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Laufberichte

Vorwärts, Kameraden

 

Sawubona - Herzlich willkommen in Süd Afrika. Die Regenbogennation im äußersten Süden des afrikanischen Kontinents vereint 30 Millionen Schwarze verschiedener Kulturen, 5 Millionen Weiße, 4 Millionen Farbige und 1 Millionen Menschen indischer Herkunft. Die jüngere Geschichte Südafrikas ist geprägt von den europäischen Kolonialherren. Rücksichtslos beherrschten Niederländer und Briten das Land und machten sich die dort lebenden Einheimischen zu Untertanen. Vor allem die Buren, Nachkommen der ersten niederländischen Siedler, verfolgten eine strikte Rassentrennung, die erst 1994  durch das "Wunder am Kap" von Nelson Mandela, dem ersten demokratisch legitimierten Präsidenten beendet wurde.

Vom Wunder spricht man deshalb, weil nach den langen Jahren der Apartheit von heute auf morgen eine demokratische Gesellschaft mit schwarzer Mehrheitsregierung eingeführt wurde und es nicht zu dem vorhergesagten Bürgerkrieg kam. Das heutige Südafrika hat das multikulturelle Zusammenleben als Vision einer neuen modernen Gesellschaft.

Leider kann nicht verhindert werden, dass ein großer Teil der stetig wachsenden schwarzen Bevölkerungsmehrheit in Südafrika in bitterer Armut lebt. In den Townships rund um die großen Städte haust immer noch ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung in Wellblechhütten, ohne Strom und sanitäre Anlagen. Dass hier eine Brutstätte von Gewalt liegt, ist kaum verwunderlich. Der normale Tourist jedoch, der diese Bezirke meidet, keine wertvollen Gegenstände offen mit sich führt und sich unauffällig verhält, ist in den Städten nicht mehr in Gefahr, Opfer einer Gewalttat zu werden, wie in anderen Ballungszentren auch.

Die Südafrikaner sind sportbegeistert. Rugby und Cricket spielen zumindest bei den weißen Südafrikanern eine große Rolle. Fußball oder Soccer wird seit der Weltmeisterschaft 2010 immer populärer und ist zumindest im Fernsehen viel zu sehen. Dabei werden oft ausländische Spiele z.B.  der Europa League oder der Bundesliga Spiele übertragen. Schwimmen gilt als Breitensport und wird in vielen Schulen unterrichtet. Viele olympische Medaillengewinner kommen aus Südafrika. Auch Läufer gehören mittlerweile durchaus zum Straßenbild. Außerdem gibt es eine erstaunliche Anzahl von Laufveranstaltungen mit allen möglichen Streckenlängen und es ist nicht ungewöhnlich, dass sich hier Tausende von Läufern einfinden. Der Two Ozeans Ultra und der Comrades sind auch international bekannt und werden seit der Anhebung der Preisgelder auch regelmäßig von Ausländern gewonnen.

Nach langer Zeit konnten in diesem Jahr endlich zwei Einheimische beide geschichtsträchtige Rennen in Südafrika gewinnen. Motlokoa Nkhabutlane aus Lesotho gewann den Two Ozeans im April bei den Männern, und Caroline Wostmann aus Südafrika bei den Frauen. Deshalb war die Hoffnung, dass gerade beim 90. Comrades am 31.05.2015 ebenfalls ein Südafrikaner auf dem Siegerpodest stehen würde, nicht unbegründet. Dass dann aber beide Sieger aus dem Gastgeberland kommen würden, war dann aber doch eine Sensation. Gift Kelehe und wiederum Caroline Wostmann machten das Glück der Südafrikaner perfekt, die immerhin 12 Jahre auf so ein Ergebnis warten mussten.

Seit Vic Clapham 1921 zu seinem ersten Lauf von Pietermaritzburg nach Durban gestartet ist, hat sich vieles geändert. Für Südafrikaner ist das Finishen des Comrades die ultimative Herausforderung, die einen erst zum „Läufer“ macht. Für alle anderen wird es zum faszinierenden Abenteuer, bei dem schon das bloße Dabeisein ein sensationelles Erlebnis ist. So ist es kein Wunder, dass sich gerade zum 90 jährige Jubiläum in diesem Jahr an die 23 000 Anmelder in die Starterlisten eingetragen haben. Immerhin knapp 16 000 haben eine entsprechende Qualifikationszeit nachgewiesen und stehen nun am Start.

100 Deutsche sind hinter Großbritannien, Australien und Brasilien immerhin die viertgrößte Nation bei den internationalen Läufern, was in Anbetracht der Streckenlänge von knapp 90 Kilometern und den für uns ungewohnten Witterungsbedingungen doch ganz beachtlich ist.

Auch Norbert hat sich trotz verletzungsbedingtem Trainingsrückstand für den Start entschlossen. „Be part of it - Bamba Iqhaza“ lautet die Devise. Eine viertel Stunde vor dem Start muss man in seinem Startblock sein, denn dann wird er geschlossen. Deshalb verabschiede ich meinen Mann rechtzeitig vor seinem vorderen Block „C“ und bekomme nicht mit, was sich dort abspielt: Im Block ist es dicht. Vor dem Tor warten aber noch jede Menge Läufer. Die hinteren drücken und schieben bis es drinnen plötzlich, wie durch ein Wunder, doch genügend Platz gibt.

