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Laufberichte

Daumen hoch!

 


Sonntag ist Ruhetag


Ich wollte früh ins Bett, denn das lange Baden im warmen Wasser macht schläfrig. Doch die Standhaftigkeit schwand schnell; unversehens wurde es dann doch noch zu einem langen Jubiläumsabend im Hotel mit schöner Livemusik von Daniel Steiner.

Es ist halb sieben Uhr morgens. Der Nebel hängt tief. Die Augen sind klein und versuchen sich zu orientieren. Von meinem Zimmer aus schweift der Blick ins Wintergrau. Die Schneeketten für meine Schuhe hätte ich zuhause lassen können, die Wege sind eisfrei und trocken. Für Bewegung sorgt nur der übliche Orts- und Bäderverkehr, in der Sonntagsstimmung herrscht. Aus den Balkonkästen wachsen im Sommer sicher üppig bunte Blumen. Vieles spielt sich wie in Zeitlupe ab, trügerische Langeweile bestimmen die Sonntage. Der Tag zieht mit der immer gleichen Ruhe vorbei. Ereignislosigkeit: Am Morgen etwas Frühsport in der Gruppe, am Vormittag ein paar Wasser- und Sauerstoffbehandlungen, Seniorenteller und danach der empfohlene Mittagsschlaf. Am Nachmittag Spaziergänge im Park und das Kännchen Kaffee.

Erst bei Anbruch der Dunkelheit geht es zum Haslinger Hof, aber nur bis 22:00 Uhr. Privatpatienten dürfen länger. Die Neuankömmlinge unter den Kurgästen staunen nicht schlecht, als sie an ihrem vielleicht ersten Morgen im Kurhotel auf die vielen sportlich und fit aussehenden Läufer am Frühstücksbuffet treffen. Ihrem Gesichtsausdruck ist es anzusehen, dass sie sich fragen, wo sie hier hineingeraten sind. Erholungswillige sehen anders aus.

Der Eingang der Therme ist eine mächtige Konstruktion aus Stahl und Glas. Groß, schlank und unbekleidet: Die bronzene Statue mit der lasziven Körperhaltung trotzt der Kälte und fällt auf. Was andernorts als Erregung öffentlichen Ärgernisses gelten würde, ist hier die Werbeträgerin der Johannestherme.

Warm anziehen heißt es heute für die insgesamt über 2100 Läufer und Läuferinnen. Dicke Funktionskleidung verdeckt die meist winterblasse Haut und die große Startnummer die Weihnachtsbäuche der Läufer an diesem kalten ersten Februartag; nur die Spitzenläufer tragen kurz. Heute Morgen gehört die gut geheizte Therme noch den Läufern, die die Spinde für ihre Wechselkleidung schon mal reservieren. Gegen 9:40 Uhr, strömen die meisten von ihnen nach draußen. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages lassen auf schöne Laufwetter hoffen. 

Die Blaskapelle spielt, der Moderator Artur Schmidt drängt zur Startaufstellung. Ganz selten treten wir in solch einer Mannschaftstärke auf und heute in neonleuchtender neuer Team-Mode: Daumen hoch!

Abrupt enden die Gespräche. BUMM! Wir zucken zusammen. Pulverdampf steigt in den Himmel. Ein mächtiger Knall aus den Gewehren der Hofmarkschützen ist der Startschuss zum Marathon und prügelt auch die allerletzten Langschläfer aus den Betten. Die morgendliche Sonntagslethargie hat heute keine Chance. Hektisches Treiben in dem sonst so ruhigen Ort. Vor den Augen zahlreicher Läuferbegleitungen und einiger Kurgäste geht es los. Argwöhnisch schauen uns letztere hinterher. Mein leicht schon dem Kurbetrieb angepasster Körper wird nur langsam von mir in Bewegung gesetzt. Zum Spazieren gehen oder Kurwandeln werden die fünf Stunden Zeitlimit wohl nicht ausreichen. Manch eine(r) hat bereits am Vorabend vom Marathon auf Halbmarathon umgemeldet. Andere laufen erst gar nicht und ziehen die Stunden in der Therme vor.


