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Passt auf euch auf

22.05.18
Quelle: Dr. Frank Albrecht

Marathon4you/Trailrunning.de-Autor Frank Albrecht ist Arzt.  Besorgt wegen der jüngsten Vorfälle bei Laufveranstaltungen,  hat er einen Beitrag über Herzerkrankungen speziell bei Sportlern verfasst, den wir hier gerne veröffentlichen (Red. M4Y/TR).  

 


Das Herz ist unser Motor und hat überaus erstaunliche Leistungen. Es beginnt in der 4. Lebenswoche zu arbeiten und schafft etwa 2,5 Milliarden Schläge bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung. Einfach enorm. Dabei ist es so besonders kompliziert gar nicht aufgebaut: Zwei Hälften, jeweils mit einem Vorhof und einer Kammer. Dazwischen sind Klappen als Rückschlagventil. Blut strömt ein und wird mit Kraft weitergepumpt. Die rechte Hälfte pumpt in die Lunge (da braucht es keinen hohen Druck), die linke in den Körperkreislauf - hier schon erheblich kräftiger, schließlich muss ja das Blut bis in die entfernteste Körperregion kommen. Und das auch noch unter wechselnden Anforderungen.

Mit einem optimalen Zusammenspiel von Vorhof und Kammer können dann auch enorme Pumpleistungen erreicht werden. Da kommt eine Besonderheit der Herzmuskelzelle ins Spiel: Sie ist zur Erzeugung elektrischer Impulse fähig. Schrittmacherzellen, miteinander vernetzt, durchziehen das Herz. So kann sich elektrische Erregung zielgerichtet ausbreiten und Vorhof und Kammer für den Pumpvorgang optimal koordinieren.

Wenn wir uns anstrengen, benötigen wir eine höhere Pumpleistung, ganz klar. Das Herz reagiert mit einer Erhöhung der Schlagzahl, also der Herzfrequenz. Schnell kommen wir so auf Zahlen wie 140-160-180 Schläge pro Minute! Das ist viel und bringt das System auch an die obere Leistungsgrenze. Aber ein gesundes Herz macht das mit. Wir sind dann zwar außer Atem und haben nur noch wenig Reserve nach oben.  Dann ist es Zeit, etwas langsamer zu machen.

Wiederholte, intensive Belastung trainiert das Herz. Es wird kräftiger, vermehrt seine Muskelmasse. Die Pumpleistung steigt an, dafür sinkt die Schlagfrequenz etwas ab. Unser Training und unsere Läufe führen genau dahin.

Es kann natürlich auch mal zu Problemen kommen, mitunter zu sehr ernsten. Eines davon heißt Vorhofflimmern. Schrittmacherzellen in den Herzvorhöfen geraten dabei außer Kontrolle, feuern elektrische Impulse in höchster Frequenz aufs Geratewohl. 300 bis 600 Vorhofaktionen pro Minute - das geht auf Kosten der Pumpleistung. Und zwar ganz massiv. Es pumpen nur noch die Kammern ohne Unterstützung der Vorhöfe,  dort fließt das Blut ungeleitet irgendwie durch. Es kann aber auch in stillen Ecken vor sich hin gerinnen. Lösen sich dann Gerinnselteile ab, werden sie in die Lunge (Lungeninfarkt/Embolie) oder in den Gehirnbereich gedrückt. Dort wäre dann ein Schlaganfall die Folge. Beides kann tödlich enden, zumindest aber schwere Schäden hinterlassen, irreparabel in der Regel am Gehirn.

Muss sich der Sportler deswegen Sorgen machen? Er bewegt sich doch, lebt gesund. Ist man als Marathoni nicht unkaputtbar? Vorsicht! Wir werden alle nicht jünger und genau da liegt das Problem.

 

 

Ein paar Zahlen: Vorhofflimmern (VHF)  kommt mit 0,5-1% Häufigkeit ab der Altersklasse 55 vor und steigt bis 85 auf etwa 11% an. Das ist ganz ordentlich und bereits jetzt ein Problem für die Kardiologen. Bei uns Sportlern dagegen ist es 5,8mal häufiger und tritt auch schon 8 Jahre früher auf! Und zwar ohne jede vorherige Grunderkrankung! Jeder 16. Läufer am Start ist betroffen. Also, man muss nicht zuckerkrank sein, an Bluthochdruck, COPD oder Cholesterinüberschuss leiden - was bei uns Sportlern ohnehin selten ist.

Man hat sich mal speziell Extremsportler angeschaut: 300 finnische Orientierungsläufer, ohne Risikofaktoren, jahrzehntelanges Training -  ab 52 Jahren 5,8 mal häufiger VHF als 500 gesunde Kontrollpersonen. Auch andere Forschungsgruppen konnten dies bestätigen. 4500 Stunden Lebenszeit-Trainingsstunden sind eine Schwelle, ab da wird es riskant. Eine andere Studie fand bei Extrembelastungen ein Risiko ab 5 Wochenstunden. Also bereits ein Marathon oder Ultra reicht schon. Woran liegt das?

Zum einen an der langsameren Herzfrequenz. Die Pausen zwischen den einzelnen Schlägen können so lang sein, dass manche Schrittmacherzellen einfach von selbst aktiv werden. Bei Übertraining kann auch eine chronische Entzündung eintreten. Viel wichtiger aber: Durch die extreme Belastung gehen Herzmuskelzellen zugrunde und werden durch funktionsloses Bindegewebe ersetzt (Fibrose). Dabei wird auch das Netzwerk der Schrittmacherzellen beschädigt. Als Folge davon breiten sich die elektrischen Erregungen nicht mehr zielgerichtet aus, das Zusammenspiel mit der Herzkammer wird gestört, die Pumpleistung sinkt.

Der Läufer merkt einen Leistungseinbruch, führt das aber oft genug auf Erschöpfung, Energiemangel, das Wetter oder einen schlechten Tag zurück. Manche tragen ja Geräte mit sich, die den Puls messen- ein ungewöhnlich hoher Puls kann ein Hinweis sein. Würde man jetzt Blut abnehmen, wären alle Herzinfarktzeichen hoch positiv, Schäden an den Herzmuskelzellen treten also immer auf.

 

Was also tun?

Die Gesundheit ist das Wichtigste, alles hängt daran. Im eigenen Interesse, aber auch wegen der Verantwortung der Familie gegenüber, sollte der Läufer mindestens einmal jährlich eine sportmedizinische Untersuchung mit Herz-Checkup machen lassen. Und zwar spätestens ab 45. Ein EKG in Ruhe, das reicht aber nicht. Erst ein Belastungs-EKG auf dem Ergometer findet die Gefährdung heraus.

Sollte tatsächlich der Fall VHF eintreten, wird es knifflig. Ausschalten von Risikofaktoren durch nur noch moderate sportliche Betätigung, leitliniengerechte Medikamente, manchmal auch invasive Therapien, sind angesagt. Immer abhängig vom Schweregrad des Einzelfalles.

Trotzdem- wer regelmäßig Sport betreibt, ob Marathon oder nicht, lebt im Durchschnitt länger und das auch noch in einer besseren Qualität als Nichtsportler. Also: Lauft weiter, aber seid vorsichtig- hört auf euren Körper, übertreibt es nicht.  Passt auf euch auf!

 
 
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