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Laufberichte

Laufen in der Autostadt

 

Seit dem Spätherbst 2018 muss ich wegen eines Knorpelschadens im linken Knie meine sportlichen Ambitionen beim Marathonlauf auf reines Durchkommen ausrichten. Der in der Volkswagenstadt Wolfsburg mittlerweile 14. Bewerb über die 42,195 km kommt mir und allen langsamen Läufern mit einer großzügigen Öffnungszeit von 6 Stunden entgegen. Zudem ist es mein erster Marathon im Bundesland Niedersachsen, das mit einer Fläche von rund 47.600 km² unter den 16 deutschen Ländern größenmäßig auf dem zweiten Platz hinter Bayern liegt.

Nach vielen Flugreisen empfinde ich nun die lange Zugfahrt bei starkem Fahrgastaufkommen von fast 10 Stunden von Wien in die ca. 800 km entfernte, 1938 als Sitz des Volkswagenwerks gegründete und heute ca. 125.000 Einwohner zählende Stadt am Vortag des Laufes als ziemlich anstrengend.

Der ICE kommt pünktlich um 16 Uhr 46 am Hauptbahnhof in Wolfsburg an. Das gebuchte liegt in Bahnhofsnähe. Ich bin ja früher schon öfters mit dem Zug hier durchgefahren, erst wenn man aussteigt, wird dem Besucher klar, dass der VW-Konzern für den Aufstieg und das gesamte Wohl der Stadt verantwortlich zeichnet. Weltweit sind 550.000 Menschen bei VW beschäftigt, in Wolfsburg arbeitet rund die Hälfte der Einwohner beim größten Autobauer der Welt.

Ich habe heute bis 18 Uhr Gelegenheit, mich in der VfL-Sporthalle am Elsterweg für den Marathon nachzumelden. Die Online-Anmeldung wurde bereits am 28. August geschlossen. Der Veranstalter bietet auch noch am Renntag die Möglichkeit für Registrierungen auf dem Rathausplatz.

Die Nachmeldung verläuft problemlos, bei Mika-Timing lasse ich meinen alten Champion-Chip verifizieren – man weiß ja nie, ob die Elektronik nicht doch irgendwann auch so altersschwach wird wie ich, dann würde meine Finisherzeit morgen nicht aufscheinen. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, sagt man – aber 55,-- Euro Startgeld bei der Nachnennung sind ein geringer Betrag, wenn man das angekündigte, hochwertige Finishershirt mit einkalkuliert.

 

 

Ich mache einen Abstecher in die Volkswagen Arena, das 2002 gebaute Fußballstadium des VfL, der seit heuer mit Oliver Glasner einen österreichischen Trainer hat und momentan nach drei Runden an dritter Stelle der deutschen Bundesliga liegt. Nach einem gemütlichen Spaziergang treffe ich dort erst 10 Minuten vor dem Ende der Nudelparty um 20 Uhr ein. Der im Startsackerl enthaltene Bon wird beim Eingang verlangt, gerade hat eine Küchenhelferin die Pfanne mit herrlich dampfenden Nudeln nachgefüllt. Vom Restaurant aus kommt man auf die oberen Tribünen hinaus, einzelne Abschnitte bzw. Sektoren des Stadions werden mit buntem Licht angestrahlt, ein imposanter Anblick und bleibender Eindruck – zumal morgen auch der Marathon durchs Stadion führen wird. 

Am Rückweg bleibe ich bei Dämmerungseintritt auf dem Rad- und Fußweg der bereits 1957 eröffneten Berliner Brücke stehen, die über den Mittellandkanal führt, der mit 325 km längsten künstlichen Wasserstraße Deutschlands. Ein Stimmungsbild zur Erinnerung an meinen kurzen Wolfsburgaufenthalt.   

 

 

Günstig für Lanfschläfer und jene, die aus der Umgebung anreisen: Der Start des Marathons ist erst um 10 Uhr. Im Hotel steht auch an Sonntagen das Frühstücksbuffet bereits ab 06 Uhr 30 bereit – endlich habe ich wieder einmal Zeit, ordentlich und lange vor einem Marathon zu essen. Ein gut gefüllter Magen behindert mich beim Laufen nicht, so genieße ich den Tagesbeginn und lasse mir viel Zeit.

Gegen 09 Uhr 15 mache ich mich auf den Weg zum Startareal auf dem ca. 800 m entfernten Rathausplatz. Es wird ein warmer Tag, bis zu 18 Grad C sind angesagt. Die Marathonläufer haben blau unterlegte Nummern, beim gestrigen kurzen Check der Liste am Aushang in der VfL-Sporthalle waren knapp über 200 Läuferinnen und Läufer gemeldet.

