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Laufberichte

Endlich Biel

 

Biel gilt für viele Läufer als Synonym für Langstreckenlaufen. Der 100 km Lauf in Biel ist der älteste Europäische Ultramarathon und Vorbild vieler Laufveranstaltungen auch in Deutschland. Er sollte daher mein erster 100ter werden. Aus terminlichen Gründen haben Norbert und ich den Start immer wieder verschoben, sind dafür aber andernorts bereits 100 Kilometer gelaufen. Auch in diesem Jahr passt es eigentlich nicht optimal. Keine 14 Tage nach dem Comrades ist das Unternehmen Biel schon ambitioniert. Aber wenn nicht jetzt, wann dann?

Zum Zeitpunkt der Anmeldung war für Norbert jedoch ein 100 km Lauf verletzungsbedingt undenkbar. Die Fahrradbegleitung für mich zu übernehmen, war die logische Konsequenz. So haben wir also das Fahrrad ins Auto gepackt und machen uns rechtzeitig am Freitagnachmittag auf den Weg.

Biel liegt wunderschön zwischen Schweizer Jura und der Ferienregion Drei Seen Land direkt am Bieler See. Die lockere Mentalität der Bevölkerung wird begründet durch das Gemisch von Deutsch und Französisch, welches hier gleichberechtigt gesprochen wird. Gleichzeitig behauptet sich die Stadt erfolgreich als traditionsreiche Uhrenmetropole in der zahlreiche Schweizer Nobelmarken ihren Standort haben.

Bereits am Ortseingang ist der Parkplatz für die Läufer ausgeschildert. Für 10 Franken kann das Auto hier bis Samstag gut untergebracht werden. Um zum Kongresshaus zu gelangen, geht es immer geradeaus, allerdings ist es ein gutes Stück zu laufen. Für die Startnummernausgabe benötigt man die Starterkarte und einen Lichtbildausweis, das Veloticket gibt es am Stand gleich nebenan. Weil wir früh dran sind, ist noch wenig los. Wir verkrümeln uns in eine Ecke des Kongresshauses um uns nochmal abzulegen, denn die Nacht wird lang.

Gegen 20 Uhr wird es zusehends voller. Die ersten Bekannten trudeln ein. M4you Kollege Anton ist mit von der Partie, dann natürlich Kati, die Erstling Axel mitgebracht hat, die beiden Gerhards, Andrea, die ich beim Comrades kennengelernt habe und noch einige andere nicht minder wichtige Freunde. Um 21 Uhr ist die Besammlung der Velofahrer vor der Sporthalle Esplanade. Da dort auch die Abgabe der Taschen sein soll, machen wir uns rechtzeitig auf den Weg. Es geht nur ca. 100 m über die Straße. Dort erfahren wir, dass man nur seine Wertsachen abgeben und eine Tasche an die verschiedenen Wechselpunkte schicken lassen kann. Sonstiges Gepäck kann man aber in der weitläufig verzweigten Halle deponieren. Weil wir keine Wertsachen dabei haben, lassen wir unsere Tasche einfach bei den anderen im Umkleideraum.

Um 21 Uhr 30 ist die Abfahrt der Begleitradler. Gemeinsam fahren sie unter Polizeischutz nach Lyss, wo sie sich dann mit ihrem Läufer treffen. Ich verabschiede Norbert und trolle mich Richtung Start. Der abgesperrte Startbereich vor dem Kongresshaus ist leer. Dafür sind die Straße und die Treppe davor mit Läufern bevölkert. Jeder entspannt auf seine Weise. Ich bin so nervös, dass ich den Lautsprecherdurchsagen nicht wirklich folgen kann. Nur, dass die Sieger der beiden letzten Jahre auch am Start sind und natürlich viele, die bereits zum zwanzigsten Mal oder noch öfter gefinisht haben, bekomme ich mit.

Auf der Treppe sehe ich ein bekanntes Gesicht. Die Läuferin, die wir auf der Kloßparty beim Rennsteiglauf getroffen hatten, Silke Ahrendts-Konold, die dann für mich unerwartet, als Zweite den Lauf beendete, ist auch hier. Sie ist ebenfalls zum ersten Mal in Biel und hat sich eine Zeit um die neun Stunden vorgenommen. Später erfahre ich, dass sie mit 8:43:14 auch hier in Biel auf den zweiten Platz gelaufen ist. Da bin ich baff.

Langsam füllt sich der Startplatz. Auch ich reihe mich ein. Es sind noch 10 Minuten. Die digitale Uhr läuft bereits rückwärts. Ich genieße die prickelnde Atmosphäre und versuche meine Nervosität in den Griff zu bekommen. Irgendwann verkündet die Sprecherin: Es sind noch 57 Minuten - nein, sie verbessert sich gleich - natürlich sind es 57 Sekunden. Ein lauter Knall ertönt und es geht los. Zu dem Song der Tote Hosen „Tage wie dieser“ laufen wir an hunderten von applaudierenden Zuschauern vorbei. Mit dem Lied verbinde ich mittlerweile so viele schöne Erinnerungen, dass der Start hier doppelt emotional ist und ich lautstark mitsinge.

Das Lied ist zu Ende und immer noch stehen Zuschauer da und feuern uns an. Im dichten Feld muss man höllisch aufpassen, um nicht zu stolpern. Trotz der Dunkelheit ist die Straße taghell erleuchtet und man sieht ganz gut. Nur die Pfosten, die regelmäßig in der Mitte der Straße auftauchen, sorgen für manche unangenehme Überraschung. Eine erste Wasserstelle nutze ich, mir Wasser über den Kopf zu schütten. Nun wird es ruhiger. Wir sind noch in der Stadt. Immer wenn man gerade etwas entspannen will, kommen wieder Ansammlungen von Fans, die einen aufputschen und anfeuern.

