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Laufberichte

Zürich liegt an der Bahnhofstrasse

20.04.08
Autor: Klaus Duwe

Wenn wir ehrlich sind, beneiden wir unseren kleinen Nachbarn im Süden. Von außen betrachtet, scheint die Welt in der Alpenrepublik nämlich bestens in Ordnung zu sein. Die Bankenmetropole Zürich präsentiert sich als Weltstadt, in der es alles gibt, womit die Metropolen dieser Welt protzen, nur etwas kleiner, übersichtlicher, beschaulicher, liebenswerter, ruhiger, sympathisch halt. Und dass man auch ohne Fremdsprachenkenntnisse verstanden wird, sollte zusätzlich für ein Wochenende in Zürich sprechen.

Zürich liegt sehr zentral. Von Basel sind es mit dem Auto 80 km, von Stuttgart 200 und von Bregenz 120 km. Der internationale Flughafen ist 11 km von der City entfernt. In nur 10 - 15 Minuten fährt die Bahn mehrmals pro Stunde vom flughafeneigenen Bahnhof ins Zentrum der Stadt. Der Zürcher Hauptbahnhof fertigt am Tag an die 2000 Züge ab und gilt als einer der zentralen Bahnverkehrsknotenpunkte in Europa. Die komfortablen Intercity-Züge fahren teilweise im Halbstundentakt von Zürich in die anderen Zentren im In- und Ausland.

Apropos Bahnhof. Es gibt in Europa unzählige Bahnhofstraßen. Weltberühmt geworden ist nur eine - die Zürcher Bahnhofstrasse. Wo einst die Frösche quakten, verkehrten ab 1864 die Droschken, später das "Rösslitram", dann die elektrische Trambahn und schließlich Autos. Heute konzentriert sich an der weitgehend wieder autofreien Bahnhofstrasse Finanz und Wirtschaft, Eleganz und Exklusivität, Qualität und Vielfalt. Kaum ein Besucher, der nach Zürich kommt versäumt es, die Bahnhofstrasse zu besuchen. Zürich liegt an der Bahnhofstrasse!

Die Stadtsilhouette von Zürich wird geprägt von den markanten Türmen des Großmünster, gestiftet von Kaiser Karl dem Grossen, der St. Peter Kirche mit dem größten Kirchenzifferblatt Europas (8,70 m) und denen des Fraumünsters, viel bewundert wegen seiner kostbaren Glasfenster von Marc Chagall. Mit dem China-Garten besitzt Zürich einen der bedeutendsten chinesischen Gärten außerhalb Chinas, direkt am See gelegen. Die Sehenswürdigkeiten können am Besten auf einem Altstadtbummel oder einer Stadtrundfahrt entdeckt werden.


Also, ein Besuch in der Stadt an der Limmat lohnt sich, nicht nur wegen des Marathons, der in diesem Jahr zum 6. Mal gelaufen wird. Dass man regelmäßig ausgebucht ist und das Läuferfeld auf 7000 limitieren muss, liegt schon etwas zurück. Seit es auch in der Schweiz eine Marathoninflation gibt, ist es vorbei mit Teilnahmerekorden. Qualitätsgründe hat das allerdings keine. Die Zahl der Veranstaltungen wächst schneller als die der Marathonläufer. So einfach ist das. Mit 4600 Finishern in diesem Jahr würde der Zürich Marathon in Deutschland aber immer noch den 6. Platz einnehmen. Trotz des Teilnehmerschwundes will man die Statistik nicht mit Halbmarathon, Kinder- und Jugendläufen schönen, sondern ein echter Marathonlauf bleiben. Worüber man im OK um den ehemaligen 2:11-Läufer Bruno Lafranchi aber nachdenkt, ist ein Staffellauf.

Aber auch so ist der Zürich Marathon in der Schweiz die Nummer eins nach Teilnehmern, in der Beliebtheit die Nummer zwei - der Kultstatus des Jungfrau Marathons ist unantastbar. Jedenfalls ist das regelmäßig  das Ergebnis des jährlichen Votings bei marathon4you.