Ich stelle mich ins hintere Feld,  10 Sekunden nach dem Startsignal komme ich schon zur Matte. Wie schnell die alle davonziehen. Mit einem älteren Kollegen, der wie ich links eine Kniebandage hat, komme ich ins Gespräch. Er läuft am Anfang unter 7 min/km, eine Zeit, die ich auf Dauer nicht mehr schaffe, zu sehr spüre ich den Schmerz im inneren Kniebereich bei Dauerbeanspruchung. Der Kollege erzählt, dass auch er einen Knorpelschaden habe. Aber er läuft unverdrossen weiter, die einen (Bewunderer) würden sagen „ein harter Kerl“, die anderen (Mediziner) „völlig unvernünftig“.

 

 

Wir laufen zunächst auf der Porschestraße nach Süden. In der Nähe befindet sich das 1983 eröffnete Planetarium mit einer Innenkuppel von 15 m. Den Besuchern  wird hier ein Himmelspanorama mit über 9000 verschiedenen Sternen geboten. Ebenfalls nicht weit weg, am Fuß des Klieversbergs am Südende der Stadtmitte von Wolfsburg, befindet sich der Congress Park. Der Kollege mit dem orthopädischen Knieschutz (später erfahre ich, es ist Mike, ein nur mir nicht bekannter extremer Ultraläufer) hatscht mir zusehends davon. Hinter mir sind vielleicht noch ein halbes Dutzend Nachzügler. Mal sehen, wie lange ich sie in Schach halten kann. 

Ich versuche ein wenig Tempo zu machen, fast hätte ich auf den Leidensgenossen aufgeschlossen, aber auch er nutzt den ebenen Streckenabschnitt und erhöht sein Tempo.

Der Ordner deutet an, dass die Läuferinnen und Läufer nun in die Fußgängerzone, die entlang der Porschestraße zum Hauptbahnhof verläuft,  einbiegen sollen. Inzwischen sind auch einige Zuschauer zu sehen, die an der Absperrung stehen und applaudieren. Wir kommen vorbei an dem zu unserer Linken, von der international bekannten, irakisch-britischen Architektin Zaha Hadid geplanten und 2005 eröffneten futuristisch anmutenden Science Center Phaeno, ein Gebäude aus Beton und Stahl, das heute u.a. als Bildungszentrum genutzt wird.

Entlang der Bahnstrecke geht es durch Industriegebiet weiter in östliche Richtung. Unter den Autobahnzubringern beim Berliner Ring hindurch führt der Marathonkurs auf der ersten von zwei identischen Runden nun weiter. Eine Läuferin hat sich an mich herangekämpft – wenn man bei meiner Kilometervorgabe noch von „Kampf“ sprechen darf. Sie erzählt, dass dies heute ihr erster Marathon sei und nimmt an, dass ich schon mehr Lauferfahrung habe. In der Tat, auf 400 Marathons fehlen mir nur mehr wenige. Auf dem leicht ansteigenden Fußgänger- und Radfahrweg über den Mittellandkanal, der später zu einer Begegnungszone werden wird, eilt sie mir dann davon. Aber beim Brückengefälle auf der anderen Seite hole ich sie wieder ein. Als wir zur Labe vor der Südtribüne der Volkswagen Arena kommen, schließen zu uns zwei Läufer aus der Nachhut auf. Die Versorgung ist üppig, Wasser, Iso, Cola, Gels, Bananenstücke. Noch sind die Halbmarathonis, die um10 Uhr 30 gestartet sind, nicht in Sicht.

 

 

Am Kanal entlang führt der Marathonkurs nun in Richtung Autostadt, die insgesamt Erlebniswelt, Auslieferungszentrum für Neuwagen, Museum und Freizeitpark der Volkswagen AG in unmittelbarer Nähe des Volkswagenwerks ist. Im Starterpaket befanden sich auch zwei Eintrittskarten in Kreditkartenformat, die immerwährend gültig sein sollen. Imposant ist die riesige Empfangshalle mit einem 4,5 Tonnen schweren „Erdkugel“ aus Aluminium an der Decke. Wir laufen drunter durch. Viele Sonntagsbesucher sind hier vor dem Gebäude und in den Hallen bereits anzutreffen. Sie interessieren sich für die Objekte, Oldtimer aus den Jahrzehnten, jedoch kaum für die Läuferinnen und Läufer.

Der Gebäudekomplex und das 28 ha große Freigelände zeigen zeitgenössische Baukunst und Landschaftsarchitektur. In der von Kanälen und Blumenbeeten durchzogenen großen Parklandschaft befinden sich die verschiedenen Markenpavillons. Die Klassiker (nicht nur VW-Modelle) der Automobilgeschichte kann man im Zeithaus bewundern. Wahrzeichen der Autostadt sind die weithin sichtbaren gläsernen Türme.  In jedem Turm stehen 400 Neuwagen zur Abholung bereit.

