Der Solling ist ein umgedrehter Teller aus Sandstein, 530 Meter hoch und ca.30 km im Durchmesser. Er liegt links von Göttingen. Da dieses landwirtschaftlich recht ungeeignete Gebirge erst ab dem Mittelalter zaghaft besiedelt wurde, wird der 48 km-Trail mit 1100 Höhenmeter durch eine unberührte goldene Herbstlandschaft führen.
Das Wasser hat den Sandstein ausgewaschen, es bildeten sich Suhlen, auf niederdeutsch „Solle“, daher der Name Solling. In den Suhlen haben sich Moore gebildet, die nun im Herbst ein stimmungsvolles Laufrevier für diesen Punkt-zu-Punkt Lauf bilden.
„An der Lehmbreite“ hört sich auch nach Suhle an, gemeint ist das Stadion. Dort ist das Vereinshaus der Dasseler Laufgruppe. Der Ortname Dassel ist auch komisch, hat mit der fiesen Dasselfliege nichts zu tun, sondern geht auf eine römische Gutsbesitzerin zurück, die Dassila hieß. Ob die fies war, ist nicht überliefert.
Im Dämmerlicht des winzigen Vereinshauses entdecke ich zwischen dem Frühstückskram ein riesiges Tablett Nussecken. Es wird also ein schwerer Lauf werden! Auf der Rückseite der Startnummer stehen gefühlte 50 Notfallnummern, vom Seenotrettungsdienst bis zu den einzelnen Orgaleuten Ute, Ralf und Ariën. Ariën ist wieder so ein komischer Name, hat nichts mit Waschmittel zu tun, kommt nur in Holland vor und da auch sehr selten.
Um 7:45 starten die zwei Busse vor dem Stadion in Dassel, der kleinen Stadt nördlich der Solling. Ein Bus hat einen Fahrradanhänger, denn auch Radlern ist die Querung der Solling erlaubt. Eine Stunde dauert die Fahrt nach Bad Karlshafen, das im Dreiländereck von NRW, Niedersachsen und Hessen liegt. Die Stadt ist nach dem Landgrafen Karl genannt, liegt an der Weser und hat sogar ein Hafenbecken. Das wurde 1710 angelegt und zwar wegen des geplanten Landgraf-Carl-Kanal. Der sollte die Braunschweiger Zollstelle bei Hannoversch Münden umgehen und über Kassel bis nach Marburg führen. Man träumte weiterhin von einer Verbindung über die Lahn zum Rhein und dann weiter zur Rhone. Die Fachkräfte holte der Landgraf aus Frankreich. Die Hugenotten hatten solche Mammutprojekte schon erfolgreich gebaut. Bei 20 immer noch gut erhaltenen Kanalkilometer, größtenteils parallel zur Diemel ist es aber geblieben.
Unser Startpunkt ist am winzigen Hafen von 1710, genauer gesagt an einem Hafen, der für 6,5 Millionen Euro wieder mit Wasser gefüllt werden soll und es deswegen ins Schwarzbuch der Steuerverschwendung geschafft hat.
Bis zum Start vor der Wesertherme, die sich aus einer 1000 Meter tiefen Solequelle versorgt, dürfen wir uns im Foyer der Therme aufhalten und auch die Klos verstopfen. Im Foyer und hinter der Therme gibt es Modelle eines Gradierwerkes. Früher nutze man die Anlagen zur energiesparenden Salzgewinnung, indem man die Sole auf Reisig-Ästen verdunsten ließ. Heute dienen die Dinger zur Herstellung von „guter Luft“ für Allergiker und Asthmatiker.
Es ist ziemlich kalt, als wir uns vor der Therme für den Start versammeln. Der Blick geht hinüber zum anderen Ufer der Weser. In Karlshafen ist die Grenzziehung zwischen den Bundesländern sehr konfus: 1971 erhielt Hessen eine „Exklave“ nördlich der Weser, die umfasst gegenüber des Hafens nur den Uferweg, wo unser Laufrevier beginnen wird.
Ariën läuft vorweg, zeigt uns den Weg über die Weser und den Einstieg auf den Weg, der mit SQ (Sollingquerung)-Schildchen fest markiert ist. Hoch über dem Ufer stehen prachtvolle Villen aus der Gründerzeit, dann nimmt uns der Wald auf.
Die ersten Kilometer geht es aufwärts, zuerst am großen Kuhlenberg (Kuhle = Suhle) vorbei, dann um den Kleinen Kuhlenberg herum, dann gibt es eine Schild, man solle doch auch mal die Aussicht hinunter zur Weser genießen. Aber da ist nur Nebelsuppe.
Bevor wir uns am ersten VP (km 11) laben dürfen, geht es durch einen hölzernen Irrgarten. Das Angebot an den VP´s ist spitze, ab dem 4ten VP wird es superspitze. Ich glaube, jeder weiß, was ich meine.