Das erste Schild zeigt km 5. Dahinter folgt eine Steigung, an der sich die Anwohner eingefunden haben, um die Läufer abzuklatschen. Obwohl es mir wegen der vielen Zuschauer schwer fällt, muss ich hier gehen, denn ich darf meine Kräfte nicht verschwenden. Es ist mit 19 °C am Start um diese Uhrzeit ohnehin sehr warm. Bereits an der ersten VP greife ich zum Wasser. Das Feld ist nun etwas lichter und ich versuche ein geeignetes Tempo zu finden. Noch habe ich die Stirnlampe um meinen Arm gewickelt. Obwohl ich sie nicht brauche - es ist immer jemand mit Lampe um mich herum -  versuche ich sie einzuschalten. Aber wo ist der Schalter? Wir haben zuhause mehrere Lampen und ich hab eine erwischt, die ich nicht beherrsche. Wieso habe ich nicht vor dem Start ausprobiert, wie man das Ding einschaltet? Wie blöd kann man nur sein? Ich ärgere mich ein wenig.

Plötzlich wird es laut hinter mir. Ein Radler klingelt und kündigt den führenden Marathoni an. Marathon und Halbmarathon sind eine halbe Stunde nach uns gestartet und beide Strecken haben noch eine zusätzliche Schleife in Biel gedreht. Damit haben die per se schnelleren Marathon- und Halbmarathonläufer die Chance, durch ein nur noch lockeres Ultrafeld laufen zu müssen. Trotzdem ist es ganz schön schwierig. Ab jetzt kommen immer öfters schnelle Läufer von hinten, die sich im Slalom durch das Ultrafeld bewegen.

Erstaunlich schnell erreichen wir die überdachte Holzbrücke von Aarberg bei km 18. Hier ist natürlich wieder ein Zuschauer Hotspot. In Aarberg ist am Halbmarathonziel viel Tamtam. Auch jeder Ultra wird namentlich und mit viel Applaus begrüßt. Etwas abseits ist dann die zweite VP. Ich muss trinken, denn es ist immer noch zu warm.

Bisher hatte ich die Stirnlampe definitiv nicht gebracht. Nun bin ich aber in einem Wäldchen und ausgerechnet hier ist keine Lampe weit und breit. Es ist stockdunkel. Zwei schnelle Hirsche mit Lampe nähern sich von hinten und sind gleich wieder vorbei. Wenigstens geht es geradeaus. In der Ferne kann ich die Lichter einer Straße erkennen. Unsicheren Schrittes kann ich diese dann auch bald erreichen. Im Straßenlicht prüfe ich erst mal, wo der Schalter meiner Lampe denn nun ist. Aha, an der Seite. Jetzt habe ich endlich mein eigenes Licht.

Vor mir liegt Lyss. Jetzt wird es spannend. Kann ich Norbert finden? Zuerst stehen da drei junge Männer, die jeden Läufer mit Namen ansprechen und persönlich anfeuern. Auch ich werde abgeklatscht. Schwungvoll laufe ich in den Ort. Ich hatte erwartet, dass hier die Radler in einem Block versammelt sind, und geordnet hintereinander aufgereiht ihren Läufer erwarten. So ist das nicht. Ein Radler steht rechts, einer links, dann länger keiner. Dann mal mehrere beisammen. Manche feuern uns an, manche liegen im Gras und ruhen. Wir hatten vereinbart, dass sich Norbert am Ende aufhalten würde. Ich bin fast durch und habe ihn immer noch nicht gefunden. Hinter einer Kurve lauert er dann aber doch und macht Bilder. Nun kann es gemeinsam weitergehen.

Einerseits bin ich froh, ihn zu sehen. Andererseits hoffe ich, er fragt nicht, wie es mir geht. Seit einiger Zeit fühlt sich mein Magen nicht optimal an. Außerdem ist mir zu warm und meine Beine sind ungewöhnlich müde. So kann ich die 100 km nicht zu Ende laufen. Insgeheim beschließe ich auf jeden Fall, den Marathon voll zu machen und dann zur Not auszusteigen. Norbert kennt mich gut genug, um mich nicht mit Fragen zu bedrängen. Er erzählt von seinen Erlebnissen und so kann ich etwas entspannen.

Ein Läufer mit Nikolauskostüm und Brasilianischer Flagge überholt uns. Wie kann man in dieser Hitze im Mantel laufen? An der nächsten VP sehe ich Boullion. Das ist genau das Richtige für meinen Magen. Dieser erholt sich dadurch auch auf den nächsten Kilometern. Dafür werde ich aber nun unglaublich müde. Es fühlt sich an, wie im Rausch. Ich hab das Gefühl, als wäre ich in Watte eingepackt. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich mich bewege. Das gleichmäßige Strampeln von Norbert, sagt mir zwar, dass es vorwärts geht, aber wahrnehmen tue ich es nicht. Dann muss ich mich plötzlich am Fahrradlenker festhalten, um nicht in den Graben zu laufen. Wir erreichen Oberamsern bei km 39 und somit das Ziel des Marathon. An der VP verordne ich mir neben Bouillon erst einmal Cola.

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Informationen: Bieler Lauftage
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