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Laufberichte

Höhenflug

25.07.09

Chants - Keschhütte

Was jetzt kommt, ist mir in bester Erinnerung. Von Chants an ist der Steuerknüppel ganz am hinteren Anschlag. Im Gegensatz zum Fliegen ist hier nicht zu wenig Schub das Gefährliche, sondern zu viel. Wer hier nicht dosiert, erlebt einen Strömungsabriss und schmiert ab. Während ich beim Atmen erstmals so richtig die Höhe spüre, gibt es ein paar Unentwegte, die turbomäßig vorbeiziehen. „Eigenartig“, denke ich, „wer über solche Kapazitäten verfügt, sollte eigentlich schon vor zwei Stunden hier vorbeigekommen sein“. Oder haben diese Hasardeure in der Höhenluft bereits die Kontrolle über sich verloren?

Auch hier im Niemandsland über der Baumgrenze ist ein Verpflegungsposten aufgebaut. Für Flüßigkeitszufuhr ist reichlich gesorgt und anhand des Verpflegungsplans kann jeder für sich entscheiden, ob und was für Eigenverpflegung er allenfalls mitführen will.

Auch der nächste Fixpunkt kommt früher als in Erinnerung ins Blickfeld: Die Keschhütte. Noch sehe ich sie ziemlich klein und weit oben, aber immerhin ist auch sie im Blickfeld. Auf dem Weg dorthin bilden sich verschiedene Kolonnen, die sich wie farbige Perlenketten stetig den Anstieg hinaufbewegen.

Keschhütte - Scalettapass

Noch eine Serpentine und dann bin ich bei der Keschhütte. Bei der Zeitmessung werde ich vom Doc empfangen und als Beweis, dass ich im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte bin, halte ich seinen kritischen Blick gleich im Bild fest. Zugegeben, meine Arme sind ziemlich gerötet – nicht wegen der Sonne, sondern wegen der in dieser Höhe recht empfindlichen Kälte.
Gemessen an den Angaben im alten Geographischen Lexikon bin ich zeitlich gut dran:

Zur Keschhütte (Schutzhütte des S.A.C., hinten über dem Val Fontauna, Am SO.-Fuss des Piz Forun und am Fuss des den N.Hang des Piz Kesch bekleidenden Porchabellagletschers. Die 1893 von der Sektion Davos des S.A.C. erbaute Hütte bietet Raum für 20 Personen. Schöne Aussicht auf den Piz Kesch, Piz Forun und Sertigpass.) gelangt man (…) von Bergün aus durch das Val Tuors und über die Fuorcla d’Alp Fontauna in 3 Stunden.

Mein Halt dauert nur kurz. Zwei Becher warmes Getränk und weiter in Bewegung bleiben ist mein Rezept gegen die Kälte. Bald schon bin ich im Bilde, welche Wegbeschaffenheit mir auf den nächsten acht Kilometern bevorsteht. Über weite Strecken ist die Bodenfeuchtigkeit bei etwa hundert Prozent. Ich glaube, dass es weniger die versuchte Schonung der Laufschuhe vor Wasser und Sumpf ist, die einige Läufer vor mir drastisch abbremst. Hier merkt man, ob die Trainingsrunden durch gepflegte Kurparks oder ruppige Trails führten.

Dort, wo sich die Strecken des K42 und des K78 trennen, bin ich froh, dass ich auf dem langen Kanten unterwegs bin und das Wetter die Benutzung des Panoramatrails zulässt. Sonst würde auch ich zu den armen Schweinen gehören, die auf die Alp Fontauna hinunter müssen, um dann die eingebüßten 400 Höhenmeter zum Scaletta hoch wieder mühsam aufzuaddieren.

Auf dem Panoramatrail bin ich mit anderen Läufern zusammen, die alle mit der gleichen Geschwindigkeit unterwegs sind. Die wenigen Male, wo es sich aufdrängt, lässt man uns auch rücksichtsvoll passieren. Ich habe Bedauern mit meinem treuen Laufschuh. Mit der perfekten Mischung von Tragkomfort, Halt, Haftung, Dämpfung und Gefühl für den Untergrund leistet er mir optimale Dienste und muss dabei die immer tiefere Einfärbung in Brauntöne über sich ergehen lassen.

Die Sonne rückt in der Zwischenzeit das Bergpanorama wieder in Postkartenlicht und lässt mich die eben noch gespürte Kälte vergessen. Dann, plötzlich, als hätte jemand einen Schalter gedrückt, bläst mir seitlich von vorne ein steifer Wind entgegen, und während ich noch im strahlenden Sonnenlicht laufe, kommen mir Graupelkörner horizontal entgegen. Dort, wo der Weg uns hinführt, ist der Himmel bedrohlich dunkel. Ich bin ja mal gespannt, was mich auf dem Scalettapass erwartet.

Bevor ich das herausfinde, sind noch Schneefelder zu überqueren. Mittlerweile ist das Feld wieder dichter, denn die Marathonis, die sich schon wieder hochgequält haben, gesellen sich wieder zu den roten Startnummern der Ultras. Sie haben sich zwar kräftig den Berg hochgeschwitzt, wärmer wird es deswegen  aber nicht. Im Gegenteil, die tiefen Temperaturen werden durch den Wind noch ungemütlicher. Für mich ist das – zusammen mit meiner Trinkreserve im Rucksack – der Grund, dass ich an den Massageliegen und der Verpflegung vorbeirausche und den Weg hinunter nach Dürrboden in Angriff nehme.

Scalettapass - Davos

Schon von hier aus ist erkennbar, dass es im Dischmatal unten wettermäßig gemütlicher ist. Der steile Abstieg über die Steine und Felsbrocken in verschiedensten Formen und Größen erfordert äußerste Konzentration. Nachdem es mich letztes Jahr einen Kilometer nach Dürrboden, in verhältnismäßig einfachem Gelände, der Länge nach hingehauen hat, habe ich mir geschworen, dass mir das heute nicht passiert. Andere sind da unbekümmerter, um nicht zu sagen leichtsinnig. „Na, ja“, sage ich mir, "hier ohne Sturz im Tempo des gehetzten Affen runterzudonnern ist das eine, das andere sind die verbleibenden vierzehn Kilometer von Dürrboden bis ins Ziel. " Hier gibt es, wie schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts wieder Verpflegung:

Das am Fusse des Scalettapasses auf dem Dürrboden stehende Wirtshaus ist während des grösseren Teils des Jahres geöffnet. Als die grossen Alpenstrassen noch nicht gebaut waren, bildete der Scalettapass die kürzeste Verbindung zwischen dem Ober Engadin und Davos; von dem starken damaligen Verkehr zeugen heute noch die grossen Stallungen des Wirtshauses auf dem Dürrboden. Heute bringen nur noch die Touristen alljährlich im Sommer etwas Leben u. Abwechslung in die einsame Gegend.

 
 

Informationen: Davos X-Trails
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