Ein Schild „Videoüberwachung“ zeigt es an, wir kommen zum Schloss Nienover, ein Jagdschloss des Herzogs, das im 17.Jahrhundert gebaut wurde, nachdem Burg und Stadt aus dem 12. Jahrhundert aufgegeben wurden. Unter den Pferdeweiden liegt der Schatz: Straßen, Keller und Grundmauern der Häuser aus dem 12. Jahrhundert, ein wertvolles Bodendenkmal, da dies eine zusammenhängende, gut konservierte mittelalterliche Stadt ist. Ein Haus hat man rekonstruiert, auffallend der spitze Giebel.
Wir passieren Amelith. Was sich wie ein Mineral oder eine religiöse Siedlung anhört, ist eine Glashütte, die vom britischen König Georg III gegründet wurde. Georg III war gleichzeitig Kurfürst von Hannover, einer von sieben Fürsten, die den Deutschen Kaiser wählen durften. Also durfte er auch diese Glashütte gründen, die Spiegel in die königlichen Häuser nach Russland, Schweden, Niederlande und Großbritannien lieferte. 1850 wollte der Adel sich aber nicht mehr im Spiegel sehen, der Absatz brach ein. Die Amelither wanderten nach Wisconsin aus, um dort eine neue Ortschaft Amelith zu gründen. Übrigens die Hälfte der Einwohner Wisconsins stammt von deutschen Einwanderern ab.
Schönhagen ist anscheinend ein wenig mehr bewohnt, hat schön restaurierte Fachwerkhäuser. Der Fluss hier heißt Ahle. VP 2 bei km 18 ist erreicht. Im Prinzip geht es immer nur Richtung Dassel, das zwar nicht ausdrücklich ausgeschildert ist, aber es gibt nicht viele Abzweigungen. Und wenn doch, dann ist die Strecke idiotensicher mit Leuchtkreide zusätzlich markiert.
Die höchste Stelle des Solling wird mit dem hölzernen Hochsollingturm markiert. Der Besenwagen ist von den Armelithern, nein Samaritern. Er hält gebührend Abstand, so dass er nicht nerven kann. Manche Holzstege sind in der Nässe rutschig, aber Trailschuhe braucht man auf der Strecke nicht.
Der VP 3 ist bei km 23 am Lakenteich. Der wurde 1680 angelegt, um Wasser für die Flößerei von Buchenholz vorzuhalten. Auch gab es hier eine Glashütte (1680) mit Unterkünften für die Arbeiter und eine Schule. Die Anlagen wurden ausgegraben und der Hauptofen rekonstruiert. Ein Läufer wird im Krankenwagen abtransportiert.
Der Ort Silberborn durchlaufen wir nicht. Eer hat auch nicht seinen Namen daher, dass hier eventuell mal Silber gefunden wurde. Der Sandstein der Solling hat alles, was zur Glasherstellung nötig ist, aber kein Silber. Von hier aus geht ein Abstecher zum Wildpark Neuhaus. Letzte Woche hat die Hirschbrunft der Rothirsche eingesetzt, drei Wochen früher als sonst. Das liegt an der globalen Erwärmung. 30 % seines Gewichtes verliert ein Hirsch während der Brunft. Also brunfte ich dieses Jahr nicht mit.
Interessant ist die 250 Jahre alte Sandwaschanlage, die eigentlich nur zu erkennen ist, wenn man weiß wo. Den Sand brauchte man nicht für den Sandkasten, sondern zur Herstellung von Glas.
Der VP 4 (km 32) beim Hochseilgarten gefällt mir außerordentlich gut. Die An-und Abstiege sind lang, jetzt kann man aber endlich voll Stoff laufen.
Der Mecklenbruch ist ein Hochmoor, also ein Moosgebirge, das wie ein Schwamm auf wasserundurchlässigem Boden liegt. Hier ist der Schwamm fünf Meter oder 4300 Jahre dick. Eine Millionen Euro hat man in diesem Jahr für die Renaturierung in die Moose gesteckt, also im Prinzip hat man die alten Entwässerungsgräben zugeschüttet. In 20 bis 25 Jahren sollen dann wieder klimaschädliche Gase gebunden werden. Ewig lang ist auch der Holzsteg, der durchs Moor führt.
Am Auffälligsten im Moor ist der kräftig- blaue Moorfrosch, der allerdings nur in der Paarungszeit blau ist. Am Ende des Holzsteges ist ein Aussichtturm. Von dort könnte man erforschen, warum dieses Lebewesen sich ausgerechnet in der Paarungszeit volllaufen lässt.
Der letzte VP 5 (km 42) ist auch noch mal sehr gut. Radler werden vermisst, aber die waren schon vorhin orientierungslos. Auf der Zielgeraden legt sich eine Radlerin mit, wieder braucht man den Rettungswagen.
Ich komme an der Lehmbreite (Stadion) in Dassel an und werde frenetisch begrüßt. Nicht wegen meiner tollen Leistung, sondern weil man sich wirklich freut, dass ich jetzt das Buffet leerfuttern endlich werde. Traditionell sitzt man noch einige Stunden zusammen, futtert und trinkt für Umme, und erzählt von seinen Heldentaten.
Dieser Lauf ist so familiär, dass ich nicht bester Deutscher geworden bin. Es ist ein sehr beliebter Lauf durch Waldeinsamkeit mit erstklassiger Verpflegung, vorher, während und nachher. Startplätze sind limitiert, es soll so locker blieben.
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