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Laufberichte

Vom Worst Case zum Holy Trail

28.05.16

Steil und wurzelig führt ein Trampelpfad vom Gipfel runter. Der nachfolgende Kilometer durch den Wald bis an die Flanke des Großen Arber ist eher unspektakulär. Meine Beine sind schon etwas schwer nach über 20 km Aufstieg, so lege ich ungewollt eine schöne Rolle in den Staub. An einer Schotterstraße kommen wir aus dem Gehölz, sie führt uns noch etwa eineinhalb Kilometer ziemlich steil nach oben. Ringförmig umrunden wir auf der Straße fast den gesamten Gipfelbereich, bevor wir das Gipfelkreuz und die früheren kugelförmigen Überwachungsanlagen zu Blick bekommen. Dort ist die Hölle los, viele Ausflügler belegen den Gipfel des „König des Bayerwalds“.

Fünfhundert Meter geht’s noch bergab, bevor wir endlich die zweite Verpflegungsstelle erreichen. Da meine Flüssigkeitsvorräte aufgebraucht sind, mache ich das sofort, das vergisst man ja gerne einmal. Leider ist auch hier der Isovorrat, wie bei VP1 aufgebraucht, so muss ich mich mit normalem Wasser begnügen. Mann, die Schnelleren saufen bei den Temperaturen heute wohl wie die Gäule. Alternativ gäbe es noch einen veganen Kokos-Reis-Drink, das Risiko mit einem noch nie getesteten Drink ist mir aber zu hoch. Das Essensangebot ist dafür aber derart reichlich, dass es mir erstmal schwerfällt, mich für etwas zu entscheiden. Von Süßem bis Deftigem, von Obst bis Energieriegel ist alles dabei. Sogar spezielle Speisen für Veganer werden angeboten, ich probiere von allem. Nach einer ausgiebigen Stärkung geht’s weiter.

 


Eine Schotterstraße führt uns steil abwärts, ohne große Konzentration kann man es schön rollen lassen. Von Thomas werde ich kurz vor der letzten Spitzkehre zu den Liftanlagen überholt. Wanderer bestätigen uns den richtigen Weg und weisen zur Talstation. Es geht immer geradeaus an den Kassenhäuschen und Souvenirshops der Arberbahn vorbei.

Etwa einen Kilometer weiter kommt uns das Ganze wegen fehlender Streckenmarkierungen dann doch etwas spanisch vor. Zum Glück wurde uns mit den Startunterlagen auch eine detaillierte Streckenkarte ausgehändigt. Die muss jetzt raus und bringt es ans Tageslicht: Wir haben uns von den Wanderern fehlleiten lassen. Wir müssen zurück bis zur Spitzkehre. Der ganze Spaß bringt Thomas und mir drei Zusatzkilometer und ein ordentliches Bergaufstück ein.

Dafür geht es ab Spitzkehre wieder lange abwärts. Insgesamt sind vom Gipfel runter, auf 7 km über 700 Höhenmeter zu vernichten …ohne Abstecher. Dieser hat uns jetzt im Zeitplan weit nach hinten geworfen und so sind die 7 Stunden Zeitlimit bis VP3 in der Nähe des Langlaufzentrums Lohberg-Scheiben noch eine enge Kiste. Der 3 km lange Aufstieg ist zum Glück technisch nicht allzu schwierig, so schaffen wir das noch eine viertel Stunde vor dem Cut-Off. Diesmal sind Iso und Cola in ausreichenden Mengen vorhanden und dazu auch wieder ein reichhaltiges Speisenangebot.

Mittlerweile ist der Himmel schwarz geworden, ein paar Regentropfen fallen und erstes Donnern ist zu vernehmen. Beim Verlassen der Stationen bekommen wir die Info: Die Schleife auf das Zwercheck ist für uns wegen akuter Gewittergefahr gesperrt, die Alternativroute verläuft geradeaus auf einer Forststraße. Erspart bleibt uns somit ein kräfteraubender Aufstieg auf das Zwercheck und oben angekommen ein knapper Kilometer auf dem Bergkamm des Künischen Gebirges entlang der Grenze zu Tschechien. Summa summarum sind das etwa drei Kilometer weniger …ja, dann passt’s ja wieder für mich und Thomas, das sind genau die 3 km unseres unfreiwilligen Abstechers.

