„Klingt nach 4 mal im Kreis“ schreibt mir eine befreundete Geschäftspartnerin, als ich sie für den Göltzschtal Marathon gewinnen will, und: „der Halbmarathon ist gestrichen, den wäre ich gerne gelaufen“. In der Tat, auch ich bin kein großer Freund von Wendepunkt- und Mehrrundenmarathons. Warum dann „Prädikat: Wertvoll“? Geduld, am Ende des Berichtes werdet Ihr dies hoffentlich nachvollziehen können. Und warum wurde der Halbmarathon gestrichen?
Eigentlich hätte der Göltzschtal Marathon schon Anfang April stattfinden sollen. Corona kam dazwischen. Aber statt einer Absage hat der VfB Lengenfeld als Ausrichter den Lauf auf den 31.10., Reformationstag oder – mittlerweile geläufiger – Halloween, verschoben. Auch wenn in diesem Zusammenhang die Nordic Walking Wettbewerbe gestrichen werden mussten, zeichnete sich eine Rekordbeteiligung ab. Denn im Göltzschtal wird nicht nur Marathon gelaufen, sondern auch 1,5 km (nur Jugend), 5 und 10 km sowie Halbmarathon, weswegen die Veranstaltung übrigens auch Göltzschtal Lauf und nicht Göltzschtal Marathon heißt. Zumal die Marathonteilnehmer nur eine kleine Minderheit stellen (2019 nur 62 von 658 Finishern insgesamt). 2020 allerdings haben viele Marathonis die Traditionsveranstaltung für sich entdeckt, und so schnellten die Anmeldezahlen für die Marathondistanz auf über 200 in die Höhe.
Am 21.10. dann der nächste Rückschlag. Mit steigenden Infektionsgeschehen werden gemäß SächsCoronaSchVO (Sächsische Corona-Schutz-Verordnung) Veranstaltungen auf 250 Teilnehmer begrenzt. Schweren Herzens entscheidet sich der VfB Lengenfeld mit Veranstaltungsleiter Rene Weigel, die Veranstaltung auf den Marathon zu begrenzen. Einige Halbmarathonis dürften dann schnell noch auf den Marathon umgebucht haben, denn flugs waren die Restplätze vergeben. Doch das Bangen ging weiter, als angekündigt wurde, dass Bundesregierung und Länderchefs am 28.10. den erneuten Lockdown verkünden wollen. Ab wann gilt dieser, muss der Lauf auf den „letzten Metern“ noch abgesagt werden? Dies dürfte zu Sorgenfalten bei Veranstalter und viele Teilnehmen geführt haben. Rene Weigel und sein Team behalten jedoch Nerven und sagen nicht ab, und da der Lockdown erst ab dem 02. November gilt, kann der Göltzschtal Lauf stattfinden. Für Flexibilität und den Durchhaltewillen des Veranstalters vergebe ich den ersten Prädikatspunkt.
Das Vogtland befindet sich im Grenzgebiet der deutschen Bundesländer Sachsen, Thüringen und Bayern und des tschechischen Böhmen. Anders als die „benachbarten“ Regionen Thüringer Wald und Erzgebirge leitet sich der Name Vogtland nicht von einer Landschaft ab, sondern von der Herrschaft einiger Thüringer und Sächsischer Vögte (frühe Beamte im Mittelalter). Also mache ich mich am Freitag auf den Weg. Dabei stelle ich fest, dass die Region landschaftlich und städtebaulich einiges zu bieten an. Enge Täler und Städte mit schönen historischen Stadtkernen und Burgen wie Mylau oder Greiz laden zum Verweilen ein.
Aber heute ist mein Ziel bekanntlich Lengenfeld. Das vom Veranstalter empfohlene Hotel liegt am Marktplatz der Kleinstadt und ist ausgebucht, rechtzeitig konnte ich noch ein Zimmer ergattern. Frühstück ab 6.30 Uhr wird angeboten, was angesichts der Startzeit von 9 Uhr perfekt ist. Der Weg zum Sportlerheim ist kurz, in nur wenigen Minuten erreiche ich das Gelände, auf dem sich neben der Leichtathletikarena ein gepflegter Kunstrasenplatz und auch ein schönes altes Stadtbad befindet. Leider ist dies jedoch schon saisonal bedingt geschlossen, ohnehin dürfen wir die Duschen nach dem Lauf wegen Corona nicht nutzen. Das Hygienekonzept des Vereins lenkt uns zunächst in den Biergarten des Sportvereins. Nicht weil Bier als neuer Impfstoff oder Medizin gegen Corona bekannt geworden wäre, sondern weil das Einbahnstraßenkonzept zur Begegnungsvermeidung uns durch den Biergarten zur Startnummernausgabe hineinführt. Hier wie auf dem ganzen Startgelände gilt es Masken aufsetzen und Abstand halten, was vorbildlich eingehalten wird.
