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Laufberichte

Hart erarbeitet (K78)

 

Durch ein Wohngebiet verlassen wir den Ort. Wir passieren noch das Schwimmbad, das heute keinen Mangel an Badegästen zu beklagen hat. Jetzt wird es für mich einsam. In einiger Entfernung vor mir sehe ich ein paar Läufer. Hinter mir sind wohl auch noch welche. Der Weg selber ist mir unbekannt. Ich erinnere mich, dass im letzten Jahr Unstimmigkeit wegen der Streckenlänge diskutiert wurde. Nun gibt es eine zusätzliche Runde von ca. 2 km. Ich lass mich überraschen; es geht geradeaus, dann links und in weiten Serpentinen bergauf. Die Sonne brennt unerbittlich auf den baumlosen Hang mit den wehrlosen Läufern, die alle schon lange zu Gehern geworden sind.

Oben gelangen wir auf einen Single Trail und dann geht es, diesmal schattig, wieder bergab. Wir erreichen das km 35 Schild (noch zu laufen) und die Straße ins Val Tuors, die mir vom Lauf vor 2 Jahren bekannt ist. Nicht einen einzigen Höhenmeter haben wir gespart - dafür viele dazu bekommen. Gemeinsam schimpfen wir auf die uns unbekannte Person, die sich solche Schikanen ausgedacht hat. Müssen die fehlenden 2 Kilometer ausgerechnet bergauf und dann wieder bergab gehen?

Wenn Du diesen leisen Ausbruch des Zorns liest, halte mir bitte zu Gute, dass ich bereits mehr als 40 km in brütender Hitze hinter mir habe und noch etwa die gleiche Strecke vor mir liegt. Es ist mir klar, dass ich nicht auf einem Spaziergang bin – aber muss das sein?

Es geht also erst einmal die Straße bergauf. Der Tuorsbach begleitet uns zuerst auf der rechten und dann auf der linken Seite. Das Panorama ist gigantisch. Vor uns liegen hohe Berge, die ihre weiß glänzenden Schneeflächen nicht verbergen können. Ich freu mich, dass der Lauf jetzt so richtig beginnt.

Nicht allen geht es gut, denn es ist immer noch unerträglich heiß. Die letzte VP in Bergün ist zwar kilometermäßig noch nicht weit weg, aber der kleine Abstecher über den Berg hat doch ganz schön Zeit gekostet. Der Weg zieht sich. Doch dann zeigt das km 30 Schild (noch zu laufen) den Fortschritt an.

 Ab Chants wird es dann tatsächlich alpin. Die Häuser des winzigen Ortes lassen sich an beiden Händen abzählen. Nochmals gibt es volle Verpflegung, reichlich Getränke und Massagen. Jemand erkundigt sich nach meinem Befinden. Der Rennarzt? Sehe ich so schlecht aus? „Danke, mir geht es gut“ , antworte ich wahrheitsgemäß.

Vor einer Hütte sitzen Schaulustige und feuern uns an, an einem anderen Haus können bunte Kunstwerke bestaunt werden. Die letzte Ruhebank wird von zwei Schaulustigen mit Hund besetzt. Sie jubeln, was das Zeug hält. Waren die nicht vor zwei Jahren auch schon da? Mir kommt die Szene irgendwie bekannt vor. Froh gelaunt mache ich mich auf den weiteren Weg.

Es geht im Wald in Serpentinen bergauf. Der breite Wanderweg bereitet keine Schwierigkeiten. An den Steilstücken gibt im Abstand von 2 – 4 VPs . Das hört sich komfortabel an, ist aber angesichts der aufgewendeten Zeit genau richtig. Ich bin alle Mal an ihnen froh. Im Übrigen bietet sich hier auch Gelegenheit für ein Schwätzchen. Unterwegs hat im Moment keiner richtig Lust sich auszutauschen.

