Für mich geht’s zum ersten Mal nach Zermatt und damit natürlich auch zum ersten Mal ans Matterhorn. Akribisch studiere ich vorab Anfahrtsrouten, Zeitpläne und Veranstaltungsabläufe des Gornergrat Zermatt Marathon, wie er jetzt offiziell bezeichnet wird. Bedingt durch die unterschiedlichen Veranstaltungspunkte und der autofreien Destination Zermatt ist dies durchaus angebracht.
Gut überlegt sollte bereits die Anreise zum „schönsten Berg der Welt“ sein, da Zermatt fast ganz im Süden der Schweiz, auf über 1600 m Höhe mitten im Alpenhauptkamm liegt und den erreicht man von keinem Fleck Deutschlands aus schnell und bequem. Aus Bayern könnte ich gar unter fünf Straßenverbindungen wählen und bin mir sogar noch am Tag der Abfahrt nicht ganz sicher, welche ich nehmen soll. Ich entscheide mich letztendlich für den zeitlich kürzesten Weg auf der Schweizer A1 über Zürich, Bern und den Lötschbergtunnel nach Täsch, der aber nicht unbedingt der günstigste ist. Für das One-Way-Ticket durch den Tunnel darf man bereits CHF 29,50 abdrücken, das wird heutzutage 1:1 in Euro umgerechnet.
Der Autoverlad am Lötschberg verkürzt meine Anreise vom Schweizer Mittelland ins Wallis beträchtlich. Die Züge fahren alle halbe Stunde von Kandersteg nach Goppenstein, mir kommt der Zeitintervall gefühlsmäßig sogar noch kürzer vor, da mir ein Zug praktisch vor der Nase wegfährt. Ein Transfer per Autoverladung ist für mich ebenfalls Premiere, es geht wirklich schnell und unproblematisch, man muss noch nicht einmal sein Auto verlassen. Ebenerdig fährt man einfach auf die Wagonstraße, legt den ersten Gang ein, zieht die Handbremse und ist abfahrtsbereit. Die Fahrt auf den Wagons ist etwas rumpelig, dauert aber auch nur etwa 15 Minuten. Licht gibt es keines im Tunnel, man sitzt 10 Minuten in rabenschwarzer Umgebung.
Über Visp geht‘s weiter ins Mattertal. Die Anreise ist wirklich attraktiv, sie führt durch das am tiefsten eingeschnittene Tal der Schweiz. In St. Niklaus ist ein Zwischenstopp nötig, hier findet am Samstag der Start von Marathon/Ultra zudem die Ausgabe der Startnummer statt. Die hat beim Gornergrat Zermatt Marathon eine große Bedeutung. In die Nummer ist ein Zugticket integriert, die uns von Freitag bis Sonntag freien Zugang durch die Kontroll-Säulen der Bahnlinie von Brig-Zermatt, an der Zermatt-Gornergratbahn und der Standseilbahn Zermatt-Sunnegga gewährt, muss dann aber auch immer mitgeführt werden.
Die Startgebühren für den Ultra betragen CHF 155 und für den Marathon CHF 120. Das hört sich auf den ersten Blick ziemlich hoch an. Wer sich jetzt aber die Mühe macht und alleine die Preise der Bergbahnen recherchiert, wird da wahrscheinlich schnell anderer Meinung sein. Als Tourist könnte man da schnell mal auf dumme Gedanken kommen.
Zudem bekommen wir mit der Startnummer noch einen hochwertigen Rucksack und einen Gutschein für die Pasta-Party im Festzelt in Zermatt ausgehändigt. Wer es bis ins Ziel schafft, erhält dazu noch eine Medaille, Finisher-Shirt und wenn benötigt eine Massage in 3100 m Höhe. Urkunde und ein exzellentes, hochauflösendes persönliches Erinnerungsfoto von der Strecke können gratis auf der Website runtergeladen werden. Jeder weiß wahrscheinlich, wieviel normal bei den Foto-Services dafür bezahlt werden muss.
In Täsch, etwa 5 km vor dem autofreien Zermatt, ist für alle PKWs Endstation. Im Matterhorn Terminal stehen über 2000 Parkplätze in einem Parkhaus (15,50 CHF pro Nacht) zur Verfügung. Praktisch direkt aus dem Auto steigt man in den Zermatt Shuttle und ist in wenigen Minuten am Ziel. Alle 30 Minuten, zu Stoßzeiten sogar alle 15 Minuten fährt die Bahn.
Das Fest- und Veranstaltungszelt und der Startplatz des Halbmarathon befinden sich direkt auf dem Bahnhofsplatz. Alles ist gerüstet zur offiziellen Eröffnungsfeier der 12. WMRA Langstrecken-Weltmeisterschaft im Berglauf. Wer dieser Tage in Zermatt eintrifft, kann den Vorbereitungen zur 150-Jahr-Feier der Matterhorn-Erstbesteigung nicht entgehen. Zermatt ist praktisch im Ausnahmezustand. Jetzt bin ich aber auch neugierig, wo isses? Ich habe es bisher nur aus einigen hundert Kilometern Entfernung zu Gesicht bekommen, einmal vom Mont Blanc und zuletzt vor drei Wochen von den Jurahöhen aus.
In voller Pracht ist es von der Bahnhofstraße noch nicht zu bewundern, aber mir genügt für’s erste bereits der unglaublich beeindruckende obere Abschnitt des Horns. Genau vor 150 Jahren, im Morgengrauen des 14. Juli 1865, machte sich eine Seilschaft von sieben Männern auf den Weg entlang dem Hörnligrat Richtung Matterhorn mit dem Ziel, den Gipfel des einzigen damals noch unbesiegten 4000ers der Schweizer Alpen zu besteigen. Der Tag und mit ihm Edward Whymper sind in die Geschichte eingegangen.
