jeder dritten Runde! Das ist ja einmalig in der Welt!

Wer in den Kurven innen läuft, bekommt eventuell Blasen, wer außen läuft hat einen längeren Weg. Wer überholt, muss auf den Bordstein springen, mit dem linken Fuß zuerst, der wird aber wegen der Kurven irgendwann schmerzen. Ach was, man muss nur laufen.

Wer überholt, muss erst nach hinten schauen.Wie oft muss ich nun nach hinten schauen, wenn ich 4 Std. laufe und 150 Läufer wie oft überhole? Egal, .ich muss nur laufen.

Informationen: Elbtunnel-Marathon
Veranstalter-WebsiteE-MailErgebnislisteHotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

300 Läufer sind behördlich zugelassen, dazu noch etwa 200 Helfer und Zuschauer. Doch es wollen mehr rein. Darum schickt Armin, der dieses Jahr die Rundenzählung per EDV versuchen will, eine freundliche Rundmail, daß derjenige, der nicht starten kann, dies mitteilen solle. Gegen Abzug einer kleinen Bearbeitungsgebühr gibt’s das Startgeld dann zurück. Sehr sympathisch!

Damit sich die Gäste schon mal beschnuppern können, gibts am Samstag nachmittag eine kostenlose Hafenrundfahrt, einen Informationsvortrag zum Ablauf des Marathons, sowie einen Diavortrag von Jürgen über den Nordpolmarathon. Treffpunkt Jugendherberge „Stintfang“, direkt am Tunneleingang,wo man dann auch gleich übernachten kann. Sehr sympathisch!

Hier in der Jugendherberge ist auch die Startnummernausgabe und in Gegenwart der amtierenden Weltrekordlerin Sigrid Eichner, die morgen ihren 1344ten Marathon laufen wird und dem amtierenden Vize-Weltrekordler Christian Hottas, schmecken die Nudeln noch besser. 

Sonntag 11 Uhr, eine sehr symphatische Startzeit. Das große Thermometer auf Steinwerder Seite zeigt 6 Grad plus an....innerhalb von 4 Stunden werden 300 Läufer den Tunnel auf 9 Grad hochschwitzen. Die Luftfeuchtigkeit ist jetzt schon enorm hoch, dadurch empfindet man es als unangenehm kalt.

Kurze Wiederholung der wichtigsten Regel durch Enno, der auch die Moderation machen wird: Eiserne Disziplin und Rücksichtsnahme sind oberste Pflicht bei diesen engen Verhältnissen.

Dann der Start. Jeder geht die ersten Runden zu schnell an, denn schon in der zweiten Runde überholen die Spitzenläufer...immer mehr schnelle Läufer überholen....daß ich selbst viele Läufer überhole, ignoriere ich...wie im Stau auf der Autobahn sehe ich nur die, die ständig überholen, und die sind schnell, sehr schnell. Auch ich laufe schnell, zu schnell.

In der Süd-Kurve sitzen zwei Jungs und löffeln Erbsensuppe, der appetitliche Duft bringt meinen Insulinhaushalt durcheinander.

Irgendwann merke ich, daß dieser Tunnel seine eigenen Laufgesetze vorschreibt: Die Luft wird schnell stinkend-feucht. Die Lungen schmerzen, der Sauerstoff ist knapp. Der Untergrund ist brechend hart, die Kurven sind glitschig feucht. Von den Wänden rinnt das Kondenswasser, von der Tunneldecke tropft es, die nasse Kleidung reibt überall, die nassen Schuhe provozieren Blasen, der linke Knöchel schmerzt erwartungsgemäß in jeder der engen Kurven, die Linse der Kamera ist beschlagen......aber es wird sehr diszipliniert überholt...keine bösen Worte, keine Rangeleien. Es ist trotz der Enge sehr entspannt und friedlich.

