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Laufberichte

Never give in to violence

05.05.13

Wir sind nach km 15 für ein kurzes Stück in einem Industriegebiet und laufen schnurgerade nach Osten. Hier erwartet uns eine neue Erfahrung: Bislang waren wir bei strahlendem Sonnenschein über das laue Lüftchen ganz froh, jetzt bekommen wir von der Bora eine erste volle Breitseite ins Gesicht. Der Wind ist so stark, dass man sich fürs Vorankommen merklich anstrengen muss. Die Bora ist der Legende nach eine Hexe, die an der Karstküste für starke Fallwinde sorgt. Bisher dachte ich, dass sie nur im Winter bläst.

Kurz danach laufen wir in einen sehr schönen grünen Abschnitt, durchzogen von Flüsschen und kleinen Wasserfällen mit weniger Wind. Jetzt beginnt der anspruchsvolle Teil unserer Strecke. Wir müssen auf den nächsten acht Kilometern den Karst erklimmen. Dabei handelt es sich um ein von Höhlen und Auswaschungen gebildetes Kalksandsteingebirge. Eine Triestiner Legende erzählt, dass Gott nach der Erschaffung der Erde einige Steine übrig blieben. Er beauftragte einen Engel, diese ins Meer zu werfen. Aber der Teufel schlitzte den Sack auf und die Steine fielen zu Boden. Aus ihnen wurde das Karstgebirge.

Wir sind jetzt in einem schmalen Streifen Italiens. Zwischen Adria und der Grenze zu Slowenien bleiben meist nur wenige Kilometer. Im Karst verläuft die Autobahn, dann ein kleines Sträßchen durch italienische Dörfer und am Meer die atemberaubende Panoramastraße, die heute für den Autoverkehr gesperrt ist. Die Straßenschilder sind immer noch zweisprachig, nun aber italienisch und slowenisch. Links sieht man einen Gedenkstein,  der an die Wiedereingliederung dieses Landstreifens an Italien im Jahre 1954 erinnert. Bis dahin war das Gebiet eine Zone unter internationaler Verwaltung. Die zweite Hälfte dieser internationalen Zone in Istrien wurde dem damaligen Jugoslawien zugesprochen.

Für uns geht es stetig bergauf und wir müssen die Vier-Stunden-Gruppe ziehen lassen. Das hat den Vorteil, dass das dauernde Hin- und Herpendeln zwischen linker und rechter Straßenseite jetzt ein Ende hat. Weiß Gott, was die Pacemaker damit bezwecken wollten. Der Schatten kann es nicht gewesen sein, es gibt fast keinen, wir laufen direkt nach Süden. So konzentriere ich mich jetzt auf das Laufen auf der Ideallinie. Ein slowenisches Pärchen spricht uns an. Wir sollen doch im Herbst auch mal in Ljubljana den Marathon laufen.

Rechter Hand taucht eine Skulptur der römischen Wölfin mit ihren Ziehsöhnen Romolus und Remus auf. Hier gibt es viele Inschriften zum Sieg der Italiener im 1. Weltkrieg.

Wir laufen durch den Ort Sistiana und kommen dann nach Duino, wo wir kurz die Hauptstraße verlassen. Dort wurden um 10:30 Uhr die 3000  Halbmarathonis auf die Strecke geschickt.

Marathonläufern, die hier nach 1:30 Stunden ankommen sei gesagt, dass die Straße recht breit ist und eine Absperrung in der Straßenmitte auf den ersten gemeinsamen Kilometern die Teilnehmer beider Wettbewerbe  trennt. Lediglich an den Verpflegungstellen mit Bananen, Orangen, Zitronen, Zuckerwürfeln, Wasserflaschen und Iso-Getränken (heißt in Italien Sali, also Salze) könnte es etwas eng werden. Für uns, die wir genau zwei Stunden benötigt haben, bedeutet das leider, dass es keine Bananen und an einer Stelle auch kein Iso mehr gibt: Die Halbmarathonis waren schneller. Mein Test mit einem Zitronenstück brachte nicht die gewünschte Energie. Toilettenhäuschen (in Italien immer ohne Papier) gibt es an der Strecke übrigens auch und die Sicherung der Strecke ist optimal.

