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Laufberichte

Verrückt nach Marathon

 

Sechs Jahre ist es her. Damals, bei meinem ersten Start in Luzern anno 2008, war die Veranstaltung noch ein echter Newcomer in der Schweizer Marathonszene. "Kultverdächtig" resümierte ich seinerzeit. Höchste Zeit also, erneut im Eigenversuch zu testen, ob diese Vorschusslorbeeren ihre Berechtigung hatten.  

Dass aus dem einstigen "Lucerne Marathon" seit letztem Jahr der "Swiss City Marathon" geworden ist, zeigt schon: Die Ambitionen sind gestiegen. Die internationale Ausrichtung soll  stärker betont werden. Immerhin lockt er Läufer aus fast 40 Ländern. Interessant ist auch die Entwicklung der Teilnehmerzahlen. Von seinerzeit 2.800 auf gerade einmal 1.800 geschrumpft ist die Zahl der gemeldeten Marathonis. Hmm .... klingt nicht wirklich nach „Kult“. Andererseits: Auf über 7.000 fast verdoppelt hat sich die Zahl der Halbmarathonis. Und es wären noch mehr, hätte nicht das Limit zugeschlagen. Wow, so klingen Erfolgsstories!

Ein Wunder ist das nicht. Die 21 km-Runde war schon damals überaus attraktiv. Im wesentlichen unverändert ist sie es auch heute noch, sieht man von ein paar kleinen, aber feinen Unterschieden ab. Aber dazu später. Das hat sich offensichtlich herumgesprochen. Erleben wollen diese Runde allerdings die meisten nur noch einmal. Dennoch: Auch weiterhin kann sich Luzern rühmen, den zweitgrößten Schweizer Citymarathon auszurichten. Und der Halbmarathon? Der kratzt hart an der Position eins, die gerade noch so der Greifenseelauf innehat.

 

Vorglühen im Schweizerhof

 

Bewahrt hat sich Luzern über die Jahre die wohl feudalste Location für das Vorstart-Prozedere. Auch heute noch schlägt das Herz der Veranstaltung vor dem großen Lauf in der noblen Fünf-Stern-Herberge "Schweizerhof" direkt in der Altstadt und an den Gestaden des Vierwaldstätter Sees. Seit 1845 verwöhnt dieser traditionsreiche Hotelpalast Gäste aus aller Welt. Die im Startgeld inbegriffene Pasta und Rösti als vormarathonischen Appetizer darf man daher in überaus stilvollem Ambiente in einem der prunkvollen Säle des  Grand Hotels oder auch auf der Sonnenterrasse mit Seeblick genießen. Fast schon erstaunlich ist, dass trotz vieler tausend Starter nicht das totale Chaos ausbricht. Im Bringolfsaal bekomme ich ohne viel Warten meine Startnummer. Vergleichsweise überschaubar ist die Laufmesse. Macht nichts. Umso schneller kann man frisch gestärkt zum Bummel in die Altstadtgassen gleich hinter dem Hotel eintauchen.

Wer den besonderen Flair 170-jähriger Hotelgeschichte so richtig erleben will, sollte den  „Schweizerhof“ jedoch ein weiteres Mal besuchen. Und zwar dann, wenn der Marathonspuk ein Ende hat, etwa abends bei einem Drink an der Bar. Noch besser fährt, wer hier gleich nächtigt. Denn der darf neben dem besonderen Marathon- auch ein einmaliges Schlaferlebnis mitnehmen, Fünf-Stern-Frühstücks-Carbo-Loading ab 5:30 Uhr und Late-Check-out am Marathontag inklusive.  

 

Per Schiff zum Start

 

Vor einem Marathonstart kann man sich auf mannigfaltige Art auf das Bevorstehende mental einstimmen, etwa mit entsprechender Musik, Konzentrationsübungen …. oder bei einer Bootsfahrt. Und eine solche gehört für viele Teilnehmer in Luzern zum vormarathonischen Pflichtprogramm. Als lange Karawane ziehen schon am frühen Sonntagmorgen die im zentralen Haupt- oder Busbahnhof eintrudelnden Läufer zum Bootsanleger vor dem Kultur- und Kongresszentrum. Ein Ausflugsboot nach dem anderen nimmt die Wartenden auf und entführt sie in die Stille des Sees. Das Ziel: Das östlich des Zentrums am Seeufer gelegene Verkehrshaus, eines der weltgrößten Verkehrsmuseen.