Einen kleinen Wermutstropfen muss der Zürich Marathon in diesem Jahr hinnehmen: Viktor Röthlin, der seine Weltkarriere 2004 in Zürich begann, ist nicht am Start. Er ist für die Züricher schlicht und einfach nicht mehr bezahlbar. Am 17. Februar ließ er in Tokio erneut aufhorchen: Sieg in 2:07:23 – nur 11 Afrikaner liefen bisher schneller. Auch Christian Belz, Nachwuchshoffnung und Olympiakandidat, kann nicht starten. Nachdem er in Köln im Oktober die Qualifikationszeit  um 97 Sekunden verpasste, wollte er in Zürich nachlegen. Jetzt ist er verletzt und muss Peking abschreiben.

 

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Trotzdem darf man sich auf ein spannendes Rennen freuen. Mit  Stanley Leleito aus Kenia (2005) und Eticha Tesfaye (2003 und 2006) sind ehemalige Zürich-Sieger am Start. Jonathan Wyatt, Sieger beim Jungfrau Marathon 2007 und Berglaufweltmeister über die Langdistanz, wird mit dem Ausgang des Rennens wohl nichts zu tun haben. Der sympathische und in der Schweiz sehr beliebte Neuseeländer ist ein Farbtupfer. 

Die Wetterprognose für das Wochenende ist gut: Viel Sonne soll es geben und Temperaturen am Nachmittag bis zu 20 Grad. Dann also ran, Startunterlagen holen, Schnäppchen auf der Messe machen und Pasta essen. Alles ist erstmals in der Saalsporthalle konzentriert. Obwohl die Räumlichkeiten dort nicht gerade üppig sind, läuft alles ohne Stress ab. Die Schweizer schöpfen ihre Kraft wohl aus der Ruhe.

Den Eindruck habe ich auch am Sonntagmorgen. Im Hotel gibt es ab 5:30 Uhr Frühstück. Annette und Marianne, zwei Mädels aus dem Rebland bei Baden-Baden, sind schon fast fertig. Sie laufen immer im Frühjahr gemeinsam einen Marathon, jetzt ist Zürich dran. Die Zeit? „Unter 4 Stunden, alles Andere ist egal“. Insgesamt haben sich übrigens 700 Deutsche angemeldet, so viel wie nie zuvor.

Obwohl es zur Straßenbahnhaltestelle nicht weit ist und man von dort gut zum Start kommt, gibt es einen hoteleigenen Shuttle-Service. Da komme ich zu einem Punkt, den ich gerne erwähne, wenn es um einen Preisvergleich geht und die Schweiz da nicht so gut wegkommt. Zieht man nämlich die gebotene Qualität und die Leistung in Betracht, stimmt das Verhältnis.

Ich kann nach wie vor nicht laufen, meine Verletzung ist hartnäckiger als erwartet. Also werde ich mich wieder mit der Kamera auf die Lauer legen. Die Straßenbahn in Richtung Startgelände (Mythenquai) ist zwar gut besetzt, aber Gedränge? Fehlanzeige. Gregor Wassmann macht eher einen entspannten Eindruck.  Jedenfalls sieht man dem Ex-Fußballer und Marathoni in spe seine Nervosität nicht an. 3:30 sollen es bei der Premiere werden. 6 Monate hat er sich vorbereitet. Viel Glück.

Ich will das Läuferfeld am See bei Kilometer 2 am Bürkli Platz erwarten und beziehe Posten. Viele Fotografen haben sich eingefunden, denn viermal kommen die Läuferinnen und Läufer hier durch. Ausgangs der Bahnhofstraße, die auch auf diesen Platz mündet, ist die erste Verpflegungsstelle (km 5). Der Aufwand für Absperrungen ist gewaltig und man macht sich davon keinen Begriff, wenn man im Starterblock steht und nervös den Schuss abwartet. Überall sind Helferinnen und Helfer postiert, die jetzt von den Gruppenleitern noch einmal eingewiesen werden. Polizei und Organisationsfahrzeuge fahren die Strecke ab.