Wir laufen direkt auf das Schloss Duino zu. Auf diesem Anwesen der Familie von Thurn und Taxis verfasste einst Rainer Maria Rilke seine Duineser Elegien. Er hatte wohl lange nach einem Ort mit der nötigen depressiven Stimmung gesucht und war hier fündig geworden.  So zumindest meine (unmaßgebliche) Einschätzung...

Heute ist das Schloss ein Museum. Es bietet einen traumhaften Blick auf die Steilküste. Unterhalb befinden sich Stellungen aus dem zweiten Weltkrieg. In der Nähe tritt der Fluss Timavo nach seinem 40 km langen unterirdischen Lauf wieder ans Tageslicht.

Nach dem Schloss geht es nochmals steil bergan, dann, bei km 24, haben wir den höchsten Punkt der Strecke (endlich) erreicht. Rechter Hand ist ein schöner Blick zurück über das Tiefland in Richtung auf das 200 km entfernte Venedig möglich. Dort liegen die auch bei Österreichern und Deutschen beliebten Badeorte Grado, Lignano, Bibione, Caorle und Jesolo, die sich für einen Kurzurlaub über die Mai-Feiertage anbieten. Viel Lagunen-Landschaft mit sehenswerter Fauna und Flora.

Rechts unter uns hat man einen neuen Hafen mit luxuriösen Appartements gebaut, Porto Piccolo genannt. Rechts vorn erblickt man auf einem Felsvorsprung das weiße Schlösschen Miramare. Zwischen 1855 und 1860 gebaut, war es Wohnsitz von Erzherzog Maximilian, dem späteren Kaiser von Mexiko, und seiner Gemahlin Charlotte von Belgien. In der Nähe des Schlosses ist unsere Panoramastrecke zu Ende.

Links ein rotes Straßenwärterhaus, wie es in Italien viele gibt. Ein Felstunnel ist zu durchlaufen, der sich als natürliche Cooling-Zone entpuppt. Schöne kalte Luft erfrischt uns. Hier entstehen schöne Bilder von Läufern, dem Schloss Duino und dem Meer.  Aufgenommen von Profi-Fotografen, die die Zeit finden, etwas weiter nach oben zu kraxeln. Ihr findet diese Fotos auf der Veranstalterseite.

Langsam wird die Vegetation wieder grüner, mit wunderschönen Zypressen. In den Buchten unter uns soll es viele nette Badeplätze geben. Inzwischen sind auch viele Radler und Inlineskater auf der breiten Straße unterwegs. Ein Pacemaker mit einem 4:30-Ballon erklärt, er habe sich entschlossen, 4:15 Stunden zu laufen. Inzwischen kennt man viele Mitläuferinnen und Mitläufer. Das ist der Vorteil eines überschaubaren Teilnehmerfeldes.

 Hier ist wohl der Schlosspark von Miramare, den wir durch zwei Tunnel unterlaufen. Es geht steil bergab. Unten suche ich einen Kilometerstein, den ich bei der Bus-Anreise zum Start gesehen hatte. Er ist jetzt hinter einem Versorgungs-Lkw versteckt, trägt ein Bären-Emblem und die Aufschrift: „1180 km nach Berlin“. So etwas habe ich auch in Düsseldorf, in München und an der Nürnberger Autobahn gesehen. Berlin ist in Italien übrigens angesagt, nicht nur marathontechnisch. Eine Restaurantbesitzerin, mit der wir ins Gespräch kamen, war beeindruckt von den sehr günstigen Berliner Immobilienpreisen und erwägt, eine Wohnung dort  zu kaufen. In Italien, ¬ wie  früher auch in Spanien, ¬sind Immobilien wesentlich teurer als in Deutschland.

Neben dem Stein dann der Marathonkilometer 35. Wir sind wieder auf Meereshöhe und in Triest angekommen. Judith hat sich schon vor einigen Kilometern leise davongeschlichen und ich kämpfe jetzt mit einigen andren traurigen Gestalten um jeden Meter. Schön, dass man wenigstens einige Halbmarathonis überholen kann.