Gerade einmal zehn Minuten dauert die Überfahrt, gerne hätte sie ein wenig länger währen dürfen. Schon müssen wir uns in die nächste Karawane einreihen. Doch die teilt sich bald.  Die einen zieht es zur Abholung der Startunterlagen Richtung Museumsgelände, die anderen zur Umkleide und zum Kleiderdepot, für die Männer einige Gehminuten vom Verkehrshaus entfernt in den Räumen des Schulhauses Würzenbach eingerichtet. Als kollektive Wärmestube erfreut sich das Schulhaus großer Beliebtheit, liegen die morgendlichen Temperaturen doch nur im einstelligen Bereich.

Je näher der Zeiger gen Starttermin rückt, desto voller wird es auf der langen Startgeraden auf der Haldenstraße hinter dem Verkehrshaus. In fünf Startblöcken, je nach angepeilter Zielzeit, haben wir uns einzureihen. Ein überaus beeindruckender Lindwurm von etwa 9.000 Halb- und Vollmarathonis harrt um kurz vor neun Uhr gebannt dem Startsignal entgegen. Der Startschuss erlöst den ersten Block aus der Wartestarre und dann geht es Schlag um Schlag. Im Fünfminutentakt wird die Laufstrecke immer neu befüllt. 

 

Warmup durch die City

 

Gleich auf den ersten Kilometern präsentiert sich uns Luzern von seiner Schokoladenseite. Schnurgerade gen Altstadt führt unser Weg unweit des Ufers am See entlang. Die historischen Hotelpaläste prunken entlang der Haldenstraße bis zum Schweizerhofquai. Den Horizont füllen die spitzen Türme der Hofkirche.

Mit dem von prächtigen Fassaden gerahmten Schwanenplatz erreichen wir das Tor zur mittelalterlichen Altstadt. In das Netz der alten Gassen tauchen wir jedoch nicht ein – noch nicht. Vielmehr geht es sogleich weiter auf die Seebrücke, wo sich uns das fast schon allgegenwärtige, weil jedes Luzern-Werbeplakat schmückende Panorama mit der Kapellbrücke und der sich entlang der Reuss bis zum Horizont hinziehenden Altstadt und den dahinter aufsteigenden Bergen bietet. Nun ja, die Berge müssen wir uns heute leider denken. Den Hochnebel haben die Wetterfrösche bei Ihrer Sonnenprognose wohl irgendwie übersehen.

Volle Sicht haben wir aber auf die berühmte Kapellbrücke. Auf etwa 200 Metern Länge verbindet die bereits aus dem Jahr 1332 datierende überdachte Holzbrücke mit dem markant-trutzigen achteckigen Wasserturm mittendrin die Ufer der Reuss, allerdings nicht etwa auf dem direkten Weg, sondern in einer Art Schleife. Ein Großfeuer hatte die Kapellbrücke zwar 1993 in großen Teilen zerstört, doch wurde sie originalgetreu rekonstruiert, sodass sie heute wieder in voller Pracht ihren Job als „Wahrzeichen“ Luzerns erfüllen kann. 

Jenseits der Seebrücke, nunmehr in der Luzerner Neustadt, erwartet uns mit dem „KKL“ sogleich das nächste Streckenhighlight. Hinter dem Kürzel verbirgt sich das Kultur- und Kongresszentrum Luzern. Unmittelbar am Seeufer thronend bildet der multifunktionale futuristische Riesenbau seit 1998 einen faszinierenden optischen Kontrast zur Altstadt jenseits der Reuss. Vielgestaltig ist die Fassade: rabenschwarz polierte Platten, silbrige Gitter, riesige Fensterfronten, alles überspannt von einem weit überkragenden Flachdach. Eine eigenwillige, faszinierende Melange. Über den Europaplatz führt der fahnen- und bannergesäumte Parcours uns direkt am KKL vorbei. 

Obwohl es noch relativ früh am Morgen und durchaus frisch ist, zumindest, wenn man nur Zuschauer ist, sind es wohl schon Tausende, die uns in der Innenstadt, vom Start weg bis zum KKL, beklatschen und anfeuern. Dazu spielt alle paar Hundert Meter bereits die Musik auf – fantasievoll „schräg“ gekleidete Guggenmusigen, Blechbläser- oder auch Steeldrum-Bands, alles live und ohne elektronische Verstärkung. 32 Musikgruppen sollen es sein, die entlang des 21 km-Rundkurses postiert sind, ein Drittel davon allein bereits auf den ersten beiden Kilometern bis zum KKL. Was für ein fulminanter Beginn!