Beim Betreten des Startgeländes ist die nächste Formalität zu erledigen, Abgabe der Gesundheitserklärungen. Darin bestätigen wir, dass wir keine Corona-Symptome aufweisen und kein Kontakt zu Infizierten hatten. Nur wer das ausgefüllt und unterschrieben hat, darf durch das Tor auf das Gelände. Diejenigen, die ohne Formular hineinwollen und keinen Smiley-Stempel auf dem Handrücken haben (für den Fall, dass man das Gelände noch einmal verlassen muss,) werden zurückgewiesen. Wer sich darüber mit Hinweis auf die Angabe der persönlichen Daten bei der Anmeldung beschwert, wie im Einzelfall geschehen, hat wohl die Ausschreibung nicht gelesen. Denn dort wird explizit darauf hingewiesen und als Service sogar das Formular zum Download bereitgestellt. Und ehrlich, es ist doch kein großer Aufwand für uns. Schließlich ist der Veranstalter zur Einhaltung der Auflagen bei Androhung eines Bußgeldes von 10.000€ verpflichtet.
Wie immer treffe ich auf Bekannte, so auch Henry in seinem Ganzkörper- Smoking mit passendem Hut. Fürs Foto nimmt er kurz die Maske ab, Abstand wird natürlich eingehalten. Dies auch bei der Startaufstellung auf dem Laufoval des Sportplatzes, Markierungen und Einweiser geben uns vor, wo wir zu stehen haben. Eine feste Zuordnung von Startnummer zur Startposition gibt es jedoch nicht und so stelle ich mich weit vorne auf, um auf den folgenden Kilometern das Startfeld an mir zwecks Fotogelegenheiten vorbeiziehen zu lassen. Zweiter Prädikatpunkt für vorbildliche Umsetzung des Hygienekonzeptes. Dann macht sich Rene Weigel bereit, den Startschuss abzugeben, nachdem Bürgermeister Volker Bachmann kurz begrüßt hat.
… sprintet das Feld nach dem Startschuss los. Ich merke gleich, dass hier ein ambitioniertes Feld zusammengekommen ist. Dabei müssen sie keine Angst haben, das Zeitlimit von 5 Stunden und 30 Minuten zu überschreiten. Ich aber schon, denn neben dem nicht unerheblichen Zeitaufwand für die Fotopausen bringe ich eine schlechte Langstreckenkondition mit, begründet durch Trainingsfaulheit und etwas „kränkeln“ in der wichtigen Vorbereitungszeit. Also plane ich 2:30 für die erste Runde ein, um Puffer für die zweite zu haben.
Womit mir beim Thema Streckenverlauf sind. Tatsächlich gibt es 2 „Runden“. Genau genommen laufen wir eine Stichstrecke von knapp 10,5 km von Lengenfeld nach Mylau und zurück, eine Runde auf der Laufbahn und dann nochmal das Gleiche. Vorteil: Es muss nur eine Streckenlänge von 10,5 km gesichert werden und die Anzahl der Versorgungspunkte kann auf 3 reduziert werden. Auch kann der Lauf als reiner Landschaftslauf gestaltet werden, denn wollte man die Strecke auf 21 km verlängern, müsste man eine Passage durch die Stadt Mylau in Kauf nehmen mit dem entsprechenden organisatorischen Aufwand. Oder das Tal verlassen, was aus dem schnellen Kurs einen respektablen Mittelgebirgs-Marathon mit vielen Höhenmetern machen würde. Also in der Abwägung eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung, uns viermal die Strecke zwischen Lengenfeld und Mylau erleben zu lassen.
Zunächst geht es auf einem ehemaligen Bahndamm der vor knapp 50 Jahre stillgelegten Strecke Lengenfeld – Mylau – Göltzschtalbrücke entlang. Als einzig übriggebliebenes Gebäude können wir heute noch bei km 1 den Haltepunkt Lengenfeld-Baumwollspinnerei erkennen, dessen Güterschuppen gut restauriert scheint. Die Baumwollspinnerei gibt es nicht mehr, stattdessen aber eine Filztuchfabrik, die ausweislich von Plakaten an qualifizierten Mitarbeitern interessiert ist – eine gute Nachricht in heutigen Zeiten. Wir suchen hier aber keine Arbeit, sondern Vergnügen und laufen weiter. Ab hier stößt parallel die Landstraße Lengenfeld – Mylau zu unserer Laufstrecke hinzu, was aber nicht stört, da auf der Straße wenig Verkehr herrscht. Diese ersten Kilometer sind angenehm zu laufen, da auf dem ehemaligen Bahndamm wie vielerorts üblich ein asphaltierter Radweg errichtet wurde. Gut zum Einrollen und zum Entzerren des Feldes.