Während des Laufes muss ich an die drei Arbeiter denken, die durch die Taucherkrankheit beim Bau des Tunnels gestorben sind. Man hatte nämlich damals den Tunnel unter Überdruck gesetzt, um Wassereinbruch zu verhindern, denn über dem Tunnel liegen etwa 3 Meter Elbeschlick und 20 Meter Wasser. Kein Fels. Ein weiterer Effekt des Überdrucks war, daß man den durch den Bau anfallenden Abraum einfach vor ein Rohr schaufelte, welches in die Elbe ragte. Öffnete man das Rohr, machte es schuuuuurpflupp und weg war das Zeug.

Schluurp macht´s auch bei einem der Schnellen: Er rutscht in einer Kurve aus und brettert schmerzhaft vor mir an die Wand. Ab sofort laufe ich aufmerksamer, ohnehin ist keine Zeit zum Träumen, die Strecke verlangt zuviel Konzentration.

Wasser von allen Seiten. Nicht Läufer aber auch nicht Fisch, so japse ich nach Sauerstoff, während der klatschnasse Kragen meiner Laufjacke wie Kiemendeckel einer sterbenden Flunder arbeiten.

Sonst passiert nicht viel. Eintönig zähle ich meine Runden.  28..28..28, bei jedem Schritt, bloß nicht verzählen...29...29..29, mich überholt Katherina, aus Polen. Sie ist heute am 25. Januar    25 Jahre alt geworden und läuft jetzt ihren 25ten Marathon. Ihr Freund im Hasenkostüm macht ziemlich Radau, damit dies auch alle mitbekommen.

Nicht viele Geräusche im Tunnel, ein paar Rufe, ansonsten nur dumpfe Schläge, wenn jemand auf die gußeisernen Abdeckungen der Sprengschächte tritt.

Bei 30...30...30 steht 100km-Martin mit seinem Charakter-Hut an der Seite. Ein gegenseitiges, fröhliches „Du Sau, Du“ wechselt die Seiten, dann ist es wieder still.

Bei 32...32...32 kippe ich mir einen Becher Cola ins Auge...das brennt.Auch die nasse Kleidung brennt auf den wundgescheuerten Stellen. Runde um Runde  passiert sonst nichts. Auf dem Boden liegen unzählige abgschnittene Schnipsel von Maßbändern, wie wir sie beim Bund für den Countdown unsere letzten Tage benutzt hatten.

Enno macht stimmungsvolle Moderation. Zu fast jedem Läufer hat er eine Geschichte zu erzählen. An der Tunneldecke sind die aktuellen Runden projektiert. Hurra, es klappt, Armin Baer hat gewonnen, seine Technik funktioniert!

38..38..38 oder 39..39..39? Hier im Tunnel kursieren Zahlen ...jeder hantiert mit igendwelchen Zahlen. Wieviel noch? Es ist schwierig. Jeder ruft rein persönliche Zahlen, doch welche ist meine? Es wird schwierig sich zu konzentrieren. Ist meine Zahl richtig?

Irgendwann zähle ich 47...47...47, langsam, denn jeder Schritt schmerzt. Da ruft Enno: „ Der Joe hat nur noch 2 Runden! Hurra! Nicht verzählt! 48...48...48... und 49. Punkt aus.Ende. Heute Nacht werde ich im  Traum weiterzählen.

Als Sigrid ins Ziel läuft, steht 100MC-Chef Hans-Joachim neben Enno. Tosender Beifall für die Weltrekortlerin, zwei Jahre nach ihrer schweren Operation.

Erstaunlich hart war der Lauf. Harter Untergrund, Krämpfe durch hohen Wasserverlust. 

Aber auch ein vom 100 MC erstaunlich gut organisierter Lauf, sehr familiär und sehr diszipliniert. Mit hervorragender Erbsensuppe im Zielbereich. Danke.

Ach so,schnellster Mann mit einer Zeit von 2:43:09 war der Brite Mark Shepherd, schnellste Frau seine Freundin Rachael Elliott (3:10:49 Stunden).  

 

 

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