Viel kommt nicht runter von oben, es lohnt noch nicht einmal, eine Regenjacke anzuziehen. Nach einem Kilometer bergauf geht es jetzt meist leicht abfallendend und fast schnurgerade durch den Wald. Über 6 km zieht sich der Forstweg dahin. Hier kann ich wieder etwas Zeit gutmachen. Kurz nach „10 to go“ werden wir zum Aufstieg auf den Osser eingewiesen.

Der Aufstieg ist anfangs nicht sonderlich schwierig, erst zum Gipfel hin fordert der immer steiniger werdende Pfad erhöhte Aufmerksamkeit, besonders als es dann auch noch zu regnen anfängt und das Gestein nass und glitschig wird. Schließlich erreichen wir über einen felsigen, mit Seilen gesicherten Steig, etwas unterhalb des Gipfels den Großen Osser (1293 m). Ein Schild verspricht mir ein Bierchen in 200 Meter.



Jubelnd wird jeder vom gut gelaunten Personal am Verpflegungsstand empfangen. „Alkoholfrei ist aus, wir haben nur mehr richtiges Bier.“ Das passt, da nehme ich doch gerne einen tiefen Schluck aus der Pulle. Auch an VP4 bleiben kaum Wünsche unerfüllt. Schnell lässt der Regen wieder nach, so mache ich mich wieder auf die Socken. Sieben Kilometer Downhill liegen jetzt vor uns und die haben es in sich, kann ich schon mal vorab versprechen. Höchst anspruchsvoll, aber auch mit das geilste, was es im „Trailrunners Paradise“ zu finden gibt.

Los geht es mit einer technisch sehr schwierigen, aber begeisternden Kletterpartie hinunter zur Osserwiese. Der kurze Regenschauer hat die Felsen äußerst rutschig werden lassen, so sind sie mit Vorsicht zu genießen. Da kann es schon mal vorkommen, dass man mit dem Hinterteil nach unten rutscht um die Felsenformationen gefahrenfrei zu überwinden. Man kommt zwar nicht sonderlich schnell voran, dafür ist der Spaßfaktor umso höher. Die dunklen Wolken sind wieder abgezogen und die Sonne lässt sich sehen. So ergeben sich herrliche Ausblicke hinüber zum Arber-Kaitersberg-Kamm, wo unsere Tour heute Morgen begann.

Durch Borstgras, Heidekraut und Heidelbeersträucher geht es mitten über die Osserwiese. Von Natur aus eigentlich bewaldet, ist diese Freifläche eine Folge der Jahrhunderte langen Nutzung als Weide. Im Rahmen eines Öko-Projektes wurden vor allem die Fichtenbestände entfernt, um ein Zuwachsen der Wiese zu verhindern.
Mit dem „Worst Case“ beginnt der neue Schlussabschnitt der Strecke. Von verschiedenen Möglichkeiten, vom Ossergipfel ins Tal zu gelangen, verdient nur ein Weg hinunter dieses Prädikat. Bei Regen würde der Abschnitt im Nu unter Wasser stehen und man müsste sich durch ein Bachbett kämpfen. Das ist der Grund, warum er nur als Schönwettervariante taugt. Nach ein paar Metern auf diesem fast weglosen, teilweise brutal steilen und mit Wurzeln übersäten Abschnitt stelle ich mir die Frage: Genickbruch oder lieber etwas langsamer. Aber selbst im Economy Modus lande ich in einem steinigen Abschnitt zweimal recht unsanft auf dem Boden und entgehe knapp meinem eigenen Worst Case, so nehme ich nochmals Tempo raus.