Nach etwa 3 km erreichen wir ausweislich einer Holztafel Weissensand, einen Ortsteil von Lengenfeld. Auf dieser Tafel ist eine Brücke zu sehen. Die berühmte Göltzschtalbrücke? Wir kommen darauf zurück. Zunächst erwartet uns die erste Verpflegungsstelle. Cola, Wasser, Tee, Bier (aber erst später), Bananen, Äpfel usw. stehen bereit. Zur Selbstbedienung, wegen Corana, angereicht wird nichts (Ausnahmen bestätigen die Regel). Gleich darauf folgt eine überdachte Holzbrücke, auf der wir heute das erste Mal die Göltzsch überqueren.
Bald verlassen wir den alten Bahndamm und laufen auf Naturwegen weiter, sehen schon von weitem die auf der Holztafel abgebildete Brücke. „Ist das die Göltzschtalbrücke?“ höre ich eine Mitläuferin fragen. Ja und nein. Nein, denn es handelt sich nicht um die beinah 170 Jahre alte berühmte Eisenbahnbrücke - diese weltweit größte Ziegelsteinbrücke mit vier übereinanderliegenden Bogenreihen bekommen wir heute leider nicht zu Gesicht, denn sie liegt hinter Mylau, unserem Wendepunkt. Die mit etwas über 80 Jahren deutlich „jüngere“ Autobahnbrücke trägt den gleichen Namen. Die Autobahnbrücke ist ebenfalls aus Stein gemauert, allerdings aus Naturstein. Nachdem das geklärt ist, laufen wir unter der Autobahnbrücke hindurch und erreichen die Hälfte der Wendepunktstrecke, auf der von nun an Waldwege überwiegen. Für den gelungenen Kompromiss bei der Streckenführung vergebe ich einen weiteren Prädikatspunkt, bei einem leichten Abzug in der B-Note aufgrund der Wiederholungen.
Kurz nach Km 7 kommt mir der erste Läufer entgegen, der somit zu dem Zeitpunkt schon knapp 14 km zurückgelegt hat. Es ist Stefan aus Potsdam, er wird von zwei Radfahrern begleitet, einem Führungsfahrer, der ihm den Weg freimacht, und einem zweiten - sein Trainer? Ich rufe Stefan zu: „Das geht noch ein bisschen schneller“, was er mit einem Lächeln quittiert. Ein solches hat er aber bei unserer zweiten Begegnung bei km 14/28 nicht mehr übrig, als ich ihn spaßeshalber bitte, für ein Foto kurz stehen zu bleiben. Dabei muss er sich um den Sieg keine Sorge machen, denn die fünfköpfige Verfolgergruppe hat bereits auf der ersten Runde einen Abstand von einem Kilometer.
Ab hier bis zum Wendepunkt begegnen mir kontinuierlich Läufer. Zumindest aus fotografischer Sicht bietet eine Wendepunktstrecke also auch Vorteile. Bei km 8 werden wir erneut versorgt und überqueren danach die einzige größere Landstraße, gesichert durch die Polizei. Tatsächlich steht hier auch eine Zuschauerin. Aufgrund Ihres Outfit erinnere ich mich, sie auch beim Schiefergebirgslauf vor 5 Wochen gesehen zu haben, sie hat also auch Ausdauer.
Kurz vor dem Wendepunkt kommt mir Dirk entgegen. Er outete sich auf dem Hinweg als erfahrener M4YOU-Kenner, er sein schon vielen Laufreportern begegnet, aber mir noch nicht. Stimmt, Dirk, hiermit erledigt. Zum Dank für seine Aufmerksamkeit gibt es ein schönes Foto, Daumen hoch!
Das Göltzschtal wird enger und bald erreichen wie Mylau. Viel sehen wir davon nicht, außer die imposante Burg Mylau, die rechts oben auf einem Felsen thront. Mit einem Baujahr ab 1180 ist sie deutlich älter als die beiden Göltzschtalbrücken. In dieser größten und mit am besten erhaltenen Burg des sächsischen Vogtlands hält das Burgmuseum einiges an Exponaten aus der wechselvollen Geschichte der Burg als Adelssitz, Rathaus, Fabrik und nun Museum vor. Unterhalb der Burg erreichen wir den Wendepunkt auf einem profanen Garagenvorplatz, 10,5 km sind erreicht.