Es ist immer noch sehr sonnig und die Bora bläst teilweise so stark, dass die Absperrgitter zum „Bavisela Family Walk“ umfallen. Diese Wanderung für die ganze Familie ist extrem beliebt, 7 km lang und verläuft neben der Marathonstrecke. Traditionell verzichtet man auf  Zeitnahme und feste Startzeit, aber diesmal konnte alternativ für 5 Euro auch ein Chip dazu gebucht werden. Zu erkennen sind die Geher an ihren grünen T-Shirts, das Jung und Alt und oft auch die begleitenden Hunde tragen.

Solche „Marcie non competitive“ sind in Italien der große Renner. Jede Gemeinde veranstaltet derartige „Läufe“, die streng genommen Familien-Wandertage sind. Man zahlt 2-5 Euro Teilnahmegebühr, bekommt ein T-Shirt und meist ein Kontrollkärtchen und kann dann einen schönen Lauf oder Spaziergang durch die Natur unternehmen. Für Italien-Urlauber durchaus zu empfehlen, zumal auch das Laufen nicht verboten ist. Auch hier gibt es Verpflegungsstellen und manchmal sind die Touren bis zu 30 km lang. Sogar in Venedig gibt es solche Läufe. Streng geheim, da dort die Teilnehmerzahlen begrenzt sind. Ansonsten freut man sich über Ausländer. Informationen über alle Läufe findet man im Internet.

Zurück zu Triest: Wir laufen durch eine schöne Allee (frisch gepflanzte Bäume – kein Schatten) am Meer entlang. Vor uns der Faro della Vittoria (Leuchtturm des Sieges), 1927 errichtet und 68 m hoch. Links viele Restaurants und Bars, rechts ein schmaler Streifen mit betoniertem Ufer. Hier sonnt man sich bei schönem Wetter. Enttäuscht bin ich darüber, dass sich in der Großstadt nur wenige Zuschauer eingefunden haben. Die waren wohl alle beim Wandertag dabei...

Weiter geht es der stillgelegten Bahnanlagen entlang, dann unter einer Eisenbahnbrücke hindurch. Hier kommt die 1854 eröffnete Südbahn aus Wien nach Triest. Es ist nicht mehr weit zum Ziel. Kurze Zeit später der Hautbahnhof.

Triest hat zurzeit knapp über 200.000 Einwohner, leider immer noch mit fallender Tendenz.

Viele Jahrhunderte lang waren Triest und das angrenzende Istrien ein Teil von Österreich-Ungarn; die österreichische Kaffeehaustradition hat sich bis heute erhalten. Es gibt eine große Universität und Forschungseinrichtungen für moderne Technologien.

Der folgende Stadtteil nennt sich Maria-Theresia-Viertel. In den letzten Jahrzehnten wurden hier viele Gebäude renoviert und Fußgängerzonen eingerichtet. Wirklich sehr schön. Dahinter die Altstadt mit netten Lokalen. Vor uns eine Landzunge, auf der sich der Dom San Giusto aus dem 14. Jahrhundert und Reste des römischen Forums befinden.

Links die monumentale Filiale der Banca d'Italia (mit leeren Tresoren?).

Auf den letzten Meter dann endlich viele Zuschauer: Uns kommen die italienischen Marathonis frisch geduscht entgegen und feuern uns an. Wie schon oft erwähnt, sind italienische Läufer meist sehr in Eile. Ich kann jetzt aber an einem vorbeiziehen, mit dem ich schon beim Start zusammen stand.

Zieleinlauf auf der phänomenalen Piazza dell' Unita d'Italia, Zentrum des städtischen Lebens. Vor uns das Rathaus, hinter uns das Meer. Judith ist auch schon da. Es gibt eine einheitliche Medaille für 10 km, HM und Marathonis. Sehr gute Verpflegung im Zelt, in dem an den Tagen zuvor die kleine Marathonmesse stattfand. Endlich italienische Mürbeteigplätzchen, auch Red Bull. Einige Läufer haben Bierbecher in der Hand. Ich finde die Ausgabestelle nicht, habe aber im Auto eine Flasche Weißbier mitgebracht. Wir entscheiden uns, gleich an der Pastaparty teilzunehmen, und bekommen je einen Teller randvoll mit Nudeln. Ich bin völlig erschöpft, muss aber aufessen, damit das Wetter weiter so gut bleibt.