Der Marathonkurs führt weiter durch das Areal der Autostadt, zwei weitere Nachzügler schließen bei Kilometer 8 zu mir auf. Ihr konstantes Tempo ist zu hoch für mich, ich falle etwas zurück. Es geht wieder am Berliner Ring entlang in Richtung zum 2002 eröffneten Fußballstadion des VfL Wolfsburg, wo gestern Abend die Nudelparty stattfand. Wir laufen durch die 30.000 Zuschauer fassende Sportanlage. Riesige Sprinkleranlagen auf Rädern zur Bewässerung des herrlich grünen Rasens stechen ins Auge. Einer der schnellen, um 10 Uhr 30 gestarteten Halbmarathonläufer, stürmt an mir vorbei, die Nachzügler von vorhin gewinnen ebenfalls an Boden.

Sobald wir aus dem Stadion kommen, führt die Marathonstrecke am Wake Park, ein künstlich angelegter See im Allerpark Wolfsburg, der als Wassersportzentrum 2005 eröffnet wurde, vorbei. Kilometeranzeigen beim Marathon habe ich bisher keine gesehen, meine Uhr zeigt 9 km an. Die heranstürmenden Halbmarathonläufer – Frauen sind noch keine in Sicht – werden immer zahlreicher. Kaum einer von denen bleibt an der Labestelle stehen – ich schon:  Wasser, Iso und Cola im Becher gemischt dient als Energienachschub. 

 

 

Eine Parkrunde mit einer Begegnungsstrecke steht  an.  So schön dieser grüne Abschnitt im Allerpark für Spaziergänger auch sein mag, ich weiche dem sandigen, tlw. steinigen Untergrund auf die angrenzende Wiese entlang der Trasse aus. Im Park liegt auch das Schloss Wolfsburg, eine 1302 erstmals urkundlich erwähnte, mittelalterliche Niederungs- und Wasserburg, die sich später in ein Renaissance-Schloss wandelte und nach dem die Stadt Wolfsburg benannt ist. Die 10 km-Anzeige ist auf der kleinen Brücke vor dem Schloss aufgestellt. Von dem in Berlin lebenden Bildhauer Thomas Kiesewetter stehen im Park mehrere Skulpturen, darunter eine in Gelb, die man in freier Weise als Elefant interpretieren könnte.

Hunderte Halbmarathonis sind inzwischen an mir vorbeigekommen, an die 1200 Starter sind gemeldet, fünfmal mehr als für den Marathon.  Ein Trend, der sich weltweit abzeichnet. Man läuft nur die halbe Strecke und war trotzdem beim Marathon dabei.

 

 

Der Kurs führt anschließend wieder aus dem Park heraus, zurück in die Nähe der VW-Arena. Ich bekomme entlang der Begegnungsstrecke die entgegenkommenden Halbmarathonläufer gut ins Bild.  Auf der großen Runde um den Allersee mit echtem Sandstrand und herrlicher Badeinfrastruktur ist es so weit: Joachim (er läuft den Halbmaathon) überholt mich und schreit, dass ich für die angestrebten 5:30 Stunden gut in der Zeit liege und der letzte Marathonläufer ca. 2 km zurückliege.

Nun geht es wieder zurück über den Mittellandkanal, auf der Brücke überholt mich ein Kollege in langsamem Laufschritt .  Auf seinem grünen Shirt steht: „Wenn du das liest, bin ich nicht Letzter!“ Einen größeren Ansporn  brauche ich nicht, um an ihm dranzubleiben. Auf der gegenüberliegenden Seite kommen noch viele Halbmarathonläufer nach, sie liegen ca. 4 km zurück, aber noch immer sehr gut in der Zeit.

Durch Wohngebiete geht es nun weiter in südliche Richtung in den Stadtteil Hellwinkel. Der Marathonkurs führt in das VfL Stadion am Elsterweg. Auf einer Tartanbahn zu laufen, auch wenn es nur eine Runde ist, beflügelt.

 

 

Der Kurs führt nun ein kurzes Stück am Berliner Ring vorbei nach Osten, die Polizei sperrt bzw. regelt den Verkehr gemäß dem Läuferaufkommen. Ich wundere mich nun schon seit einigen Minuten, warum ein offizieller Begleitradfahrer für die Schlussläufer an mir dranklebt. Auf die Frage nach dem Warum entgegnet dieser, dass der Letzte im Feld wahrscheinlich nicht mehr die geforderten drei Stunden für den Halben schaffen wird und ich die rote Laterne hätte.