Zum Jubiläum wird vom 9. Juli bis 29. August am Gornergrat vor der einmaligen Kulisse des Matterhorns „The Matterhorn Story“ unter freiem Himmel aufgeführt. Die Route der Erstbesteiger wird den ganzen Sommer am Abend mit solarbetriebenen weißen Lampen beleuchtet. Einzig die Absturzstelle der vier verunglückten Gipfelstürmer leuchtet rot. Die Info habe ich aber leider auch erst zu Hause gelesen. Die Idee, in der Nacht auf das Matterhorn zu schauen ist mir nicht gekommen. Also gibt’s auch kein Bild davon.
Mit Wolli, dem Zermatter Maskottchen, versammeln sich vor der offiziellen Eröffnungsfeier alle Teilnehmernationen am Kirchplatz. Mit einem Flaggenumzug geht es durch die mondäne Fußgängerzone mit seinen zig Nobel-Uhrenläden hinunter ins Festzelt, wo um 17:30 Uhr die WM-Eröffnung im proppenvollen Zelt stattfindet.
Nachdem die Feierlichkeiten vorbei sind und sich das Zelt etwas gelichtet hat, geht es zum gemütlicheren Teil des Abends über. Für den Gutschein-Bon zur Pasta-Party müssen noch CHF 5 gelöhnt werden, dafür bekommen wir ein Erdinger Weißbier, einen Teller Nudeln und für die hungrigen Läufer gibt es sogar ein eigenes Nachschlags-Billett. Das ist dann ok und ich kann gesättigt den Heimweg antreten.
Die genauen Abfahrtszeiten der Züge zum Startort St. Niklaus muss man dem Fahrplan am Bahnhof entnehmen. Es sind nicht allzu viele, die am frühen Morgen verkehren. Klaus hat mich vorgewarnt, lieber etwas früher am Bahnsteig zu stehen. Schnell füllen sich die Plätze und wir können noch bequeme Sitzplätze ergattern. Etwa eine halbe Stunde dauert die Fahrt ins 20 km entfernte St. Niklaus.
16 Grad werden uns um 7 Uhr angezeigt, das wäre super, aber noch kommt wenig Sonne ins Tal. Um 8 Uhr fluten die ersten Sonnenstrahlen das Tal und gefühlt steigt die Temperatur jede Minute, dazu bleibt noch eine halbe Stunde Zeit bis zum Start.
Lautsprecherdurchsagen verheißen ja oft nichts Gutes, aktuell gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Ich beginne mit der guten: Zu den 14 Getränke- und Verpflegungsstationen auf der Ultradistanz werden heute noch drei zusätzliche Wasserstände eingerichtet. Die schlechte: Aufgrund von Problemen auf der Bahnstrecke verzögert sich die Ankunft eines Zuges. Um auf die letzten Teilnehmer zu warten, wird erst 20 Minuten später gestartet. Einzig die Teilnehmer des WM-Rennens werden pünktlich wie geplant um 8:30 auf die Strecke geschickt.
Auf 700 Startplätze war die Ultra-Distanz limitiert und sie gingen wieder weg wie warme Semmeln. Während bis zum Meldeschluss noch Restplätze für den Marathon verfügbar waren. Über 2.400 Läufer aus 52 Ländern sorgen heute für einen neuen Teilnehmerrekord. Die Marathon-Distanz kann 1.950 positive Höhenmeter aufweisen, während auf der genau 45,595 km langen Ultrastecke 2.450 Höhenmeter auf Europas höchstgelegenes Ziel eines Langstreckenlaufes zu bewältigen sind. Dazu kann man den Marathon noch zu zweit als Staffel laufen oder am 2014 erstmalig durchgeführten Halbmarathon mit Start in Zermatt teilnehmen.
Kein Geringer als Pirmin Zurbriggen, einer der erfolgreichsten Schweizer Skifahrer aller Zeiten, übernimmt den Startschuss und schickt uns auf die Reise. Eine Schleife lotst uns durch die Dorfstraße von St. Niklaus und nach etwa einem Kilometer außerhalb des Ortes auf einen ersten Trailabschnitt mit kurzem Anstieg im Wald. Das führt auch bereits zu einem ersten kleinen Stau, obwohl in drei Wellen im Minutenabstand gestartet wurde.
Viel Trinken ist bei den heutigen Temperaturen oberstes Gebot, um nicht frühzeitig wegen Dehydrierung auszufallen. Bereits die zweite Möglichkeit dazu bietet sich dafür nach 5 Kilometern. Nur mehr selten können höhere Bergspitzen die Sonne noch davon abhalten uns ungehindert zu bestrahlen. Ich habe vorgesorgt und mir am Start noch eine Getränkeflasche in den Hüftgürtel geschoben. Mehr Probleme hat bereits mein GPS, im tiefen Tal gibt es nicht durchgängig Satellitenempfang, was aber heute auch nicht unbedingt wichtig ist. Jeder Kilometer ist ausgeschildert.
Ein paar Kilometer weiter darf ich und eine Gruppe weiterer Läufer eine kurze Pause einlegen. Der Zug hat selbstverständlich Vorfahrt und es stehen auch Streckenposten am Bahnübergang, um dies zu gewährleisten. Viel länger als eine Minute dauerte der Aufenthalt aber nicht und es geht wieder weiter.