Der Shuttlebus fährt uns um die Landzunge zum Schwimmsportzentrum. Die Duschanlage würde auch wesentlich höhere Teilnehmerzahlen mühelos bewältigen. Wir lernen eine Läuferin aus Udine kennen, die 5:03 h für ihren ersten Marathon gebraucht hat und sich schon auf den Berlin-Marathon mit ihrem Sportclub freut. In Udine gibt es übrigens im September einen recht bekannten HM.

Auf dieser Seite des Triester Dombergs liegen der aktuelle Hafen und eine (aufgelassene) Öl-Raffinerie. Von hier verläuft eine Ölpipeline nach Ingolstadt, der Betreiber TAL sponsert auch den Marathon. Auf der anderen Seite der Bucht liegt das venezianische Städtchen Muggia (Bus 20, Fahrkartenautomaten nicht benutzen. Sind alle defekt, nehmen aber das Geld. Besser am Kiosk kaufen). Danach Küstenstraße ins slowenische Koper. An der Grenze Tankstelle, mit viel billigerem Benzin als bei uns. Ein Stück weiter die slowenischen Städte Piran und Portoroz, auch sehr gut geeignet  für einen Anschlussurlaub (Euro und Schengenraum).Und natürlich hinter der EU-Außengrenze Kroatien mit wunderschönen Badeorten in Istrien.

Zurück am Ziel sehen wir zwei HM-Damen, die wir überholt hatten, nach rund 3:30 Stunden  einlaufen, außerdem einen Läufer, der in Segelschuhen den Marathon in gut fünf Stunden geschafft hat.

In den ausführlichen Reportagen über den Marathon in der Zeitung Il Piccolo werden wir lesen, dass kurz nach dem Besenwagen (6:10 h) ein kanadisches Pärchen (Jennifer und Corey)  ins Ziel kam, das sich auf der Strecke verlobt hatte. Auf dem Foto erkennen wir die etwas füllige Dame vom Start...

Nachdem ich bis jetzt noch immer nichts über Straßenbahnen geschrieben habe, hier ein kleiner Tipp für eine weltweit einzigartige Konstruktion: An der Piazza Oberdan (benannt nach einem italienischen Freiheitskämpfer, der hier hingerichtet wurde) fährt eine Straßenbahn ab, die den Karst mittels einer Standseilbahnstrecke erklimmt. Dazu werden zwei Straßenbahnen an ein Seil genommen und die abwärtsfahrende Bahn zieht die andere nach oben. Dort geht es in eigener Kraft weiter bis zum schönen Aussichtspunkt Obelisco. Muss man unbedingt mitmachen. Zurzeit mal wieder in Revision. Die sehr alten Wagen bekommen gerade neue Fahrschalter. 

Außerdem gibt es in Triest eines der beiden italienischen Eisenbahnmuseen (das andere befindet sich in Neapel), ein Meeresmuseum, ein Meeresaquarium, Kunstmuseen und ein Widerstandsmuseum.

Abends ist in den Lokalen der Via 20. September viel los.

Zusammenfassend:

- Professionell organisierter Marathon und Halbmarathon
-Abwechslungsreiche Strecke mit Stadt, sieben Orten und atemberaubender Küstenstraße
- Perfekt für Anschlussurlaub in Italien oder Istrien
- Flughafen Triest oder Venedig/Treviso und dann stündlich mit dem Zug.
- Per Auto aus Süddeutschland und Österreich leicht zu erreichen
- Zusammenschluss der Marathons in Ljubljana (SLO), Triest und Halbmarathon Klagenfurt zum Alpe-Adrian-Run (ein Name, der einem Bayern nur ärgert, da er an die Pleite der Bank Alpe Adria erinnert, bei der wir viel Geld an Kärnten verloren haben) 
- Viele Teilnehmer aus Slowenien und Kroatien, einige aus Österreich und Deutschland.
- Funktions-T-Shirt enthalten

Marathonsieger

Männer:

1. Daniel Abera Wedajo, ETH, 2.!7:54 (hat sich auch bitter über den Wind beklagt).
2. Mitja Kosovelj, SLO, 2:21:28
3. Stefano Scaini, ITA, 2:28:57

Frauen:

1. Halima Kayo Hussen, ETH, 2:45:41
2. Mateja Kosovelj, SLO, 2:48:37
3. Monica Carlin, ITA, 2:54:56

Finisher: 649

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Informationen: Green Maratona d'Europa Trieste
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