Beim Steimker Berg steigt die Strecke leicht an, einige Höhenmeter sind auf einem typischen befestigten Waldweg zu überwinden. Der Begleit-Radfahrer nutzt ein E-Bike. Er erzählt, dass er wegen Knieproblemen das Laufen aufgegeben habe. Viele Wanderer und Ausflügler sind unterwegs. Sowohl Anstieg als auch Untergrund bremsen mich, auf dem letzten Kilometer auf der Pestalozziallee ins Zielareal versuche ich wieder Tempo zu machen. Als ich die zweite Runde beginne, höre ich, inzwischen einen Kilometer vom Ziel entfernt, wie der Sieger bei den Herren mit 02:46 Stunden unter Beifall des Publikums finisht.

Jetzt beginnt für mich eine schwierige Phase, denn der Begleitradfahrer erwähnt, dass ich nun definitiv der letzte Marathonläufer im Felde sei. Bei der Labe frage ich, wie viele Minuten ich auf den Vordermann zurückliege.  „Sieben oder acht werden es sein“, sagt man mir. Die Unterhaltung mit E-Biker  ist kurzweilig. Er erzählt, dass seine Schwester in die Obersteiermark geheiratet habe und dort mit ihrem Mann einen Bauernhof führt. Und er kenne die Therme Bad Blumau, wäre sie nicht so weit weg, würden er und seine Frau öfters dorthin fahren.

Bei der Autostadt übernimmt seine Frau die Radbegleitung, er ist beim um 15 Uhr beginnenden Kinderlauf eingesetzt. Der Radbegleiterin schließt sich alsbald ein weißes Begleitfahrzeug an, das unverdrossen uns auch auf dem Radweg nachfährt. Und bald darauf schließt sich uns auch der dem VW-Bus folgende Rettungswagen an.  Welche Ehre, welch eine Eskorte für den Schlussläufer!

Bei der Labe nahe der Arena erblicke ich endlich einen langsamen Kollegen, der mich fragt, ob wir es im Gehen in der Zeit schaffen werden. Ich antworte: „Du nicht, aber ich schon!“ Diese knallharte Aussage beflügelt den jungen Mann derart, dass er wie nach einem Zaubertrank bei den Galliern neue Kräfte mobilisiert und wegspurtet. Ich bleibe Letzter. In einer Siedlung im Waldgebiet verjüngt sich die Straße, die beiden Autos kommen nicht durch. Aber der Fahrer kennt sich aus, er reversiert und kommt aus einer Nebenstraße wieder nach.

Um aufzuzeigen, dass auch die langsamsten Finisher eine sportliche Leistung erbringen, laufe ich die letzten 1 ½ km ins Ziel. Der Applaus ist bestimmt ehrlich gemeint. 10 Minuten vor Ende des Marathons hat man mit dem Abbau schon begonnen. Die Medaille bekomme ich, der Stand, wo die Finishershirts ausgegeben werden, ist schon verschwunden. Der inzwischen wieder aufgetauchte E-Biker bietet sich an, die Rennleitung aufzusuchen und für mich eines zu organisieren. Leider hat Erdinger Weißbier schon abgebaut, aber man hat für mich eine Flasche aufgehoben. In einer Schachtel sind noch drei Kuchenstücke, ein kleines Mädchen, das hastig zugreift, lässt mir eines übrig. Ich setze mich auf eine Bank in der Sonne und erhole mich von den Strapazen.

 

Was bleibt mir vom Wolfsburg Marathon im Gedächtnis?

 

Die Organisation des Marathons ist lobend zu erwähnen, die Versorgung auf der schönen Strecke mit viel Grün und wenig Höhenmetern hervorragend. Das Preis-/Leistungsverhältnis bei einem Startgeld gestaffelt von 37 bis 55 Euro inkl. hochwertigem Finishershirt  ist so niedrig wie vor einem Jahrzehnt bei ähnlichen Marathonlaufbewerben. Das Gesamtpaket sollte eigentlich mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer ansprechen. Ich persönlich kann den Marathon empfehlen. Mir hat der Lauf in der Autostadt sehr gut gefallen.

 

Siegerliste Männer:

1. Louis Hellmuth (GER) –  02:46:29
2. Dean Sauthoff (GER) – 02:51:11
3. Sven Günther (GER) – 02:55:41

 

Reihung bei den Frauen

1. Martina Dannheimer (GER) – 03:09:26
2. Birgit Schönherr-Hölscher (GER) – 03:12:45
3. Sabine Andres (GER) – 03:21:08

 

169 Finisher beim Marathon (141 Männer, 28 Frauen), 1218 beim Halbmarathon

 

 

Informationen: Wolfsburg Marathon
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