Nicht nur die Bezeichnungen der einzelnen Trailsequenzen sind kreativ, in erster Linie ist es der geniale und einzigartige Kurs, der begeistert. In Tromsø, in der spektakulären Fjordlandschaft nördlich des Polarkreises, findet eines der härtesten Trailrennen der Welt statt. Veranstalter sind dort keine Geringeren als Kilian Jornet und Emelie Forsberg. Dort geht es auf ausgesetzten Graten mit Klettereinlagen durch die norwegische Landschaft. Das „Tromsø“ hier ist nicht so lang und auch nicht so schwierig, aber die Kletterpartien sollen etwas anlehnen an das dortige Skyrace, das schon nach nur einer Austragung legendär ist.

Bereits der Einstieg ist spektakulär, eine Helferin empfängt uns unterhalb der Gesteinsformation. Mit einem Seil müssen wir uns nach oben hangeln. Gefährlich ist das nicht, es sind nur ein paar Meter, aber die bereiten saumäßig viel Spaß. Nicht weniger aufregend geht es weiter, wir dürfen uns durch Felswände quetschen, sie übersteigen und wieder runterklettern. Dazu auf fußbreiten Trails auf und ab balancieren. Halleluja.

Der nächste Abschnitt ist ein flowiger Trail, „Promised Land“ hat man in getauft. Wellig, aber doch immer leicht abwärts führt er teilweise extrem schmal auf Felsbändern entlang. Wie auf einem Slalomkurs an einem Felsenriff gleiten wir bis zur Wallfahrtskapelle Maria Hilf. Man fühlt sich wie im gelobten Land, im Promised Land eben. Zu fluchen und zu schimpfen gibt’s hier wirklich nix, höchstens weil wir uns allmählich dem Ziel nähern.

Zwanzig Waldbauern mussten ihr OK geben, damit wir heute diesen läuferischen Hochgenuss erleben dürfen. Ausgegraben wurden diese längst in Vergessenheit geratenen und fast schon wieder zugewachsenen Pfade von Max vom Orga-Team, der sich hier besser auskennt, als in seiner Westentasche.



Mittlerweile hat sich auf dem Trail eine kleine Gruppe angesammelt, wir laufen in etwa im gleichen flow, haben mehr Spaß als sportlichen Ehrgeiz und schweben alle im Trail-Himmel. Für mich ist das klasse, so habe ich immer mehrere Akteure vor der Linse. Nach der Kapelle beginnt der „Holy Trail“, ellbogenschmal, über Wurzeln und superweiche Waldböden führt er uns durch dichte Sträucher, an bemoosten Felswänden vorbei und zu guter Letzt noch an einem geschmückten Weihnachtsbaum. Dieser ist im Übrigen kein Gag des Veranstalters, sondern er steht hier immer, wurde von einem Unbekannten geschmückt und wird auch von ihm regelmäßig gepflegt.

An den Totenbrettern endet der Heilige Trail. Bekannt ist er nur wenigen und auch nicht ausgeschildert. Ein einheimischer Wanderführer bietet Meditationswanderungen zwischen den Totenandenken und der Wallfahrtskirche an, wo auch religiöse und philosophische Texte in Stein gemeißelt zu finden sind. So verdient er sich seinen Namen.

 

 

Auf den beiden Schlusskilometern liegt uns Lam zu Füßen, immer leicht abwärts rollt unsere Gruppe gemeinsam ins Ziel auf dem Marktplatz ein. Was für ein toller Zieleinlauf und hervorragend passend zum Spirit des Trailrunning, wo man nicht immer alles so bierernst und sportlich verbissen sieht.

„König vom Bayerwald“ wurde für mich nicht überraschend Matthias Dippacher. Wer den „Dippi“ kennt, weiß, dass auch er viel Freude auf dem Trail hat, auch wenn er doppelt so schnell wie unsereins unterwegs ist.

Viele Empfehlungen für den U.TLW muss ich jetzt nicht mehr abgeben, ich bin eher gespannt, wie viele Stunden es dauert, bis die 3. Auflage einer der schönsten Trailveranstaltungen des Landes ausverkauft ist. Eines sollte man aber nochmals erwähnen, unterschätzen darf man den Bayerwald nicht, die Schwierigkeitsgrade hier kann manches Rennen in alpinen Gegenden nicht aufweisen.

 

 

 

 

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Informationen: U.Trail Lamer Winkel (U.TLW)
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