Währenddessen habe ich noch Zeit eines der direkt am Startblock befindlichen Dixies aufzusuchen und mich dann gemütlich hinten einzureihen. Im letzten Block „H“ sind die Tore bis zum Schluss geöffnet. Wer schon einmal bei einem so großen Lauf dabei war, kennt die Stimmung, die hier herrscht. Die Läufer sind angespannt, die Zuschauer ausgelassen, der Sprecher heizt die Menge an und entsprechende Musik macht das ganze perfekt.

Speziell beim Comrades kommt dazu, dass es hier um 5Uhr30 noch Nacht ist. Dieses Jahr geht die Strecke uphill d.h. von Durban am Meer nach Pietermaritzburg in den Bergen. Die fünfspurig Straße im Stadtzentrum wird flankiert vom historischem Rathaus links und der Post Office rechts aus derselben Epoche. Beide Gebäude sind beleuchtet und auf dem gegenüberliegenden Hochhaus läuft eine bewegte Projektion immer auf und ab. Kurz vor dem Start wird die Südafrikanische Nationalhymne gespielt. Die Einheimischen legen der Hand aufs Herz und singen inbrünstig mit. Dann wird die zweite „Nationalhymne“ angestimmt. Das ehemalige Arbeiterlied Shosholoza ist auch international bekannt und bedeutet so viel wie „geh voran“. Für einen Lauf also eine perfekte Einstimmung. Einem kurzen Moment der Stille folgt dann Chariotts of Fire das dann in tausendfachem Jubel ausklingt. Wer hier nicht ergriffen ist, ist fehl am Platz.

Traditionell ertönt nach dem Startschuss ein dreimaligen Hahnenschrei, von Max Trimborn in den 50er Jahren eingeführt (nicht original sondern vom Band), dann geht es los. Nun, eigentlich geht es los. Ich schaue auf die Uhr: knapp 7 Minuten dauert es, bis ich über die Startlinie gehen kann. Das ist insofern wichtig, als dass hier für die Ziellimits nur die Bruttozeit gilt. Die später startenden Läufer haben also ein Handicap. Dazu kommt, dass, wie wir bei der Streckenbesichtigung erfahren haben, es in diesem Jahr noch eine zweite Schwierigkeit gibt: die Strecke ist wegen einer Baustelle 700 m länger. Bei einem Laufdurchschnitt von 8 Minuten pro Kilometer sind das wenigstens 5 Minuten. Das hört sich zwar undramatisch an. Aber bei langsamen Läufern wie mir und vielen anderen, die für die Strecke mit 12 Stunden rechnen, können diese insgesamt 12 Minuten Zeitverlust für Finish oder nicht Finish (dnf) entscheidend sein.

Jetzt bin ich allerdings erst einmal froh, überhaupt hier zu sein und genieße diese einmalige Atmosphäre. Wir haben den Startbereich verlassen und die Zuschauer am Straßenrand werden weniger.  Neben dem lauten Trapp-Trapp der vielen Laufschuhe auf dem Asphalt liegt lautes Geschrei in der Luft. Irgendwie laufen wir darauf zu. Dann sind wir mittendrin. Rechts und links stehen wieder Fans in Dreierreihen. Der Lärm ist ohrenbetäubend aber auch unheimlich motivierend. Dann wird es ruhiger. Während wir auf der Autobahnbrücke nach oben laufen, liegen die Viertel der Armen unter uns. Dort ist es dunkel, aber andauerndes Hupen signalisiert, dass auch dort Anteil genommen wird. Aufmunterndes Pfeifen und Rufen aus der Dunkelheit wird von den Läufern umgehend beantwortet.

Vor mir tauchen zwei der auffallenden Germany-Shirts auf. Darin stecken Sara und ihr Vater Joachim. Leider wird das Foto durch die Dunkelheit unscharf. Sofort verlieren wir uns wieder in der Menge. Letztes Jahr hatte ich auf das auffällige, speziell für die Deutschen Läufer angefertigte Shirt verzichtet. Als ich dann ein paar Kilometer mit Klaus Neumann, dem deutschen Botschafter für den Comrades, gelaufen bin, der sein Shirt natürlich anhatte, bereute ich meine Entscheidung. Soviel Anfeuerung und Applaus bekam ich sonst auf der ganzen Strecke nicht. Also hab ich es natürlich dieses Mal auch angezogen. Es ist schön, dadurch die Landsleute schon von weitem zu erkennen, und erkannt zu werden.

Während wir langsam Durban City verlassen, wird es kühler (am Start hatte es feuchtwarme 19 °C). Trotzdem nutze ich bereits an der ersten VP bei km 5 das angebotene Wasser. Beim Comrades gibt es die meisten Getränke eisgekühlt in kleinen Kunststoffbeuteln mit 100 ml, ähnlich wie bei uns das billige Wassereis. Man kann es einfach mit sich führen und bei Bedarf trinken.