Es sind noch 20 Minuten bis zum Start. Ihr werdet es nicht glauben, aber es sind noch immer ein paar Läufer in Richtung Startplatz unterwegs, der wie gesagt 2 Kilometer entfernt liegt. „Jetzt aber los, du verpasst noch den Start“, mahne ich. „Keine Hektik am Sonntagmorgen, bitte“, ist seine Antwort. Kommt der vielleicht aus Bern? Dort sollen ja die ruhigsten (man sagt auch die langsamsten) Schweizer zu hause sein. Der Platz füllt sich, immer mehr Zuschauer rücken an. Dort, wo ich mir ein schönes Platzchen ausgesucht hatte, stehen jetzt 100 Leute, einige üben schon einmal Kuhglockenschwingen.


Mit aufgeregter Lichthupe kommt ein Kombi angedüst. Über Lautsprecher wird verkündet, dass der Start erfolgt sei und die ersten Läufer in Kürze eintreffen werden. Noch ist keiner zu sehen, aber der Jubel ist schon groß.

Dann kommt der Tross. Zuerst das Führungsfahrzeug und die Motorradeskorde, dahinter die Spitzengruppe mit den Kenianern. Schon nach zwei Kilometern gibt es eine erhebliche Lücke zum Hauptfeld. Links rennen sie in die Talstraße und nach kommen schon wenig später wieder aus der Bahnhofstraße angedüst. Kein Zentimeter wird verschenkt und die Kurven auf die Quaibrücke und am Bellevueplatz eng genommen.

Auf der Ostseite des Zürichsee geht es südwärts, die schneebedeckten Berge vor blauem Himmel immer im Blickfeld. Goldküste nennt man die Gegend hier und es ist unschwer zu erraten, wie es dazu kommt. Prachtvolle Villen, Hotels und Wohnanlagen, gepflegte Parks und Freizeiteinrichtungen sind kennzeichnend für die reichen Gemeinden Küssnacht, Erlenbach, Herrliberg und Meilen, die allesamt an der Marathonstrecke liegen. Fast könnte man meinen, des gibt einen Wettstreit unter den Gemeinden, wer das größte Straßenfest auf die Beine stellt. Jedenfalls wird überall gefeiert und wie es sich in der Schweiz gehört, dominieren die Guggemusiker das musikalische Angebot.

Fast 5000 Läuferinnen und Läufer lasse ich an mir vorbei ziehen. Der seelische Schmerz überlagert den körperlichen. Ich möchte nicht wieder jammern und humple mich bis Tiefenbrunnen (ca. km 30) durch. Dort will ich auf das Läuferfeld warten, das in Meilen (km 18) wendet und dann auf zunächst gleicher Straße zurück läuft.


Eine Dreiergruppe mit einem entschlossenen Oleg Kulkov liegt vorne, Jonathan Wyatt ist zwar für einen Bergspezialisten überraschend schnell unterwegs, aber für eine Platzierung ganz vorne wird es nicht reichen. Birra Telila Tadelech aus Äthiopien liegt bei den Frauen vorne.

Beim Zürichhorn biegt man aber in die parallel verlaufene Dufourstraße, um danach noch einmal die Bellerivestraße ein Stück Richtung Süden zu laufen. Anschließend geht es in die Parkanlage mit dem Chinagarten und der HEUREKA-Plastik von Jean Tinguely. Deren  Eisenteile sind ständig in Bewegung und will der Künstler als Allegorie auf die Konsum- und Industriegesellschaft mit ihrer Hektik verstanden wissen. Mein Vorschlag wäre „Marathon-Iron“.


Wenn die Läufer wieder am Bellevue- und Bürkliplatz einreffen, werden sie von einer unübersehbaren Menschenmenge empfangen. Die Stimmung ist hier nicht zu toppen. Zuerst macht die Strecke einen Abstecher zur Münsterbrücke, dann geht es in die sehr belebte Bahnhofstraße, diesmal in entgegen gesetzter Richtung. Ohne Samba geht es mittlerweile auch in Zürich nicht. Über die rhythmischen Klänge und knapp bekleideten Mädels freuen sich Läufer und Zuschauer.