Das Gelände und die Kulisse werden immer wilder. Die Baumgrenze haben wir längst unter uns gelassen. Schneefelder rechts und links zeigen, dass der Winter hier noch nicht lange vorbei ist. Der Weg ist schmal und steinig und geht meist steil bergauf. Die Luft ist klar und nur einzelne Wolken sind am Himmel zu sehen. An einer flacheren Stelle steht die nächste VP. Hier gibt es eine Dusche für die Läufer – welch ein Luxus, wir sind auf 2200 m Höhe.

Die Gegend wird flacher und der Trail führt wellig dahin. Rechts und links blühen Almwiesen und allenthalben kreuzen kleine Bäche unseren Weg. Links mäandert die Ava da Salect Richtung Tal. Sie entspringt dem Keschgletscher und ist verantwortlich für die auffallend weiße Farbe des Tuorsbach.

In weiter Ferne erahne ich mein nächstes Ziel am Fuße des Piz Kesch: die Keschhütte. Im Sommer 1893 baute die Sektion Davos auf 2631 m. ü. M. die erste Keschhütte. Nach diversen An- und Umbauten wurde sie 2000 vollständig neu gebaut. Für die Energieversorgung der Hütte wird die Sonne genutzt.  Die Hütte ist deshalb mit dem Schweizer Solarpreis für besonders umweltfreundliches Bauen ausgezeichnet. Seit 2006 trägt sie das Umweltlabel der Europäischen Union. Die Sonnenkollektoren (für Warmwasser) und die Solarzellen (für die Stromproduktion) werden durch ein kleines Wasserkraftwerk unterhalb der Hütte und seit Sommer 2011 zusätzlich durch zwei Windgeneratoren unterstützt.

Nun liegt sie schemenhaft vor uns am Berg. Schon von Weitem kann man sie sehen und sofort bekommen die müden Beine neue Kraft. Auf einem hölzernen Steg überqueren wir die schäumenden Fluten unseres treuen Begleiters. Wie Brüder locken uns das blaue K42- und das rote K78-Schild rechts und links des Weges: nur noch 25 Kilometer. Der Schlussanstieg zur Keschhütte beginnt. Mit jedem Schritt wird die Vegetation spärlicher. Den Wiesen sind Polsterstauden gewichen, die ihre Blüten in die Sonne recken. Stängelloser Enzian wächst hier in Massen.

Nach dem letzten steilen Stück haben wir es geschafft. Die ärztliche Kontrolle ist kein Problem und die Verpflegung lockt. Nach knappen 9 Stunden sitze ich auf einer Bank, genieße Bouillon, Tee, Iso, Alpinbrötli und Müsliriegel (in dieser Reihenfolge) und eine grandiose Aussicht auf die bereits geschaffte Strecke und die umliegende Bergkulisse. Der Moderator begrüßt jeden ankommenden und zwischendurch erfahren wir, dass der Schwede Jonas Buud und die einheimische Jasmin Nunige haben es zum wiederholten Mal geschafft und den K78 gewonnen haben. Herzlichen Glückwunsch!

Frisch gestärkt geht es an der Keschhütte vorbei. Auf der anderen Seite beginnt der Abstieg. Nach dem oberen steileren Stück geht es gut laufbar dem Panoramatrail entlang. Wir wären nicht im Hochgebirge, wenn das so bleiben würde. Kleinere und größere Steine erfordern unsere ganze Aufmerksamkeit. Unzählige Rinnsale und kleinere Bäche queren den Weg. Wir laufen wellig an der Flanke des Piz Forun entlang. Der Abstieg endet in einem Hochtal. Nach der Überquerung eines Gebirgsbachs mittels Holzsteg erreichen wir die nächste VP. Es gibt Salami mit und ohne Brot, Studentenfutter, die obligatorischen Getränke und gut gelaunte Helfer. Nur schwer können wir uns losreißen - aber der Weg macht sich ja nicht von alleine.