Bei der zweiten VP steht vorne ein Ansager der verkündet, es gäbe rechts und links der Straße Wasser. Ich halte mich rechts und suche dort die Stände. Diese sind bereits leergefegt. Nach links rüber kann ich aber nicht, denn dort ist alles voll. Weil die Helfer das Problem erkennen, fangen sie an, die Wasserbeutel von links über die Straße zu werfen. Leider viel zu weit, so dass es uns gar nichts bringt. Ich erinnere mich aber, was Klaus Neumann bei der Streckenbesichtigung gesagt hat: keine Panik, wenn man einmal an einer VP etwas nicht bekommt, die nächste VP kommt sofort, denn es gibt auf der gesamten Strecke insgesamt 46 VPs, d.h. im Schnitt alle 2 km. Und so ist es dann auch.

Es geht von der Autobahn N3 auf die zweispurige M13. Wir haben den ersten kleinen Hügel mit dem Stadtteil Berea überwunden und befinden uns bereits auf dem Anstieg Richtung Cowies Hill. In der Ferne wird es dämmrig, langsam geht die Sonne auf. Immer wieder stehen Zuschauer. In Westville ist alles auf den Beinen, um die Läufer anzufeuern. Hier geht es nur bergauf und daher ist der Zuspruch herzlichst willkommen.

Von Cowies Hill hat man einen tollen Ausblick zurück auf die hügelige Vorstadt von Durban. Ein Schild kündet den ersten Cutoff an. Man muss um 8Uhr10 bei km 17 sein. Es geht bergab und ich bin gut in der Zeit. Im Ort Cowies Hill ist einiges los. Die Anfeuerungen der Zuschauer peitschen die Läufer durch den Ort. Ich treffe auf Andrea. Zwei Germany-Shirts auf einmal sind der Hingucker bei den Zuschauern und wir werden rege angefeuert. Wir freuen uns beide auch doppelt und winken gerne zurück. An der nächsten VP ist Andrea dann leider bereits wieder verschwunden.

Wir sind nun auf dem zweiten und längsten Anstieg auf Bothas Hill. Über ungefähr 16 km geht es mehr oder weniger steil insgesamt 500 hm bergauf, unterbrochen hin und wieder durch von kleinen Gefällstücken. Alles in allem nichts Dramatisches. Dazwischen liegt für uns fast unbemerkt der zweite Berg, Fields Hill. Ich bleibe locker und schließe mich zeitweise einer Pacergruppe an. Die Pacergruppen heißen hier „Bus“. Beim Comrades gibt es für fast jede Zielzeit Pacer. Diese erfahrenen Läufer laufen nicht nur eine konstante Zeit, sondern sie feuern auch an und motivieren die Gruppe z. B. mit Sprechgesang. In diesem Jahr haben jedoch gleich zwei Busse das Ziel nicht erreicht, denn sie sind bei den Cutoffs herausgenommen worden. Für die Läufer ist das eine Katastrophe, denn gerade davor will man ja bei den Pacern gefeit sein. Die Einheimischen nehmen das mit typischer Südafrikanischer Mentalität hin, sie protestieren nicht. Man versucht es eben ein nächstes Mal.

Die Strecke verlässt die M13 und biegt auf die Old Main Road ein. Mir fällt auf, dass bisher nichts zu essen angeboten wurde. Ich habe immer die für mich notwendige Verpflegung bei mir; die meisten laufen jedoch ohne Ausrüstung. Vielleicht reicht der Zucker von Cola und Energade zum Laufen aus?

An einer der nächsten VP`s gibt es kein Wasser. Ich greife zu blauem Energade. Trinken kann man das ja, aber zum Kühlen über den Kopf leeren, möchte ich das klebrige Zeug lieber nicht. Bei der nächsten VP sind dann die Becher für Cola aus. Die Helfer geben ihr Bestes und verteilen die Flüssigkeit auf die Hand. Merke: Flexibilität ist alles.

Auf der Old Main Road in Kloof ist gerade Frühstückszeit. Die Bewohner haben Tische und Stühle an der Strecke und feuern die Läufer an. Auf einem Tisch steht ein Fernseher, auf dem die Zuschauer gleichzeitig die 13 stündige Liveübertragung der Veranstaltung anschauen.

Den zweiten Cutoff in Winston Park bei km 30 überquere ich mit fünfzehn Minuten Vorsprung. Hier gibt es endlich Orangenstücke und Kartoffeln.

Bis Hillcrest stehen oder sitzen durchgehend Zuschauer an der Strecke. Ich schnappe bei der VP einen leeren Becher. An der nächsten Fangruppe bitte ich einen Zuschauer um Bier. Tosender Applaus der Umstehenden ist die Folge. Ich stoße mit Ihnen an und laufe beschwingt weiter. Das gleiche versuche ich ein paar Kilometer weiter mit demselben Erfolg.

In Hillcrest besteht für die Begleiter die Möglichkeit, an die Strecke zu kommen. Hier steht normalerweise die Reisegruppe von Werner Otto. An Ihren gelben Fahnen entdecke ich sie beim Vorbeilaufen. Sofort werde ich erkannt und angefeuert.

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