Bei km 40 ist man auf dem General-Guisan-Quai und wer glaubt, er könne den Marathon jetzt gemütlich ausklingen lassen, hat sich getäuscht. Kaum hat man den Swiss-Runners-Bogen passiert, kommt eine elend lange Gerade. Tausende begeisterte Zuschauer feuern hier die Marathonis an, jubeln und klopfen gegen die Bande, was das Zeug hält. Fast glaubt man zu sehen, wie ein Ruck durch die Läufer geht, wie sie sich aufrichten, Kräfte mobilisieren, die entschwunden schienen, einen Zahn zulegen und strahlend Richtung Zielbogen laufen. Ein tolles Bild für mich und ein phantastisches Erlebnis für die Finisher.


Gewonnen haben Oleg Kulkov und  Birra Telila Tadelech, Schweizer Meister(in) sind Tarcis Ancay und Maja Neuenschwander. Die Olympiaqualifikation schafft lediglich Marcel Tschopp (2:24:10,5) – der startet allerdings für Liechtenstein. Den fünften Platz bei den Titelkämpfen belegt übrigens Christoph Seiler, OK-Präsident des Jungfrau-Marathon. Bei den Titelkämpfen im November im Tessin wurde er Vizemeister.

Wie sieht es aus bei den Mädels aus meiner Nachbarschaft? Annette blieb deutlich unter 4 Stunden (3:42:50), Marianne verfehlte ihr Ziel knapp (4:01:18). Und Gregor, der Ex-Fußballer aus der Straßenbahn heute Morgen? Der Hammer:  3:29:53,9 Stunden! Das nennt man eine Punktlandung. Dabei lief der Newcomer wie ein Schweizer Uhrwerk: 1. Hälfte 1:45:44, 2. Hälfte 1:44:09. Und dann sind da noch die Südtiroler Zwillingsschwestern Helga und Christa Rauch  3:06 werden für sie gestoppt. Super gemacht.

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Siegerliste

Männer

1. Kulkov Oleg,  RUS - 2:11.15,2
2. Kibowen Edwin, KEN - 2:11.50,0
3. Leleito Stanley, KEN - 2:13.40,1

Frauen

1. Birra Telila Tadelech, ETH - 2:32.08,8
2. Jarzynska Karolina,  PL - 2:33.15,2
3. Kiprono Prisca,  KEN -  2:34.13,5

Schweizer Meisterschaften

Männer

1. Ancay Tarcis - 2:22:32,1
2. Tschopp Marcel - 2:24:10,5
3. Bago Joseph - 2:25:4,7

Frauen

1. Neuenschwander Maja - 2:40:41,8
2. Morcelli Patricia - 2:46:02,3
3. Glauser Nelly - 2:48:6,7

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Rahmenprogramm:

Marathonmesse mit Ausgabe der Startunterlagen und Pastaparty in der Saalsporthalle, Giesshübelstrasse 41 (Tram Nr. 13 oder Shiltal-Bahn S4 bis Station Saalsporthalle). 

Auszeichnung:

Medaille, T-Shirt (Super Qualität, toller Schnitt, extra Größen für Damen), Urkunde aus dem Internet

Logistik:

Start- und Zielgelände ganz in der Nähe Bahnhof Wollishofen. Kleiderdepot in unmittelbarer Nähe.

Verpflegung:

mehr als 10 Verpflegungs- und Getränkestationen mit Wasser, Iso, Bananen, Riegel und Gel. Es wird ein Verpflegungsplan ausgegeben.

Zuschauer:

Viele Zuschauer in den Ortschaften und am See entlang und in der Innenstadt. Guggemusik, Rockbands und Tanzgruppen sorgen für eine Bombenstimmung. Höhepunkt ist der Zieleinlauf.

 

 

 

Informationen: Zürich Marathon
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