Nach einem kleinen Anstieg wird der Untergrund feucht. Größere Wasserflächen müssen überquert werden. Dazu bilden Steine eine Furt, nasse Füße sind trotzdem nicht zu vermeiden. Ich habe aber plötzlich ein ganz anderes Problem: hinter dem Bach mitten auf dem Weg stehen Kühe. Ich hab eigentlich keine Angst vor friedlichen Wiederkäuern. Aber wie verhalten sie sich, wenn ich gestikulierend über die Steine ans rettende Ufer hüpfe? Ich lege los. Sehe ich in ihren Augen neben Erstaunen leichte Schadenfreude? Auf jeden Fall klappt es, ich komme heil auch am letzten Kälbchen vorbei.

Die beiden Bergseen Lai da Ravais-ch Suot und -Sur müssen noch umrundet werden. Ein frischer Wind weht hier und die beiden Helfer, die die Strecke markieren, sind dick eingepackt. Bei genauem Hinsehen erkennt man die Läuferschlange, die sich zum Sertigpass hinaufzieht. Vorher kämpfen wir uns noch über diverse feuchte Passagen, dann geht es auch für uns aufwärts.

Schritt um Schritt steigen wir hinauf. Wir gewinnen schnell an Höhe. Vor uns liegt der Landeplatz des Hubschraubers. Start und Landungen erfolgen im Akkord. Da stehen schon die Helfer der VP. Eine kurze medizinischen Kontrolle und ein Alpinbrötli später können wir die unglaubliche Fernsicht genießen. Und es gibt Cola. Sobald die Beine etwas ausgeruht haben, erklimmen wir die Passhöhe.

Mehrere Schneeflächen müssen überquert werden. Dann geht es bergab. Mal mehr, mal weniger steil führt ein schmaler Pfad hinunter. Schneeflächen, die teilweise ganz schön rutschig sind, werden vorsichtig überquert. Große Steine liegen im Weg und müssen über- und umklettert werden. Konzentration ist angesagt. Einmal blicke ich auf und kann bis ans Ende des vor uns liegenden Tals sehen. Die VP ist weithin sichtbar aber noch winzig klein. Unglaublich, dass wir bald dort sein werden. Ich konzentriere mich wieder auf den Weg.

Der Weg wird flacher und die VP wartet schon. Ich halte mich nicht lange auf. Es ist nicht mehr so heiß, zudem geht es nur noch bergab. Also auf zum Endspurt. Noch 15 km. Ein Almwirtschaftsweg führt mehrere Kilometer am Chuealpbach entlang bergab. Einzige Abwechslung ist eine Kuhmelkstation. Auf die Gegend kann ich nicht achten. Mein Blick ist auf den Weg gerichtet, um ja nicht zu stürzen.

Sertig Dörfli wird erreicht, die Zivilisation hat uns wieder. Wir erreichen die Sertigerstraße, wo gerade der Hubschrauber gelandet ist. Scheinbar wird schon aufgeräumt. Es geht auf dem Radweg neben der Straße entlang. Dann weisen uns Helfer nach rechts auf einen Feldweg. Dazu müssen wir eine kleine Böschung hinauf. Das fällt mir ganz schön schwer. Der dann folgende flache Wiesenweg ist kein Problem.

Der Ansage entnehme ich, dass die Cut-off Zeit um 25 Minuten verlängert wurde. Noch 10 Minuten, dann ist die Zeit rum. Knapp geschafft. Bei der Vorbereitung hatte ich die Cut-off Zeiten nicht als Problem gesehen. Aber die Hitze und der Abstecher in Bergün haben Zeit gekostet.  Horror,  wer hier kurz vor dem Ziel (es sind noch 12 Kilometer zu laufen), das Rennen beenden muss.

Der breite Feldweg geht  auf einen schmalen Waldtrail über. Ich hab noch Kraft und kann locker laufen. Im Gegensatz dazu versagt der Akku meiner Uhr seinen Dienst. Wir verlassen den Wald und erreichen die nächste VP. Ich trinke jetzt nur noch Cola. Inzwischen ist mein Fotoakku auch leer. Auf einem breiten Wanderweg laufen wir tendenziell bergab bis Clavadel. Der langgezogene Ort mit seinen großen Bauernhöfen liegt im Abendlicht. An der VP hat sich anscheinend das halbe Dorf versammelt. Immer noch wird jeder Läufer bejubelt. Hochachtung vor so viel Durchhaltevermögen. Panisch frage ich nach der Uhrzeit: es ist 19 Uhr 50. Und noch 5 km zu laufen. Rechnen ist zwar nicht mehr meine Stärke, aber das muss für den rechtzeitigen Zieleinlauf reichen.