Ein weiterer Vorteil einer Wendepunktstrecke ist, dass man sieht, wer noch hinter einem ist und wie weit entfernt. In meinem Fall noch 3 Läufer, der Besenradler ist nur 1km hinter mir. O Schreck. Auf dem Rückweg fällt mit als erstes das Freibad von Mylau auf. Ein schönes Waldfreibad, natürlich auch geschlossen. Sicher im Sommer ein Besuch wert.
Ab der Mitte des Rückweges kommen mir dann wieder die ersten Läufer entgegen, die nun bereits auf ihrer zweiten Runde sind. Auch hier noch einmal ausgiebig Gelegenheiten für Fotos, bis ich dann den Sportplatz erreiche. 2:25:44, besser als geplant. Ich merke aber, dass es mir doch schwerer fällt als gewünscht.
Kaum auf der zweiten Runde, kommen mir schon die ersten Läufer entgegen, die bald ihr Tagesziel erreichen werden. Dies wird nun kontinuierlich bis zum Wendepunkt anhalten, dabei kann ich sehr unterschiedliche Erschöpfungszustände beobachten. Einige laufen locker wie in der ersten Runde, andere wirken sehr angestrengt. Ich lenke mein Augenmerk vermehrt auf die Umgebung, insbesondere auf die zahlreichen Überquerungen der Göltzsch. Das Gurgeln des Flusses ist oft das einzige Geräusch, denn heute ist es beinah windstill und das Rauschen des oft goldgelben Blätterwaldes bleibt aus.
„Gut Runst“, bekanntlich der Gruß des Rennsteigwanderers, rufe ich einem entgegenkommenden Läufer zu. Es ist Jürgen Lange, Präsident des Rennsteiglaufvereins. Mit nur knapp über 4 Stunden zeigt er eine sehr ansprechende Zielzeit. Kurz danach begegnen mir noch locker wirkend Henry und Alexandra. Sie hebt zum Gruß beide Hände, in denen sich Getränke befinden. Oder will sie mir etwas anbieten? In Zeiten von Corona wohl eher nicht. Dann kommt Dirk, bei ihm ist die Luft raus, wie er sagt.
Ich kann noch nicht ans Finish denken, denn ich muss erst noch ein zweites Mal zum Wendepunkt. Auf dem Rückweg stelle ich fest, dass ich meine Platzierung halten konnte, noch immer sind drei Läufer hinter mir. Heinz startet in der M70 und wirkt weiterhin frisch. Ebenso Gisela - sie wird begleitet von den Besenradfahrern und erzählt mir, dass sie heute nur für sich läuft – und wirkt dabei sehr glücklich. Ihre Altersklasse wird nicht verraten – nur so viel: Respekt vor ihrer Leistung, wenn Ihr wisst, was ich meine. Meine Leistung dagegen könnte heute besser sein, denn ich merke, dass es eng wird mit dem Zeitlimit. Also noch schnell ein letztes Foto von der romantischen Göltzsch und dann ohne weitere Fotopause Richtung Ziel.
Unterwegs begegne ich nur noch Helfern vom VfB Lengenfeld, auch jetzt wird noch jeder Weg abgesichert. „Viele Dank fürs Ausharren“ rufe ich ihnen zu. Und natürlich dem Verpflegungsposten und den Betreuern von DRK, die vorsorglich die Strecke teilweise abgehen. Irgendwann sehe ich dann endlich km 40 auf dem Boden markiert (jeder KM ist mit Sprühfarbe auf den Boden oder an einem Baumstamm markiert, der Weg ebenso, unverlaufbar). Ich weiß nun, dass ich die 5:30 einhalten werde.
Kurz nach mir laufen auch die drei verbleibenden Läufer ein und damit ist der Göltzschtal Marathon beendet. Vielleicht der letzte Marathon in diesem Jahr – hoffen wir mal, dass mir nicht die zweifelhafte Ehre zuteil wird, den letzten aktuellen Laufbericht 2020 zu schreiben. Ich vergebe noch einmal zwei Prädikatspunkt für das lange Aushalten der Streckenposten unterwegs und für die schöne Landschaft drumherum, von der ich leider zu wenig genossen habe.
Nun urteilt selbst, ob der Göltzschtalmarathon das Prädikat „Wertvoll“ verdient hat. Ich meine schon. Und sicher auch die Generationen von Läufern, die an den vorherigen 50 Ausgaben teilgenommen haben. Wie sonst sollte der Göltzschtal Marathon der drittälteste in Deutschland werden? Aber prüft es am besten selbst, am 10.04.2021, bei der 52. Ausgabe.
Für mich steht auch fest, dass ich mir das Vogtland in Zukunft einmal touristisch erschließen muss, nach Corona natürlich.