Kurschattenspiele


Recht früh treffe auf einen Österreicher. Also genaugenommen kommt er aus Linz, erzählt er mir. Eine Stunde, länger benötigt er nicht, um hier an den Start zu kommen. Sein Kumpel sei bereits zum zehnten Mal dabei. Sonderlich schön sei die Strecke nicht, jedoch das ganze Drum und Dran, würde ihm schon sehr gefallen.

„5:15 passt!“, stellt er beim Blick auf seine GPS betriebene Pulsuhr zufrieden fest und erzählt mir weiter, dass er streng nach Plan trainiert. 5:15 Minuten für den Kilometer, geht es mir durch den Kopf. Ich lächle verkniffen. So früh in der Saison bin ich, zumindest für einen Marathon, untrainiert und auch mental weit von einer Bestform entfernt. Nicht zu vielen Worten fähig, erwidere ich nur knapp: Ich hatte noch nie einen Trainingsplan, laufe, wenn Zeit ist. Wie viele Marathonläufe ich denn hätte, fragt er weiter. Weiß nicht genau, jedenfalls mehr als hundert, meine Antwort. Er schaut skeptisch zu mir herüber. „5:15 passt“! Ist seine Antwort nach dem nächsten Kilometer! Ach, und dass er mal österreichischer Juniorenmeister im Tennis war, sollte ich auch noch wissen.

Eine mich um zwei Köpfe überragende Läuferin drängt sich zwischen uns, fragt meinen Kurschatten, ob er schon wieder beim Flirten sei. „Nein, Visitenkarten haben wir noch nicht ausgetauscht“, erwidere ich. Kurz darauf stellt sich heraus, dass die große Frau zu seinem Verein gehört. Ist das das Kurschatten-Phänomen? Eine gutaussehende Läuferin im schlumpfblauen Outfit und farblich gekennzeichneter Halbmarathonstartnummer, fragt, ob sie sich an uns hängen kann. Anhängen ist gut, denn kurz darauf bestimmt sie das Tempo! Ich habe Mühe, überhaupt noch mitzulaufen. Mein Flirtkollege schenkt mir einen letzten Blick über seine kalte Schulter und läuft mit ihr auf und davon. Von weitem sehe ich ihre Schlumpf-Kappe rhythmisch auf und ab springen.


Im Wechselbad der Gefühle


Springen kann Samuel Koch nicht mehr, laufen auch nicht. Dialoge, Ereignisse und Gedanken umspülen mein Hirn. Gestern, beim Sportsymposium, hat Samuel Koch vor ca. 400 Zuhörern von seiner Zeit vor und nach dem Unfall gesprochen. Kaum einer im Publikum kann sich vorstellen, wie es ist, täglich bis zu neun Trainingseinheiten zu haben und dann von einem Moment auf den anderen gesagt zu bekommen, dass man nie wieder wird laufen können.

Mit seinen erst 27 Jahren ist er seit seinem Auftritt 2010 bei „Wetten, dass…?“ an den Rollstuhl gefesselt und würde nur zu gerne „einfach aufstehen und loslaufen, sich irgendwann auf eine Bank setzen die Arme hinter dem Kopf verschränken und sein Leben genießen“. Der vom Hals ab gelähmte ehemalige Kunstturner, der mit „Stunts“ sein Studium finanziert hat, wusste so gar nicht, was er den anwesenden Sportlern am Tag vor dem Marathon eigentlich sagen sollte. Denn er fand es schon skurril, dass ausgerechnet er, der nicht mehr laufen kann, eingeladen wird. Gelaufen sei er nie. Kraft und immer wiederkehrende Bewegungsabläufe zu trainieren, darauf kam es beim Kunstturnen an. Was er und sein Vater uns erzählen und die Passagen, die er aus seinem Buch vorliest, sind erschütternd und bewegend zugleich. Immer auf den Boden achtend laufe ich mit gesenktem Kopf weiter.

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Informationen: Johannesbad Thermen-Marathon
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