Es geht wieder auf einen schmalen Trail in den Wald. Bergab kann ich locker rennen, bergauf reicht es noch für zügiges Gehen. Dann geht es länger bergauf und der breite Höhenweg über Davos ist erreicht. Die ersten Häuser blinzeln von unten durch die Bäume. Wir laufen unter den Seilen der Jackobshornbahn durch und haben freien Ausblick auf Davos im Abendlicht und unserem berühmten Hotel Schatzlap, das majestätisch darüber thront.

Der Weg geht bergab und ich laufe so schnell ich kann.  Wir verlassen den Wald, die Straße ist von Streckenposten gesichert. Dann die Brücke und eine letzte kleine Steigung. Davos, ich komme.  Die Straße ist für den Verkehr gesperrt. Ein erster Zielbogen kündigt das Finale an. Dann geht es in den Stadionbereich und auf die Laufbahn. Für K78 Läufer ist die äußere Bahn reserviert. Hier stehen die Zuschauer noch immer dicht gedrängt und jubeln. Viele recken die Hände zum Abklatschen. Einmal um die Kurve und das Ziel ist in greifbarer Nähe. Geschafft! Norbert schließt mich in die Arme. Ich bin platt.

Auf einer Bank strecke ich erst einmal die Beine aus. Norbert verwöhnt mich mit Erdinger alkoholfrei. Es gibt auch noch Bouillon und Iso. Davon hab ich mittlerweile aber genug. Die Medaille und das K78-Finisher-Shirt gibt es, mit den Glückwünschen der Helfer, am Ausgang.

Fazit: Durch die vielfältigen Streckenangebote ist beim Swissalpine für jeden etwas dabei. Es können ganze Familien an dem Event teilhaben.

Für bergbegeisterte Trailrunner ist der Swissalpine ein Muss. Ob es die lange Strecke sein muss, ist Geschmacks- und vor allem Trainingssache.

Zum Testen eignen sich der K42 und der C42 bestens, beide verlaufen weitgehendst auf der Strecke des K 78 und bieten die gleichen Highlights. Die Strecke des C42 hab ich profilmäßig völlig unterschätzt. Auch dieser Lauf ist überaus reizvoll. 

Das  K78-Finisher Shirt  werde ich in Ehren halten. Es ist hart erarbeitet.

 

Siegerlisten


K 78


Männer


1 Buud, Jonas (SWE) 06:13:28
2 Armstrong, Vajin (NZL) 06:21:10
3 Hugenschmidt, Stephan (GER) 06:26:47

Frauen

1 Nunige, Jasmin (SUI) 06:53:00
2 Huser, Andrea (SUI) 07:34:29
3 Benson, Bernadette (AUS) 08:21:07

877 Finisher

 

K 42


Männer

1 Bundi, Gion-Andrea (SUI) 03:29:30
2 Van Rie, Koen (BEL) 03:43:43
3 Manser, Walter (SUI) 03:44:54

Frauen

1 Matrasova, Katerina (CZE) 04:24:47
2 Schlegel, Sonja (SUI) 04:28:48
3 Ek Gilgien, Sabine (SUI) 04:40:31

1038 Finisher


C 42


Männer

1 Eisenring, René (SUI) 03:18:19
2 Mertens, Gert (BEL) 03:19:16
3 Schär, Sven (SUI) 03:27:14

Frauen

1 McCarey, Bridie (USA) 03:17:04
2 Sobrino, Karen (RSA) 03:48:48
3 Girsberger, Valerie (SUI) 03:52:56

257 Finisher

 

123
 
 

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