 

Rundlauf um die Horwer Halbinsel

 

Eine Dutzendschaft Alphornbläser vor dem Radisson Hotel hinter dem KKL stimmt uns mit getragenen, mir – ich hoffe, das klingt nicht despektierlich - wie das musikalische Muhen einer Kuhherde anmutenden Klängen, auf den nächsten Streckenabschnitt ein. Und der zeichnet sich nach dem Paukenschlag-Intro der ersten Kilometer vor allem durch eines aus: durch Ruhe und Beschaulichkeit, optisch wie akustisch. Vom See abgewandt traben wir dahin, zunächst durch gewerblich geprägtes Terrain, sodann durch Wohnbezirke am Luzerner Stadtrand. Schnell merkt man, dass Luzern, so mondän und herrschaftlich es im Stadtzentrum wirkt, eben keine Großstadt ist. 

Der Laufkurs Luzerns ist insgesamt recht flach und ohne scharfe Kurven, damit also für schnelle Zeiten durchaus prädestiniert. Aber wie heißt es so schön? Keine Regel ohne Ausnahme. Und so erwartet uns etwa bei km 5 eine kleine konditionelle Herausforderung. Zwanzig Höhenmeter gilt es bei relativ moderater Steigung zu bewältigen und zwei Kilometer weiter sind es noch einmal dreißig. Noch unverbraucht und frisch aufgewärmt nimmt der weiterhin dichte Läuferstrom diese Hürden jedoch noch locker und gibt auf den jeweils folgenden Gefällepassagen richtig Gas.

Die Straße windet sich in sanften Kurven durch die Landschaft. Wald und Wiesen wechseln einander ab, dazwischen liegen kleine Ansiedlungen und immer wieder mondäne Villen mit Blick auf den See. Zuschauer sind hier eher dünn gesät, aber wo sie sich in Pulks zur privaten Marathonparty einfinden, machen sie sich umso lautstärker bemerkbar.

Hinter dem Weiler Kastanienbaum bei km 8,5 kurz vor dem Südende der Horwer Halbinsel, schwenkt die Straße dann unmittelbar zum Seeufer hinab. Die folgenden beiden Kilometer direkt entlang der Uferlinie sind die naturverbundensten und einsamsten  der gesamten Strecke. Herrlich ist das Gefühl, direkt am See zu laufen. Und herrlich wäre ohne Zweifel auch das Panorama. Wäre da nicht der dichte Hochnebel, der partout nicht weichen will und mit seinem Grauweiß die Landschaft hundert Meter über uns abrupt kappt.

Bei km 11 erreichen wir "Winkel", einen malerischen, recht versteckt am See gelegenen Ortsteil von Horw, der südlichen Nachbarstadt Luzerns, mit hübschen alten Holzhäusern. Mit der Beschaulichkeit hat es jedoch schon bald ein Ende. In der Ferne hören wir bereits eine lärmige Geräuschkulisse, deren Ursache sich spätestens mit Erreichen der Kantonsstraße, der Horwer Hauptdurchgangsstraße, offenbart. Ein Zuschauercorso geleitet uns lautstark ins Ortszentrum Horws hinein. Ein großer, allerdings noch verwaister Startbogen markiert bei km 13 den Startpunkt für die Läufer des „5 Mile Run“. Die haben zwar erst ab 13 Uhr ihren großen Auftritt, aber Volksfeststimmung drum herum herrscht bereits jetzt. Musik spielt auf und ein Speaker moderiert das Geschehen. Faszinierend zu beobachten ist, wie die Bevölkerung selbst außerhalb Luzerns den Marathon unterstützt, emotional teilnimmt und so zum kollektiven Happening stilisiert.

Jenseits des Ortszentrums lässt der Trubel schnell nach. Wir queren eine Schrebergartensiedlung, wo ein Marathonfan liebevoll Blumengirlanden aufgehängt hat. Das weite Sportgelände von Allmend bei km 14,5 bildet unsere nächste Durchgangsstation. Eine Gewerbezone im Anschluss signalisiert uns: Luzern ist wieder erreicht. Optisch fällt dieser Abschnitt allerdings eher in die Kategorie „Schonkost“. Mit anderen Worten: Wir können uns ganz auf das Laufen konzentrieren. Highlights sind der Blick auf das große Rangiergelände vor dem Hauptbahnhof und die Durchquerung eines Parkhauses. Aber ich ahne schon: Das ist nur die Ruhe vor dem Sturm. 

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Informationen: SwissCityMarathon Lucerne
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